Schlechte Zutaten, aber gut geschüttelt – Teil II des Textes zu dem Zetkin-Cocktail in Sachen Geschlechterverhältnis (@ 8. März)

Zetkin SU-Briefmarke 1957

Der folgende Text ist die Fortsetzung des am Mittwoch veröffentlichten ersten Teils:

Zum 8. März 2015: Den Zetkin-Cocktail de-konstruieren!


Stark geraffte, thesenförmige Zusammenfassung des gesamten dreiteiligen Textes:

Biologischer oder historischer Materialismus? 15 Thesen zum Scheitern des Marxismus, eine gesellschaftliche Analyse des Geschlechterverhältnisses zu liefern

 

http://scharf-links.de/51.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=50317&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=509229915c

 


 

Hinweis auf einen Vortrag am kommenden Dienstag (10.3.) zu einem verwandten Thema:

http://theoriealspraxis.blogsport.de/2015/02/27/ich-danke-oder-bitte-um-mehr-tomaten/

 


 

3.c) Das zetkinsche Ergebnis: „die marxistische Frauenemanzipationstheorie“

 

aa) Der Inhalt des Cocktails

 

Anstatt an den vorstehend aufgezeigten analytischen Widersprüchen zu arbeiten, wur­den in der Folge – im Lichte (oder viel­mehr: Schatten!) der schon erwähnten strategi­schen Option, die ‚Frauen­frage’ dem Klassenkampf un­terzuordnen – insbesondere das Kommu­nisti­sche Mani­fest und der Text von Engels zu ‚der marxi­sti­schen Frauenemanzipationstheo­rie’ zu­sam­mengezo­gen: Mit dem Text von Engels konnte ‚begründet’ werden, warum (nicht ausschließlich) die (proletarischen) Frauen für die sozialistische Revolution kämpfen soll­ten.[1]  Denn das (in der Bourgeoisie) angeblich für die Frauen­un­terdrückung ver­ant­wortliche Privatei­gentum (= zu vererbendes Vermögen) war ja noch nicht abge­schafft. (Auch Bebel konnte hier ein­ge­baut werden, da auch er – an­ders als das Mani­fest – die aktuelle Existenz von Frauenun­ter­drüc­kung er­kann­te.) Wem/welche das hi­storische Argument (Entstehung der Frauenun­ter­drückung durch das Privatei­gen­tum), noch nicht da­von abhielt, für einen Frauenkampf zu votie­ren, dem/der konnte zusätzlich, als Hilfsargument sozusa­gen, das Kommunistische Ma­nifest entge­gen ge­halten werden: Denn auch dieses bes­tritt, wenn auch mit anderer Be­gründung (Frauenunterdrückung als vor-kapita­listisches Relikt), daß die Frauenunter­drüc­kung nur durch einen Kampf der Frauen gegen die Männer beseitigt wer­den kann.

Es war Clara Zetkin, die diesen Cocktail mixte, als sie die redaktionelle Linie der sozialdemokratischen Zeitschrift Gleichheit beschrieb:

 

Die Gleichheit „tritt für die volle gesellschaftliche Be­freiung der Frau ein, wie sie einzig und allein in ei­ner im Sinne des Sozialis­mus umgestalteten Gesell­schaft möglich ist. Sie geht von der Über­zeugung aus, daß der letzte Grund der Jahrtausende alten niedrigeren Stellung des weiblichen Ge­schlechts nicht in der je­weiligen ‚von den Männern gemach­ten’ Gesetzge­bung, sondern in den durch wirtschaftliche Zu­stände be­dingten Eigentums­verhältnissen zu suchen ist. Dieser Auffas­sung gemäß erblickt die ‚Gleich­heit’ den Feind der Gleichberechtigung des weiblichen Ge­schlechts weder in dem Ego­ismus noch in den Vorur­tei­len der Männerwelt, sie predigt nicht den Krieg von Geschlecht zu Geschlecht.“ (Die Gleich­heit, 28.12.1891 zit. n. Staude 1974, 38).

 

Satz für Satz finden wir hier die vorstehend analysierten disparaten marxistischen Ansätze wieder:

 

1.


Zetkin – Satz 1: Die Gleichheit „tritt für die volle gesellschaftliche Be­freiung der Frau ein, wie sie einzig und allein in ei­ner im Sinne des Sozialis­mus umgestalteten Gesell­schaft möglich ist.“

 

Dieser Satz ist einerseits das Argument von Bebel: Frauen (und Männer!), die vom Kapital ausge­beutet wer­den, sind nicht – völlig! – befreit. (Das ist zwar zutreffend, aber hat mit dem Geschlech­terverhältnis kaum etwas zu tun.[2] )

Und der Satz bereitet gleichzeitig das Argument von Engels vor: Keine Frauenbefreiung ohne Abschaffung des Privateigentums.[3] Diese These findet sich dann in dem folgenden Satz des Zetkin-Zitates:

 

2.


Zetkin – Satz 2: „Sie geht von der Überzeugung aus, daß der letzte Grund der Jahrtausende alten niedri­geren Stel­lung des weiblichen Geschlechts nicht in der jeweiligen ‚von den Männern gemachten’ Gesetzge­bung, son­dern in den durch wirtschaftliche Zustände bedingten Ei­gentums­verhältnissen zu suchen ist.“

 

Dieser Satz ist nun die These aus Engels Der Ursprung... – nämlich die These, die Frauenun­terdrückung sei vom Privateigentum („Eigentums­verhältnissen“) bedingt.

 

3.


Zetkin – Satz 3: „Dieser Auffassung gemäß erblickt die ‚Gleichheit’ den Feind der Gleichberechtigung des weibli­chen Ge­schlechts weder in dem Ego­ismus noch in den Vorur­teilen der Män­nerwelt, sie predigt nicht den Krieg von Geschlecht zu Geschlecht.“

 

Dieser Satz schließlich korrespondiert mit der Auffassung des Kommunistischen Ma­nifestes und Engels’ Der Ursprung..., die beide einen Frauenkampf gegen Männerherrschaft ausschließen. Gleichzeitig hört es sich (zusammen mit dem vorhergehenden Satz: „letzte Grund [...] in den wirt­schaftlichen Zuständen [....] zu suchen ist“) nach Bebel an; – allerdings nur, wenn man/frau dessen These, die Frauenfrage sei ein Teil der so­zialen Frage, fälschlicherweise als Unterordnung der Frau­en- unter die soziale Frage versteht. Bei Bebel hieß es aber noch:

 

„Es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl Sozialisten, die der Frau­enemanzipation nicht weniger abge­neigt gegenüberstehen wie der Kapitalist dem Sozialismus. Die abhängige Stellung des Ar­bei­ters vom Kapitali­sten begreift jeder Sozialist, und er wundert sich das an­dere, namentlich der Kapitalist selbst, sie nicht be­greifen wollen; aber die Abhängig­keit der Frau vom Mann begreift er häufig nicht, weil sein eigenes lie­bes Ich ein wenig dabei in Frage kommt.“

 

Demgegenüber betrachtete bspw. Clara Zetkin in anderem Sinne als Bebel

 

„[d]ie proletarische Frauenbewegung [...] stets als Teil der allge­meinen revolutionären Arbeiter­bewe­gung, sie [Zetkin] unterordnete sie der historischen Mission der Arbei­terklasse“ (Staude 1976, 57 – Hv. d. Vf.):

 

„unsere deutsche proletarische Frauenbewegung [... ist] in er­ster Linie nicht Frauen­bewegung, son­dern proletarische Bewe­gung.“ Die Lösung der „ihr zu­fallenden Aufgabe“ fällt zusammen mit dem „Nutzen, welcher der allgemeinen Arbeiterbewegung aus ihr er­wächst. [4]  

 

Dies führte auch bei konkreten Auseinandersetzungen zu Diffe­renzen mit August Bebel: Als der Vor­wärts eine Petition für das Versammlungs- und Vereinsrecht der Frauen zur Unterzeich­nung empfahl, wurde dies von Clara Zetkin als „prinzipienloses Verhalten“ kri­tisiert, da Frauen „aller Parteien und Klassen“ als Un­terzeichnerinnen gewonnen werden sollten (Staude 1977, 474; vgl. Staude 1983, 17).[5] Anstatt an diesem praktischen Beispiel einzuse­hen, daß die „Frauenfrage“ eine klas­senübergreifende Frage, daß im Kampf für Frauenforderungen ein Bündnis von proletarischen und bürgerlichen Frauen möglich ist, bekämpfte Zetkin die Petition nach dem palmströmschen Motto „Was nicht sein darf, das nicht sein kann“:[6] Das Proletariat kämpfe „[n]icht um der schönen Augen des Prinzips“ (Zetkin 1896, 104) für die gleichen vereinsrechtlichen Möglichkeiten von Frauen und Männern, sondern nur als „Mittel zum Zweck“ (Zetkin 1896, 103). Der „Grund, kraft des­sen das Proletariat für die Forderung eintritt“, sei die Wichtigkeit der gewerkschaftlichen Koalitionsfreiheit für „alle [...] Glieder“ des Prole­tariats (Zetkin 1895a, 58 – Hv. d. Vf.).

Clara Zetkin ging es mit ihrer Haltung „in erster Linie darum“ sog. „Unklarheiten über den Klas­sen­cha­rakter der Frauenfrage“ entgegenzutreten (Staude 1977, 474).

Bebel, der in diesem Streit zwischen Vorwärts und Zetkin zu vermitteln versuchte[7] (Staude 1977, 474 f.), warf sie vor

 

„daß in diesem Fall in ihm der Verfasser der ‚Frau’ als Verteidiger des unterdrückten Ge­schlechts mit dem Marxisten durchgegangen sei.“[8]

 

Zetkin war der Ansicht, notwendig sei

 

„nicht spezielle Frauenagitation, sondern sozialistische Agitation unter den Frauen zu treiben. Nicht die kleinlichen Augenblicksin­teressen der Frauenwelt dür­fen wir in den Vordergrund stel­len, unsere Auf­gabe muß sein, die moderne Proletarierin in den Klas­senkampf einzureihen“.[9]

 

„Die Klassenspaltung und der Klassengegensatz“ schlössen aus, „daß der so­ziale Kampf der Frauen ein einheitlicher sein könnte. Sie setzen ihm ver­schiedene Ziele je nach der Klasse, in welcher die Frauen­frage auftritt.“[10] Da die erwerbstätige proletarische Frau an­geblich von ih­rem Mann ökono­misch unab­hängig war (Zetkin 1896, 102), konnte

 

„der Befreiungskampf der proletarischen Frau nicht ein Kampf sein wie der der bürger­lichen Frau ge­gen den Mann ihrer Klasse; umgekehrt: es ist der Kampf mit dem Mann ihrer Klasse gegen die Kapita­listen­klasse.“ (Zetkin 1896, 102 – auch zit. bei Kontos 1979, 112)

 

  •  Obwohl es aber alles andere als selbstverständlich ist, daß pro­letarische Frauen eher als bürgerliche Frauen ein existenzsi­cherndes Einkommen reali­sieren
  •  und obwohl mit der etwaigen Höhe des Erwerbseinkommens noch nichts zur Verteilung von Hausarbeit und sexueller Gewalt gesagt ist, stand damit

„für die weitere Diskussion fest, daß es die Frauen­emanzipation und die Frauenfrage nicht gab“ (Neef 1979, 53 – Hv. i.O.).

Der bürgerlichen Frauenbewegung wurde in der von Clara Zetkin redigier­ten sozial­demo­kratischen Frauenzeitschrift die Gleichheit „nur mit beißendem Spott [...] be­gegne[t]“, und Frauen, „die in Ehe und Mutterschaft nicht ihr alleiniges Glück er­blickten“, wurden als „Mannweiber“ bezeichnet (Freier 1981, 15, 45).

Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent,[11] – statt wie üb­lich von „proletarischer Frauenbewe­gung“ – nach dem Vorbild von Fritz Staude von „Frauenbewegung des Prole­tariats“ (Staude 1977, 471) zu reden.

 

bb) Motive und Ursachen für den Cocktail-Inhalt

 

Die instrumentelle ‚Nützlichkeit’ dieser „marxistischen Frauenemanzipations­theorie“ für eine so­ziali­stische Revolution (die das Privateigentum und damit angeblich auch die Frau­enunter­drückung ab­schafft) könnte nun Anlaß zu der Ver­mutung geben, daß die – in unter­schiedlichem Ausmaß[12] – ana­ly­tisch und strate­gisch unzulänglichen Antworten von Marxi­stInnen auf die ‚Frauenfrage’ von diesem in­stru­mentel­len Zweck determiniert sind. Für diese Vermutung spricht die erhebliche Angst von MarxistInnen, daß sich Arbeiterinnen zu sehr dem Kampf um Frauen- und zu wenig dem Kampf um Klasseninteressen widmen. Der KPD-nahe Rote Frauen- und Mädchenbund (RFMB) warnte bspw. später, daß selbst der Kampf um von ihm für richtig gehaltene Forderungen wie Mutterschutz „losgelöst vom proletarischen Klassenkampf [...] die Proletarierinnen ihrer Klasse und dem Klassenkampf“ entfremden (RFMB 1926, 387). Aus dieser Befürchtung resultierte das Bedürfnis von MarxistInnen nach einer Theorie, die den Frauenkampf strikt an Klassenkampf anbindet und jenen diesem ggf. unterordnet.

Trotzdem sprechen mehreren Gründen dagegen, die „marxistische Frauenemanzipationstheorie“ allein von jener instrumentellen Nützlichkeit determiniert zu sehen:[13]

1. ließ sich die Not-wendigkeit[14] für proletarische Frauen, für die sozialisti­sche Revo­lution zu kämp­fen, schon aus ihrer Klas­senlage und damit unab­hängig von dieser „Frauenemanzipationstheorie“ be­gründen. Damit ist deren in­strumentelle Nützlich­keit für je­nen Zweck nicht mehr besonders aus­schlaggebend.

2. war es a) u.a. aufgrund der ggü. proletarischen Frauen rela­tiven Privile­giertheit von bür­ger­li­chen Frauen[15] wenig wahr­scheinlich und b) zahlenmäßig auch wenig ent­scheidend, daß diese sich der soziali­sti­schen Bewegung an­schließen[16].

3. ist zu berücksichtigen, daß die „marxistischen KlassikerInnen [...] im Vergleich zu ihren Zeit­genos­sInnen das damalige Ge­schlechterverhältnis durchaus weitgehend in Frage“ stell­ten (Schaper-Rinkel 1994, 10).[17] Die da­durch im männlichen Teil des Proletariats, mit dem die Klas­sikerInnen über die ‚Frauenfrage’ durchaus in Konflikt gerieten,[18] bewirkten Irritationen dürften über die für sie positiven Irritationen, die sie unter den Frauen der Bourgeoisie bewirkt haben, deutlich hinausge­gangen sein.

Aus diesen Gründen scheinen es (theorie)geschichtliche und vielleicht auch unbe­wußte[19] (aber eben nicht bewußte) Hemm­nisse bei den marxistischen TheoretikerInnen gewesen sein, die sei­ner­zeit weiter­ge­hende gesellschaftlich-materialistische[20] analytische und strate­gische Antwort auf die „Frauen­frage“ verhin­dert ha­ben. Denn zwar ging der radikale Flügel der sog. bürgerli­chen Frauenbe­wegung teilweise über die marxisti­schen For­derungen hinaus (s. Köhn et al. 1984, 174, 183); aber auch diesen Frauen war es da­mals nicht mög­lich, eine der mar­xi­sti­schen Theorie – hin­sichtlich der analytischen Begrün­dung und strategi­schen Durch­setzung die­ser Forderungen – überlegene Kon­zeption zu formu­lieren, son­dern sie argumen­tier­ten diffe­renz-theoretisch mit einem be­sonderen weiblichen Wesen (s. Eichhorn 1994, 80 f. und – in­sofern eher unkrit. – Köhn et al. 1984, 180 f., s.a. 190 f., 193).

So befanden sich denn die MarxistInnen den Frauen ggü. in ei­ner Position, die der der Utopi­schen So­zialistInnen dem Proleta­riat ggü. ähnelte:

 

„Sie sind sich zwar bewußt, in ihren Plänen haupt­sächlich das Interesse der arbeitenden Klasse als der lei­dendsten Klasse zu ver­treten. Nur unter diesem Ge­sichtspunkt der lei­dendsten Klasse exi­stiert das Pro­le­tariat für sie. Die unentwickelte Form des Klassen­kampfes wie ihre eigene Lebenslage bringen es aber mit sich, daß sie weit über jenen Klassengegensatz er­haben zu sein glauben. Sie wollen die Le­benslage aller Gesell­schaftmitglieder, auch der best­gestellten, verbes­sern. Sie appel­lieren daher fort­während an die ganze Gesellschaft ohne Unterschied, ja vorzugsweise an die herr­schende Klasse. [...]. Sie verwer­fen da­her alle po­litischen, nament­lich alle revolutionären Aktion, sie wollen ihr Ziel auf friedlichem Weg errei­chen und ver­suchen, durch kleine, natürlich fehl­schla­gen­de Experi­mente, durch die Macht des Beispiels dem neuen ge­sellschaftli­chen Evangelium Bahn zu brechen.“ (Marx/Engels 1848, 490).

 

Entsprechend beanspruchten die MarxistInnen die Interessen der Frauen als lei­dendster ge­sell­schaft­li­che Schicht zu vertreten, aber die unentwickelte Form des feministi­schen Kampfes und die männli­chen Privilegien der Marxi­sten führten dazu, daß sie sich über je­den Geschlechter­ge­gen­satz erhaben fühlten. So appel­lierten sie an die Männer mit den Frauen solidarisch zu sein, aber sie verwarfen je­de revolu­tionäre feministische Aktion. Sie propa­gierten zwar das „Experi­ment“ der Ein­beziehung der Frauen in die Erwerbsar­beit. Dies mußte aber ‚fehlschlagen’ (genauer: von begrenzter Wirkung bleiben), da sie die ge­schlechtshierar­chische Struktur der (Erwerbs- und Haus)Arbeit unangeta­stet lie­ßen![21]

Und so waren die MarxistInnen auch nicht in der Lage zu erkennen, daß die Auffas­sung der „Frauenfrage“ als klassenübergreifend relevante Frage durchaus nicht eine ‚Entschär­fung’ der „Frauenfrage“ bedeutet (so aber Staude 1976, 53). Diese Entschär­fungs-These be­ruht auf der richti­gen philosophischen Frage nach der materi­ellen Basis der Frau­enunter­drückung und der unwissen­schaftli­chen, ideologischen Antwort, die die diese Ba­sis in der Klassenherr­schaft liegen sieht. Dieser bloß gewollte Materialismus zeichnet sich damit gerade nicht durch eine „strenge Haltung [...] gegenüber der Realität seines Ge­gen­standes“ (Althusser 1968b, 21), also gegenüber dem Geschlechterverhältnis aus. Die marxisti­sche Antwort auf die „Frauenfrage“ erweist sich damit als ideo­logisch im Sinne Althussers.

 

„Ein ideologischer Satz ist ein Satz, der (obwohl er durchaus ein Symptom einer anderen Realität ist als derjenigen, auf die er sich bezieht) als Satz in Bezug auf den Gegenstand auf den er sich bezieht, falsch ist.“ (Althusser 1967, 26).

 

Der Satz, die Klassenherrschaft sei die materielle Basis der „Frauenfrage“, ist falsch; aber er ist ein Symptom der Realität der geschlechtshierarchi­schen Arbeitsteilung, der tatsäch­li­chen materiellen Ba­sis der „Frauenfrage“[22].

 


 

Es folgt:

 

4. Der unbewußte biologistische Essentialismus der marxisti­schen Erklärung der ge­schlechts­spezifischen Arbeitsteilung



 

[1] Vgl. zu diesem Kalkül Kontos 1979, 100: Die proletarische Frauenbewegung habe die Aufgabe gehabt, den Kampf radikalisierter bürgerlicher und kleinbürgerlicher Frauen gegen „‚feudale Relikte’ patriarchaler Herrschaft [...] zu einer ‚bürgerlichen Revolu­tion der Frauen gegen die Bourgeoisie’ zu radikalisieren".

[2] Eine volle Befreiung ist in der Tat nur in einer Gesellschaft möglich, die nicht nur post-patriarchal, sondern auch post-kapitalistisch ist.

Aber strittig sind vielmehr zwei andere Fragen: 1. Schließt eine Befreiung vom Kapitalismus (vielleicht sogar schon vom Feudalismus) eine Befreiung vom Patriarchat ein? Und 2.: Ist eine Befreiung vom Patriarchat auch ohne Befreiung vom Kapitalismus möglich? – Engels bejaht Frage 1 und verneint Frage 2, aber gibt für beide Antworten keine schlüssige Begründung.

Statt eine solche schlüssige Begründung zumindest nachzuliefern, geben seinen NachfolgerInnen die unstrittige Aussage von Bebel, daß eine volle Befreiung nur in einer Gesellschaft möglich ist, die nicht nur post-patriarchal, sondern auch post-kapitalistisch ist, fälschlicherweise als eine Begründung für die tatsächlich strittigen Fragen 1 und 2 aus.

[3] An dieser Stelle sei noch einmal ausdrücklich auf den Unterschied zwischen Bebels und Engels' These hingewiesen: Während Bebel (s. oben S. 6 damit argumentierte, daß ein Großteil der Frauen nicht nur sexistisch, sondern auch kapitalistisch ausgebeutet und unterdrückt ist (deshalb sein Plädoyer für „volle ökonomische und geistige Unabhängigkeit“), leitete Engels (s. oben S. 11, 13) auch die sexistische Unterdrückung aus dem Privateigentum ab (s. dazu noch einmal die vorstehende FN 25).

Der Sinn des Ausdrucks „volle ökonomische und geistige Unabhängigkeit“ bei Bebel (1879/1909, 30) bei Bebel ist: Sowohl eine Befreiung ausschließlich von der Herrschaft der „Männerwelt“ als auch eine Befreiung ausschließlich von der Herrschaft des Kapitals wäre nur eine teilweise Befreiung – und damit hat Bebel Recht!

Von Engels und Zetkin wird dagegen die Herrschaft der „Männerwelt“ in die Herrschaft des Kapitals absorbiert. Bei ihnen gibt es – anders als bei Bebel – kein „sowohl [Befreiung von der Herrschaft der „Männerwelt“]  – als auch [Befreiung von der Herrschaft des Kapitals]“, sondern nur einen Befreiungsvorgang – den sozialistischen (der auf wundersame Weise die Frauenbefreiung frei Haus mitliefert)!

Und der Unterschied zwischen ‚vollständig’ und ‚teilweise’ ist dann nicht mehr – wie bei Bebel – der Unterschied zwischen Abschaffung nur eines der beiden Herrschaftsverhältnis oder beider, sondern der zwischen bürgerlich-reformistisch (= nur teilweise Befreiung) und sozialistisch-revolutionär (= volle Befreiung), was den Kampf gegen die Herrschaft gegen der „Männerwelt“ als bürgerlich-reformistisch denunziert. Und das reformistische Anschleimen an Männer und das pazifistische Unterlassen eines „Krieg[es] von Geschlecht zu Geschlecht“ (Zetkin) wird in eine vermeintliche revolutionäre Heldinnentat umgedeutet.

[4] Clara Zetkin, [Brief an Friedrich Engels v. 22. Jan. 1895], in: IISG, Amsterdam, Kautsky-Fonds und dies., in: Die Gleichheit, 11. Nov. 1896 zit. n. Staude 1977, 472 bei FN 15 und 477 bei FN 45.

[5] Daneben nennt Zetkin 1895, 54 unten bis 56 oben, 59 f., 61 auch erwägenswerte Argumente gegen die Petition.

[6] Demggü. wies der Vorwärts in einer Anmerkung zu dem Artikel von Zetkin darauf hin, daß Zetkins abstrakte Gleichheitsposition (weder Arbeiter noch Arbeiterinnen dürften Bünd­nisse mit Bürgerlichen eingehen) an der Realität vorbeigeht, daß die „Frauenwelt [...] im Staate leider noch in einer ganz anderen Stellung als die Männerwelt“ sei (s. Zetkin 1895a, 57, FN 1). Zetkin 1895b, 64 antwortete darauf ausweichend: „Es liegt mir fern, deswegen einen Stein auf sie [die Unterzeichnerinnen der Petition, d. Vf.] zu werfen, aber auch ebenso fern, ihr Verhalten zu billigen, am fernsten aber, dieses Verhalten zu einem Grund zu erheben, kraft dessen die Kritik der Petition auch nicht ein Härchen krümmen dürfe.“

[7] Bebel scheute sich auch nicht seine Sympathie für den von „bürgerlichen und kleinbürgerlichen Intellektuelle[n]“ gegründeten Bund für Mutterschutz zu zeigen; während sich die von Clara Zetkin redigierte Gleichheit „kritisch mit den Zielen und Aufgaben des Bundes [...] auseinander[setzte]“. (Rantzsch 1980, 16, 18, 19, 23 f., FN 9. – vgl. Gleichheit 22. März 1905, S. 35).

[8] Staude 1977, 475 ohne genaue Quellengabe. Wahrscheinlich bezieht sich Staude auch hier auf den oben bei FN 27 schon zi­tierten Brief an Engels. Eine ähnliche Formulierung, al­lerdings nicht direkt auf Bebel gemünzt, findet sich auch bei Zetkin 1895b, 64.

[9] Zetkin 1896, 102 – auch zit. bei Reinstadler 1984, 34 bei FN 2; der erste Satz ebenfalls zitiert bei Staude 1977, 476 bei 36.

[10] Clara Zetkin, Geistiges Prole­tariat, Frauenfrage und Sozialismus, Berlin, 1902, 12 zit. n. Neef 1979, 54.

[11] So auch Köhn et al. 1984, 167: „Warum wird dann aber überhaupt noch von einer proletarischen Frauenbewegung gesprochen [...]?“

[12] Das unterschiedliche Ausmaß (bspw. bei Bebel und Zetkin), läßt sich ‚psychologisch’ damit erklären, daß sich Männer vielleicht eher als Frauen eine ‚frauenfreundliche’ Position lei­sten konnten. Hinzukommen – theorie-immanent – die Inkonsequenzen in der Auffassung der Deutschen Ideologie und Be­bels, die Gegenpositionen viel Spielraum ließen.

[13] Vgl. dazu auch Penrose 1990, 63: „Es wäre meiner Meinung nach falsch zu behaupten, daß die ursprünglichen frauenpoliti­schen Absichten der SED unehrlich gewesen wären.“ Die „Frauenpolitik [blieb] in der DDR auf der theoretisch-wissenschaftlichen Ebene der Jahrhundertwende stehen". Sie wurde „nicht weiter reflektiert, sondern widerspruchslos akzeptiert und weiter­geben."

[14] „Notwendigkeit“ meint hier (und im folgenden) nicht eine geschichtlich-determinierte Zwangsläufigkeit, sondern – im wörtli­chen Sinne – das, was zur AbWENDung ihrer ‚Not’, hier ihrer Klassenlage, erforderlich wäre (falls sie sie denn abwenden wollen). Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, daß die Subjekte immer auch die Möglichkeit haben, sich mit ihrer (Not)lage abzufinden bzw. zu arrangieren.

[15] Vgl. zu diesen bereits oben FN 24.

[16] Zu diesem erhofften Effekt s. Staude 1980, 32: „Die Forderung nach dem Frauenwahlrecht hat noch eine andere Seite. In dem Maße wie das Proletariat seine Forderung erhebt, trägt es Verwirrung und Zersplitterung in die gegnerischen Reihen und schwächt sie. Damit werde zugleich auch alle sozialen Gegensätze ausgelöst, die im bürgerlichen Lager zwi­schen Mann und Frau gegeben sind. Die bürgerlichen Frauen und die Frauenrechtlerinnen müssen folglich in der Frauenstimmrechtsfrage Farbe be­kennen.“

[17] So auch Frei 1987, 21: „So fortschrittlich auch Bebels Ansichten mit seiner strikten Ablehnung der ökonomischen und sexuel­len Unterdrückung der Frau für die damalige Zeit gewe­sen sein mögen, [...].“ und Penrose 1990, 63: „Zurückgesetzt in die Zeit ihres Entstehens, am Ende der viktorianischen Ära, sind die kritischen Analysen und Forderungen dieser Men­schen erstaunlich fortschrittlich.“, Reinstadler 1984, 20: „[...] strebte Bebel in seinen Uto­pien zweifellos aufrichtig eine Besserstellung der Frauen an.“ Anderer Ansicht: Marielouise Janssen-Jurreit, Sexismus. Über die Abtreibung der Frauenfrage, München 19783, 195 zit. n. Reinstadler 1984, 6: Marx und Engels hätten „die Frauenfrage nicht nur weiter (entwickelt), sie blieben auch hinter vielen zeitgenössi­schen Denkansätzen zurück".

[18] Bei diesen Konflikten war sicherlich auch die Frage der Einheit der Arbeiter- respektive ArbeiterInnenklasse (und nicht nur die Sympathie der mar­xistischen KlassikerInnen für die ‚Frauenemanzipation’) von Bedeutung. Um diese herzustellen dürfte wahrscheinlich ein Mindestmaß an Rücksicht auf den weiblichen Teil der Erwerbstätigen geboten gewesen sein.  Aber in Anbetracht dessen, daß die Frauenerwerbsquote im Durchschnitt der OECD-Länder auch 2009 noch unter 60 % lag und in diesen Wert zahlreiche Frauen eingehen, die nur teilzeit-erwerbstätig sind, mußte die las­sallesche, repressive Strategie der Herstellung der Einheit der Arbei­terklasse durch ein Verbot der Frauenerwerbsarbeit durch­aus nicht von vornherein als unreali­stisch erscheinen. Zumal die vielfach beschworene Lohn- und Erwerbsarbeitsplatzkonkurrenz zwischen Männern und Frauen durchaus nicht so groß ist wie gemeinhin vermutet. Denn das weibliche und männliche Segment der ArbeiterInnenklasse haben jeweils seine eigene Reservearmee (insoweit zutreffend: Kontos 1979, ? [Seitenzahl fehlt]).

[19] Vgl. Reinstadler 1984, III: „Meine Absicht war dabei aufzuzeigen, wie viele verschiedene Möglichkeiten der Diskriminierung und Klischeehaftigkeit be­stehen, die oft unbewußt ange­wandt werden, nicht zuletzt begünstigt durch unsere Art des Sprachge­brauchs.“

[20] „Materialismus ist einfach ein Ausdruck für strenge Haltung des Wissenschaftlers gegenüber der Realität seines Gegenstandes, [...].“ (Althusser 1968b, 21).

[21] Ähnlich auch – insofern zutreffend: Kontos 1979, 96, 110.

[22] Vgl. dazu Haug 1981, 656: „[...] die Sozialstruktur dieser Gesellschaft [basiert] auf Frauenunterdrückung [...]; unter Sozialstruktur verstehe ich das System der gesamtgesellschaftli­chen Arbeitsteilung, die geschlechtsspezifische Zuweisung der Aufgaben der Reproduktion [...]."

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Es gibt jetzt einen Mitschnitt meines - am Anfang des Artikels erwähnten - Vortrages vom 10. März zum Verhältnis von Marxismus und Feminismus online:

 

http://perspektive.nostate.net/480

 

Eine schriftliche Fassung mit den obiligatorischen Fußnoten usw. wird es auch demnächst geben.