Aperitif zu einer Veranstaltung am 10. März in Berlin - Die Gruppe Revolutionäre Perspektive Berlin gibt mir dankenswerterweise Gelegenheit, am 10. März bei einer Veranstaltung im Bandito Rosso zum Verhältnis von Marxismus und Feminismus zu referieren. Da die klassischen und prägenden Texte des Marxismus zu dem, was er die „Frauenfrage“ zu nennen pflegt, entstanden waren, bevor es Feminismus (jedenfalls Feminismus im heutigen Sinne) gab, und jene klassischen marxistischen Texte daher nicht so richtig unter mein Vortragsthema fallen, weil es zu jener Zeit also noch kein ‚Verhältnis zum Feminismus’ geben konnte, möchte ich hier einen kleinen Aperitif zu der Veranstaltung servieren.
Der folgende Text entstammt einer umfangreicheren, 1995 entstandenen, unveröffentlichten Arbeit zur Frauenpolitik der KPD der Weimarer Zeit und befaßt sich mit dem, was als die „marxistische Frauenemanzipationstheorie“ gilt.* Eine thesen-förmige Kurzfassung des hiesigen Fragments werde ich an scharf-links.de schicken und wird dort hoffentlich in den nächsten Tagen veröffentlicht. –
Das Bandito Rosso befindet sich in der Lottumstraße 10a in 10119 Berlin und ist mit der U 2 (Station: Rosa-Luxemburg-Platz) sowie der U 8, der Tram M 1, M 8 sowie 12 und dem Bus 142 (jeweils Station: Rosenthaler Platz) erreichbar. Die Veranstaltung wird am Dienstag der kommenden Woche um 19 h beginnen.
Angekündigt sei schon mal, daß der Vortrag nicht nur thematisch (gegenständlich) Neues gegenüber dem vorliegenden Text bringen wird, sondern auch eine deutlich leichtere literarischen Form als die folgende – dicht am Text der marxistischen KlassikerInnen argumentierende – schriftliche Ausarbeitung haben wird.
* Für die jetzige Veröffentlichung wurde das Fragment orthographisch und stilistisch durchgesehen und mit einer eigenständigen Fußnoten-Numerierung versehen. Dabei wurde der Text an einigen Stellen – um der Klarheit und Verständlichkeit der Argumentation willen – auch um ein paar Sätze nachträglich ergänzt.
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Es wird üblicherweise angenommen, daß es die „marxistische Frauenemanzipationstheorie“ gäbe.[1] Daran ist zutreffend, daß sich die Herangehensweise des Marxismus an die von ihm so genannte Frauenfrage signifikant von der Herangehensweise des Feminismus an das von letzterem so genannte Geschlechterverhältnis unterscheidet.
Abgesehen von jener grundlegenden Gemeinsamkeit (in Differenz zum Feminismus) gibt es aber allein schon bei Marx und Engels vier unterschiedliche, teilweise gegensätzliche Ansätze, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen; außerdem die noch einmal differenten Ansätze von August Bebel und Clara Zetkin. Diese unterschiedlichen Ansätze werden – von westlichen frauenbewegten wie von DDR-AutorInnen – meist in etwa folgendermaßen zusammengefaßt:
„Die Geschichte lehrt uns, daß der gesellschaftliche Fortschritt an der Stellung der Frau in der Gesellschaft meßbar ist [...]. Die industrielle Entwicklung zwang die Frauen vor allem die proletarischen, ihren Lebensunterhalt und -inhalt außerhalb der häuslichen Sphäre zu finden. Das führte zur Unabhängigkeit der Frauen vom Manne. Sie bleiben aber weiterhin in sozialer Rechtlosigkeit, die sich hemmend ihrer Entwicklung entgegenstellte. Damit war die moderne Frauenfrage als Teil der sozialen Frage gegeben. [...]. Der Übergang der Proletarierinnen in die kapitalistische Produktion unterwarf sie den gleichen sozialen Bedingungen wie die männlichen Klassengenossen. [...]. Aus Haussklavinnen wurden Lohnsklavinnen.“ (Staude 1976, 52, 56, 60).[2]
„Im Rahmen dieser“ – der marxistischen – „Analyse sind die Frauen in einem Residuum feudaler Abhängigkeit vom Ehemann, abgeschnitten von der Erfahrung des gesellschaftlichen Produktions- und Lebensprozesses gesellschaftlich machtlos und entbehren jeglicher ökonomischer und politischer Identität. Ihre einzige Chance, aus der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit herauszukommen, ist die, die das Kapital ihnen selbst bietet, der Eintritt in die Lohnarbeit. Hier, dem Manne gleich, werden sie auch fähig, die Erfahrungs- und Lernprozesse durchzumachen, die ihre Integration in den kollektiven Kampf des Proletariats möglich macht.“ (Kontos 1979, 13).
In den folgenden Abschnitten 1. und 2. wird zunächst gezeigt werden, daß in diesen beiden Zitaten Elemente unterschiedlicher, ja gegensätzlicher theoretischer Ansätze miteinander vermengt werden:
1. die Auffassung der Frauen als Metapher für den gesellschaftlichen Fortschritt aus den Frühschriften von Marx und Engels
2. die Wörter „Frauenfrage als Teil der soziale Frage“ (entsprechend bei Kontos: „Integration in den kollektiven Kampf des Proletariats“) aus Bebels Schrift Die Frau und der Sozialismus, die dort aber eine andere Bedeutung als in den angeführten Zitaten haben,
3. – als neuer Sinn, der diesen Worten beigelegt wird – die Auffassung aus dem Kommunistischen Manifest, daß der Kapitalismus das Patriarchat beseitige (sodaß die „Frauenfrage“ auf eine ‚Lohnarbeiterinnenfrage’ reduziert und von einer ‚Geschlechterfrage’ in eine ‚Klassenfrage’ umgewandelt wird)
und
4. die – zum Kommunistischen Manifest im Widerspruch stehende – Auffassung aus Engels’ Der Ursprung ..., daß Beseitigung der Frauenunterdrückung die Beseitigung des Privateigentums zur Voraussetzung habe (also nicht schon im Kapitalismus erfolge), was aber ebenfalls die Unterordnung der „Frauenfrage“ unter die „soziale Frage“ rechtfertigen soll.
Im anschließenden 3. Abschnitt wird gezeigt, daß es Clara Zetkin, der führenden Frauenpolitikerin der KPD, – bereits zu ihrer SPD-Zeit – vorbehalten blieb, aus diesen disparaten Elementen den Cocktail ‚die marxistische Frauenemanzipationstheorie’ zu mixen.
1. Der moralische Ansatz aus der „Heiligen Familie“
Der erste Ansatz wurde von den jungen, noch geschichtsphilosophisch-humanistisch (noch nicht geschichtswissenschaftlich-materialistisch) argumentierenden (s. dazu ausführlich: Althusser 1960a, 47 - 50 und 1965, 32 - 39) Autoren Marx und Engels formuliert bzw. vielmehr von diesen von dem utopischen Sozialisten Fourier übernommen. Frauen kommen in diesem Ansatz – trotz aller „utopisch-moralischen Ermahnungen“ nur als „Symbol“, als eine „Andeutung oder Ableitung von etwas anderem“ (Mitchell 1966-71, 73 f.; ähnlich auch: Balibar/Labica 1984, 373) – nämlich Symbol des menschlichen Fortschritts insgesamt („Maß der allgemeinen Emanzipation“) – vor:
„Die Veränderung einer geschichtlichen Epoche läßt sich immer noch aus dem Verhältnis des Fortschritts der Frauen zur Freiheit bestimmen, weil hier im Verhältnis des Weibes zum Mann, des Schwachen zum Starken, der Sieg der menschlichen Natur“ – gemeint: Güte und Milde – „über die Brutalität am evidentsten erscheint. Der Grad der weiblichen Emanzipation ist das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation.“ (Charles Fourier zit. n. Marx/Engels 1844, 208).
Diese philosophische Spekulation war weder einer analytischen Konkretisierung zugänglich noch ließ sich aus ihr eine Strategie ableiten (vgl. Mitchell 1966-71, 96 f.); vielmehr reproduzierte sie das Klischee von weiblicher Schwäche und männlicher Stärke und rief zu gönnerhafter Großzügigkeit/Gnade der starken Männer den schwachen Frauen gegenüber auf (‚Sieg der Menschlichkeit über die Brutalität’).
2. Ein Ansatz einer materialistischen Theorie des Geschlechterverhältnisses
a) Die Deutsche Ideologie von Marx und Engels
Den zweiten Ansatz formulierten Marx und Engels als sie mit „unserm“ – d.h.: ihrem – „ehemaligen philosophischen Gewissen“ (Marx 1859, 10) – also der auch von ihnen bis 1844 vertretenen Geschichtsphilosophie – in der Deutschen Ideologie abrechneten:[3]
„Die erste Form des Eigentums ist das Stammeigentum. [...]. Die Teilung der Arbeit ist auf dieser Stufe noch sehr wenig entwickelt und beschränkt sich auf eine weitere Ausdehnung der in der Familie gegebenen Arbeitsteilung.“ (Marx/Engels 1845, 22 – Hv. d. Vf.).[4] „Mit der Teilung der Arbeit [...] ist zu gleicher Zeit auch die Verteilung, und zwar die ungleiche, sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gegeben, also das Eigentum, das in der Familie, wo die Frau und die Kinder die Sklaven des Mannes sind, schon seinen Keim, seine erste Form hat.“ (Marx/Engels 1845/46, 32 – Hv. i.O.).
Fassen wir zusammen – erste Stufe: es gibt noch kein Privateigentum, sondern Kollektiveigentum des gesamten Stammes. Die Arbeitsteilung ist noch wenig, nämlich in erster Linie in der Familie entwickelt. Diese bedeutet bereits, daß „die Frau“ die Sklavin „des Mannes“ ist. Die ungleiche Verteilung der Arbeit schließt auch eine ungleiche Verteilung der Produkte ein; sie stellt eine Art ersten „Keim“ des späteren Privateigentums dar. Es handelt sich hier aber wohlgemerkt um Keime eines Privateigentums, das entlang der Geschlechter- (und nicht der Klassen)grenze verteilt ist.
„Die zweite Form ist das antike Gemeinde- und Staatseigentum, [...]. Neben dem Gemeindeeigentum entwickelt sich schon das immobile Privateigentum, aber als abnorme, dem Gemeindeeigentum untergeordnete Form. Die Teilung der Arbeit ist schon entwickelter. [...]. Das Klassenverhältnis zwischen Bürgern und Sklaven ist vollständig ausgebildet.“ (Marx/Engels 1845/46, 23 – Hv. d. Vf.).[5]
Fassen wir wieder zusammen: Erst auf dieser zweiten Stufe ist das Klassenverhältnis „vollständig ausgebildet“. Das Eigentum ist weiterhin überwiegend Kollektiv-, nunmehr: Gemeinde- und Staats (nicht mehr Stammes-)eigentum – aber das Privateigentum im Immobilienbereich (Grundstückseigentum) gewinnt an Bedeutung. Aber „die Frau“ war nach Marx und Engels schon auf der vorgehenden, ersten Stufe die Sklavin „des Mannes“.
Wie wir sehen, sind Marx und Engels 1845 der Ansicht,
- daß die Entstehung der Klassen („vollständig ausgebildet“) der Entstehung des Privateigentums („als abnorme, [... noch] untergeordnete Form“) vorgängig ist
und
- daß die Entstehung der Frauenunterdrückung („erste Form“ = „ungleiche Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte [...], wo die Frau [...] Sklav[i]n des Mannes“ ist) wiederum der Entstehung der Klassen („zweite Form“) vorgängig ist.
Für Marx und Engels fällt nach deren damaliger Auffassung die Entstehung der Frauenunterdrückung also mit der Entstehung des „Stammeigentum“ („erste Form“), das noch kein Privateigentum ist und noch keine „vollausgebildeten Klassenverhältnis[se]“ beinhaltet, zusammen.
Ausgehend von den materialistischen Thesen (Fragen) die Marx und Engels in der Deutschen Ideologie (nicht nur zu diesem Thema) formuliert hatten, haben sie in ihren späteren Arbeiten in Bezug auf die Klassenverhältnisse wissenschaftliche Antworten (Erkenntnisse) produziert.[6] Das Geschlechterverhältnis spielte aber, danach für sie, mit der Ausnahme des Kommunistischen Manifestes, lange Zeit keine theoretische Rolle mehr:[7]
„Aus den Analysen [...], die Engels und Bebel durchführten, [...], wird deutlich, daß sie [...] das Instrumentarium des historischen Materialismus auf die Frauenfrage nur teilweise anwandten.“ (Reinstadler 1984, 21).
Die zitierten Thesen, die Marx und Engels dazu in der Deutschen Ideologie formuliert hatten, wurden vielmehr erst wieder in der feministisch-sozialistischen Debatte seit Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts aufgegriffen (Haug 1988c, 22 bei FN 12; vgl. Mitchell 1966-71, 82; Dietrich 1984, 36, s.a. 35: „Die meisten Diskussionen über die Frauenunterdrückung beginnen mit der Passage aus der Deutschen Ideologie, [...].“). Auch wenn Marx und Engels in der Deutschen Ideologie die feministische Auffassung vorwegnahmen, daß die Frauenunterdrückung der Klassenunterdrückung vorausgeht, so unterlag doch auch ihre dortige Auffassung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung der Grenze, auf die in Abschnitt 4. zu sprechen kommen sein wird.
b) August Bebels Die Frau und der Sozialismus
Die Auffassung aus der Deutschen Ideologie, daß die Frauenunterdrückung der Klassenunterdrückung vorgängig sei, wurde von August Bebel übernommen:
„[...], die Frau hat gegenüber dem Arbeiter das eine voraus: Sie ist das erste menschliche Wesen, das in Knechtschaft kam. Die Frau wurde Sklavin, ehe der Sklave existierte“ (Bebel 1870/1909, 35 – Hv. d. Vf.).
Bebel erkannte darüber hinaus die Langwierigkeit der Frauenunterdrückung:
„Das weibliche Geschlecht in seiner Masse leidet in doppelter Beziehung: Einmal leidet es unter der sozialen und gesellschaftlichen Abhängigkeit von der Männerwelt – diese wird durch formale Gleichberechtigung vor den Gesetzen und in den Rechten zwar abgemildet, aber nicht beseitigt – und durch die ökonomische Abhängigkeit, in der sich die Frauen im allgemeinen und die proletarischen Frauen im besonderen gleich der kapitalistischen Männerwelt befinden.“ (Bebel 1879/1909, 28 f. – Hv. d. Vf.; auch zit. bei Schmidt/Richter 1974, 29; vgl. auch das Bebel-Zitat bei Reinstadler 1984, 9).
und er zog daraus folgende strategische Schlußfolgerungen:
„Immerhin haben die feindlichen Schwestern weit mehr als die im Klassenkampf gespaltene Männerwelt eine Reihe Berührungspunkt, in denen sie, getrennt marschierend, aber vereint schlagend, den Kampf führen können: Das ist auf allen Gebieten der Fall, auf welchen die Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern, auf dem Boden der gegenwärtige Staats- und Gesellschaftsordnung, in Frage kommt: also der Betätigung des Weibes auf allen Gebieten, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten reichen [8], und für die volle zivilrechtliche und politische Gleichberechtigung mit dem Manne. Das sind sehr wichtige und, wie sich zeigen wird, sehr umfangreiche Gebiete.“ (Bebel 1879/1909, 29; teilweise auch zit. bei Frei 1987, 22)[9]
„Die Frauen dürften so wenig auf die Hilfe der Männer warten, wie die Arbeiter auf die Hilfe der Bourgeoisie.“ (Bebel 1879/1909, 180 auch zit. bei Reinstadler 1984, 19).
„Es ist derselbe Gedanke, der auch die Arbeiterklasse leitet, auf die Eroberung der politischen Macht ihre Agitation zu richten. Was für die Arbeiterklasse recht ist, kann für die Frauen nicht unrecht sein.“ (Bebel 1879/1909, 318; auch zit. bei Schmidt/Richter 1974, 31).
Im Kontext dieser Äußerungen, die in die spätere ‚marxistische Frauenemanzipationstheorie’ nicht eingegangen sind, ist auch eine neue Lesart der berühmten Passage[10] hinsichtlich des ‚Zusammenfallens der Frauenfrage mit der sozialen Frage’ erforderlich. In der nachfolgenden politischen und theoretischen Praxis wurde dieses ‚Zusammenfallen’ als Unterordnung der Frauenbefreiung unter dem Klassenkampf verstanden. Dies war bei Bebel – wie wir gesehen haben – noch nicht er Fall. Vielmehr erkannt Bebel an,
- daß es gemeinsame Forderungen von Frauen aus verschiedenen Klassen gibt
und
- daß es den Geschlechterwiderspruch auch zwischen proletarischen Frauen und „Männerwelt“ gibt.
Bebels These vom ‚Zusammenfallen der Frauenfrage mit der sozialen Frage’ war ausschließlich darauf bezogen, daß das „weibliche Geschlecht in seiner großen Masse“ nicht nur von der „Männerwelt“ abhängig, sondern auch der „Lohnsklaverei“ unterworfen ist (Bebel 1879/1909, 28 f.):
„Es handelt sich also [bei dem Kampf für bestimmte Arbeitsschutzregeln (für Frauen) und für eine Umwandlung der Gesellschaft von Grund aus […], um einen Zustand herbeizuführen, der die volle ökonomische und geistige Unabhängigkeit beiden Geschlechtern durch entsprechende soziale Einrichtung ermöglicht“[11]] nicht nur darum, die Gleichberechtigung der Frau mit dem Mann auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu verwirklichen, was das Ziel der bürgerlichen Frauenbewegung ist, sondern darüber hinaus alle Schranken zu beseitigen, die den Menschen vom Menschen, also auch das eine Geschlecht vom anderen abhängig macht. Diese Lösung der Frauenfrage fällt mit der sozialen Frage zusammen.“ (Bebel 1879/1909, 30 – kursive Hv. i.O.; fette Hv. d. Vf.).
Diese Formulierung enthält nun allerdings eine Zweideutigkeit, die zusammen mit den allgemeineren Formulierungen bei Bebel 1879/1909, 25 (wie in FN 10 zitiert) und 26 („allgemeine soziale Frage, in der die Stellung der Arbeiterklasse [...] die Hauptrolle spielt“) den Weg für die spätere marxistische Unterordnung der Frauenbewegung unter den Klassenkampf bereitete:
- Im Kontext der zuvor zitierten Äußerungen (nicht nur Abhängigkeit vom Kapital, sondern auch von der „Männerwelt“ und folglich Gemeinsamkeiten von bürgerlichen und lohnabhängigen Frauen auf „sehr umfangreiche Gebiete“) – also nach präziser Lesart – bezieht sich das „Diese Lösung der Frauenfrage“ auf das, was über die Gemeinsamkeiten mit der sog. bürgerlichen Frauenbewegung hinausgeht, also die Beseitigung der „Lohnsklaverei“ von Frauen (und Männern), incl. Arbeitsschutz und Schaffung bestimmter sozialpolitischer Einrichtungen. Nur „[d]iese Lösung“ (Bebels Hv.) – nur dieser Teil (!) der Lösung der „Frauenfrage“ – fällt nach Bebel mit der „sozialen Frage“ zusammen. Daneben erkennt Bebel an, daß es noch eine andere (ebenfalls notwendige, wenn auch nicht ausreichende) „Lösung der Frauenfrage“ gibt, nämlich die der „bürgerlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau“ (Bebel 1879/1909, 28).
- Bezieht man/frau dagegen das „Diese Lösung“ – in loser Lesart – auf die unmittelbar davorstehende Beseitigung der Abhängigkeit des „eine[n] Geschlechts von dem anderen“,[12] dann fällt die von Bebel vorgenommene Differenzierung zwischen den verschiedenen (Lösungen der) „Frauenfrage(n)“ unter den Tisch und der Kampf für die Frauenbefreiung wird insgesamt als Teil der „allgemeine[n] soziale[n] Frage, in der die Stellung der Arbeiterklasse [...] die Hauptrolle spielt“, aufgefaßt, also dem Klassenkampf untergeordnet.
- Dieser Lesart hatte Bebel selbst dadurch zugearbeitet, daß er keine eigenständige materielle Basis des Kampfes um die Frauenbefreiung angeben konnte: Die materielle Basis der „bürgerlichen Gleichberechtigung“ sah er in der „kapitalistischen Gesellschaftsordnung“; die der „volle[n] ökonomische[n] und geistige[n] Unabhängigkeit beider Geschlechter“ (Bebel 1879/1909, 30) im Kampf der ArbeiterInnenklasse für den Sozialismus.
Den Widerstand von Männern gegen diese vermeintlichen historischen Notwendigkeiten faßte Bebel zwar schärfer als andere MarxistInnen ins Auge, aber auch für ihn dürfte es sich dabei letztlich nur um einen ‚Rückstand des Bewußtseins’ handeln:
„Vielen ist das Stadium der Zersetzung, in dem Staat und Gesellschaft sich bereits befinden, noch nicht zum Bewußtsein gekommen, und so ist diese Darlegung notwendig.“ (Bebel 1879/1909, 343).
Den Aspekt der „Frauenfrage“, an dem sich eine eigenständige materielle Basis der Frauenunterdrückung benennen läßt – nämlich dem der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung in Familie und Erwerbsarbeit (damit einhergehend: der Lohndifferenz) –, schlägt Bebel kurzerhand dem Teil der Frauenfrage, dessen Lösung mit der „sozialen Frage“ zusammenfällt, zu:
„Nimmt man an, daß die bürgerliche Frauenbewegung alle ihre Forderungen für Gleichberechtigung mit den Männern durchsetzte, so wäre damit weder die Sklaverei, was für unzählige Frauen die heutige Ehe ist, noch die Prostitution, noch die materielle Abhängigkeit der großen Mehrzahl der Ehefrauen von ihren Eheherrn aufgehoben.“ (Bebel 1879/1909, 28). Die „Gesamtlage des [weiblichen d. Vf.] Geschlechts“ könne nur duch die Beseitigung der „ökonomischen Abhängigkeit“, also der „Lohnsklaverei“, verändert werden (Bebel 1879/1909, 28 f.).
Geschlechtshierarchische Verteilung der Hausarbeit (= „Sklaverei, was für unzählige Frauen die heutige Ehe ist“), männliche Verfügung mittels Geld über weibliche Sexualität (= Prostitution) und Frauenlohndiskriminierung (= „materielle Abhängigkeit der großen Mehrzahl der Ehefrauen von ihren Eheherrn“) sind wichtige Elemente der eigenständigen – nicht erst aus den Klassenverhältnissen abgeleitete – materielle Basis, was Bebel freilich nicht sehen konnte oder wollte.
Der Grund für Bebels ‚Kurzsichtigkeit’ dürfte vermutlich darin liegen, daß er – genauso wie Marx und Engels in der Deutschen Ideologie – den materialistischen Ansatz nicht konsequent zu Ende führt: er naturalisiert die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung (s. schon oben S. auf allen Gebieten, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten reichen: „auf allen Gebieten, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten reichen“), er faßt sie nicht als materielles, gesellschaftliches Verhältnis auf. Die angeblich naturgegebene Benachteiligung der Frauen wird analytisch nicht in Frage gestellt und statt dessen die Fähigkeit und Bereitschaft, jene naturgegebene Benachteiligung großzügig-kompensatorisch auszugleichen, einer Gesellschaft zugeschrieben, die nicht mehr vom Profitprinzip dominiert ist (vgl. dazu unten FN 22).
Eine weitere Grenze Bebels Ansatz liegt in der rationalistisch-versöhnlerischen[13] Konnotation –
bspw. Bebel 1879/1909, 343: „[...] bisher feindliche Denker, die ihr höheres Wissen, ihre bessere Einsicht anspornt, sich über ihr niedres Klasseninteresse zu erheben und, indem sie ihrem idealen Drange nach Gerechtigkeit folgen, sich den nach Befreiung lechzenden Massen anschließen."
– von „Lösung“ der „soziale“ bzw. „Frauenfrage“. Daraus ergibt sich eine friedlich-parlamentarisch-evolutionistischen Strategie zur – oben erwähnten – „Eroberung der politischen Macht“ durch die ArbeiterInnenklasse bzw. durch die Frauen:
„[...] das gebieterische Verlangen nach Umgestaltung und Vermenschlichung der Zustände [wächst]. Indem diese Erkenntnis immer weitere Kreise ergreift, erobert sie schließlich die ungeheure Mehrheit der Gesellschaft, die bei dieser Umgestaltung auf das direktes interessiert ist. In demselben Maße aber, wie bei der Masse die Einsicht von der Unhaltbarkeit des Bestehenden und die Erkenntnis von der Notwendigkeit seiner Umgestaltung von Grund aus steigt, sinkt die Widerstandsfähigkeit der herrschenden Klasse, deren Macht auf der Unwissenheit und Einsichtslosigkeit der unterdrückten und ausgebeuteten Massen beruht. [...]. Unsere Darlegungen zeigen, daß es sich bei Verwirklichung des Sozialismus nicht um [W]illkürliches […] handelt. Alle Faktoren, die in dem Zerstörungsprozeß einerseits, im Werdeprozeß andererseits eine Rolle spielen, sind Faktoren, die wirken, wie sie müssen. [...]. Das ununterbrochene Fallen der Tropfen höhlt schließlich den härsteten Stein aus.“ (Bebel 1879/1909, 408, 550, 556 – Hv. i.O. S.a. Bebel 1879/1909, 343, 481: „Eroberung“ – nicht Zerschlagung! – „des Klassenstaats“; „allmählich [verschwindet] die Menge der Übel“).
Es kann vermutet werden, daß sich die spätere „marxistische Frauenemanzipationstheorie“ den Begriff „Frauenfrage“ gerade wegen seiner versöhnlerischen Konnotation zu eigen gemacht hat, während sie – außer im unmittelbaren Zusammenhang mit dem bekannten Bebel-Zitat – statt „sozialer Frage“ die Termini „Ausbeutung“, „Klassenkampf“ etc. verwendet. Marx selbst hatte den Ausdruck „soziale Frage“ ausdrücklich verworfen – am sozialdemokratischen Gothaer Programm kritisierte er: „An die Stelle des existierenden Klassenkampfs tritt eine Zeitungsschreiberphrase – ‚die soziale Frage’“ (Marx 1875, 26 – Hv. i.O.).
3. Der Zetkin-Cocktail
a) Zutat 1: Der Ansatz des Kommunistischen Manifestes: Frauenunterdrückung als vor-kapitalistisches Relikt
Im Kommunistischen Manifest, dem dritten Ansatz von Marx und Engels, wurde das patriarchale Geschlechterverhältnis als vor-kapitalistisches Relikt charakterisiert:[14]
„Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalen idyllischen Verhältnisse zerstört. [...]. Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnisse seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es [für die Bourgeoisie[15]?, Anm. d. Vf.] auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt“, während das Proletariat in „erzwungener Familienlosigkeit“ lebe (Marx/Engels 1848, 464, 465, 478 – Hv. d. Vf.).
Aber nicht nur dies – außerdem gelte:
„Je weniger die Handarbeit Geschicklichkeit und Kraftäußerung erheischt, d.h. je mehr die moderne Industrie sich entwickelt, desto mehr wird die Arbeit der Männer durch die der Weiber verdrängt. Geschlechts- und Altersunterschiede haben keine gesellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiterklasse.“ (Marx/Engels 1848, 469 – Hv. d. Vf.).
Haben sich diese Prognosen von Marx und Engels bewahrheitet?! Gibt es eine erzwungene Familienlosigkeit der Lohnabhängigen? Sind die Männer immer mehr aus der industriellen Arbeit verdrängt worden? Spielen Geschlechtsunterschiede für die Lohnabhängigen keine Rolle mehr?
b) Zutat 2: Engels’ „Der Ursprung der Familie, ...“: Frauenunterdrückung als Produkt des Privateigentums
Engels greift nun 1884 einerseits die These aus dem Kommunistischen Manifest („Geschlechts- und Altersunterschiede haben keine gesellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiterklasse“) auf:
„Und vollends seitdem die große Industrie die Frau aus dem Hause auf den Arbeitsmarkt und in die Fabrik versetzt hat und sie oft genug zur Ernährerin der Familie macht, ist dem letzten Rest der Männerherrschaft in der Proletariererwohnung aller Boden entzogen – [...].“ (1884, 73 f.).
Andererseits sieht Engels 1884 – anders als noch rund 40 Jahre vorher in der Deutschen Ideologie – die Frauenunterdrückung als zeitlich zusammen mit der Klassenunterdrückung entstanden und von letzterer bedingt an.
Zur Gleichzeitigkeit siehe Engels 1884, 68:
„Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche. Die Einzelehe war ein großer geschichtlicher Fortschritt, aber zugleich eröffnet sie neben der Sklaverei und dem Privateigentum jene bis heute dauernde Epoche, in dem jeder Fortschritt zugleich ein relativer Rückschritt, in dem das Wohl und die Entwicklung der einen sich durchsetzt durch das Wehe und die Entwicklung der andern.“.
Zur Bedingtheit siehe Engels 1884, 59, 60, 61:
„Solche Reichtümer [Sklaven, Vieh, d. Vf.], sobald sie einmal in den Privatbesitz von Familien übergegangen und dort rasch vermehrt, gaben der auf Paarungsehe und mutterrechtlicher Gens gegründeten Gesellschaft einen mächtigen Stoß. [...]. In dem Verhältnis, wie die Reichtümer sich mehrten, gaben sie einerseits dem Mann eine wichtigere Stellung in der Familie als der Frau und erzeugten andrerseits den Antrieb, diese verstärkte Stellung zu benutzen, um die hergebrachte Erbfolge der Kinder umzustoßen. [...]. Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts.“ (Hv. i.O.).
Damit revidiert Engels – wie gesehen –, ohne es ausdrücklich zu sagen, die Analyse aus der Deutschen Ideologie sowie aus Bebels Die Frau und der Sozialismus, daß die Frauenunterdrückung dem Privateigentum vorgängig ist. Der Widerspruch zwischen dem Text von Engels sowie den beiden anderen Texten ist aber auch strategisch bedeutsam:
- Bebel vertrat – wie bereits zitiert (s. oben S. 6 ) – die Auffassung, daß sich (auch) die (proletarischen) Frauen nicht auf die Hilfe der Männer verlassen können.
- Aus Engels’ These, daß die Frauenunterdrückung vom Privateigentum bedingt sei, folgt demgegenüber, daß die Frauenunterdrückung auch nur wieder zusammen mit dem Privateigentum verschwindet – es folgt daraus also (anders als bei Bebel) die Hoffnung, die Frauenunterdrückung ließe sich durch den gemeinsamen Klassenkampf der Arbeiter und ArbeiterInnen beseitigen:[16]
„Was wir also heutzutage vermuten können über die Ordnung der Geschlechtsverhältnisse nach der bevorstehenden Wegfegung der kapitalistischen Produktion, ist vorwiegend negativer Art, beschränkt auf das, was wegfällt“ (Engels 1884, 83) –
nämlich den Wegfall der privaten Hausarbeit:
„Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann, und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt. Und dies ist erst möglich durch die moderne große Industrie, die nicht nur Frauenarbeit auf großer Stufenleiter zuläßt, sondern förmlich nach ihr verlangt, und die auch die privaten Hausarbeit mehr und mehr in öffentliche Industrie aufzulösen strebt.“ (Engels 1884, 158).
Die „Befreiung der Frau“ erfolgt – gemäß Engels’ Darstellung – nicht durch einen gesellschaftlich-politischen Kampf gegen diejenigen, die über die Frauen herrschen – also gegen die Männer –, sondern einfach als evolutionär-friedlicher Nebeneffekt von groß-industrieller Entwicklung und Abschaffung des Kapitalismus…
Im übrigen bleibt Engels hier sehr unklar in seinen Ausführungen:
- Einerseits spricht er von der neuen „Ordnung [...] nach der [...] Wegfegung der kapitalistischen Produktion“ (vgl. auch Engels 1884, 75 den Vergleich mit der „alten kommunistischen Haushaltung“) – damit widerspricht er der Auffassung des Kommunistischen Manifestes und seiner eigenen bereits zitiert Auffassung, daß bereits „in der Proletariererwohnung“ – also im Kapitalismus – „dem letzten Rest der Männerherrschaft [...] der Boden entzogen“ sei.
- Andererseits spricht Engels von der Einbeziehung der Frauen in die gesellschaftliche Produktion und von der „großen Industrie“ – beides Phänomene, die – wie er selbst schreibt – bereits den Kapitalismus auszeichnen!
- An weiterer Stelle in der gleichen Schrift präzisiert Engels (1884, 76 – Hv. d. Vf.) dann, die „Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts“ erfordere die „Beseitigung der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftlicher Einheit der Gesellschaft“ (also doch den Kommunismus?).
Trotz dieser Widersprüche (sowohl innerhalb des Engels-Textes von 1884 als auch zwischen diesem und dem Kommunistische Manifest) stimmen das Manifest und der Text von Engels aus dem Jahr 1884 strategisch darin über ein, daß sie einen (vom Klassenkampf relativ unabhängigen) Frauenkampf gegen die Männer als unnötig und unsinnig erscheinen lassen: Ob nun der der Bourgeoisie gegen die „feudalen, patriarchalen [...] Verhältnisse“ (so die Analyse des Manifestes) oder der des Proletariats gegen das Privateigentum (so die Analyse von Engels 1884), auf jeden Fall wird – so die Meinung von Marx und Engels 1848 sowie von Engels 1884 – der Klassenkampf die Unterdrückung der Frauen beseitigen.
Von Feministinnen ist dies als Unterordnung des Frauenkampfes unter den Klassenkampf kritisiert worden. MarxistInnen antworten darauf mit dem Idealismus-Vorwurf gegen den Feminismus: Engels habe historisch-materialistisch den Zusammenhang von Männerherrschaft und Privateigentum/Klassenkampf nachgewiesen. Damit sei die Unterordnung des Frauenkampfes unter den Klassenkampf eine historisch-materielle Notwendigkeit.
Aber was ist Engels’ Argument für den Zusammenhang von Privateigentum und Abschaffung des Mutterrechts?
Mutterrecht[17], also solange Abstammung nur in weiblicher Linie gerechnet wurde, [... mußte d]as Vermögen [...] in der Gens[18] bleiben. Bei dem Tod des Herdenbesitzers wären also seine Herden übergegangen zunächst an seine Brüder und Schwestern und an die Kinder seiner Schwester oder an die Nachkommen der Schwester seiner Mutter. Seine eignen Kinder aber waren enterbt.“ (Engels 1884, 59).
Engels Argumentation oder vielmehr Suggestion sind folgende Fragen entgegenzuhalten: Warum ‚mußten’ bzw. sollten die neuen Reichtümer nicht mehr in der Gens bleiben? Warum war es auf einmal notwendig, daß ein Mann von seinen Kindern und nicht mehr von seiner Schwester bzw. deren Kindern beerbt wurde?[19] Engels erklärt dies – wie schon zitiert – damit, daß die neuen Reichtümer einseitig den Männern zufielen und damit die Machtverhältnisse in der Familie zugunsten der letzteren verschoben.
Aber warum fielen die neuen Reichtümer den Männern zu?[20] Und warum ist es den Männern lieber, an ihre Kinder als an ihre Schwestern (und deren Kinder) zu vererben? Die Kinder der Männer gehen bei dieser Regelung ja nicht leer aus, sondern erben von den Brüdern ihre Ehefrauen.[21] Und warum sind ihm seine Kinder überhaupt näher als seine Schwester und deren Kinder? Schließlich ist das Denken in männlichen Verwandtschaftslinien keinesfalls naturgegeben, wie die vorhergehende Matrilinearität zeigt – auch wenn Marx der Übergang von der Matri- zur Patrilinearität als „überhaupt der natürlichste“ (zit. n. Engels 1884, 60) erschien. Es steht also immer noch die Frage an den historischen Materialisten Engels und alle, die sich auf ihn berufen: Aus welchem historisch- (d.h.: gesellschaftlich!-)materiellen Grunde wurde das mutterrechtliche Denken umgestoßen?
Engels selbst mußte zugeben:
„Wie sich diese Revolution [= „Umsturz des Mutterrechts“ „ „weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“] bei den Kulturvölkern gemacht hat, und wann, darüber wissen wir nichts.“ (Engels 1884, 60; auch zit. bei Reinstadler 1984, 23 in FN 4).
Selbst wenn man/frau die von Engels behauptete zeitliche Parallelität der Entstehung von Privateigentum und Vaterrecht als Tatsache akzeptiert (was keinesfalls unumstritten ist), so ist die Frage der Kausalität zwischen beidem also durchaus noch nicht geklärt.[22] Auch Kontos 1979, 94 fragt insofern zutreffend,
„ob der Zusammenhang nicht umzudrehen ist, daß nicht, wie bei Marx und Engels die zwangsweise Monogamie der Frau aus dem Interesse des Mannes an der Sicherung legitimer Erbfolge zu erklären ist, sondern das Interesse des Mannes an der Kontrolle der ersten gesellschaftlichen Produktivkraft, der lebendigen Arbeitskraft [von Frauen, d. Vf.], der Ausgangspunkt patriarchaler Herrschaft ist. Die Zwangsmonogamie der Frau dient dann [...] erst sekundär, nämlich mit der Entwicklung privater Eigentumsverhältnisse, die prinzipiell auch in matriarchalischen Gesellschaften möglich war, der Sicherung legitimer mänlicher Erben. Das Privateigentum wäre demnach nicht die ‚Quelle’ des Patriarchats, sondern nur eine Form männlicher Herrschaft [...].“ (Kontos 1979, 94 – Hv. d. Vf.).
An einer Stelle faßt sogar Engels selbst eine von der materiellen Basis der Klassenherrschaft relativ unabhängige materielle Basis des patriarchalen Geschlechterverhältnisses andeutungsweise ins Auge:
„Und ebenso wird auch der eigentümliche Charakter der Herrschaft des Mannes über die Frau in der modernen Familie und die Notwendigkeit, wie die Art, der Herstellung einer wirklichen gesellschaftlichen Gleichstellung beider erst dann in grelles Tageslicht treten, sobald beide juristisch vollkommen gleichberechtigt sind.“ (Engels 1884, 76 – Hv. d. Vf.; ebenfalls zitiert bei Kontos 1979, 97).[23]
Das heißt: Die volle juristische Gleichberechtigung, die der kapitalistischen Produktionsweise mit freien und gleichen Markt- sowie Rechtssubjekten entspricht, führt allein durchaus nicht zur Beseitigung der „Herrschaft des Mannes über die Frau“, die selbst „in der modernen Familie“ noch besteht.
Diese Erkenntnis widerspricht der von Marx und Engels noch im Kommunistischen Manifest Ausdruck verliehenen Hoffnung, daß die „Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, [...] alle feudalen, patriarchalen idyllischen Verhältnis zerstört“ habe und daß die ‚Geschlechtsunterschiede’ für die Arbeiterklasse „keine gesellschaftliche Geltung mehr“ haben (Marx/Engels 1848, 469). Engels geht hier vielmehr sehr richtig davon aus, daß selbst die volle juristische Gleichberechtigung nichts an der „Herrschaft des Mannes über die Frau in der modernen Familie“ ändert (Hv. d. Vf.).
Zu klären wäre also, warum die „Herrschaft des Mannes über die Frau“ auch „in der modernen Familie“ besteht. Der Marxismus scheitert, daran eine solche – und zwar historisch-materialistische (d.h.: gesellschaftliche) – Erklärung zu liefern. Das Kommunistische Manifest bestreitet schlicht die Möglichkeit einer solchen Männerherrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft; aber auch Engels’ Der Ursprung… (mit seiner erbschafts-bezogenen Argumentation) taugt dafür nicht, da es – wie schon in FN 16 gesagt – in der proletarischen Familie (des 19. Jh.s) nichts oder jedenfalls fast nichts zu vererben gab. –
Warum gibt es also (nach marxistischer Ansicht) auch in lohnabhängigen Familien eine geschlechtshierarchische Verteilung von Hausarbeit und sexueller Gewalt?
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Es folgen die Abschnitte:
3.c) Das zetkinsche Ergebnis: „die marxistische Frauenemanzipationstheorie“
4. Der unbewußte biologistische Essentialismus der marxistischen Erklärung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung
[1] Frei 1987, 20: „Exponenten der marxistischen Frauenemanzipationstheorie“ (Hv. d. Vf.).
[2] Die Darstellung von Staude 1976, 52, 56, 60 läßt sich also stichwortartig folgendermaßen zusammenfassen: „industrielle Entwicklung“, „moderne Frauenfrage“, „kapitalistische Produktion“, „Lohnsklavinnen“ – also: Die „moderne Frauenfrage“ sei eine „Lohnsklavinnen“-Frage, die von „kapitalistische[r] Produktion“ und „industrielle[r] Entwicklung“ hervorgebracht wurde. – Ähnlich auch (in einem Satz zusammengefaßt) Staude 1977, 476 unter Berufung auf Zetkin 1896, 101: Es sei „das Ausbeutungsbedürfnis des Kapitals, unendlich Rundschau zu halten nach den billigsten Arbeitskräften, das die [sog. moderne, d. Vf.] Frauenfrage geschaffen hat“.
Gegen Zetkins Position ist bereits an dieser Stelle einzuwenden: Sie fragt nicht, warum es überhaupt unterschiedlich bezahlte Gruppen von Arbeitskräften gibt und warum ausgerechnet die Frauen (und nicht bspw. die Männer oder die Blondhaarigen) die „billigsten Arbeitskräfte“ sind. Mit der Kapitallogik läßt sich zwar erklären, warum das Kapital an Arbeitsplätzen, die keine Führungsfunktionen sind und keine hohen Ausbildungskosten verlangen, die „billigsten Arbeitskräfte“ einstellt (während Führungspersonal und Arbeitskräfte, in die hohe Ausbildungskosten investiert wurden, durch höhere Löhne an das Kapital insgesamt bzw. an das jeweilige Unternehmen gebunden werden sollen). Daß Frauen die „billigsten Arbeitskräfte“ sind, läßt aber nicht aus der Kapitallogik, sondern nur aus der Struktur des patriarchalen Geschlechterverhältnisses erklären.
[3] Da der dogmatische Marxismus diesen epistemologischen Bruch im Werk von Marx nicht erkennt und statt dessen einen einheitlichen, widerspruchsfreien Marx präsentiert und für sich vereinnahmt (s. Althusser 1960b, 12), bezog sich die DDR-Historiographie in Sachen „Frauenfrage“ nicht nur auf die späteren mehr oder minder materialistischen Ansätze, sondern auch auf jenen ersten (noch geschichtsphilosophisch-idealistischen) Ansatz.
[4] Vgl. auch Marx/Engels 1845, 29: „Das dritte Verhältnis, was hier gleich von vornherein in die geschichtliche Entwicklung eintritt, ist das [...] Verhältnis zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern, die Familie.“ (Hv. i.O.).
[5] Vgl. Marx/Engels 1845, 22: „Die in der Familie latente Sklaverei entwickelt sich erst allmählich mit der Vermehrung der Bevölkerung und der Bedürfnisse und mit der Ausdehnung des äußren Verkehrs, sowohl des Kriegs wie des Tauschhandels.“
[6] Althusser 1965a, 34: „Die ‚Deutsche Ideologie’ ist tatsächlich der meist negative und kritische Kommentar der verschiedenen, von Marx verworfenen Formen der ideologischen Problematik. Eine lange Arbeit der positiven Reflexion und Ausarbeitung war nötig, eine lange Periode, die Marx dazu benutzte, um eine Terminologie und eine seinem revolutionären theoretischen Projekt angemessene begriffliche Systematik zu produzieren, zu formen und festzulegen.“ Vgl. auch Althusser 1972, 61: „Diese Thesen führen die Forschung nicht in die Irre; es sind Thesen für die wissenschaftliche Erkenntnis der Geschichte.“ (Hv. in beiden Zitaten i.O.).
[7] Bezeichnend dafür, daß sich Marx und Engels nach dem Verfassen des Kommunistischen Manifestes bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr auf wissenschaftlich-theoretischem Niveau mit dem Geschlechterverhältnis beschäftigt haben, ist, daß Marx in seinem Brief vom 12.12.1868 an Ludwig Kugelmann auf einmal wieder auf das oben schon angeführte geschichtsphilosophisch-idealistische Fourier-Zitat zurückgriff – also auf ein ‚eigentlich’ längst überwundenes Stadium seines theoretischen Schaffens zurückfiel: „Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts (die Häßlichen eingeschlossen).“ (Marx 1868, 583).
Die einzige Konkretisierung die gegenüber dem Fourier-Zitat von 24 Jahren zuvor erreicht wird, ist der Hinweis auf einen Umstand, der die Auffassung der Frauen als Symbol des gesellschaftlichen Fortschritts rechtfertigen soll: „Jeder, der etwas von der Geschichte weiß, weiß auch, daß große gesellschaftliche Umwälzungen ohne das weibliche Ferment unmöglich sind.“ (Marx 1868, 582 f.). Außerdem weist Marx in dem Brief darauf hin, daß dem Generalrat der I. Internationale eine Frau angehöre und daß die Amerikanische Labor Union „die weiblichen Arbeiter mit völliger Parität behandelt“ (Marx 1868, 582). Eine ausgearbeitete Theorie bilden jene fragmentarischen Andeutungen in Briefform jedenfalls nicht. –
Politisch spielte das Geschlechterverhältnis für Marx und Engels aber insofern (weiterhin) eine Rolle, als sie im Gegensatz bspw. zur lassalle’schen Strömung in der deutschen sowie der proudhon’schen Strömung in der französischen ArbeiterInnenbewegung das Recht der Frauen auf Erwerbstätigkeit verfochten (zu dieser Auseinandersetzung bspw. Frei 1987, 39 - 45; Freier 1981, 9; Kontos 1979, 115; Staude 1983, 6 - 8, 12 f. unter Hinweis auf Marx 1867/90, 514).
[8] Auf diesen Halbsatz wird unten in Abschnitt 4. zurückzukommen zu sein.
[9] Vgl. Schmidt/Richter 1974, 29: „Der Antagonismus zwischen Kapitalisten- und Arbeiterklasse schloß nicht aus, gemeinsam mit den bürgerlichen Frauen für die volle zivilrechtliche und politische Gleichberechtigung der Frau zu kämpfen, [...]“.
[10] „Bei dieser [der Frauenfrage, d. Vf.] handelt es sich um die Stellung, welche die Frau in unserem sozialen Organismus einnehmen soll, wie sie ihre Kräfte und Fähigkeiten nach allen Seiten entwickeln kann, damit sie ein volles, gleichberechtigtes und möglichst nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft werde. Von unserem Standpunkt fällt diese Frage zusammen mit der Frage, welche Gestalt und Organisation die menschliche Gesellschaft sich geben muß, damit an die Stelle von Unterdrückung, Ausbeutung, Not und Elend die physische und soziale Gesundheit der Individuen tritt. Die Frauenfrage ist also für uns nur eine Seite der allgemeinen sozialen Frage, die gegenwärtig alle denkenden Köpfe erfüllt und alle Geister in Bewegung setzt; sie kann daher ihre endgültig Lösung nur finden durch die Aufhebung der gesellschaftlichen Gegensätze und Beseitigung der aus diesen hervorgehenden Übel.“ (Bebel 1879/1909, 25).
[11] Auch wenn die Formulierung „beiden Geschlechtern“ dies vielleicht vermuten läßt, scheint es hier nicht in erster Linie um Unabhängigkeit der beiden Geschlechter von einander (also nicht um das Geschlechterverhältnis), sondern um die ökonomische und ideologische Unabhängigkeit „beide[r] Geschlechtern“ (= aller Menschen) vom Kapital zu gehen (auch wenn dies die Schaffung bestimmter, geschlechterpolitisch durchaus relevanter sozialpolitischer Einrichtungen einschließt)!
[12] Gegen diese lose Lesart spricht, daß Bebel gerade das Demonstrativpronomen „Dieses“ hervorhebt, anstatt beispielsweise zu schreiben: „Die Lösung der Frauenfrage fällt also mit der Lösung der sozialen Frage zusammen.“ – Das in vorstehendem fiktiven Beispielssatz eingefügte „also“ steht aber bei Bebel tatsächlich einen Halbsatz vorher.
Die hypothetische Verschiebung in den fiktiven Beispielssatz bewirkt einen unzulässigen Umkehrschluß: Bei Bebel heißt es: „alle Schranken zu beseitigen, die den Menschen vom Menschen, also auch das eine Geschlecht vom anderen, abhängig machen“. Die Beseitigung aller „Schranken“ schließt logisch auch die Beseitigung der „Schranken“ zwischen den Geschlechtern ein. Daraus rechtfertigt sich die Stellung des „also“, die es bei Bebel tatsächlich hat.
Verschiebt man/frau das „also“ nun wie in der zweiten – losen – Lesart vorgeschlagen, dann setzt man/frau damit unausgesprochen voraus, daß die Existenz anderer „Schranken“ auch die Existenz von ‚Geschlechterschranken’ voraussetze. Nur dann könnte geschlußfolgert werden, daß die Lösung der „Frauenfrage“ vollständig (und nicht nur im eingeschränkten Sinne Bebels) mit der Lösung der „sozialen Frage“ zusammenfällt. Diese Voraussetzung bzw. dieser Umkehrschluß ist zwar durchaus nicht logisch, aber er erfährt in der ArbeiterInnenbewegung seine Plausibilität aus der früh-marx’schen, utopisch-sozialistischen Auffassung der Frauen als Symbol des gesellschaftlichen Fortschritts.
[13] Zum Zusammenhang von rationalistischer und versöhnlerischer Ideologie siehe Balibar 1976, 22: „Auf keinen Fall darf der Marxismus die (der Großbourgeoisie und der Sozialdemokratie gemeinsame) Position einnehmen und die ökonomischen und politischen Probleme in Begriffen der ‚Rationalität’ und der ‚Irrationalität’, in Begriffen der logischen Wahl zwischen rationalen ‚Modellen’ der Gesellschaft statt in Begriffen des Klassenkampfs formulieren."
[14] Diese Auffassung steht in keinen notwendigen Zusammenhang, aber auch nicht im Gegensatz zur Auffassung der Deutschen Ideologie.
[15] Vgl. Marx/Engels 1848, 478: „Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie? Auf dem Kapital, dem Privaterwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen Prostitution.“
[16] Diese Zukunftsperspektive stützt sich denn auch auf einer anderen Situationsanalyse: „Erst die große Industrie unsrer Zeit hat ihr – und auch nur der Proletarierin – den Weg zur gesellschaftlichen Produktion wieder geöffnet. Aber so, daß, wenn sie ihre Pflichten im Privatdienst der Familie erfüllt, sie von der öffentlichen Produktion ausgeschlossen bleibt und nichts erwerben kann; und daß, wenn sie sich an der öffentlichen Industrie beteiligen und selbständig erwerben will, sie außerstand ist, Familienpflichten zu erfüllen.“ (Engels 1884, 75).
Diese Einsicht in die doppelte Anforderungen, die an (proletarische) Frauen gerichtet werden, steht bei Engels neben der bereits zitierten widersprechenden Auffassung, daß gerade „in der Proletarierwohnung“ der „letzte Rest der Männerherrschaft“ beseitigt sei; während ein solcher Rest allenfalls noch „in den Klassen, wo es was zu erben gibt“ (Engels 1884, 75), bestehe.
Rhetorisch (aber nicht sachlich) werden die beiden widersprüchlichen Aussagen durch die Worte „nur die Proletarierin“ zusammengehalten: Nur in ihrer Klasse gibt es nichts zu erben (weshalb – so Engels 1884, 75 – die Frauen-Monogamie und ergo das Patriarchat abgeschafft sei); und nur sie ist der Doppelbelastung von Erwerbs- und Hausarbeit ausgesetzt (weshalb das Patriarchat irgendwie doch fortbesteht).
Da diese Doppelbelastung aber zweifelsohne besteht, zeigt sich an dem Widerspruch in Engels Argumentation die Haltlosigkeit seiner reduktionistischen Ableitung des Patriarchats aus dem Privateigentum und der damit verbundenen Erbschaftsregelung! Die patriarchale Doppelbelastung von proletarischen Frauen besteht, obwohl es in der proletarischen Familie (des 19. Jh.s) nichts oder jedenfalls fast nichts zu vererben gab!
[17] = Begriff (des Schweizer Rechtshistoriker und Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen, den Friedrich Engels rezipierte), der eine Gesellschaftsformation bezeichnet, in der die Mutter das Oberhaupt der Familie ist, da die Abstammung über die Mutter ermittelt wurde (Matrilinearität) (http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jakob_Bachofen).
[18] = Bezeichnung für eine Sippe oder Gruppe von Familien (http://de.wikipedia.org/wiki/Gens).
[19] Auch Kontos 1979, 94 stellt insofern zutreffend fest, „2. ist nicht einzusehen, warum gerade die Verfügung über diese Produktivkräfte bei den Männern ein Interesse am Privateigentum hervorrufen sollte.“
[20] Die „damalige Arbeitsteilung“ wird von Engels einfach als (natur?)gegeben hingenommen und nicht auf ihre gesellschaftlichen Ursachen hin untersucht. – Das heißt: Wenn es nicht um die Klassenverhältnisse, sondern um das Geschlechterverhältnis geht, verfehlt der Marxismus auf einmal seinen Anspruch, nicht biologischer, sondern historischer (d.h.: gesellschaftlicher) Materialismus zu sein!
[21] Der Männer-Wunsch an die eigenen Kinder zu vererben, läßt sich gerade nicht mehr materialistisch, sondern nur mittels der psychologischen Spekulation erklären, jeder Mann glaube, daß er mehr Reichtümer besitze als der Bruder seiner Ehefrau. Aber warum glaubt er das?
[22] Daraus ergibt sich folgende Frage: War Engels vielleicht auf der Suche nach einer Erklärung dafür, warum das, was ihm und Marx als das ‚natürlichste überhaupt’ erschien (auch wenn sie es aus moralischen Gründen abschaffen wollten) – das Patriarchat –, durchaus nicht schon immer bestand bzw. nach dem, was dem ‚unnatürlichen’ Mutterrecht ein Ende machte? Könnte es weiter sein, daß Engels ein gesellschaftlicher Geschlechterkampf noch ‚unnatürlicher’ als das Mutterrecht erschien, daß er sich deshalb mit der vermeintlichen zeitlichen Parallelität als Ersatz für eine Kausalerklärung zufrieden gab?! – Da Engels keine (eigenständige, nicht aus den Klassenverhältnissen abgeleitete) soziale Erklärung für die Entstehung des Patriarchats geben kann, kann er auch keine gesellschaftliche Strategie zu dessen Überwindung formulieren. Die Abschaffung der Frauenunterdrückung erscheint ihm nicht als Umwälzung eines sozialen Verhältnisses, sondern als kultureller Bruch eines paradiesischen Kommunismus mit der Natur (Steigerung der Produktivität auf „großer Stufenleiter“, so daß Hausarbeit „nur noch in unbedeutendem Maß[e]“ notwendig ist, s. das Zitat S. 11 oben). Damit ist also auch Engels wieder bei der Frühschrift aus dem Jahr 1844 angekommen: „Der Grad der weiblichen Emanzipation“ ist der Maßstab für Überwindung der „Brutalität“ des Naturzustandes, die in der Herrschaft des Starken über die Schwache, des Mannes über die Frau „am evidentsten erscheint“ (Charles Fourier zit. n. Marx/Engels 1844, 208).
[23] Ähnlich auch Lenin, Über eine Karikatur des Marxismus, in: LW 23, 67 – 69 zit. n. Kontos 1979, 102: „Die Marxisten wissen aber, daß Demokratie die Klassenunterdrückung nicht beseitigt, sondern lediglich den Klassenkampf reiner, breiter, schärfer gestaltet, und das ist es, was wir brauchen. Je vollständiger die Freiheit der Ehescheidung, um so klarer ist der Frau, daß die Quelle ihrer ‚Haussklaverei’ der Kapitalismus ist und nicht ihre Rechtlosigkeit.“ Kontos' Kritik setzt hier nicht an der – wie wir bereits gesehen haben – von ihr geteilten falschen Annahme an, die ‚Haussklaverei’ sei für den Kapitalismus notwendig. Kontos’ Kritik beschränkt sich vielmehr darauf, festzustellen, daß die Vergesellschaftung der Hausarbeit – also das, was nach Engels (1884, 76, 158) und Lenin (LW 29, 420 zit. bei Kontos 1979, 103) über juristische Gleichberechtigung hinausgeht – in der SU kaum realisiert wurde (Kontos 1979, 103 f.). Diese Feststellung ist zwar zutreffend. Sie wirft aber die Frage auf, ob die Ursache für dieses Realisierungsdefizit nicht genau in der (von Kontos mehr oder minder geteilten) Verortung der materiellen Basis der ‚Haussklaverei’ im Kapitalismus statt in der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung liegt.
Fortsetzung
Fortsetzung des Textes:
Schlechte Zutaten, aber gut geschüttelt – Teil II des Textes zu dem Zetkin-Cocktail in Sachen Geschlechterverhältnis
https://linksunten.indymedia.org/de/node/136641 (06.03.2015 - 11:40 h).
Stark geraffte, thesenförmige Zusammenfassung des gesamten dreiteiligen Textes:
Biologischer oder historischer Materialismus? 15 Thesen zum Scheitern des Marxismus, eine gesellschaftliche Analyse des Geschlechterverhältnisses zu liefern
http://scharf-links.de/51.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=50317&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=509229915c
Teil III
So, jetzt auch Teil III online:
Biologismus oder Gesellschaftstheorie? – Marxismus und geschlechtliche Arbeitsteilung
(07.03.2015 - 13:46)
Vortrags-Mitschnitt
Es gibt jetzt einen Mitschnitt meines - im ersten Absatz des Artikels erwähnten - Vortrages vom 10. März zum Verhältnis von Marxismus und Feminismus online:
http://perspektive.nostate.net/480
Eine schriftliche Fassung mit den obiligatorischen Fußnoten usw. wird es auch demnächst geben.