Als der Holocaustleugner und Frontmann der „freien Kameradschaften“ Christian Worch im Jahre 2005 den ersten „Trauermarsch“ in Dessau anmeldete, sprachen sich der damalige Oberbürgermeister H. G. Otto und Teile des Stadtrates dafür aus, den Aufzug zu ignorieren. Diese Strategie schien absurd, wurde aber schon einige Jahre von Polizei und Verfassungsschutz in puncto Rechtsterrorismus praktiziert, wie wir heute wissen. Selbstverständlich wurde der Aufruf der Stadtoberenzum Ignorieren ignoriert und 1000 Menschen, vom Pfarrer bis zur Autonomen, trafen sich zum Protest.
Auf der Nazidemo sprach der Rechtsterrorist Peter Naumann, der am 30. August 1978 an einem Sprengstoffanschlag beteiligt war. Ziel dieses Anschlags war das Mahnmal an den Ardeatinischen Höhlen bei Rom, wo die SS im März 1944 335 Zivilisten grausam ermordete. Bei Naumann manifestiert sich der Charakter der neonazistischen Gedenk- und Trauermärsche. Die Opfer werden verhöhnt, die Täter zu Helden stilisiert.
Die Sorgen vieler Dessauer_innen galten jedoch nicht den Neonazis. Ein deutscher Polizist gab in der Onlineausgabe der Mitteldeutschen Zeitung vom 13.03.2005 Entwarnung: „Zwar hatten es(...)‘etwa 500 gewaltbereite Linksautonome‘ geschafft, an den(…) eng aufgestellten Straßensperren vorbei ins Zentrum zu gelangen. Allerdings: ‘Durch konsequentes Auftreten und Einschreiten der Polizei sind ein Zusammentreffen der Gruppen und damit verbundene Ausschreitungen verhindert worden.‘“ .Man war am Ende froh, „(…)dass sich die Stadt(…)nicht in ein Schlachtfeld verwandelt hatte.“ Antifaschist_innen werden als gewaltbereit diffamiert und können ihr Recht auf Versammlungsfreiheit (Art.8GG) nur nach massiven Behinderungen und Einschüchterungen durch die Polizei wahrnehmen.
Nach einer Pause begannen 2008 jährlich wiederkehrende Demonstrationen. Die erste wurde noch von der NPD angemeldet und die darauf folgenden, nachdem sich die damalige Landesvorsitzende Carola Holz mit der Partei überworfen hatte, von den „Freien Nationalisten Dessau und Anhalt-Bitterfeld“. Doch wer die Anmelder_innen auch waren, immer trafen sie auf Widerstand. 2008 versuchte die Stadt Dessau ein Verbot des Naziaufmarsches zu erwirken. Das Oberverwaltungsgericht lehnte ab. So wurden die ca.120 Nazis am Bahnhof vom Dessauer Beatclub mit „Yeah, Yeah, Yeah“ aus dem Trauertritt gebracht. Das Dessauer „Bündnis gegen Rechtsextremismus“ traf sich am Landestheater unter dem Motto „Bunt statt Braun“. Insgesamt protestierten ca. 400 Menschen gegen die Nazis.
Im Jahre 2009 gab es dann mit 300 Personen den Teilnehmer_innenrekord bei den Nazis. Als Redner trat neben Andreas Biere, Mitorganisator des Magdeburger „Trauermarsches“, der Neonazi Dieter Riefling aus Niedersachsen auf. Riefling hält gern Reden im Stil der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Er ist vorbestraft wegen Körperverletzung und Volksverhetzung. Seine Gemeingefährlichkeit und die seiner Kamerad_innen ist es, die uns den Spaß an dieser Realsatire vergällt. Etwa 600 Gegendemonstrant_innen waren an diesem Tag in Dessau auf den Beinen. Während der Oberbürgermeister Koschig an der Friedensglocke eine Rede hielt, liefen 50 Meter weiter die Nazis vorbei. Das Unglückselige dieser Situation gipfelte dann darin, dass die Nazis wie auch ihre Gegner_innen an der Friedensglocke, wenn auch zufällig so doch gleichzeitig eine Schweigeminute für die Opfer des Bombenangriffs abhielten. Das konnte der Antifa nicht passieren, die die Nazis mit „Ihr habt den Krieg verloren!“Gesängen verhöhnte. Die waren am Ende so genervt, dass ein Teil die Polizeiabsperrungen durchbrach, um, ohne Erfolg, einer kleinen Gruppe Antifaschist_innen habhaft zu werden.
Zu ersten Blockaden kam es 2010. Am Bahnhof stellten sich etwa 100 Menschen den 230 Teilnehmer_innen des „Trauermarsches“ in den Weg. Sie hielten den Marsch der Nazis für eine Stunde auf, dann beseitigte die Polizei, teils rabiat, die Blockade damit Riefling und Konsorten auf der ca. 5 km langen Route bis zum Bahnhof Süd der Demokratie die Pest an den Hals wünschen konnten. Eine weitere Blockade gab es nach ca. 1km in der Zerbster Straße. Auch diese wurde von der Polizei teils unsanft geräumt.
Im Jahre 2011 riegelte die Polizei die Kreuzung am Bahnhof gleich ab, einem Dutzend Unerschrockener gelang dennoch eine kurzzeitige, symbolische Blockade. Für die ca.150 Teilnehmer_innen des „Trauermarsches“ war dann allerdings nach 20 Minuten erst mal Schluss. In der Zerbster Straße kam es zu 3 Blockaden, die die Polizeiführung bewogen, die Route der Nazis zu ändern. Zum ersten Mal war es gelungen, den Naziaufmarsch empfindlich zu stören.
Den Höhepunkt der Blockaden und den Tiefpunkt der Teilnehmer_innenzahl des „Trauermarsches“ gab es im Jahre 2012. Der Marsch musste nach 700 Metern umgeleitet werden, da die zweite Blockade in der Johannisstraße von der Polizei nicht mehr geräumt wurde. Nach insgesamt 1,5 Kilometern sah es für den Marsch erneut traurig aus. Ein Teil der Nazis stand auf der Museumskreuzung, ein anderer mit Lauti in der Kavalierstraße. Dazwischen: zwei Blockaden. Die Polizei entschied sich, die Nazis im Gänsemarsch an den Blockaden vorbeizuführen, der Lauti musste eine andere Route nehmen. Eine Nazifahne wurde erbeutet und oxydiert.
Ein großes Ärgernis für viele Dessauer_innen sind jährlich wiederkehrende Demonstrationen im Gedenken an Oury Jalloh. Er verbrannte am 7.1. 2005 auf einer feuerfesten Matratze, an Händen und Füßen gefesselt, unter Polizeiaufsicht im Dessauer Arrest. Eine schlüssige Erklärung dieses Todes hat es bis heute von Seiten der Behörden nicht gegeben. Soweit der ungeheuerliche Skandal. Jedoch scheinen in der Öffentlichkeit die Demonstrationen, und nicht der grausame Tod eines Menschen unter immer noch ungeklärten Umständen das Problem zu sein. Schlimmer noch: einige meinen, nur die Hautfarbe des Opfers sei von Interesse und als am 16. Januar 2012 bei einer Messerstecherei das Opfer eine helle und der Täter eine dunklere Hautfarbe hatte, wurde sofort zurückdemonstriert, noch am selben Tag mit ca. 400 teils rechtsextremistischen Teilnehmer_innen.
Am Wochenende darauf wurde ein weiterer Aufmarsch angemeldet, die Anmelder_innen von Gegendemonstrationen wurden durch das Ordnungsamt getäuscht, indem ihnen mitgeteilt wurde, dieser Aufmarsch fände nicht statt. Resultat war, dass Nazis und ihre rassistischen Sympatisant_innen ungestört durch die Stadt zogen. Die Demonstration unter dem Motto: “Gegen Gewalt“ wurde angemeldet von Ronny Besch, der im Oktober 2000 gemeinschaftlich eine gefährliche Körperverletzung beging, bei der zwei Linke durch Faustschläge und Fußtritte lebensgefährlich verletzt wurden. Ronny Besch trat dabei einem Geschädigten 4 Mal ins Gesicht, brach ihm dabei mehrere Knochen und verletzte ein Auge. 1999 schlug er einer Polizistin mit der Faust ins Gesicht. Insgesamt wurde er zu 5 Jahren und 3 Monaten Gefängnis verurteilt.
Eine dritte Demo gab es dann am 13. Oktober 2012 unter dem Motto „Deutsche Opfer, fremde Täter“, bei der der bekannte Hamburger Neonazi und NPD-Funktionär Thomas Wulff das Opfer der Messerattacke fälschlicherweise als querschnittsgelähmt bezeichnete, da die wahren Verletzungen dem Lügner nicht weitreichend genug erschienen. Diese vermehrten Naziaktivitäten waren der Grund, dass das Bündnis „Gelebte Demokratie“ sich entschloss, im Jahre 2013 eine Menschenkette um die Innenstadt zu bilden. Dadurch ist es gelungen, 2500 Menschen zum Protest zu mobilisieren. Als Nachteil erwies sich, dass dieses Konzept die Blockadewilligen dezimierte, da Bürger_innen, die sich den Nazis entgegenstellt hätten, jetzt in der Menschenkette eingebunden waren. Das „Anführen“der Nazidemo durch eine Reiterstaffel der Polizei bescherte den Nazis ein erbauliches Erlebnis.
warum wird 2012 verschwiegen?
warum habt ihr das jahr 2012 nicht erwähnt wo ihr dazu aufgerufen habt NICHTS gegen den naziaufmarsch zu unternehmen und gegen strukturen gehetzt habt die daraufhin etwas eigenes gemacht haben? kennt ihr eure eigene stellungnahme nichtmehr? https://linksunten.indymedia.org/de/node/55704
ruhig, josef!
falsch, maria!
welche leute meinst du denn die in den 20ern hängengeblieben sind?
Ruhen lassen
Dazu ist nur zu sagen, dass diese Gruppe sich damals nicht einig war und der Aufruf gegen Blockaden und Aktionen in Dessau nicht von allen getragen wurde.
Außerdem hat sich bei uns ein struktureller Wandel vollzogen, weshalb wir uns nicht weiter mit dem Thema , Gegegnaktionen 2012, konfrontieren lassen.
Und vielleicht solltest du bedenken, dass wir dann doch noch kurzfristig zu Gegenaktionen aufgerufen haben und auch eine Infostrukur, EA usw. für den Tag gestellt haben.
NoNazis-Dessau
Kritik?
Vielleicht solltet ihr euch erstmal selbstkritisch mit den letzten Jahren in Desssau auseinandersetzen, anstatt hier einen Text zu schreiben der nichts aussagt außer nach Dessau zu fahren. Dafür ist zuviel schief gelaufen!
Mh, ja, ...
Die selbstkritische Auseinandersetzung findet (verständlicherweise) vor allem intern statt. Dass nicht mehr alle ums gleiche Lagerfeuer kommen, um konstruktiv miteinander zu reden, ist bedauerlich, aber eine begreifbare Situation. Ja, zu viel ist schief gegangen. Dann können immer einige nicht mehr mit einigen anderen. Aber solange Leute für gemeinsame Interessen brennen, suchen sie sich. Also entstehen neue Gruppen. So ist das zur Zeit bei uns. Alles völlig normal. Im Schlechten wie im Guten. Man wird eine Zeit brauchen, dann ist man wieder eingespielt, weiß worauf man sich bei wem verlassen kann und:
Der Kampf geht weiter.
Der März wird eine Bewährungsprobe, weil da die Birnen marschieren wollen, dort die BosCops drohend ihre Knüppel schwingen und irgendwo eine demokratische Menschenmasse agiert, die uns mehrheitlich zumindest argwöhnisch beäugt, ob wir nicht doch bloß die anderen Bösen sind.
Und der März wird keine besondere Bewährungsprobe, weil wir alle keine Anfänger sind.
Ob wildes oder flaches Land, wichtig ist der Widerstand!