Erklärung des CC Freiburg zu den antimilitaristischen Aktivitäten um den NATO-Gipfel in Freiburg, Strasbourg, Kehl und Baden-Baden am 3. und 4. April 2009
"Bei allen Kriegen, insbesondere den Bügerkriegen, sind die ersten Erfolge in der Regel von entscheidender Wirkung." - Gustav Struve, 1849
Während die NATO in Strasbourg und Baden-Baden am 3. und 4. April 2009 mitsamt ihren Generälen und StaatschefInnen ein Jubiläum (1) von 60 Jahren Krieg und militärischer Dominanz des Westens feierten, regte sich trotz extremer Repression von staatlicher Seite vielfältiger Widerstand.
In Freiburg öffnete am 25. März das antimilitaristische Convergence Center (CC) (2) als Ort der Zusammenkunft zur Information und Vorbereitung im Autonomen Zentrum KTS (3). Über 300 AktivistInnen aus verschiedenen Ländern nuzten den Raum in Selbstverwaltung im Vorfeld (4) des NATO-Gipfels. So bewährte sich die KTS als Anlaufstelle, Infothek, Ort der Vermittlung politischer Inhalte und kontroverser Debatten. Weitere Projekte wie die SUSI, das Grether und die Fabrik unterstützten die Aktivitäten. Auch das Freiburger Anti-NATO-Plenum organisierte in der Zeit Veranstaltungen und Busse nach Frankreich; das freie Radio RDL begleitete (5) die Aktionstage.
Ein unter vollem Einsatz errungener Erfolg liegt in der Medienarbeit des IMC (Independent Media Center) linksunten (6), das von Freiburg aus wichtige Teile der unabhängigen Berichterstattung technisch, sprachlich und inhaltlich unterstützen konnte. Auch stellte das CC einen wichtigen Stützpunkt für die Antirepressionsarbeit der Legal Teams (7) dar. Alles in allem konnte das CC vorzügliche Infrastruktur, Unterkunft und Verpflegung für die teils weit gereisten GenossInnen bieten.
Schon im Vorfeld hetzten (8) die kommerziellen Medien im Kanon (9) mit Polizeidirektion, Behörden und der CDU. So sah der Freiburger Polizeipräsident Amann das CC als eine "nicht unproblematische" Angelegenheit, während die für den 30. März geplante unangemeldete Bündnisdemo (10) für die Polizei als perspektivisch "unfriedlich" galt.
Als sich einige Gemeinderatsmitglieder auf die Seite der NATO-GegnerInnen schlugen, begann der Gemeinderatsfrieden zu bröckeln: Die CDU sah die Grünen als Sicherheitsrisiko, da diese die Einstellung politischer Verfahren (11, 12, 13, 14) gegen Aktive aus dem KTS-Umfeld in Bezug auf die autonome Demo für unkontrollierte Versammlungen am 13.12.2008 forderten (15). Der Ruf nach Law-and-Order wurde von diversen Stellen, die zu unterschiedlichem Ausmaß Profiteure der Nordatlantischen Politik (16) sind, kolportiert. Der Einzelhandel wurde von warnenden BeamtInnen heimgesucht und verrammelte teilweise Geschäfte. Die Universität schloß Lehrgebäude und warnte vor "gewaltbereiten Störern" am Abend des 30. März.
Trotz klarer Zeichen der Deeskalation (17) seitens des Freiburger Aktionsbündnisses (18) setzte das Innenministerium die Wünsche des medialen Repressions-Spektakels (19) um. Die für die Zeit des Gipfels von Freiburg aus koordinierte Polizei (20) sperrte ganze Zufahrtswege, zückte Maschinenpistolen (21) am Straßenrand und nahm GenossInnen in "Präventivgewahrsam". Landesweit wurden im Vorfeld des NATO-Gipfels Meldeauflagen erteilt, (22) Hausdurchsuchungen durchgeführt (23) und Anquatschversuche des Verfassungsschutzes (24) vermehrt. Auch in Freiburg sollte ein Klima der Angst vor Protest geschürt werden. Das zuständige Regierungspräsidium in Karlsruhe verhängte kurzerhand eine Allgemeinverfügung (25) gegen die NATO-GegnerInnen: In der Innenstadt sollte um keinen Preis demonstriert werden.
Dennoch ließen sich über 2.000 Menschen nicht einschüchtern und versammelten (26) sich am 30. März ungeachtet versammlungsrechtlicher Schikanen um 18 Uhr in der Freiburger Altstadt. Ein kreativer Block mit Clownsarmee, Pinks und Aktionssamba, ein dunkelbunter Autonomen-Block, zahlreiche Reden und das Verteilen von Infomaterialien konnten der fast vierstündigen Demo einen vielseitigen Ausdruck antimilitaristischen Widerstands verleihen. In Freiburg herrschte Ausnahmezustand. Dennoch hatten die bis zu 3.000 PolizistInnen aus aller Herren Bundesländer die Versammlung im Griff.
Die Demo, die ursprünglich durch das Universitätsviertel zum Ernst-Mach-Institut für Kurzzeitdynamik, der Justizvollzugsanstalt und dem Kreiswehrersatzamt ziehen sollte, wurde durch die zahlenmäßige Überlegenheit der Polizei, ständiges Abfilmen, ZivilpolizistInnen und Greiftrupps weitgehend fremdbestimmt. Wahrlich postdemokratisch kommt eine eingekesselte Demonstration daher, die weder optisch noch akustisch von der Bevölkerung wahrgenommen werden kann. Für die Medien hat der polizeiliche Großeinsatz am Ende sogar einen "Ausbruch linker Gewalt" verhindert.
Die verhandelnden BeamtInnen erwiesen sich als unkooperativ und hielten sich nicht an Absprachen. Nach dem Verlassen der KaJo wurde lediglich ein Schlenker über Rotteckring und Eisenbahnstraße zum Hauptbahnhof gewährt, wonach die Demonstration über die Bismarckallee und die Wilhelmstraße im Grün aufgelöst wurde. Ohne jeglichen Grund ließ uns die Polizei ihre Dominanz erneut spüren und kesselte die Demo aud der Bahnhofsachse mit einem behelmten sechsreihigen Spalier ein, wie um erneut einen Inhalt der "Make Militarism History"-Demo (27)herauszustellen: Die radikale Kritik an der Innenpolitischen Aufrüstung der NATO-Staaten. Sechs Linke wurden im Zuge der Aktion in Gewahrsam genommen.
Nun lag das Augenmerk auf Strasbourg. Seit dem 25. März wurde das Campgelände im Strasbourger Süden hergerichtet. Die Außerkraftsetzung des Schengener Abkommens führte zu umfangreichen Grenzkontrollen, (28) bei denen zahlreiche GipfelgegnerInnen an der Aus- oder Einreise gehindert wurden. So diente die KTS noch über mehrere Tage als "Auffangbecken" für Abgewiesene. Nach teilweise juristischen Erfolgen der Legal-Teams konnten zahlreiche Leute dennoch nach Strasbourg reisen, wo es am 2. April, infolge eines Mordes durch die britische Polizei am Rande des Gipfels der G-20 (29) in London, zu ersten Unruhen kam.
Die Repression sollte nun in all ihren Facetten an Fahrt gewinnen. Die Bündnisdemo vom 3. April in Baden-Baden (30) wurde dank juristischer Schikanen, (31) umfangreicher Vorkontrollen und Grenzschließung kleingehalten und durfte mit knapp 500 Leuten vom Kessel am Bahnhof zum Kessel am Bernhardusplatz und zurück laufen.
Während die deutsche Polizei durch Einschüchterung, Überpräsenz und "präventive Repression" die Meinungsfreiheit unterminierte, zerschlugen Armeen und PolizistInnen beider Gastgeberstaaten jegliche Versammlung auf französischer Seite im Keim, mit einer Heftigkeit mit der so kaum eineR gerechnet hätte. Global gesehen gelang es einem erstmaligen grenzüberschreitenden Großeinsatz von rund 30.000 PolizistInnen und über 5.000 SoldatInnen, mit Gewalt die Bilder ihrer einseitigen Propaganda zu erzeugen.
Während die Augen der Masse auf die Rauchsäulen fixiert waren, wurde im Palais de la Musique et des Congrès im Strasbourger Norden eine Ausweitung der Beteiligung europäischer Armeen an der NATO beschlossen. So wurde unter anderem die Atommacht Frankreich erneut als Vollmitglied im Bündnis begrüsst und soll zukünftig Führungspositionen innerhalb der Militärallianz übernehmen. Unverschämte Augenwischerei wird mit der Anti-Atomwaffen-Rhetorik Obamas betrieben. Die Nordatlantikstaaten streben offensichtlich vielmehr eine weitreichende Konfrontation mir den KonkurrentInnen Russland, Iran und China an. Auch wurden Anhebungen der Truppenstärke in den bestehenden Einsatzgebieten der NATO vereinbart. Die Expansion des Bündnisses und eine Intensivierung des Kriegskurses bleiben an der Tagesordnung. Vor glücklichen JubelbürgerInnen und begeisterten Medien wurde erneut Krieg als Friedenspolitik verkauft und Nordatlantische Integration durch symbolische Grenzüberschreitungen und Armeeorchester abgefeiert.
Die gut 20.000 GipfelgegnerInnen, die sich am 4. April in Strasbourg ab den frühen Morgenstunden auf die Beine machten, erfuhren was Sarkozy mit seiner Hochdruckreinigungspolitik meint. Versammlungen jeglicher Couleur, die sich an diesem Tag in Strasbourg bildeten, wurden von der Polizei mit Tränengas (32), Schockgranaten, Gummigeschossen, Pfefferspray, Fahrzeugen, Hubschraubern, Wasserwerfern, Steinen (33) und Knüppeln angegriffen.
So gelang es der Polizei, einen großen Teil der AktivistInnen auf einer Insel im Osten der Stadt zusammenzupferchen und dort mit all ihren Mitteln so lange zu terrorisieren, bis eine militante Eskalation (34) folgte und die Leute sich verteidigten. Auf Kehler Seite demonstrierten (35) bis zu 5.000 Linke, während am Horizont die Grenze brannte und die Repressionsorgane ein Übertreten der Grenze verhinderten.
Insgesamt wurde trotz einer beachtlichen Mobilisierung kaum auf den Verlauf der Konferenz des Militärbündnisses eingewirkt. Zwar konnte die Öffentlichkeit den Protest und die Opposition von der Straße kaum übersehen (36). Das Ziel einer effektiven Gipfelblockade wurde jedoch mangels sinnvoller Strategie der AktivistInnen nicht erreicht.
Zu guter Letzt bleibt ein großes Lob an alle Strasbourger Linken, Reisenden, Voküs, CamperInnen, AnwohnerInnen, IMCistas, ÜbersetzerInnen, RechtshilfestrukturenerrichterInnen, Dissent! Frankreich, Gipfelsoli, die Infopoints, Résistance des deux Rives, CC-Molodoi Strasbourg, Cine Rebelde, Radio Dreyeckland, Villa Rosenau und viele mehr auszusprechen, deren Liste diese Stellungnahme nun wahrlich unlesbar machen würde.
Angesichts der exzessiven Repression im Vorfeld und während des Gipfels zeichnet sich ein langwieriges Nachspiel (37) der Gipfelproteste ab. Zahlreiche Menschen erlitten schwere Verletzungen. Tausende wurden durch die Polizei zumindest durch die massiven Tränengaseinsätze verletzt. Dutzende AktivistInnen werden nun mit Verfahren überzogen. Teilweise gab es bereits Schnellverfahren und Urteile (38). Am Oberrhein wurde die Meinungs- und Bewegungsfreiheit mit aller Gewalt unterdrückt. Die NATO vor unserer Haustür? Ein Gipfel der Repression (39)!
Gemeint sind wir alle!
Keep making militarism history!
Solidarität mit den verhafteten GenossInnen!
(1) Nachbetrachtung der IMI-Tübingen zum NATO-Gipfeltreffen vom 11. April: http://linksunten.indymedia.org/de/node/4737
(2) Convergence-Center KTS Brochüre: http://www.kts-freiburg.org/spip/IMG/pdf_cc_broschuere.pdf
(3) Kurzaufruf zum Aufbau eines Freiburger CC: http://www.kts-freiburg.org/spip/spip.php?article913
(4) PM Anti-NATO-Plenum Freiburg 18. März: http://linksunten.indymedia.org/de/node/1643
(5) RDL-Übersichtsartikel: http://linksunten.indymedia.org/node/1732
(6) Support your local IMC: http://linksunten.indymedia.org/node/708
(7) Legal-Teams Übersichtsartikel: http://linksunten.indymedia.org/de/node/1800
(8) Pressearchiv bei Linksunten: http://linksunten.indymedia.org/de/press
(9) Grüne Alternative am 30. März: http://galfr.wordpress.com/2009/03/30/panikmache-der-polizei-lief-ins-le...
(10) Mobilisierungartikel des Aktionsbünsnisses 30.03.: http://linksunten.indymedia.org/node/402
(11) Offener Brief an die Stadt: http://www.kts-freiburg.org/spip/spip.php?article938
(12) BZ-Artikel zu den Vorladungen: http://www.badische-zeitung.de/freiburg/umstrittene-vorladungen
(13) Stellungnahme des Bündnis für Politik und Meinungsfreiheit: http://www.pm-buendnis.de/uploads/media/090216_PM_Repressionen_Freiburg.pdf
(14) Grüne Alternative gegen Repression am 9.03.: http://galfr.wordpress.com/2009/03/09/nato-gipfel-und-meinungsfreiheit-i...
(15) Communique der Autonomen Antifa vom 19.03.: http://www.autonome-antifa.org/spip.php?page=antifa&id_article=141&design=2
(16) Aufruf des AK-Antifa Mannheim gegen die NATO: http://linksunten.indymedia.org/node/1092
(17) PM des Aktionsbündnis 30.03. am 29.03. http://3003.blogsport.de/2009/03/29/letzte-infos-und-pm-zur-demonstration
(18) Homepage des Freiburger Aktionsbündnis: http://3003.blogsport.de
(19) Bildzeitung Stuttgart vor der Freiburger Demo: http://linksunten.indymedia.org/en/system/files/data/2009/03/5688798494.pdf
(20) Gewerbegebiet SpaziergängerInnen am 18. 02.: http://linksunten.indymedia.org/node/397
(21) PM des Aktionsbündnis 30.03. am 31.03: http://3003.blogsport.de/2009/03/31/pm-vom-31-maerz-zur-freiburger-make-...
(22) Redblog: http://redblog.twoday.net/stories/5614809
(23) Wohnungsdurchsuchung in Stuttgart: http://linksunten.indymedia.org/en/node/1714
(24) Communique der Autonomen Antifa vom 27.03.: http://www.autonome-antifa.org/spip.php?page=antifa&id_article=141&design=2
(25) Allgemeinverfügung von Karlsruhe: http://linksunten.indymedia.org/de/node/2086#1
(26) Bericht zur Make Militarism History Demo: http://linksunten.indymedia.org/en/node/2236
(27) Ein weiterer Bericht zur Freiburger Demo: http://linksunten.indymedia.org/de/node/2116
(28) Communique der Autonomen Antifa vom 2.04.: http://linksunten.indymedia.org/de/node/2385
(29) Gipfelsoli Sonderseite zum G-20-Gipfel: http://gipfelsoli.org/Home/London_2009
(30) RDL-Interview mit DFG-VK am 3. April: http://linksunten.indymedia.org/en/node/2948
(31) Gerichte gegen GipfelgegnerInnen: http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1126
(32) TAZ zur Repression beim Gipfel: http://gipfelsoli.org/Home/Strasbourg_Baden-Baden_2009/6756.html
(33) Video vom Nouvelobservateur am 7.04.: http://videos.nouvelobs.com/video/iLyROoafJLlG.html
(34) Bericht von Nique le flic: http://linksunten.indymedia.org/en/node/4534
(35) Bericht von Wilhelm Achelpöler: http://linksunten.indymedia.org/en/node/4379
(36) Communique der Autonomen Antifa vom 9.04.: http://www.autonome-antifa.org/spip.php?page=antifa&id_article=146&design=2
(37) Antirepgruppe Breakout: http://breakout.blogsport.de
(38) Erste Urteile: http://gipfelsoli.org/Home/Strasbourg_Baden-Baden_2009/6774.html
(39) Anarchistische Gruppe Freiburg zum Gipfel: http://www.ag-freiburg.org/News/Strasbourg-should-be-a-riot