Der folgende Text ist die Fortsetzung des am Mittwoch veröffentlichten ersten Teils:
Zum 8. März 2015: Den Zetkin-Cocktail de-konstruieren!
Stark geraffte, thesenförmige Zusammenfassung des gesamten dreiteiligen Textes:
Biologischer oder historischer Materialismus? 15 Thesen zum Scheitern des Marxismus, eine gesellschaftliche Analyse des Geschlechterverhältnisses zu liefern
http://scharf-links.de/51.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=50317&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=509229915c
Hinweis auf einen Vortrag am kommenden Dienstag (10.3.) zu einem verwandten Thema:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2015/02/27/ich-danke-oder-bitte-um-mehr-tomaten/
3.c) Das zetkinsche Ergebnis: „die marxistische Frauenemanzipationstheorie“
aa) Der Inhalt des Cocktails
Anstatt an den vorstehend aufgezeigten analytischen Widersprüchen zu arbeiten, wurden in der Folge – im Lichte (oder vielmehr: Schatten!) der schon erwähnten strategischen Option, die ‚Frauenfrage’ dem Klassenkampf unterzuordnen – insbesondere das Kommunistische Manifest und der Text von Engels zu ‚der marxistischen Frauenemanzipationstheorie’ zusammengezogen: Mit dem Text von Engels konnte ‚begründet’ werden, warum (nicht ausschließlich) die (proletarischen) Frauen für die sozialistische Revolution kämpfen sollten.[1] Denn das (in der Bourgeoisie) angeblich für die Frauenunterdrückung verantwortliche Privateigentum (= zu vererbendes Vermögen) war ja noch nicht abgeschafft. (Auch Bebel konnte hier eingebaut werden, da auch er – anders als das Manifest – die aktuelle Existenz von Frauenunterdrückung erkannte.) Wem/welche das historische Argument (Entstehung der Frauenunterdrückung durch das Privateigentum), noch nicht davon abhielt, für einen Frauenkampf zu votieren, dem/der konnte zusätzlich, als Hilfsargument sozusagen, das Kommunistische Manifest entgegen gehalten werden: Denn auch dieses bestritt, wenn auch mit anderer Begründung (Frauenunterdrückung als vor-kapitalistisches Relikt), daß die Frauenunterdrückung nur durch einen Kampf der Frauen gegen die Männer beseitigt werden kann.
Es war Clara Zetkin, die diesen Cocktail mixte, als sie die redaktionelle Linie der sozialdemokratischen Zeitschrift Gleichheit beschrieb:
Die Gleichheit „tritt für die volle gesellschaftliche Befreiung der Frau ein, wie sie einzig und allein in einer im Sinne des Sozialismus umgestalteten Gesellschaft möglich ist. Sie geht von der Überzeugung aus, daß der letzte Grund der Jahrtausende alten niedrigeren Stellung des weiblichen Geschlechts nicht in der jeweiligen ‚von den Männern gemachten’ Gesetzgebung, sondern in den durch wirtschaftliche Zustände bedingten Eigentumsverhältnissen zu suchen ist. Dieser Auffassung gemäß erblickt die ‚Gleichheit’ den Feind der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts weder in dem Egoismus noch in den Vorurteilen der Männerwelt, sie predigt nicht den Krieg von Geschlecht zu Geschlecht.“ (Die Gleichheit, 28.12.1891 zit. n. Staude 1974, 38).
Satz für Satz finden wir hier die vorstehend analysierten disparaten marxistischen Ansätze wieder:
1.
Zetkin – Satz 1: Die Gleichheit „tritt für die volle gesellschaftliche Befreiung der Frau ein, wie sie einzig und allein in einer im Sinne des Sozialismus umgestalteten Gesellschaft möglich ist.“
Dieser Satz ist einerseits das Argument von Bebel: Frauen (und Männer!), die vom Kapital ausgebeutet werden, sind nicht – völlig! – befreit. (Das ist zwar zutreffend, aber hat mit dem Geschlechterverhältnis kaum etwas zu tun.[2] )
Und der Satz bereitet gleichzeitig das Argument von Engels vor: Keine Frauenbefreiung ohne Abschaffung des Privateigentums.[3] Diese These findet sich dann in dem folgenden Satz des Zetkin-Zitates:
2.
Zetkin – Satz 2: „Sie geht von der Überzeugung aus, daß der letzte Grund der Jahrtausende alten niedrigeren Stellung des weiblichen Geschlechts nicht in der jeweiligen ‚von den Männern gemachten’ Gesetzgebung, sondern in den durch wirtschaftliche Zustände bedingten Eigentumsverhältnissen zu suchen ist.“
Dieser Satz ist nun die These aus Engels Der Ursprung... – nämlich die These, die Frauenunterdrückung sei vom Privateigentum („Eigentumsverhältnissen“) bedingt.
3.
Zetkin – Satz 3: „Dieser Auffassung gemäß erblickt die ‚Gleichheit’ den Feind der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts weder in dem Egoismus noch in den Vorurteilen der Männerwelt, sie predigt nicht den Krieg von Geschlecht zu Geschlecht.“
Dieser Satz schließlich korrespondiert mit der Auffassung des Kommunistischen Manifestes und Engels’ Der Ursprung..., die beide einen Frauenkampf gegen Männerherrschaft ausschließen. Gleichzeitig hört es sich (zusammen mit dem vorhergehenden Satz: „letzte Grund [...] in den wirtschaftlichen Zuständen [....] zu suchen ist“) nach Bebel an; – allerdings nur, wenn man/frau dessen These, die Frauenfrage sei ein Teil der sozialen Frage, fälschlicherweise als Unterordnung der Frauen- unter die soziale Frage versteht. Bei Bebel hieß es aber noch:
„Es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl Sozialisten, die der Frauenemanzipation nicht weniger abgeneigt gegenüberstehen wie der Kapitalist dem Sozialismus. Die abhängige Stellung des Arbeiters vom Kapitalisten begreift jeder Sozialist, und er wundert sich das andere, namentlich der Kapitalist selbst, sie nicht begreifen wollen; aber die Abhängigkeit der Frau vom Mann begreift er häufig nicht, weil sein eigenes liebes Ich ein wenig dabei in Frage kommt.“
Demgegenüber betrachtete bspw. Clara Zetkin in anderem Sinne als Bebel
„[d]ie proletarische Frauenbewegung [...] stets als Teil der allgemeinen revolutionären Arbeiterbewegung, sie [Zetkin] unterordnete sie der historischen Mission der Arbeiterklasse“ (Staude 1976, 57 – Hv. d. Vf.):
„unsere deutsche proletarische Frauenbewegung [... ist] in erster Linie nicht Frauenbewegung, sondern proletarische Bewegung.“ Die Lösung der „ihr zufallenden Aufgabe“ fällt zusammen mit dem „Nutzen, welcher der allgemeinen Arbeiterbewegung aus ihr erwächst.“ [4]
Dies führte auch bei konkreten Auseinandersetzungen zu Differenzen mit August Bebel: Als der Vorwärts eine Petition für das Versammlungs- und Vereinsrecht der Frauen zur Unterzeichnung empfahl, wurde dies von Clara Zetkin als „prinzipienloses Verhalten“ kritisiert, da Frauen „aller Parteien und Klassen“ als Unterzeichnerinnen gewonnen werden sollten (Staude 1977, 474; vgl. Staude 1983, 17).[5] Anstatt an diesem praktischen Beispiel einzusehen, daß die „Frauenfrage“ eine klassenübergreifende Frage, daß im Kampf für Frauenforderungen ein Bündnis von proletarischen und bürgerlichen Frauen möglich ist, bekämpfte Zetkin die Petition nach dem palmströmschen Motto „Was nicht sein darf, das nicht sein kann“:[6] Das Proletariat kämpfe „[n]icht um der schönen Augen des Prinzips“ (Zetkin 1896, 104) für die gleichen vereinsrechtlichen Möglichkeiten von Frauen und Männern, sondern nur als „Mittel zum Zweck“ (Zetkin 1896, 103). Der „Grund, kraft dessen das Proletariat für die Forderung eintritt“, sei die Wichtigkeit der gewerkschaftlichen Koalitionsfreiheit für „alle [...] Glieder“ des Proletariats (Zetkin 1895a, 58 – Hv. d. Vf.).
Clara Zetkin ging es mit ihrer Haltung „in erster Linie darum“ sog. „Unklarheiten über den Klassencharakter der Frauenfrage“ entgegenzutreten (Staude 1977, 474).
Bebel, der in diesem Streit zwischen Vorwärts und Zetkin zu vermitteln versuchte[7] (Staude 1977, 474 f.), warf sie vor
„daß in diesem Fall in ihm der Verfasser der ‚Frau’ als Verteidiger des unterdrückten Geschlechts mit dem Marxisten durchgegangen sei.“[8]
Zetkin war der Ansicht, notwendig sei
„nicht spezielle Frauenagitation, sondern sozialistische Agitation unter den Frauen zu treiben. Nicht die kleinlichen Augenblicksinteressen der Frauenwelt dürfen wir in den Vordergrund stellen, unsere Aufgabe muß sein, die moderne Proletarierin in den Klassenkampf einzureihen“.[9]
„Die Klassenspaltung und der Klassengegensatz“ schlössen aus, „daß der soziale Kampf der Frauen ein einheitlicher sein könnte. Sie setzen ihm verschiedene Ziele je nach der Klasse, in welcher die Frauenfrage auftritt.“[10] Da die erwerbstätige proletarische Frau angeblich von ihrem Mann ökonomisch unabhängig war (Zetkin 1896, 102), konnte
„der Befreiungskampf der proletarischen Frau nicht ein Kampf sein wie der der bürgerlichen Frau gegen den Mann ihrer Klasse; umgekehrt: es ist der Kampf mit dem Mann ihrer Klasse gegen die Kapitalistenklasse.“ (Zetkin 1896, 102 – auch zit. bei Kontos 1979, 112)
- Obwohl es aber alles andere als selbstverständlich ist, daß proletarische Frauen eher als bürgerliche Frauen ein existenzsicherndes Einkommen realisieren
- und obwohl mit der etwaigen Höhe des Erwerbseinkommens noch nichts zur Verteilung von Hausarbeit und sexueller Gewalt gesagt ist, stand damit
„für die weitere Diskussion fest, daß es die Frauenemanzipation und die Frauenfrage nicht gab“ (Neef 1979, 53 – Hv. i.O.).
Der bürgerlichen Frauenbewegung wurde in der von Clara Zetkin redigierten sozialdemokratischen Frauenzeitschrift die Gleichheit „nur mit beißendem Spott [...] begegne[t]“, und Frauen, „die in Ehe und Mutterschaft nicht ihr alleiniges Glück erblickten“, wurden als „Mannweiber“ bezeichnet (Freier 1981, 15, 45).
Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent,[11] – statt wie üblich von „proletarischer Frauenbewegung“ – nach dem Vorbild von Fritz Staude von „Frauenbewegung des Proletariats“ (Staude 1977, 471) zu reden.
bb) Motive und Ursachen für den Cocktail-Inhalt
Die instrumentelle ‚Nützlichkeit’ dieser „marxistischen Frauenemanzipationstheorie“ für eine sozialistische Revolution (die das Privateigentum und damit angeblich auch die Frauenunterdrückung abschafft) könnte nun Anlaß zu der Vermutung geben, daß die – in unterschiedlichem Ausmaß[12] – analytisch und strategisch unzulänglichen Antworten von MarxistInnen auf die ‚Frauenfrage’ von diesem instrumentellen Zweck determiniert sind. Für diese Vermutung spricht die erhebliche Angst von MarxistInnen, daß sich Arbeiterinnen zu sehr dem Kampf um Frauen- und zu wenig dem Kampf um Klasseninteressen widmen. Der KPD-nahe Rote Frauen- und Mädchenbund (RFMB) warnte bspw. später, daß selbst der Kampf um von ihm für richtig gehaltene Forderungen wie Mutterschutz „losgelöst vom proletarischen Klassenkampf [...] die Proletarierinnen ihrer Klasse und dem Klassenkampf“ entfremden (RFMB 1926, 387). Aus dieser Befürchtung resultierte das Bedürfnis von MarxistInnen nach einer Theorie, die den Frauenkampf strikt an Klassenkampf anbindet und jenen diesem ggf. unterordnet.
Trotzdem sprechen mehreren Gründen dagegen, die „marxistische Frauenemanzipationstheorie“ allein von jener instrumentellen Nützlichkeit determiniert zu sehen:[13]
1. ließ sich die Not-wendigkeit[14] für proletarische Frauen, für die sozialistische Revolution zu kämpfen, schon aus ihrer Klassenlage und damit unabhängig von dieser „Frauenemanzipationstheorie“ begründen. Damit ist deren instrumentelle Nützlichkeit für jenen Zweck nicht mehr besonders ausschlaggebend.
2. war es a) u.a. aufgrund der ggü. proletarischen Frauen relativen Privilegiertheit von bürgerlichen Frauen[15] wenig wahrscheinlich und b) zahlenmäßig auch wenig entscheidend, daß diese sich der sozialistischen Bewegung anschließen[16].
3. ist zu berücksichtigen, daß die „marxistischen KlassikerInnen [...] im Vergleich zu ihren ZeitgenossInnen das damalige Geschlechterverhältnis durchaus weitgehend in Frage“ stellten (Schaper-Rinkel 1994, 10).[17] Die dadurch im männlichen Teil des Proletariats, mit dem die KlassikerInnen über die ‚Frauenfrage’ durchaus in Konflikt gerieten,[18] bewirkten Irritationen dürften über die für sie positiven Irritationen, die sie unter den Frauen der Bourgeoisie bewirkt haben, deutlich hinausgegangen sein.
Aus diesen Gründen scheinen es (theorie)geschichtliche und vielleicht auch unbewußte[19] (aber eben nicht bewußte) Hemmnisse bei den marxistischen TheoretikerInnen gewesen sein, die seinerzeit weitergehende gesellschaftlich-materialistische[20] analytische und strategische Antwort auf die „Frauenfrage“ verhindert haben. Denn zwar ging der radikale Flügel der sog. bürgerlichen Frauenbewegung teilweise über die marxistischen Forderungen hinaus (s. Köhn et al. 1984, 174, 183); aber auch diesen Frauen war es damals nicht möglich, eine der marxistischen Theorie – hinsichtlich der analytischen Begründung und strategischen Durchsetzung dieser Forderungen – überlegene Konzeption zu formulieren, sondern sie argumentierten differenz-theoretisch mit einem besonderen weiblichen Wesen (s. Eichhorn 1994, 80 f. und – insofern eher unkrit. – Köhn et al. 1984, 180 f., s.a. 190 f., 193).
So befanden sich denn die MarxistInnen den Frauen ggü. in einer Position, die der der Utopischen SozialistInnen dem Proletariat ggü. ähnelte:
„Sie sind sich zwar bewußt, in ihren Plänen hauptsächlich das Interesse der arbeitenden Klasse als der leidendsten Klasse zu vertreten. Nur unter diesem Gesichtspunkt der leidendsten Klasse existiert das Proletariat für sie. Die unentwickelte Form des Klassenkampfes wie ihre eigene Lebenslage bringen es aber mit sich, daß sie weit über jenen Klassengegensatz erhaben zu sein glauben. Sie wollen die Lebenslage aller Gesellschaftmitglieder, auch der bestgestellten, verbessern. Sie appellieren daher fortwährend an die ganze Gesellschaft ohne Unterschied, ja vorzugsweise an die herrschende Klasse. [...]. Sie verwerfen daher alle politischen, namentlich alle revolutionären Aktion, sie wollen ihr Ziel auf friedlichem Weg erreichen und versuchen, durch kleine, natürlich fehlschlagende Experimente, durch die Macht des Beispiels dem neuen gesellschaftlichen Evangelium Bahn zu brechen.“ (Marx/Engels 1848, 490).
Entsprechend beanspruchten die MarxistInnen die Interessen der Frauen als leidendster gesellschaftliche Schicht zu vertreten, aber die unentwickelte Form des feministischen Kampfes und die männlichen Privilegien der Marxisten führten dazu, daß sie sich über jeden Geschlechtergegensatz erhaben fühlten. So appellierten sie an die Männer mit den Frauen solidarisch zu sein, aber sie verwarfen jede revolutionäre feministische Aktion. Sie propagierten zwar das „Experiment“ der Einbeziehung der Frauen in die Erwerbsarbeit. Dies mußte aber ‚fehlschlagen’ (genauer: von begrenzter Wirkung bleiben), da sie die geschlechtshierarchische Struktur der (Erwerbs- und Haus)Arbeit unangetastet ließen![21]
Und so waren die MarxistInnen auch nicht in der Lage zu erkennen, daß die Auffassung der „Frauenfrage“ als klassenübergreifend relevante Frage durchaus nicht eine ‚Entschärfung’ der „Frauenfrage“ bedeutet (so aber Staude 1976, 53). Diese Entschärfungs-These beruht auf der richtigen philosophischen Frage nach der materiellen Basis der Frauenunterdrückung und der unwissenschaftlichen, ideologischen Antwort, die die diese Basis in der Klassenherrschaft liegen sieht. Dieser bloß gewollte Materialismus zeichnet sich damit gerade nicht durch eine „strenge Haltung [...] gegenüber der Realität seines Gegenstandes“ (Althusser 1968b, 21), also gegenüber dem Geschlechterverhältnis aus. Die marxistische Antwort auf die „Frauenfrage“ erweist sich damit als ideologisch im Sinne Althussers.
„Ein ideologischer Satz ist ein Satz, der (obwohl er durchaus ein Symptom einer anderen Realität ist als derjenigen, auf die er sich bezieht) als Satz in Bezug auf den Gegenstand auf den er sich bezieht, falsch ist.“ (Althusser 1967, 26).
Der Satz, die Klassenherrschaft sei die materielle Basis der „Frauenfrage“, ist falsch; aber er ist ein Symptom der Realität der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung, der tatsächlichen materiellen Basis der „Frauenfrage“[22].
Es folgt:
4. Der unbewußte biologistische Essentialismus der marxistischen Erklärung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung
[1] Vgl. zu diesem Kalkül Kontos 1979, 100: Die proletarische Frauenbewegung habe die Aufgabe gehabt, den Kampf radikalisierter bürgerlicher und kleinbürgerlicher Frauen gegen „‚feudale Relikte’ patriarchaler Herrschaft [...] zu einer ‚bürgerlichen Revolution der Frauen gegen die Bourgeoisie’ zu radikalisieren".
[2] Eine volle Befreiung ist in der Tat nur in einer Gesellschaft möglich, die nicht nur post-patriarchal, sondern auch post-kapitalistisch ist.
Aber strittig sind vielmehr zwei andere Fragen: 1. Schließt eine Befreiung vom Kapitalismus (vielleicht sogar schon vom Feudalismus) eine Befreiung vom Patriarchat ein? Und 2.: Ist eine Befreiung vom Patriarchat auch ohne Befreiung vom Kapitalismus möglich? – Engels bejaht Frage 1 und verneint Frage 2, aber gibt für beide Antworten keine schlüssige Begründung.
Statt eine solche schlüssige Begründung zumindest nachzuliefern, geben seinen NachfolgerInnen die unstrittige Aussage von Bebel, daß eine volle Befreiung nur in einer Gesellschaft möglich ist, die nicht nur post-patriarchal, sondern auch post-kapitalistisch ist, fälschlicherweise als eine Begründung für die tatsächlich strittigen Fragen 1 und 2 aus.
[3] An dieser Stelle sei noch einmal ausdrücklich auf den Unterschied zwischen Bebels und Engels' These hingewiesen: Während Bebel (s. oben S. 6 damit argumentierte, daß ein Großteil der Frauen nicht nur sexistisch, sondern auch kapitalistisch ausgebeutet und unterdrückt ist (deshalb sein Plädoyer für „volle ökonomische und geistige Unabhängigkeit“), leitete Engels (s. oben S. 11, 13) auch die sexistische Unterdrückung aus dem Privateigentum ab (s. dazu noch einmal die vorstehende FN 25).
Der Sinn des Ausdrucks „volle ökonomische und geistige Unabhängigkeit“ bei Bebel (1879/1909, 30) bei Bebel ist: Sowohl eine Befreiung ausschließlich von der Herrschaft der „Männerwelt“ als auch eine Befreiung ausschließlich von der Herrschaft des Kapitals wäre nur eine teilweise Befreiung – und damit hat Bebel Recht!
Von Engels und Zetkin wird dagegen die Herrschaft der „Männerwelt“ in die Herrschaft des Kapitals absorbiert. Bei ihnen gibt es – anders als bei Bebel – kein „sowohl [Befreiung von der Herrschaft der „Männerwelt“] – als auch [Befreiung von der Herrschaft des Kapitals]“, sondern nur einen Befreiungsvorgang – den sozialistischen (der auf wundersame Weise die Frauenbefreiung frei Haus mitliefert)!
Und der Unterschied zwischen ‚vollständig’ und ‚teilweise’ ist dann nicht mehr – wie bei Bebel – der Unterschied zwischen Abschaffung nur eines der beiden Herrschaftsverhältnis oder beider, sondern der zwischen bürgerlich-reformistisch (= nur teilweise Befreiung) und sozialistisch-revolutionär (= volle Befreiung), was den Kampf gegen die Herrschaft gegen der „Männerwelt“ als bürgerlich-reformistisch denunziert. Und das reformistische Anschleimen an Männer und das pazifistische Unterlassen eines „Krieg[es] von Geschlecht zu Geschlecht“ (Zetkin) wird in eine vermeintliche revolutionäre Heldinnentat umgedeutet.
[4] Clara Zetkin, [Brief an Friedrich Engels v. 22. Jan. 1895], in: IISG, Amsterdam, Kautsky-Fonds und dies., in: Die Gleichheit, 11. Nov. 1896 zit. n. Staude 1977, 472 bei FN 15 und 477 bei FN 45.
[5] Daneben nennt Zetkin 1895, 54 unten bis 56 oben, 59 f., 61 auch erwägenswerte Argumente gegen die Petition.
[6] Demggü. wies der Vorwärts in einer Anmerkung zu dem Artikel von Zetkin darauf hin, daß Zetkins abstrakte Gleichheitsposition (weder Arbeiter noch Arbeiterinnen dürften Bündnisse mit Bürgerlichen eingehen) an der Realität vorbeigeht, daß die „Frauenwelt [...] im Staate leider noch in einer ganz anderen Stellung als die Männerwelt“ sei (s. Zetkin 1895a, 57, FN 1). Zetkin 1895b, 64 antwortete darauf ausweichend: „Es liegt mir fern, deswegen einen Stein auf sie [die Unterzeichnerinnen der Petition, d. Vf.] zu werfen, aber auch ebenso fern, ihr Verhalten zu billigen, am fernsten aber, dieses Verhalten zu einem Grund zu erheben, kraft dessen die Kritik der Petition auch nicht ein Härchen krümmen dürfe.“
[7] Bebel scheute sich auch nicht seine Sympathie für den von „bürgerlichen und kleinbürgerlichen Intellektuelle[n]“ gegründeten Bund für Mutterschutz zu zeigen; während sich die von Clara Zetkin redigierte Gleichheit „kritisch mit den Zielen und Aufgaben des Bundes [...] auseinander[setzte]“. (Rantzsch 1980, 16, 18, 19, 23 f., FN 9. – vgl. Gleichheit 22. März 1905, S. 35).
[8] Staude 1977, 475 ohne genaue Quellengabe. Wahrscheinlich bezieht sich Staude auch hier auf den oben bei FN 27 schon zitierten Brief an Engels. Eine ähnliche Formulierung, allerdings nicht direkt auf Bebel gemünzt, findet sich auch bei Zetkin 1895b, 64.
[9] Zetkin 1896, 102 – auch zit. bei Reinstadler 1984, 34 bei FN 2; der erste Satz ebenfalls zitiert bei Staude 1977, 476 bei 36.
[10] Clara Zetkin, Geistiges Proletariat, Frauenfrage und Sozialismus, Berlin, 1902, 12 zit. n. Neef 1979, 54.
[11] So auch Köhn et al. 1984, 167: „Warum wird dann aber überhaupt noch von einer proletarischen Frauenbewegung gesprochen [...]?“
[12] Das unterschiedliche Ausmaß (bspw. bei Bebel und Zetkin), läßt sich ‚psychologisch’ damit erklären, daß sich Männer vielleicht eher als Frauen eine ‚frauenfreundliche’ Position leisten konnten. Hinzukommen – theorie-immanent – die Inkonsequenzen in der Auffassung der Deutschen Ideologie und Bebels, die Gegenpositionen viel Spielraum ließen.
[13] Vgl. dazu auch Penrose 1990, 63: „Es wäre meiner Meinung nach falsch zu behaupten, daß die ursprünglichen frauenpolitischen Absichten der SED unehrlich gewesen wären.“ Die „Frauenpolitik [blieb] in der DDR auf der theoretisch-wissenschaftlichen Ebene der Jahrhundertwende stehen". Sie wurde „nicht weiter reflektiert, sondern widerspruchslos akzeptiert und weitergeben."
[14] „Notwendigkeit“ meint hier (und im folgenden) nicht eine geschichtlich-determinierte Zwangsläufigkeit, sondern – im wörtlichen Sinne – das, was zur AbWENDung ihrer ‚Not’, hier ihrer Klassenlage, erforderlich wäre (falls sie sie denn abwenden wollen). Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, daß die Subjekte immer auch die Möglichkeit haben, sich mit ihrer (Not)lage abzufinden bzw. zu arrangieren.
[15] Vgl. zu diesen bereits oben FN 24.
[16] Zu diesem erhofften Effekt s. Staude 1980, 32: „Die Forderung nach dem Frauenwahlrecht hat noch eine andere Seite. In dem Maße wie das Proletariat seine Forderung erhebt, trägt es Verwirrung und Zersplitterung in die gegnerischen Reihen und schwächt sie. Damit werde zugleich auch alle sozialen Gegensätze ausgelöst, die im bürgerlichen Lager zwischen Mann und Frau gegeben sind. Die bürgerlichen Frauen und die Frauenrechtlerinnen müssen folglich in der Frauenstimmrechtsfrage Farbe bekennen.“
[17] So auch Frei 1987, 21: „So fortschrittlich auch Bebels Ansichten mit seiner strikten Ablehnung der ökonomischen und sexuellen Unterdrückung der Frau für die damalige Zeit gewesen sein mögen, [...].“ und Penrose 1990, 63: „Zurückgesetzt in die Zeit ihres Entstehens, am Ende der viktorianischen Ära, sind die kritischen Analysen und Forderungen dieser Menschen erstaunlich fortschrittlich.“, Reinstadler 1984, 20: „[...] strebte Bebel in seinen Utopien zweifellos aufrichtig eine Besserstellung der Frauen an.“ Anderer Ansicht: Marielouise Janssen-Jurreit, Sexismus. Über die Abtreibung der Frauenfrage, München 19783, 195 zit. n. Reinstadler 1984, 6: Marx und Engels hätten „die Frauenfrage nicht nur weiter (entwickelt), sie blieben auch hinter vielen zeitgenössischen Denkansätzen zurück".
[18] Bei diesen Konflikten war sicherlich auch die Frage der Einheit der Arbeiter- respektive ArbeiterInnenklasse (und nicht nur die Sympathie der marxistischen KlassikerInnen für die ‚Frauenemanzipation’) von Bedeutung. Um diese herzustellen dürfte wahrscheinlich ein Mindestmaß an Rücksicht auf den weiblichen Teil der Erwerbstätigen geboten gewesen sein. Aber in Anbetracht dessen, daß die Frauenerwerbsquote im Durchschnitt der OECD-Länder auch 2009 noch unter 60 % lag und in diesen Wert zahlreiche Frauen eingehen, die nur teilzeit-erwerbstätig sind, mußte die lassallesche, repressive Strategie der Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse durch ein Verbot der Frauenerwerbsarbeit durchaus nicht von vornherein als unrealistisch erscheinen. Zumal die vielfach beschworene Lohn- und Erwerbsarbeitsplatzkonkurrenz zwischen Männern und Frauen durchaus nicht so groß ist wie gemeinhin vermutet. Denn das weibliche und männliche Segment der ArbeiterInnenklasse haben jeweils seine eigene Reservearmee (insoweit zutreffend: Kontos 1979, ? [Seitenzahl fehlt]).
[19] Vgl. Reinstadler 1984, III: „Meine Absicht war dabei aufzuzeigen, wie viele verschiedene Möglichkeiten der Diskriminierung und Klischeehaftigkeit bestehen, die oft unbewußt angewandt werden, nicht zuletzt begünstigt durch unsere Art des Sprachgebrauchs.“
[20] „Materialismus ist einfach ein Ausdruck für strenge Haltung des Wissenschaftlers gegenüber der Realität seines Gegenstandes, [...].“ (Althusser 1968b, 21).
[21] Ähnlich auch – insofern zutreffend: Kontos 1979, 96, 110.
[22] Vgl. dazu Haug 1981, 656: „[...] die Sozialstruktur dieser Gesellschaft [basiert] auf Frauenunterdrückung [...]; unter Sozialstruktur verstehe ich das System der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung, die geschlechtsspezifische Zuweisung der Aufgaben der Reproduktion [...]."
Fortsetzung
So, jetzt auch Teil III online:
Biologismus oder Gesellschaftstheorie? – Marxismus und geschlechtliche Arbeitsteilung
Vortrags-Mitschnitt
Es gibt jetzt einen Mitschnitt meines - am Anfang des Artikels erwähnten - Vortrages vom 10. März zum Verhältnis von Marxismus und Feminismus online:
http://perspektive.nostate.net/480
Eine schriftliche Fassung mit den obiligatorischen Fußnoten usw. wird es auch demnächst geben.