Einblicke in den Alltag des AWO Psychiatriezentrums (APZ) in Königslutter

Einblicke in den Alltag des AWO Psychiatriezentrums (APZ) in Königslutter1

Hier wird die Menschenwürde mit Füßen getreten“1 1Zitat einer*eines Interviewten - Bei einer Demo im vergangenen Sommer hat eine Gruppe von ca. 15 Menschen in Königslutter auf die unwürdigen Zustände in Psychiatrien, wie dem APZ (AWO Psychiatriezentrum), aufmerksam gemacht. Um einen Einblick in den Klinikalltag aus Sicht der dort zur „Behandlung“ Befindenden zu erlangen, wurde mit mehreren Personen über das Verhältnis zum Personal, über Zwang, und über Therapiemethoden gesprochen.

An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, die die neugierigen Fragen so offen beantwortet haben! :-)

 

Im Folgenden sind die Antworten und die Fragen sinngemäß zitiert (also nicht im genauen Wortlaut wiedergegeben).

 

Personal


Frage: Wie ist das Verhältnis zum Personal?

 

Antwort 1 (offene Station X): Sehr gut, das Personal begegnet den „Patient*innen“ auf Augenhöhe und hat immer ein offenes Ohr.

 

Antwort 2 (offene Station Y): Das Verhältnis zum Personal ist gemischt. Dafür verstehen wir uns untereinander gut und schenken uns gegenseitig Gehör.

 

Antwort 3 (offene Station Z): Das „Patient*innen“–Personal–Verhältnis ist häufig von Druckmacherei uns gegenüber von den Mitarbeiter*innen ausgehend bestimmt. Wenn das Personal möchte, dass man bestimmte Dinge macht, die man eigentlich nicht machen will, wird damit gedroht, einen auf eine geschlossene Station zu verlegen. Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass es auch unter dem Personal solche und solche gibt. Es sind nicht alle schlecht und manche geradezu fürsorglich.

 

Antwort 4 (geschlossene Station X): "Patient*innen" müssen sich in vielen Hinsichten fügen, ansonsten drohen Sanktionen in Form von z.B. Ausgangsverbot ("Ausgang" bedeutet: Verlassen der Station).

Es kommt vor, dass Tatsachen zu Gunsten von Mitarbeiter*innen verdreht werden. In Fällen von Fehlverhalten ausgehend vom Pflegepersonal ist es schon vorgekommen, dass „Patient*innen“ z.B. gewalttätiges Verhalten vorgeworfen wurde, wo keines war. Diese falschen Behauptungen stehen dann in der „Patient*innen“-Akte.

Es gibt aber auch nette und bemühte Mitarbeiter*innen.

Ärzt*innen nehmen häufig die Bedürfnisse von „Patient*innen“ nicht wahr und kommunizieren zu wenig mit dem Pflegepersonal, bzw. das Pflegepersonal zu wenig mit den Ärzt*innen und geben aufgrund der Informationslücken keine kompetente Beratung. Darüber hinaus verweigern manche Ärzt*innen auch den Zugang zu wichtigen Fachärzt*innen, dessen Besuch lebensnotwendig für „Patient*innen“ ist. Hier werden also bewusst große Risiken eingegangen.

Ein*e Angehörig*e einer*eines Betroffenen schreibt ebenso: „Eine Verletzung im Fuß durch die sie kaum laufen konnte wurde nur nach langem Drängen behandelt […]“1

 

Zwang


Frage: Werden im APZ Medikamente gegen den Willen der Betroffenen eingesetzt?

 

Antwort 1 und 2 (offene Stationen X und Y): Nein, sowas gibt’s hier gar nicht.

 

Antwort 3 (offene Station Z): Es wird z.B. mit Ausgangsverbot oder mit der geschlossenen Station gedroht, wenn „Patient*innen“ keine Medikamente nehmen wollen. Das ist eine Art von Zwang.

 

Antwort 4 (geschlossene Station X): Ja, das kommt hier schonmal vor. Zum Beispiel gab es kürzlich einen Fall, wo jemand sich Verletzungen zufügen wollte. Sie*er wurde erst fixiert (d.h. ans Bett gefesselt) und dann mit Medikamenten ruhig gestellt.

Für Zwangsmedikation fehlt bisher (Stand: 26.04.2016) in Niedersachsen die Gesetzesgrundlage. In diesem Fall heißt das, dass das APZ gesetzwidrig handelt. Gleichzeitig macht sich das Personal des APZs das Gesetz zu Nutze, indem es die Zwangsunterbringung und die Fixierung von Richter*innen genehmigen lässt, um seine Handlungen zu rechtfertigen. Darüber hinaus besitzt das APZ eine forensische Abteilung, um Menschen von „Straftaten“ abzuhalten2 (siehe Werbevideo). Der Widerspruch, der sich hieraus ergibt, könnte nicht offensichtlicher sein.

Leider wurde vergessen zu fragen, wie die Medikamente zwangsweise verabreicht werden. Wenn sich der Standard bei der Zwangsmedikation nicht verändert hat, ist davon auszugehen, dass die Medikamente mitunter gespritzt werden, was ein Erfahrungsbericht auf Klinikbewertungen.de verdeutlicht: „Patienten wurden fixiert, mit Spritzen vollgepumpt, haben geschrien.....wurden vom Personal auch angeschrien und grob angefasst.“3

 

Frage: Gibt es auch Zwang außerhalb der Medikation?

 

Antwort 1 (geschlossene Station X): Den gibt es. Die Art und Weise, wie „Patient*innen“ hier behandelt werden, ist oft menschenunwürdig. Es gibt Phasen, da werden „Patient*innen“ selbst beim Toilettengang begleitet. Die Mitarbeiter*innen sind dabei mitunter sehr indiskret und schauen einen direkt an, während man auf dem Klo sitzt. Das ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Dabei habe ich auch manchmal das Gefühl, dass das Personal seine Machtstellung genießt.

Ein Kommentar auf Klinikbewertungen.de macht deutlich, dass dieses Empfinden kein Einzelfall ist: „[...] [Die Pfleger*innen] treten in teilweise in einer Art und Weise auf, die mich an einen Psychopathen aus einem schlechten Thriller erinnern und scheinbar Spaß daran haben, Patienten zu quälen und Macht auszuüben.“4

 

Außerdem gibt es Leibesvisitationen. Dabei wird einem in jede Körperöffnung geguckt. „Patient*innen“ müssen sich komplett nackt ausziehen und an ihre intimsten Stellen gucken lassen. Damit sind die meisten nicht einverstanden, müssen das allerdings über sich ergehen lassen.

Es ist damit zu rechnen, dass wenn man sich direkt körperlich gegen solche Maßnahmen wehrt, gewaltvoll dazu gezwungen wird. Das würde den Vorgang der Leibesvisitation und das Gefühl der Entwürdigung verlängern.

 

Fixierte, also ans Bett gefesselte Personen, liegen im Flur und sind für alle, die den Flur entlanggehen, gut sichtbar. Die Privatsphäre wird nicht geachtet. Die Fesselung ans Bett und die Zurschaustellung dieser vor anderen ist erniedrigend. Nachts werden die Lichter im Flur nicht ausgemacht, sodass fixierte Personen dauerhaft mit Licht belästigt werden und damit keine Chance auf erholsamen Schlaf bekommen.

 

Therapie


Frage: Wie sieht das mit der Therapie aus? Ist sie sinnvoll gestaltet?

 

Antwort 1 (offene Station X): Ja, mir gefällt vor allem die Zeit, die man hier hat, um sich komplett auf die Therapie einzulassen. In ambulanten Einrichtungen hatte ich bisher nicht die Möglichkeit, die Therapie reifen zu lassen. Jetzt habe ich die Möglichkeit runter zukommen. Die Therapeut*innen sind gut und das Therapieangebot ist auf meine Bedürfnisse abgestimmt.

 

Antwort 2 (geschlossene Station X): Die Therapiemethoden sind eher weniger gut. Häufig wird mit Medikamenten gearbeitet und auf Ruhigstellung gesetzt.

Eine betroffene Personon schreibt über eine akutpsychiatrische Station auf Klinikbewertungen.de: „Therapien werden auf der Station nicht angeboten. Nur Medikamente.

Teilweise waren die Patienten schon über mehrere Wochen auf der Abteilung, ohne Therapie!“5

 

Bei der Medikamentenvergabe passieren Verwechslungen und „Patient*innen“ werden oft nicht ausreichend über Wirkungen und Nebenwirkungen der Tabletten informiert.

Wegen einer Konzeptänderung vor ca. einem halben Jahr gibt es jetzt keine Bedarfsmedikation mehr. Das ist schlimm für „Patient*innen“ in emotionalen Ausnahmezuständen. Wenn man Medikamente will, gibt es keine.

Es gibt hier eine geschlossene Station, die sich auf die Diagnose „Borderline“ spezialisiert hat.

Es ist bekannt, dass dort Menschen, die diese Diagnose haben, in der Regel anders behandelt werden, als solche, die sie nicht haben. Nach jedem unerwünschtem Verhalten (z.B. Selbstverletzung oder Türenknallen) müssen die mit „Borderline“ Diagnostizierten sogenannte „Verhaltensanalysen“ schreiben, während anders Diagnostizierte das nicht müssen. Dafür bekommen sie dann eine Stunde Zeit. Wenn man das Konzept verneint und die Mitarbeit verweigert, muss man mit Strafen rechnen: Ausgangs-, Besuchs-, Handy-, und Gesprächsverbot mit Ärzt*innen, Therapeut*innen und Pfleger*innen. Diese Verbote können die Situation von „Patient*innen“ verschlimmern, denn gerade da, wo Hilfe in Form von Gesprächen oder Kontakt nach außen nötig wäre, wird sie verweigert. Das kann geradezu isolieren.

Dass keine Entscheidungsfreiheit vorliegt, wie und ob man „behandelt“ oder therapiert werden möchte, ins Besondere, wenn man mit „Borderline“ diagnostiziert wurde, zeigt die ungleiche Behandlung von verschiedenen „Krankheitsbildern“ und macht eine gesonderte Diskriminierung deutlich. Denn hier werden die Strafen den Diagnosen angepasst.

Darüber hinaus ist die Zwangstherapie/ Zwangsbehandlung an sich nicht mit freiheitlichen Werten vereinbar. Das Prinzip von Strafe in Rahmen von psychologischer/psychiatrischer „Behandlung“ ist grundsätzlich sehr überdenkenswert.

 


 

ein paar Gedanken


Im Gesamteindruck erstaunt es, dass der Unterschied zwischen den Stationen so gravierend ist. Pro Station haben für dieses Interview höchstens eine Hand voll Menschen mitgemacht und der Einblick gelang nur in ein paar Stationen. Somit wurden nicht alle Stimmen gehört, die was zu sagen gehabt hätten. Eine klare Tendenz wird jedoch ersichtlich: Je unfreier und auf Akutpsychiatrie ausgerichteter die Stationen sind, desto menschenunwürdiger ist die Behandlung. Während interviewte „Patient*innen“ aus offenen Langzeitstationen überwiegend zufrieden mit der Behandlung sind, werden Menschen auf geschlossenen und auf akutpsychiatrischen Stationen mit Druck und Zwang bearbeitet. Dabei werden oft Menschenrechte überschritten bzw. bewusst missachtet.

 

Psychiatrische Diagnosen dürfen kein Grund für weitere Diskriminierungen sein (es stellt sich die Frage, inwiefern psychiatrische Diagnosen an sich bereits eine Diskriminierung darstellen). Die UN-Behindertenrechtskonvention besagt, dass eine Behinderung oder Krankheit in keinem Fall einen Freiheitsentzug oder eine Körperverletzung rechtfertigt.

 

Auch das bisherige Fehlen einer Gesetzesgrundlage in Niedersachsen für Zwangsmedikation ist nicht das Problem, wie es nach außen signalisiert wird (wenn es denn nach außen signalisiert wird).

Vielmehr sollten alle Gesetzesgrundlagen für jeden Zwang abgeschafft werden.


Als ein APZ-Arzt* im Januar 2016 auf die nicht gesetzlich legitimierte, im APZ durchgeführte Zwangsbehandlung angesprochen wurde, überhörte er* offensichtlich gewollt den Hinweis und betonte die angebliche Wichtigkeit der Schließung der Gesetzeslücke im „niedersächsischen Psychisch Kranken Gesetz“.

Zwangsmedikation ist Körperverletzung und sollte grundsätzlich außerhalb der Möglichkeiten von Ärzt*innen und Pfleger*innen liegen. Die Folgen von Zwangsmedikation reichen über kurz- und lang anhaltende körperliche Beschwerden (z.B. Zuckungen) bis hin zur Persönlichkeitsveränderung.

 

Laut Juan E. Méndez („UN-Sonderberichterstatter über Folter“6) sind psychiatrische Zwangsmaßnahmen als Formen von Folter einzustufen.7 Im Wissen über diese Zwangsmaßnahmen und die Bedeutung dieser für die Menschen, die sie erleben müssen, bleibt zu sagen, dass die Psychiatrie, wie sie jetzt ist, abgeschafft werden muss und neue individuelle Konzepte für den Umgang mit schwierigen Lebenslagen erarbeitet werden müssen. Diese können nur wirkungsvoll sein, wenn sie auf Respekt anstatt auf Unterdrückung und Machtspielen beruhen.

Der hier beschriebene und in vielen Psychiatrien ausgeführte Zwang traumatisiert Betroffene häufig aufs neue und schafft weitere Probleme, die wiederum z.B. selbstverletzendes Verhalten fördern und Betroffene in einen Teufelskreis aus Zwangsmaßnahmen und Reaktionen darauf befördern.

Es wurde darum gebeten zu schreiben, dass es wirklich jede*n treffen kann. In Anbetracht dieses Gedankens, kann es also nicht schaden, sich über eine Alternative zu oder über die Abschaffung der Psychiatrie Gedanken zu machen und sich mit Psychiatrie-Erfahrenen zu solidarisieren.

 

Wer Lust hat, sich weitergehend/ politisch mit dem Thema zu beschäftigen, kann z.B. folgende Seiten besuchen:

www.zwangspsychiatrie.de

www.psychiatrieundknast.de.vu

www.PE-BS.de

www.bpe-online.de/

 

Hier ein Link zum kostenlosen Download der „PatVerfü“ (eine Patient*innenverfügung, die vor psychiatrischen Zwang schützen soll):

www.patverfue.de

 

Wer fragen oder Anregungen zum Text hat oder einfach Kontakt aufnehmen möchte, kann eine Mail an die Adresse zwangbefreit@web.de senden.

 

1http://www.klinikbewertungen.de/klinik-forum/erfahrung-mit-krankenhaus-koenigslutter/bewertungen?fac_id=psycho (Stand: August 2015)

2http://www.awo-psychiatriezentrum.de/

4Ebd. (Stand: August 2015)

6Autopilot//Psychiatrie-Erfahrene a.d. Lahn: a.a.O., S. 17

7Ebd.

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also das apz. danke für die einblicke und eure arbeit.

man merkt deutlich, dass derdie verfasserin keine ahnung von psychatrischer arbeit hat. manchmal ist der zwang notwendig. sei des zum selbstschutz oder zur erreichung von therapiezielen.

patienten die sich in akuter psychose befinden, die manisch sind, generell eine persönlichkeitserkrankung haben, sind außerdem nicht die glaubhaftesten interwiev partner. heute so, morgen so. ist halt einfach so.

vielleicht auch mal mit krankheitsbildern und diagnosen beschäftigen, um zu verstehen, warum wie gehandelt wird.

 

gez. ein antifaschist der pädagogisch in diesem berufsfeld arbeitet.

Zwang ist nie eine Lösung. Was genau sollen Fixierungen und Zwangsmedikation bringen außer Einschüchterung und Ruhigstellung. Mensch muss Alternativen entwickeln, anstatt an diesen Menschenunwürdigen Praktiken festzuhalten.

Wie viele Menschen sind durch die Zwangspsychiatrie in den Abgrund getrieben worden?