Nach dem NATO-Gipfel in Strassburg im April 2009 - Korrespondenz über Strategien und revolutionäre Emotionen. (Die Übersetzung des letzten Teils, der Zitate der Politiker, hab ich mir erspart, da sie wenig neues bieten...Den französischen Originaltext gibt's hier: http://ch.indymedia.org/fr/2009/07/70590.shtml)
# Notiz
# Brief
# Antworten / ausgewählte Auszüge...
# Anhang « NATO vom schwarzen Winde verweht » (« OTAN en emportent les black blocs »: Wortspiel mit « Autant en emporte le vent », dem französischen Titel von « Vom Winde verweht ».)
# Notiz
Dieser Text und die Antworten, die folgen, sind in der Ich-Perspektive geschrieben, als ob sie die Gedanken einer Person und die Antworten einiger anderer wiedergäben. Tatsächlich existieren diese Personen aber nicht. Jeder dieser Texte enthält diverse Stimmen, die fusioniert haben. Der erste ist das Resultat der Diskussionen, die nach den Aktionen gegen die NATO in Strassburg 2009 stattfanden, und aus Auszügen von Schriften von verschiedenen Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten. Die Antworten sind zusammengestellt aus Diskussionen und Korrespondenzen mit Personen, die den ersten Text gelesen hatten.
Diese Texte präsentieren sich als kollektives Projekt, aber es gibt keine echte Gruppe und auch kein echtes Kollektiv hinter diesen Postulaten. Es gibt keine Versammlung und kein gemeinsames Projekt, die zur Ausführung dieser Ideen geführt hätten. Viele von uns, deren Ideen hier ausgedrückt werden, waren in Strassburg im April 2009, und wahrscheinlich haben sich unsere Wege zu etlichen anderen Zeitpunkten gekreuzt, hinter Transparenten und Barrikaden oder in diversen befreiten Zonen überall in Europa. Was wir teilen ist der Wille, Debatten über die Aktionen, die in Strassburg während dem NATO-Gipfel stattfanden, auszulösen und daran teilzunehmen, und noch mehr.
Diese Art zu schreiben wurde gewählt, um sich von den politischen Polarisierungen, die unser Denken bezüglich einer Idee oder eines Ansatzes strukturieren, zu befreien. Es ist eine Übung, die ein gewisses Niveau an Vertrauen und Akzeptanz erfordert gegenüber „anderem“ Denken, etwas ungewöhnliches in einer politischen Kultur, die Tendenz hat, einem Argument zuzustimmen oder es abzulehnen je nach der ideologischen Position, die dahinter steht. Die Zweifel und aufgeworfenen Fragen von jenen, die die verschiedene Momente der Aktionen in Strassburg (während den vier Tagen, nicht nur am Samstag) erlebten und die aus verschiedenen Ländern, allgemeinen und geschlechtsspezifischen Kontexten kamen, waren natürlich sehr verschieden und manchmal widersprüchlich. Wir haben uns entschieden, sie nicht einzig als konfliktuelle Positionen zu behandeln, sondern als interne Zweifel, Sich-in-Frage-Stellen, Widersprüche und Ambivalenzen, die potenziell in einer Bewegung oder gar in einem Geist koexistieren können.
Diese Art zu schreiben wurde gewählt, um sich bewusst gegen die Tendenz zu stellen, die Selbstzweifel als Bedrohungen darzustellen. Die Diversität der ausgedrückten Ideen bedeutet, dass die Chance für einen wie auch immer gearteten Konsens rund um diese Texte ausgesprochen gering ist. Vor allem auch in Anbetracht der Tatsache, dass es keine definitive und bedingungslose Position gibt, gegen welche wir unsere Gruppen und Aktionen verteidigen müssten.
Die Gedanken darüber, wie wir diese Fragen präsentieren könnten, war ein langsamer und kollektiver Prozess, was erklärt, dass die Texte erst drei Monate nach Strassburg veröffentlicht werden. Nichtsdestotrotz glauben wir dass die hier aufgeworfenen Fragen wohl nicht so schnell an Wichtigkeit verlieren und wir hoffen, dass die Art wie sie geschrieben sind helfen wird, Reflexionen zu nähren und Debatten rund um die Dynamik der Aktionen und der Verhältnisse im Rahmen unseres Kampfes für die Freiheit.
Diese Texte wurden auf Indymedia veröffentlicht im Juli 2009.
# Brief
Während zehn Tagen rannte ich mit dem schwarzen Block, jede Gelegenheit nutzend, jeden Moment wo wir stark genug waren, um einen Aufstand aufrecht zu erhalten und um die Luft mit dem Klang von zerbrochenem Glas und von Eisenstangen, hartnäckigen Gerüchen von Adrenalin, Benzin, Testosteron und Tränengas zu schwängern. Während zehn Jahren setzte ich mich für die „taktische Diversität“ ein und drückte in Richtung Radikalisierung: von den sozialen Bewegungen zu den sozialen Kämpfen und zum sozialen Krieg. Es ist darum schwer für mich, diesen Text zu schreiben...
Während den Tagen in Strasburg war ich immer innerhalb oder in der Nähe der Black-Block-Actions, weil das meine Art zu kämpfen ist. Meiner Meinung nach war es verhältnismässig, auf die zweifelhafte Rolle der Polizei bei einem erneuten Todesfall während der G20-Demos in London zu reagieren. Wir waren zurecht wütend auf die Art, wie die Demo in eine Industriezone getrieben und von Tausenden von Bullen zweigeteilt wurde an der deutsch-französischen Grenze. Ich unterstützte die Entscheidung, die Polizei zu bekämpfen, um aus dem Perimeter auszubrechen, in welchem sie uns eingeschlossen hatten mit ihren Verhandlungen und ihren Waffen zur Kontrolle der Massen, und damit zu versuchen, unsere Aktion irgendwo durchzuführen wo es mehr Sinn machte, und es erfüllte mich mit Freude, den Zollposten brennen zu sehen.
Sogar die Aktion beim Hotel Ibis freute mich. Aber das ganze ist etwas komplizierter: ich glaube nicht, dass unsere Aktionen am Samstag (und vielleicht ganz allgemein) es wert sind, das Risiko einzugehen, Leute schwer zu verletzen. Wie dem auch sei, soweit ich mitbekommen habe, wurde niemand während dieser Aktion verletzt, und es ist wichtig daran zu erinnern, dass dieses Hotel Teil des NATO-Gipfels war. Es war eins von fünf Hotels die öffentlich dafür reserviert waren, Tausende von Journalisten zu logieren, die da waren, um die „Celebrations“ medial abzudecken, sowie ein Ort, von welchem die Polizei die Demonstranten ausspionierte. Ohne gar die Profite anzusprechen, die Ibis mit den Sans-Papier-Ausschaffungen macht, ist es also schwierig zu sagen, dass es kein legitimes Ziel war.
Aber trotzdem, die Erlebnisse dieser Woche hinterliessen ein Gefühl von Malaise und Verwirrung. Wir haben die Oberhand gewonnen über einen pazifistischen Marsch, um ihn einem Krieg gleichen zu lassen...Wir benutzten den Campingplatz, wir assen an der Vokü und schissen in die Toiletten. Im Vergleich jedoch zu anderen selbstverwalteten Anlässen und Camps, an welchen ich in der Vergangenheit teilnahm, beschränkte sich unsere Teilnahme im Dorf dieses Mal aufs Biertrinken, auf kleine, diskrete Sitzungen über geschlossene Aktionen, oder auf den Kampf gegen die Bullen um das Camp, das Bauen von brennenden Barrikaden,darauf, alles zu tun, damit das ganze einem Krieg glich...Und dadurch kam ich dazu, die Art der Verbindungen zwischen unseren politischen Visionen, uns selbst, unseren Begegnungen mit anderen, unseren „Werten“ und unseren Aktionen in Frage zu stellen.
Ich sage nicht, dass wir unrecht hatten, so zu handeln wie wir handelten. Ich bin seit längerem der Tendenz gegenüber kritisch eingestellt, dass immer mehr Energie in die Organisation von „Aktivistenservices“ (legale Unterstützung, Erste Hilfe, Organisation des Camps, unabhängige Medien...) investiert wird, bis es schliesslich soweit kommt, dass niemand mehr übrig ist, um die Aktionen (die am Schluss immer symbolischer werden) effizient durchzuführen. In diesem Sinne bot Strassburg eine doch eher willkommene Veränderung. Aber unsere Arroganz erschütterte mich. Um mich sah ich kein Interesse, am Rest teilzunehmen, zu erklären, oder zumindest eine einfache Wertschätzung dafür zu zeigen, dass wir Teil einer kollektiven Dynamik waren. Eine gemeinsame Dynamik innerhalb welcher Leute, die sich um verschiedene Elemente kümmern, welche die Durchführung einer grösseren Aktion erlauben und ihr eine gewisse Durschlagskraft geben. Der Fokus, vielleicht das alleinige Interesse lag in der gewaltsamen Konfrontation. Und wir schienen alle von oben herab zu betrachten, die dies in Frage stellten oder nicht gleich verstanden, wieso wir derart handelten und dachten.
Wie gewohnt haben, in den auf die Demonstrationen in Strassburg folgenden Tagen, die Leader der mumifizierten politischen Parteien der Linken die „gewalttätige Minderheit“ verurteilt und sich davon distanziert. Die PazifistInnen haben ihrerseits erklärt, ihre Aktionen wären ruiniert worden durch „apolitische“ Hooligans. Es ist immer frustrierend, diese Art von Kommentaren zu lesen, und es entsteht leicht eine Spaltung zwischen „ihnen“ und „uns“, die uns wiederum erlaubt die „Demokraten“ und „Reformisten“, die ihre pazifistischen Aktionen durchführen und anschliessend in ihr bürgerliches Leben zurückkehren, gnadenlos schlecht zu reden. Aber gleichzeitig störte mich der Mangel an Respekt oder Interesse, die die Teilnehmer an den Schwarzen Blocks an den anderen Teilnehmern an den Anti-NATO-Aktionen zeigten, v.a. in Anbetracht der Tatsache, dass einige von ihnen ihre Aktionen sehr gut ohne uns hätten durchführen können, wir aber nicht ohne sie.
Natürlich sind wir „sexy“, alle in schwarz, den Kameras eine neue Riot-Porn-Pose präsentierend. Aber wir waren nur ein kleiner Teil eines Kollektivs. Es ist übrigens ziemlich ironisch, dass die Teilnehmer an den Black Blocs, die die Medien derart kritisieren, auch die ersten sind, die Tendenz zu akzeptieren, aus dem Einschlagen von Scheiben und dem Anzünden von Mülleimern den einzigen Fokus des Tages zu machen. Es ist jedoch wichtig anzuerkennen, dass ohne die von den Organisatoren des Camps bereitgestellte Infrastruktur (die wir v.a. konsumiert haben), ohne die extrem aufreibende Arbeit des Legal Teams, die zu gewissen Verhandlungen mit den Bullen und zur Aufsetzung von politischen und juristischen Druck führen konnte (was wir nicht schätzen), und ohne den körperlichen Schutz durch die Präsenz von Tausenden von Demonstranten, wovon viele andere politische Visionen und Aktionsweisen als wir hatten, es nicht möglich gewesen wäre, die Grenze zu verbrennen, die Kameras zu zerstören und die Polizei so anzugreifen, wie wir es taten.
Ich sah Gruppen von PazifistInnen, ältere Leute, Leute mit Kindern, die in alle Richtungen rannten, verstört vom Tränengas, von den Flash Balls, aber auch die Steine, die auf sie flogen (weil es immer Leute gibt, die nicht wirklich schauen, wo sie hinwerfen, oder Idioten, die von hinten auf die ersten Reihen werfen). Und zum ersten Mal fragte ich mich, wie es sich anfühlen könnte, ausserhalb des schwarzen Blocks zu sein.
Wir organisierten uns in Ad-hoc-Sitzungen im Flüsterton, in kleinen, geschlossenen und paranoiden Gruppen. Wenn ihr nicht drin seid, gibt es eigentlich keine Möglichkeit teilzunehmen. Nichtsdestotrotz führen wir unsere Aktionen in Räume (wie die Demo), wo sie direkt Leute betreffen, die nicht die Chance hatten zu diskutieren, zu zweifeln oder zu entscheiden. Und wir erwarten von ihnen, dass sie die Konsequenzen tragen. Wir erwarten von ihnen, dass sie nicht öffentlich kritisieren, geben ihnen jedoch nur wenig Chancen, es im privaten Rahmen zu tun. Wir erwarten von ihnen, dass sie sich nicht von etwas lossagen, das sie sich, de facto, nicht zu eigen machen konnten, weder in der Vorbereitung noch in der Durchführung. Wir erwarten von ihnen, dass sie unsere politischen Positionen und unsere Aktionsformen respektieren, während unser Verhalten häufig suggeriert, dass für die von ihnen weder Respekt noch Interesse haben.
Ich bin keine Hippie. Ich bin keine Pazifistin. Ich glaube nicht, dass die Staaten, die Multinationals, die Armeen und die Polizei eines Tages, wenn sie mit genug Information und Überzeugungskraft konfrontiert sind, überzeugt sein werden, die Waffen abzulegen, auf ihre Macht und ihre Angriffe gegen die Erde, und der Menschen, die sie bevölkern zu verzichten. Ich glaube nicht, dass die pazifistischen Demonstrantionen „funktionieren“ [„marchent“: auch laufen, marschieren]. Um ehrlich zu sein, ich bin auch nicht überzeugt, dass gewaltsame Aktionen „funktionieren“, da unsere Gewalt immer kleiner sein wird als ihre, in Anbetracht ihres Zugangs zu neuen Technologien,zur Arbeitskraft und zu den Waffen. Trotzdem bin ich bereit beides zu tun, weil wir sowieso kämpfen müssen oder die Arme fallen lassen.
Ich habe das Gefühl, dass ich sicher älter bin als viele die in Strassburg an den Black Blocs teilnahmen. Ich bin von der Generation, die sich die Strassen nahm und kämpfte in einer Art von purer irrsinniger Freude Mitte der Neunziger. Ich stelle mir vor, dass ich aus einer unschuldigen Periode komme: vor dem Tod Giulianis, bevor sie uns Terroristen nannten, bevor all unsere Kreativität absorbiert war vom Spektakel der „Massenbewegung“ zu den Blockaden von Heiligendamm, oder in die Leere der Sozialforen. Ich vergegenwärtige mir eine Zeit, wo wir an die Zukunft glaubten und wo wir sogar manchmal das Gefühl hätten, wir könnten etwas erreichen. In diesem Zusammenhang war „taktische Diversität“ ein Resultat eines Willens, alle Aktionsformen in Betracht zu ziehen, um unsere Ziele zu erreichen. Aber dafür brauchten wir Ziele.
Das Gefühl, dass wir in Strassburg nicht mehr wirklich sicher waren, was unsere Ziele sein sollten. Diejenigen, die mit den Taktiken à la Black Bloc etwas zu tun hatten, schienen nicht interessiert an einer Blockade des Gipfels, oder an der Durchführung von weniger vorhersehbaren Aktionen, nur an der Demonstration. Nach unserer eigenen Einschätzung sind Demonstrationen nur ein mageres Substitut für die „direkte Aktion“. Aber wir konzentrieren unsere Energie darauf, den Raum oder die Situation entstehen zu lassen, innerhalb welcher wir eine Riot machen könnten (obwohl der einzige Ort, wo wir es tun konnten, eine Industriezone war, kilometerweit von allem entfernt). Erfolg oder Misserfolg der Aktion, so schien es, konnte sich messen an der Anzahl geworfener Steine, verbrannter Mülleimer, zerschlagener Fenster oder verletzter Bullen.
Die Riots hören damit auf, Taktik zu sein und werden zu einem Ziel an sich. In diesem Rahmen brauchen wir keine politische Argumentation, um unsere Aktionen zu verteidigen oder zu definieren. Unsere Aktionen sind unsere politische Argumentation: sie erfordern nicht mehr Kontextualisiserung, als den Kapitalismus selbst in all seinen Formen, und sie sind selbstdefinierend und selbstsprechend.
Das hat positive Aspekte. Die Politik sollte aus dem Bauch kommen, nicht nur aus dem Kopf. Wenn wir uns jedoch nur noch auf poetisch-auständische Waffen, wie „Aufruf“ [den deutschen Text der Broschüre gibt's hier: tarnac9.noblogs.org/gallery/5188/Aufruf.pdf]. oder „Mit gezogenen Messern“ beziehen, um zu definieren, was wir tun, enden wir dahingehend, dass wir unsere Aktionen von der Realität abstrahieren. Als ich nach Hause zurückkehrte, las ich ein Buch erneut, dass ich vor langer Zeit angefangen hatte, der „Liebhaber des Dämons: über die Sexualität des Terrorismus“, von Robin Morgan (eine Ex-Weathermen). Sie beschreibt darin einen gewissen Prozess der Radikalisierung der Kämpfe:
„(dies) führt zu einer Dynamik von 'der Zweck heiligt die Mittel'. Wenn sich die Abstraktionen beginnen zu proliferieren, haben die originellen Thematiken der Kämpfe die Tendenz, gänzlich vergessen zu gehen...Rhetorik, ein Territorium, Werkzeuge, Waffen, Uniformen werden zum Fetisch maskuliner Kombativität...Die Orientierung – für eine Sache zu leben – zum Beispiel für eine besser Lebensqualität zu kämpfen – reduziert sich immer mehr darauf, für eine Sache zu sterben. Die Gewalt. Diejenigen, die sie in Frage stellen, sind Verräter. Eine Politik der Hoffnung wird zu einer Politik der Hoffnungslosigkeit. Das Ziel wird nun viel zu abstrakt, um erreicht zu werden und trotzdem genügt die Virilität sich selbst nicht. Der Zynismus kommt auf, begleitet von Strategien orientiert in Richtung Provokation und Polarisierung. Was damals einen menschlichen Triumph zum Ziel hatte, bewegt sich nun in Richtung einer puristischen Niederlage. Der Staat kann uns dafür nur dankbar sein.“
Sie zeichnet ein düsteres Bild, sieht die politische Gewalt als Sackgasse. Nach ihr, durch das Umarmen der Gewalt, verurteilen wir uns selbst zur Reproduktion von Schemen des Patriarchats, des Autoritarismus und den Systemen der männlichen Werte in unseren Aktionen, unseren Beziehungen und unseren Kollektiven, bis zu einem bitteren Ende. Ich verwarf dieses Buch als pazifistische Scheisse als ich es zum ersten Mal las, heute jedoch bringen mich einige ihrer Argumente zum Nachdenken.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere Schwächen, unser Mangel an klaren Zielen und Projektionen eine Kultur kreieren, innerhalb welcher wir uns in einer politischen Ästhetik (nicht einmal eine Ideologie!) einschliessen und unsere Taten und Aussagen und auf die Aktionsformen beschränken, welche als genug kämpferisch/kriegerisch wahrgenommen werden, um akzeptabel zu sein. Wir werden blind für die Komplexität. Wir lassen keinen Platz für Zweifel und In-Frage-Stellung. Es gibt keine offenen Versammlungen, keine Foren, keinE SprecherIn und unsere einzige Kommunikationsform liegt in unseren Aktionen und in den Bildern, die sie projizieren. Wir strukturieren uns im Bild der Guerilla in düsteren Banden, wir geben einen symbolischen Sinn an etwas, das häufig nur eine indirekte gewaltsame Aktion ist (und manchmal im Gegensatz steht zur friedlichen direkten Aktion)...Wir sollten allerdings fähig sein, ehrlich und rechtschaffen zu sein, bezüglich des Inhalts von dem, was wir machen, oder wir werden schliesslich nur noch aus Bildern bestehen.
Im Schatten einer Eiche kommunizieren wir flüsternd. Mein Gebiss ist gespannt vom Schauder der Verschwörung...und vom Stolz. Das Geheimnis und die Wichtigkeit, die sich diese Gruppe gibt ist ansteckend. In meiner Frustration, eingesperrt durch die Wüste des Existierenden, bin ich ihrer Macht, ihrer Sprache und ihrer arroganten Überzeugung Recht zu haben ergeben. Mein Trieb, etwas zu tun, was es auch sei, wird von ihrer Kombativität verführt. Also lerne ich schnell, die Sprache der Gewalt zu sprechen, mit Vertrauen und meine Zweifel und Ambivalenzen versteckend, wie sie es tun...aber heute beobachte ich die Gesichter meiner Mitstreiter, die Lippen gespannt und bereit, abzulehnen, bereit dies und das zu verurteilen, diese Lücke in der Sicherheit oder die mangelnde Kampfkraft, oder einfache Anzeichen von Schwäche. Und ich fühle einen unerwarteten Drang, obstiniert und anti-autoritär, laut zu sagen: „Ich habe Angst“.
Und vielleicht ist es, weil ich älter werde (und ich sehe, dass die Gesichter um mich herum sich verändern: einige GenossInnen werden müde, deprimiert, verschwinden während das Durchschnittsalter, von denen, die sich die Strasse nehmen, gleich bleibt), oder vielleicht weil ich hinter meiner Vermummung immer eine Frau bin. Und ob euch das gefallen mag oder nicht, als Frau in unserem Milieu habe ich hart gearbeitet, um meine „Qualifikationen im Kampf“ zu erhalten, um die Sachen gerade heraus zu sagen, und um mich mir selbst und den anderen, in der Prüfung des Feuers, zu beweisen. Doch sogar heute noch kommen mir die Werte der Insurrektion in ihrer männlichen Form, der unerschütterlichen ideologischen Überzeugung und der Kapazität, der Sache zuliebe Schaden anzurichten nicht einfach „von selbst“.
Und wenn wir uns selbst gegenüber nicht ehrlich sind, uns konstant unsere Gefühle und unsere Schwächen, unsere Frustrationen und unsere Geheimnisse hinter Masken und kriegerischen Posturen verstecken, dann beschränken wir uns selbst. Wir hindern uns daran, unsere reale Situation zu analysieren und so herauszufinden, in welche Richtung wir fortan gehen sollten. In diesem Falle sind wir nicht mehr am Gewinnen, sondern am Verlieren. Nur durch das Anerkennen und das Verständnis für unsere Probleme können wir beginnen, Lösungen zu suchen. Ich schreibe diesen Text, weil ich das Gefühl habe, wir sollten etwas mehr ausdrücken als nur jugendliche Arroganz und kriegerische Bilder.
Ich fand es spannend, in der Strasse zu sein mit den Jungs der Banlieue nebenan, die Vollgas gaben und die Richtung vorgaben auf ihren Scootern, ermutigt durch unsere Präsenz in der Tatsache, sich auch zu diesem Zeitpunkt die Strasse zu nehmen. Das war stark und es machte Sinn, die Bullen gemeinsam anzugreifen. Die Gewalt kann (und es war da offensichtlich der Fall) vereinen und helfen, Beziehungen aufzubauen. Ich zweifle jedenfalls daran, dass diese Typen sehr interessiert gewesen wären, wären wir, Trakte zur NATO verteilend, in einem pazifistischen Defilee durch ihr Quartier gezogen.
Nichtsdestotrotz war ich erschüttert zu anderen Zeitpunkten von der Sorte Spannung, die ich in der Atmosphäre fühlte. Es war manchmal da auf der Strasse, und vielleicht noch mehr im Camp, wo es sich, zugespitzt vom Alkohol, in kleinen Macho-Hundekämpfen manifestierte, sich konfrontierend, um die Hierarchie des Tages zu etablieren...Vielleicht bin ich einfach nicht nihilistisch genug, doch bringen mich die Widersprüche, die das in mir zur Erscheinung treten lässt, zum Nachdenken.
Ich habe Lust, aus unserer Szene raus zu tretten, um mit den anderen in Kontakt zu treten, zu interagieren und zu handeln, um gemeinsame Nenner zu finden, die uns erlauben zusammen das Gefängnis aus Neon und Plastik zu zerstören, in welchem sich unser Alltag komprimert hat. Wenn wir jedoch anfangen, ohne kritische Distanz die Kombativität der Banden der Banlieues, die Inkarnation der „Wut des Volkes“ [„rage du peuple“: Songtitel von Keny Arkana], zu fetischieren, wenn wir unsere Aktion nur noch in Richtung eines gewissen Typs von Gewalt orientieren ohne ihr mehr Inhalt zu geben, dann werden wir nicht dermassen anders als die Fussballfans und die Gangs, die sich Ort und Zeit für einen vorgesehenen Kampf geben (Samstag Nachmittag an der Demo, statt nach dem Match!) Um es einfach auszudrücken, es gibt Dynamiken, Werte und Attitüden, an deren Reproduktion ich kein Interesse habe, wie gross auch immer ihre „Strassenauthentizität“ sein mag.
Es beschäftigt mich, verstehen zu wollen, wieso gewisse Leute angezogen sind von einer spezifischen Form von politischem Denken oder Aktionen. Ich für mich selbst weiss sehr gut, dass ich die „Uniform“ der Autonomen verführerisch finde, wie ich mich stimuliert fühle von einem schwarzen Block und wie stark ich geheime Aktionen liebe. Aber auf welchen ästhetischen, kulturellen und geschlechtsspezifischen Werten basiert diese Angezogenheit? Wo kommen sie her? Wo führen sie hin und wem nützen sie?
Das bedeutet nicht, dass ich vorschlage, wir sollten den Weg verlassen, auf welchem wir uns befinden, auf keinen Fall, nur, dass wir unseren Weg behutsam, bewusst und mit einem Verständnis für die Art und Weise, wie er auf uns wirkt, gehen sollten. Wir sollten konstant fähig sein, die Art und Weise, wie wir auf unsere Handlungen reagieren, was wir kollektiv und persönlich hinkriegen müssen, um sie gut durchzuführen und wie sie unsere Beziehungen und Attitüden zu den anderen beeinflussen, analysieren zu können.
Die Gewalt – wer auch immer sich ihrer bedient – hat Auswirkungen auf die affektive „Gesundheit“, nicht nur auf die derjenigen, gegen welche die Gewalt schliesslich gerichtet ist, sondern auch auf die derjenigen, welche sie generieren, was auch immer ihre Ziele und ihre Ideologie sein mögen. Ich habe nicht die geringste Sympathie für den Pazifismus als Ideologie, verspüre jedoch einen Drang, uns gegenseitig zu helfen über längere Zeit hinweg hartnäckig zu kämpfen und mit einer besseren persönlichen und kollektiven „Gesundheit“. Die Tatsache, den Weg der Gewalt zum Preis von persönlichen und kollektiven Risiken zu wählen, impliziert, sich eine Sicherheitskultur anzueignen und einige ihr inhärenten Charakteristiken sind der Ausschluss, Paranoia, das Ungesagte und ein Beziehungsnetzwerk, innerhalb welchem wichtige Teile eures Lebens versteckt werden müssen und nicht geteilt werden können. Das führt zu Spannungen und spezifischen Gefühlen (Neid, Unsicherheit, die Tatsache, dass man sich manchmal ziemlich simplistische Werthaltungskriterien aneignet oder dass man, was man tut, mit niemandem teilen kann). Es ist ein Weg, der paradoxerweise dazu führt, dass man sich plötzlich erwischt, Leute, deren Gesichter einem zwar vertraut sind, nicht als Genossen, sondern als potentielle Feinde zu behandeln. Ich denke, dass das eine Wirkung hat auf uns: auf die Art und Weise, wie wir die anderen und uns selbst betrachten.
Ich habe Angst, dass das Auswerfen dieser Zweifel und fragen dazu führen, dass ich ausgeschlossen werde. Solch „unkriegerische“ Werte wie die Empathie, die Ambivalenz, das Nachdenken und die Tatsache, unser Verhalten im persönlichen und im realen zu ankern, sind allerdings auch politisch. Ich werde darum das Risiko eingehen und schreiben. Ich hoffe, dieser Text wird als Selbstkritik, nicht als Angriff aufgefasst. Ich hoffe, dass einige dieser Ideen einen fruchtbaren Boden finden werden, um Debatten zu generieren: um vorgefertigte Denkbilder zu zerstören und die Substanz darunter zu erforschen.
Wir erleben spannende Zeiten. Der Widerstand wird immer offensichtlicher in Anbetracht von wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und politischen Krisen, die die Welt erschüttern, und es scheint, dass die Staaten und Grossunternehmen nicht einmal mehr versuchen, das wahre Gesicht des Kapitalismus, des Krieges und der sozialen Kontrolle zu verbergen. Die Veränderung (im einen oder anderen Sinn) könnte sich durchaus als unvermeidbar erweisen und es wird nötig sein, auf ihrer Seite zu kämpfen, ob wir das nun schätzen mögen oder nicht. In diesem Zusammenhang schreibe ich in der Hoffnung und mit dem Wunsch, Antworten auf die von griechischen Freunden auf dem Höhepunkt der Revolten im Dezember 2008 gestellte Frage zu finden:
„und nachdem alles abgebrannt ist?...“
# Antworten / ausgewählte Auszüge
„(...) Ich kam [Suffix verrät eine Frau als Erzählerin], um zu kämpfen, an den NATO-Gipfel in Strasburg, voller Hoffnung, dass es wirklich abgehen würde. Ich suchte starke Gesten des Widerstands, die in unserer Präsenz eine Ablehnung des Systems als Ganzes ausdrückten. Und wir liessen es krachen...Obwohl es zu tun haben kann mit Lücken in einigen unserer alltäglichen Kämpfe, obwohl darin wahrscheinlich ein Anteil von politischer Täuschung und spektakulärer Illusion enthalten ist, scheint es mir unnütz, das Vergnügen und die Kraft solch überbordenden kollektiven Momenten, wo wir während einigen Minuten oder einigen Stunden, „in der Masse“, nicht mehr eingesperrt sind im Käfig der Hegemonie des „wir können sowieso nichts verändern“s, zu leugnen.
Nichtsdestotrotz lassen meine Erfahrungen, rund um die Europabrücke am Samstag in Strassburg, Platz zu für ein gewisses Malaise und Frustrationen. Die Polizeistrategie war es, wie es schien, die Demonstration innerhalb einer Industriewüste zu isolieren, erreichbar nur über Brücken und eine Strasse, die ins Nirgendwo führt. Was diesen Aspekt betrifft, hat ihre Strategie funktioniert. Trotz der Versuche der Blockadegruppe im Morgengrauen blieb es in der Innenstadt ruhig und gemütlich. Als ich etwas später am gleichen Nachmittag durch die Innenstadt lief, konnte ich NATO-Delegationen und -Konvois vor mir durch die Strassen defilieren sehen, ohne dass sie angegriffen wurden, und ich konnte mich nicht daran hindern zu denken, dass wir es vielleicht abseits der Schlachtfelder, wo wir erwartet wurden, geschafft hätten, ernstzunehmendere Probleme zu verursachen.
Darum interessierte es mich, deinen Text zu lesen und darin Wege zu finden, meine eigenen Zweifel in eine geeignete Form zu bringen, ohne in die Falle der gleich typischen wie stupiden Verurteilungen im Stile von „der schwarze Block arbeitet mit der Polizei“. Trotzdem haben mich einige deiner Argumente nachdenklich gemacht, darum habe ich dir, damit die Debatte weiterhin vorangetrieben wird, eine Antwort geschrieben.
Zuerst einmal denke ich, dass es wichtig ist, die Tatsache zu unterstreichen, dass die am Samstag initiierten Aktionen – die Zerstörung der Banken, der Zollstation, des Hotel Ibis, der Videoüberwachungskameras und anderer Herrschaftswerkzeuge – durchaus einen Bezug hatten zu der Präsenz der NATO in der Stadt. Diese Aktionen markierten eine Verbindung zwischen der Politik der NATO und den Banken, den Multinationals, den staatlichen Institutionen und den industriellen und militärischen Komplexen, die den Gipfel umrahmten. Sie hatten, über die Institution und die Zeremonie hinausgehend, die globale Sicherheitsarchitektur, deren Realisierung die NATO als Antwort auf die sich mehrenden Aufstände und direkten Aktionen in Anbetracht der „Krise“ des Kapitalismus und des postkolonialistischen Systems vorantreibt, im Visier.
Im Kontext der vom französischen und deutschen Staat in Form einer Übermacht von Polizeikräften gemachten Kampfansage stand politisch viel auf dem Spiel, ging es doch darum zu zeigen, dass, egal wie viele Helikopter, Kontrollen, Propaganda um die Bevölkerung einzuschüchtern, die Situation immer noch ausarten, zu Begegnungen und Bündnissen führen kann...diese riskante Wette haben wir gewonnen. Was aber durchaus nicht heisst, es sei immer die beste Entscheidung den Nahkampf dort, wo sich ihre Kräfte konzentrieren, zu suchen. Ebenso wichtig ist es, unvorhersehbar zu bleiben und nicht in Systematismen zu verfallen.
AAA
„ (…) Da sich dein Text auf ein „Wir“ bezieht, scheint es mir wichtig zu präzisieren, was dieses bedeuten könnte. So vage und widersprüchlich es auch sein mag, scheint es mir doch auf verschiedene Gruppen zu verweisen, die danach streben, den Staat und den Kapitalismus, die patriarchale und postkoloniale Unterdrückung, auf einer anti-autoritären Basis und mithilfe direkter Angriffs- und Autonomisierungsaktionen, und ohne Dogma der Gewaltlosigkeit, zu überwinden. Es ist eine Art und Weise, es auszudrücken, es gäbe 2000 andere. Und da dieses „Wir“ einer gewissen „revolutionären Internationalen“ weder eine Partei ist, noch eine fixierte Form hat, kann man sich davon mehr oder weniger als Teil fühlen und es sehr verschieden abstecken und wahrnehmen. Einige werden sich auf ein „Wir“ beziehen, das durch Neztwerke, Organisationen, Reisen, Aktionen, strategischem Austausch, freundschaftliche oder Liebesbeziehungen international miteinander verbunden ist...Andere werden Mühe haben dieses „Wir“ zu fühlen ausserhalb einer lokalen, engergesteckteren und kontextbezogeneren Verankerung. Einige fühlen sich leicht als Teil einer Bewegung und einer gemeinsamen Geschichte, andere werden gegenüber solch eines heterokliten und gespaltenen Gebildes, ohne präzisere politische Definition, sehr viel zurückhaltender sein. (...)“
AAA
„Wenn du ein „Wir“ evozierst, kann dein Text den falschen Eindruck geben, es hätte in Strassburg einen schwarzen Block gegeben, mehr oder weniger organisiert als Ganzes, gebildet von Gruppen und Leuten, die sich in dieser Identität wiedererkennen und durch diese Taktik die Träger einer gemeinsamen Geschichte wären. Aber der schwarze Block ist keine Gruppe. Es ist ein viel zu simplistischer Begriff, der darüber hinaus Gruppen mit verschiedenen Konfrontationsstrategien und politischen Visionen unter einen Hut bringt. Es ist nie unnütz daran zu erinnern, dass die Taktiken im Stile des Black Blocs und die Präsenz am Gegengipfel häufig nur eine der Formen von politischen Aktionen der daran teilnehmenden Leute ist und zudem häufig eine marginale. Viele der Leute, die zu diesem Moment als Teil des „Black Blocs“ betrachtet werden konnten, kennen tägliche Kämpfe, Formen von Autonomisierung und Lebensräume diversester Art. Viele, die sich mit den aufständischen Taktiken identifizieren können, treffen auch die politische Entscheidung, nicht an Gegengipfel wie in Strassburg zu kommen. Einige nehmen vielleicht effektiv eine gemeinsame Geschichte und politische Linie wahr, die sich mehr schlecht als recht über die multiplen Erscheinungen und Communiqués der „Black Blocs“ in den antikapitalistischen Aktionen dieses letzten Jahrzehnts und darüber hinaus zurückverfolgen lassen kann. Aber viele, die diese Taktiken in Strassburg oder sonstwo wählten, sehen sich nicht als Black Bloc und kritisieren gar diese Etikette und ihre Posturen als Identitätsfalle und Medieneinordnung. Eine Etikette, die v.a. das Risiko mit sich bringt, dass der Bezug zu Personen verloren geht, mit welchen man solche Aktionen durchaus teilen könnte. Es gab auf jeden Fall keine einheitliche Taktikkoordinierungsstelle für den schwarzen Block in Strassburg, sondern grössere oder kleinere Gruppen, die sich in diesem Zusammenhang für eine gewisse Art von Aktionen vorbereiteten, und auf diversen Affinitäten beruhende Verbindungen.(...)
Die Tatsache, sich nicht auf eine „Black-Bloc“-Identität zu beschränken, ist speziell wichtig weil das Risiko besteht, dass die Diversität der Leute, die diese offensiven Taktiken teilen, dazu im Gegensatz steht. Die „Krise“, die du evozierst, bedeutet v.a. eine Remodellierung der kapitalistischen Herrschaft, die eine härtere soziale Situation und härtere Kontrollen mit sich bringen wird; sowie auch, hoffen wir es, härteren Widerstand. Diverse Gruppen und Bewegungen lassen illegale und konfliktuelle Taktiken wie die Entführung von Chefs, die Drohung, die Fabrik explodieren zu lassen, wirtschaftliche Blockaden, langsames Arbeiten, Besetzungen, Sabotagen und offensive Demonstrationen neu aufleben. In Europa (und speziell durch die NATO und der Harmonisierung und Koordination der Sicherheitspolitik) arbeiten Armeen und Polizeikräfte zusammen und bereiten sich darauf vor, härter zu reagieren gegenüber sozialen Bewegungen, weil sie explizit erwarten, dass diese sich intensivieren und die Leute immer mehr ihre Wut auf der Strasse ausdrücken. Dieser Kontext wird unsere strategische Intelligenz herausfordern, unsere Kapazität, nicht in avantgardistischen, messianischen oder identitären Dynamiken zu versinken und diejenige, Verbindungen innerhalb der sozialen Bewegung zu kreieren und aufrechtzuerhalten, in all ihrer Komplexität, taktischen Diversität und in ihren widersprüchlichen Debatten.
AAA
„ (…) Im Kontext von Strassburg scheint mir das Schuldgefühl, die Demo „an uns gerissen“ zu haben, etwas deplaziert. Es ist wahr, dass sie durch uns offensiver wurde und dass wir dazu beigetrugen, den Plan derer, die pazifistisch durch eine isolierte Industriezone marschieren wollten oder einen Durchgang durch die Polizeilinien auszuhandeln versuchten, zu durchkreuzen. Doch die von uns, die sich diesem „pazifistischen“ Marsch vermummt und gewillt zur Konfrontation anschlossen, waren nicht eine kleine Minderheit. Wir waren mehrere tausend. Diese Demonstration war auch „unsere“ Demonstration.
Während des G8 in Genua 2001 und bei vielen anderen Gelegenheiten lebten viele des „Black Bloc“ in den „pazifistischen Bürgercamps“, um sich nicht direkt von der Polizei einzupacken und isolieren zu lassen. Im Vergleich dazu, und obwohl viele es (leider) ablehnten, sich auf die eine oder andere Art und Weise an dessen Organisation zu beteiligen, gab das Camp von Strassburg viel mehr das Gefühl, „unseres“ zu sein. Viele im Camp waren AnarchistInnen oder Revolutionäre mit diversen Ansätzen. Und diese offensive Position widerspiegelte sich in den Aktionen die im Laufe der Woche stattfanden. Dieser Kampf ist auch unser Kampf, und ein guter Teil (ein viel grösserer als während vergangenen Gipfeln, wie ich zumindest das Gefühl hatte) der DemoteilnehmerInnen waren entweder aktiv beteiligt an konfrontationellen Taktiken, oder zumindest unterstützten sie sie passiv. (...)“
AAA
„Es ist interessant, dass du dich, wenn du den Brand des Hotels ansprichst, fragst, ob es es wert war, das Risiko einzugehen, jemanden schwer zu verletzen für eine unserer Aktionen. So allgemein gestellt stört mich diese Frage. Tatsächlich führen viele unserer Aktionen (wie auch viele weniger politische Dinge im Leben) dazu, dieses Risiko einzugehen. Wenn wir uns gegen den Militarismus und die soziale Kontrolle stellen, attackieren wir einige der brutalsten und mächtigsten Institutionen überhaupt. Jedes Mal wenn wir diese Kritik in die Strasse tragen, v.a. wenn wir uns nicht damit zufrieden geben, pazifistisch zu defilieren, gibt es ein gewisses Risiko, dass Mitstreiter oder andere Leute verletzt, verhaftet oder emotional erschüttert von den Ereignissen des Tages werden. JedeR, der/die an einer Demonstration teilnimmt, sollte sich bewusst darüber sein, dass, was auch immer unsere Aktionen sein mögen, wir immer das Risiko eingehen, von der Polizei (die sich übrigens nicht im geringsten daran störte, am gleichen Morgen die gewaltlosen Demonstranten einzugasen und zu verpügeln) angegriffen zu werden. Nichtsdestotrotz sollte das Niveau der Gewalt, dessen wir bereit sind die Konsequenzen zu tragen oder das wir bereit sind zu kreieren, nie ein diskussionsloses Thema sein. Unsere Ethik, das Niveau der Repression, welchem wir die Stirn bieten müssen und die Unterstützung, die wir erhalten können, hängen davon ab.
Dies ist ein tiefsinniges und komplexes Thema, aber vielleicht kann man das Risiko eingehen, es mit einigen simplen (simplistischen?) Betrachtungen anzugehen. Es ist zum Beispiel möglich darauf hinzuweisen, dass es einen ziemlich klaren Unterschied gibt, in Bezug auf die eingegangenen Risiken, zwischen uns, die wir willentlich eine Kampfsituation wählten und uns darauf vorbereiteten (oder das andere Extrem der Robocops, auf der Strasse mit dem Ziel, uns anzugreifen und zu blockieren), und den Passanten und Demomitstreitern, die diese Taktik nicht wählten und sich nicht auf Gewaltsituationen vorbereiteten. Und es gilt einen Unterschied zu machen zwischen dem Risiko, während einer Aktion einen Bullen zu verletzen oder sie gar willentlich anzugreifen, wenn sie uns den Weg versperren, und dem Risiko, jemanden zu verletzen, der sich mehr oder weniger zur falschen Zeit am falschen Ort befand. Was aber auch nicht heisst, dass die Verletzung eines Bullen ein an und für sich sehr interessantes politisches Ziel werden kann, ausser man versuche einfach die Straflogik des Staates umgekehrt zu reproduzieren.
Ganz allgemein erfordern die Entscheidungen und Aktionsprozesse, die die Tendenz haben, Demonstrationen in eine Kampfzone zu verwandeln, vorsichtige Betrachtungen. Verschiedene gespaltene Blöcke zu haben während Aktionen oder Demos, die ihre jeweils bevorzugten Taktiken anwenden, funktionierte in der Vergangenheit verhältnismässig gut. Es macht aber auch Sinn, dass die körperliche Konfliktualität von überall kommen kann und nicht in einer Ecke oder einem separaten Zeitpunkt isoliert ist. Es ist eine taktische Entscheidung, deren Effizienz in der Tatsache veranschaulicht werden kann, dass es für die Polizei schwierig ist, das Chaos räumlich zu beschränken und dass es auch mehr Leuten erlauben kann, sich diese Konfliktualität zu eigen zu machen. Es sind auch die unvorhergesehenen Handlungen und die spontanen Elane, die mehr oder weniger glücklich enden, welche eine Situation verändern können, wie auch immer die Vorhersagen gewesen sein mögen. Wie es auch sei, die Tatsache, die politischen Formen der traditionellen Linken, mit ihren leeren Diskursen, ihren ziellosen Demonstrationen und ihrer permanenter Vermeidung des Konflikts, abzulehnen, muss trotzdem nicht heissen, dass wir eine gewisse Grundsolidarität aufgeben, die impliziert, sich zu organisieren, um die Leute zu schützen, welche auf unserer Seite sind, aber ein derartiges Risiko nicht eingehen wollen oder können.“
AAA
„Während der Demonstration gegen den G8 in Rostock 2007 musste ich mich entscheiden zwischen einem Engagement mit dem schwarzen Block oder dem Verbleib mit einem engen Freund, der sich kurz davor den Rücken kaputt gemacht hatte und nicht mit uns sein konnte aus Angst, seine Wirbelsäule zu beschädigen, und weil er blockiert war von der Tatsache, dass sein Körper, davor stark und unbesiegbar, ihn plötzlich im Stich liess. Ich entschied mich für den schwarzen Block, aber es war keine einfache Entscheidung. Das hat mich dazu gebracht, zu realisieren, dass unsere Möglichkeiten körperlichem, konfrontationellem Engagements im sozialen Krieg fragil sind. Das bestätigte mich in der Tatsache, langfristige radikale Formen des Engagements zu suchen, die über die Kreation von pseudo-militärischen Gettos oder Spielplätze für zwanzigjährige Revolutionäre hinausgehen. Manchmal habe ich das Gefühl, für einen fünfundzwanzigjährigen Black-Bloc-Teilnehmer sei die Tatsache, vierzig Jahre alt zu sein oder behindert, unwahrscheinlich oder einfach verdammt lästig. In diesem Falle scheint es noch unwahrscheinlicher, dieses Alter zu erreichen und dabei immer noch involviert zu sein in radikalen Kampfformen.
Das Eingehen von Risiken beschränkt sich nicht auf die Frage der politischen Ideologie. Leute, die wegen anderen Aktionen Gefängnis riskieren, ohne Papiere leben, Eltern und Kinder oder meine Grossmutter können das Risiko eingehen wollen, an gewisse Demonstrationen zu gehen, dabei aber mit dem Ziel, nicht in die Ausschreitungen zu geraten. Sofern man seine Aktionen nicht unter dem Vorwand lähmt, dass sie sicher nicht allen gefallen werden, ist es nicht unbedingt „konterrevolutionär“, Mittel und Momente zu finden, damit sich verschiedene Gemeinschaften verschiedenen Alters und von verschiedenen Horizonten kommend zum Kampf zusammenfinden können, zusammen versuchen können, unsere Stärken und Schwächen zu verstehen und sich gemeinsam zu schützen und einige Gräben zuzuschütten im Angesicht eines gemeinsamen Feindes.
Dieser Versuch, zumindest im Sinne eines materiellen und solidarischen Netzwerkes, hat Form annehmen können in kollektiven Strukturen, die wir über die Jahre entwickelt haben – juristische Unterstützung, Erste-Hilfe-Teams, Kantinen, Transporte, Camporganisation, Kommunikation und unabhängige Medien, Unterstützung bei Traumata...Sie sind ein Beweis dafür, dass wir die Kapazität haben, von unseren Erlebnissen zu lernen und als Bewegung zu wachsen. Wenn sie sich nicht in separate Dienstleistungen verwandeln und hinter den Entscheidungen bezüglich den Zielen von Aktionen stehen, sind sie grundliegende Elemente unserer Kraft. Im Lichte der griechischen Rebellion, und im Kontext von einer immer grösser werdenden sozialen Unzufriedenheit, denke ich, dass der Einsatz und die Vervielfachung solcher Strukturen immer wichtiger werden. (...)“
AAA
„ (…) In deinem Text beschreibst du eine Falle, einen Widerspruch, durch welche eine schonungslose Kritik der gegenwärtigen, komplett entfremdeten Wüste paradoxerweise in einer Abstraktion unserer Kämpfe, die sie jeglichem unmittelbaren Sinn oder jeglicher fassbarer Ziele entleert, führen kann. Die auf den Traum vom globalen Aufstand zentrierte messianische Projektion hat die Tendenz, eine Denkform zu begründen, die jegliches Zwischendrin, jegliche Prozesse, konkrete Siege, spezifische Forderungen oder Kämpfe, als langweilig und zwingend auf der Seite eines reformistischen Aktivismus, der schliesslich nur den sozialen Frieden wahren würde, betrachtet...Es ist manchmal als ob jegliche konkrete kleine Verbesserung unserer Leben sich dem Verdacht aussetzt, den Zusammenbruch des Systems zu verspäten. Dadurch, dass wird in allen Formen des Protests den guten Bürgersinn aufstöbern, vergisst man schliesslich ihre konfliktuellen Aspekte, ihre Kräfte und ihre möglichen Entwicklungen, bis man die Form der möglichen Aktionen und Bündnisse drastisch reduziert. Meiner Meinung nach sollte ein revolutionärer Prozess an fragmentarischem und lückenhaftem Widerstand, der aber nichtsdestotrotz sofort das Leben der betroffenen Personen verändern kann, interessiert sein und sich die Frage stellen, in welchen Radikalisierungsformen dieser Widerstand zu einer globalen Perspektive gehören und damit verbunden sein kann. Häufig brauchen wir spezifische Ausgangspunkte, thematische Verankerungen, Mauern zum Einreissen, kleine konkrete Siege...ob das nun zu einem allgemeinen Aufstand führen mag oder nicht. Es gibt viele Beispiele von grossen Bewegungen, die sich innerhalb dieser doppelten Dynamik bewegten. Man denke an die Bewegung der Road Protests in England in den Neunzigern, die von sehr spezifischen Kämpfen und Siegen, „auf dem Feld“, ausging, und es geschafft hat, sich von dort aus hin zu einer globaleren antikapitalistischen Dynamik zu entwickeln, oder an die Art und Weise, wie die autonome italienische Bewegung der Siebziger eine globale revolutionäre Vision mit spezifischen Forderungen und Kämpfen über die Frage des Wohnens, der Arbeitsbedingungen, Zahlstreiks vereinen konnte...und es dabei bis zu einem gewissen Punkt schaffte, dass der eine Aspekt nicht in Opposition zum anderen stand.“
AAA
„Die Tatsache, an spezifische Situationen angepasste Taktiken in eine Identität zu verwandeln, war ein häufig wiederkommendes Problem eines Teils der antikapitalistischen Bewegungen dieses letzten Jahrzehnts. Wir starteten die Perkussionsgruppen (wie die Infernal Noise Brigade in den USA oder die Samba-Gruppe für den 18. Juni in Londen 1999) als Taktik, um die Spannung zu erhöhen und die Polizei zu veräppeln, dadurch, dass Massen in Bewegung gesetzt wurden wo Soundsystems in einem Van zu langsam oder nicht flexibel genug waren. Später fanden sich darin neue Leute, die an der ursprünglichen taktischen und politischen Überlegung nicht teilgenommen hatten, und schliesslich kam so die Idee auf, dass Samba an und für sich revolutionär sei, was auch immer die Samba-Gruppen während einer Demo tun mögen. Das gleiche passierte mit den Clowns...die grundsätzliche Idee hinter dem Konzept der „Clown-Army“, was man auch immer davon denken mag, stützte sich zumindest auf taktische und politische Überlegungen und nicht auf die Idee, dass Clowns unabhängig vom Kontext revolutionär seien. Vermutlich helfen diese Beispiele, dass man es besser wahrnimmt, wenn Taktiken beginnen sich von ihren Zielen zu abstrahieren, weil die ersteren uns am Anfang diskutabler schienen. Das gleiche kann man manchmal auch von konfrontationelleren Methoden, wie die Vermummung, das Abbrennen von Mülleimern oder das Zerschlagen von Schaufenstern, sagen. Man erinnere sich zum Beispiel an den schwarzen Block, der um vier Uhr morgens vom Camp von Retterlich loszog während des G8 2007 und in einem kleinen, kilometerweit von was auch immer entfernten Dorf Mülleimer abbrennen und Barrikaden bauen ging. Ich war dabei und es war zutiefst deprimierend!“
Doch denke ich, dass, trotz der Sachdienlichkeit von Kritiken einiger Gesten und Posturen, diese nichtsdestotrotz ein Mittel darstellen, um unseren Ängsten entgegenzutreten und sich nicht in ihnen einzuschliessen, in einer Zeit, wo es gute Gründe gibt Angst zu haben und wo wir fähig sein wollen, sie zu überwinden und zu handeln. Ich bin sehr kritisch gegenüber der aktuellen Tendenz der kapitalistischen Gesellschaft, eine gewisse Opferperspektive als einzigen Weg zur Wahrheit zu propagieren und zu instrumentalisieren. Als ob die möglichen Formen der Erkenntnis der Herrschaft uns gleichzeitig der Mittel, stark und autonom zu kämpfen, amputieren, als ob der Kampf sich paradoxerweise nur in unserer Zerbrechlichkeit strukturieren müsste. Natürlich wissen wir, und darüber gibt es keinen Zweifel, dass die Fetischisierung der körperlichen und kriegerischen Kraft im besten Falle proto-faschistisch ist. Aber ich glaube an die Nötigkeit, einmal tief durchzuatmen und zu versuchen, ernsthaft an unsere Kapazität, stark, massiv und wild zu handeln, zu glauben. Auch ich brauche es, diese Fähigkeit, über bellizistische Posen zu lachen (in mir und zwischen uns), zu pflegen. Es gibt für mich einen grundsätzlichen Unterschied zwischen einer Situation, wo man entscheidet, dass es nötig ist, unsere Ängste zu überwinden, dabei aber immer bereit zu sein, darüber zu lachen und sie nicht zu ernstzunehmen, und derjenigen, einen kritiklosen Ansatz zu ebendieser bellizistischen Pose zu haben.
Ich sah viele neue Leute (Männer und Frauen) sich unseren „Banden“ anschliessen und direkt in gewisse virile Rollen, die wir benutzen, um unsere Ängste zu überwinden, hineinfallen. Oft lernen sie, sich in den Machtstrukturen zu positionieren, die wir kreieren (und die nur zu oft diejenigen, die wir versuchen zu zerstören, mimen) und in eine gewisse heroisierende Kultur des „Kriegers der urbanen Guerilla“ hineinzufallen (andere Beispiele dieser Heldenkultur in unserer Bewegung können den „Super-DIY-Squatter“ oder den „kompromisslosen Theoretiker“ miteinschliessen). Sie lernen mit dem Alter diese sozialen Rollen des Autonomen oder Anarchisten, trotz ihrer manchmal kritischen Vision bezüglich der Benutzung solch identitärer Fassaden wird diese Kritik jedoch selten explizit oder sichtbar.
Junge Typen werden womöglich eher die Tendenz haben, sich Prozesse der „militanten/kriegerischen Kompetition“, belohnt durch einen sozialen Status in der Bewegung, kritiklos zu eigen zu machen. Ich habe den Verdacht, dass das, wie auch in anderen patriarchalen Systemen der Valorisierung der Fall, so ist, weil sie am ehesten davon profitieren. Die Propagierung von Taktiken politischer Gewalt löst, manchmal auf extreme Art und Weise, Verhalten aus, die sich von geschlechtlichen und machtspezifischen Konditionierungen ernähren und unterhalten, und konfrontiert uns, wir sollten es besser zugeben, mit dem konstanten Risiko, eigene Abscheulichkeiten zu kreieren!(...)“
AAA
„ (…) Es ist nicht ganz wahr, dass der „Black Bloc“ nur in „geschlossenen und paranoiden Gruppen“ funktioniert. Vielleicht war es in Strassburg stärker der Fall, da die Strukturierung in Affinitätsgruppen mehr in den Vordergrund trat als während sozialen Bewegungen oder „spontanen Riots“ dieser letzten Jahre, wo es womöglich manchmal relativ leicht war, sich in der Hitze des Gefechts zu treffen und zusammen zu handeln. Aber sogar im schwarzen Block in Strassburg weiss ich von Leuten, die spontan zusammen handelten für die eine oder andere Aktion, ohne sich zu kennen, wie es insbesondere die Demo am Donnerstag mit den Leuten aus dem Quartier nebenan veranschaulicht. Die Paranoia und geschlossene Gruppen existieren, aber es existieren auch tatsächlich reale Bedrohungen polizeilicher Repression, Infiltrierung oder Verhaftung, zumindest was eine gewisse Art von Aktionen betrifft. Was uns nicht daran hindern sollte, viel zugänglichere Räume und Kampfformen aufrechtzuerhalten. Nichtsdestotrotz muss jeder Versuch, offener und freimütiger zu sein, Fragen und Überlegungen zu normalerweise nicht diskutierten Themen aufzuwerfen, diesen Zusammenhang berücksichtigen. Wie auch sowohl dein als auch mein Text anonym geschrieben werden müssen!
Es ist schwer, einen Raum kritischer Debatte zu finden, womit wir nicht das Risiko eingehen, Spaltungen oder den Eindruck der Zersetzung zu kreieren, oder Schwachpunkte oder andere wichtige Informationen, die unseren Feinden nützlich sein könnten, preiszugeben. Die Kritiken im allgemeinen, v.a. die Selbstkritiken bezüglich unseres Verhältnisses zur Gewalt sind speziell hart anzuhören. Sie sind die Früchte eines historischen Moments, während welchem das Wort Vorrang hat, was eine Verurteilung aller als „gewaltsam“ betrachteten Mittel zur Bekämpfung des Staates und der wirtschaftlichen Gewalt bedeutet. Man wiederholt uns, dass es eine Sackgasse, widersprüchlich sei, dass es nur zu Repression führen werde...Zu einem Zeitpunkt, wo der Staat versucht, jegliche Aktion, die die Machthaber schwächen könnte, als „Terrorismus“ zu definieren, und einen Graben zwischen akzeptablen pazifistischen Aktivisten und den „wildgewordenen Hooligans“, den „Wilden aus den Banlieues“ oder den „Anarcho-Autonomen“ zu kreieren, ist es von fundamentaler Bedeutung, offene Optionen und eine Diversität der Kampfwerkzeuge aufrechtzuerhalten, und sich nicht komplett entwaffnet wiederzufinden. Es ist darum logisch, dass wir uns auf die Notwendigkeit fokussieren, die Möglichkeit der Verwendung gewaltsamer Taktiken zu verteidigen, wenn es nötig ist. In Anbetracht all der Angriffe, mit denen wir momentan von allen Seiten konfrontiert sind, ist es ziemlich logisch, dass wir wenig Lust haben, neue Zweifel dazuzufügen. Man kann jedoch auch hoffen, dass die Formulierung derselben, von unserer Position in der Bewegung als „wohlmeinende“ KritikerInnen, dazu beiträgt, Leute näher ran zu ziehen, die häufig auf Distanz gehalten wurden vom Eindruck, es mit einer ideologischen Festung zu tun zu haben.
In dieser Atmosphäre manchmal gerechtfertigter Paranoia sollen wir es nicht akzeptieren, uns in vorgefertigten Konzepten einschliessen zu lassen. Es gibt nur selten Momente während Sitzungen oder Versammlungen in unserem Milieu, wo wir nicht klare Positionen hätten, wo wir uns frei fühlten, die komplexen Überlegungen und Beziehungen zu diskutieren, die wir gegenüber unserer Handlungsweise und der Art, wie sie andere affektiv beeinflusst, pflegen, wo wir Leidenschaften und Höhenflüge genauso ausdrücken könnten wie die Zweifel und die Gefühle der Sinnlosigkeit, die manchmal aufkommen. Wir sind schnell im Verurteilen und Etikettenverteilen in unserer durstigen Suche nach Identität und Kraft, und in diesem Zusammenhang sind viele von uns sehr vorsichtig wenn sie sich ausdrücken, weil wir an die Konfrontation glauben, weil wir am sozialen Krieg teilnehmen wollen und weil wir uns nicht aus diesem Milieu ausgeschlossen wiederfinden wollen, wo das Ansprechen von Zweifeln schnell dazu führen kann, als „Pazifist“ oder „Verräter“ wahrgenommen zu werden.
Doch das gegenseitige Überbieten an Radikalität kann sich auch als konterproduktiv herausstellen, wenn es darum geht, unsere Ängste langfristig zu überwinden. Ein grosser Anteil von Leuten verschwindet in aller Ruhe aus unseren Bewegungen überall in Europa: zuviele fühlen sich leer oder geben auf, manchmal bei der ersten echten Begegnung mit der Angst oder der Repression. Das ist, was schliesslich passieren kann, wenn wir unsere Rhetorik über die Mittel, die wir uns gegeben haben, um die Konsequenzen unserer Aktionen zu tragen, hinausgehen lassen, wenn wir unsere Ängste, statt sie zu überwinden, der Zensur unterwerfen. Sodass wir weiterhin Pläne schmieden, aber komischerweise, wenn es soweit ist, immer weniger Leute da sind, um sie auszuführen.
Die Rhetorik über die Notwendigkeit, den „weltweiten Bürgerkrieg“ zu intensivieren in konkrete Aktion umzuwandeln bedeutet mehr als nur punktuell Bilder der glorreichen und erregenden Aspekte des Krieges zu evozieren, wie es jedwelcher Hollywood-Film tut. Die strategische Weitsicht verlangt dass wir nicht nur unsere Kämpfe anhand ihrer spektakulären Angelpunkten heraufbeschwören, sondern dass wir uns mit der Komplexität der Etappen, des Zauderns, der Vorbedingungen und den Begegnungen, die die Existenz dieses Widerstands erlauben und ihm Sinn geben, auseinander setzen müssen. Ohne die Realität des sozialen Krieges leugnen zu wollen, kann doch nicht verhehlt werden, dass eine gewisse Intensivierung seiner Brutalität nicht nur Samen emanzipatorischer Intensität in sich trägt. Sie drängt in der Regel auch beide Seiten dazu, sich in sterilen Logiken der Rache, in ziemlich viel Ärger, Dummheit und in einer Tendenz zu willkürlicher Grausamkeit, sowie auch in oft schmerzhaften Konfrontationen mit der Angst oder dem Tod, einzuschliessen...Diese „Augenfälligkeiten“ erscheinen weder emanzipatorisch, noch anziehend, und wir sollten sie weder glorifizieren, noch verschweigen.
Man kann sich wahrscheinlich schnell durch Selbstkritik lähmen, auf zuviel Kohärenz wartend in unseren Gesten, statt sie dort einzusetzen, wo es effizient sein kann. Zumal wir in eine individualistische Umwelt mit einem grundsätzlich schon gespannten Verhältnis zum kollektiven Engagement und zum Glauben in die Möglichkeit eines revolutionären Prozesses, in die Möglichkeit anderer sozialer Organisationsformen, geboren wurden. Doch wenn wir es schaffen, aus unserer Position, und ihrer postmoderner Zerbrechlichkeit, heraus, nichtsdestotrotz ein hartnäckiges Dabeisein und Kraft, ohne wieder in die ideologischen oder religiösen Fallen vergangener revolutionärer Bewegungen hineinzufallen, zu neuem Leben zu erwecken, dann kann es sein, dass wir, auf diesem Bergkamm, die Mittel finden, uns langfristig zu halten und einige der Desillusionen, Enttäuschungen, Desertionen und Seitenwechsel, welche die Generationen vor uns nur zu gut kannten, zu verhindern. (...)“
# Anhang
Dies ist ein Communiqué einiger „Chaoten“ einer Affinitätsgruppe des schwarzen Blocks, erschienen am 8. April 2009 auf Indymedia mit einer „Auswahl konformistischer Zitate“ [Zitate von Politikern und anderen, deren Übersetzung ich mir ersparte, da es bei uns ohnehin etwa gleich tönt]. Es schien uns interessant, es an die vorgängigen Texte anzuhängen. Es ist auch als Broschüre (französisch) erhältlich auf infokiosques.net an der folgenden Adresse: http://infokiosques.net/spip.php?article684
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Die NATO vom schwarzen Winde verweht...
Notizen zum Tagesverlauf in Strassburg am 4. April 2009
„Der Aufstand verunsichert die politischen Parteien. Tatsächlich behauptete ihre Doktrin stets die Ineffizienz jegliches Kräftemessens und deren Existenz ist eine konstante Verurteilung jeglichen Aufstands.“
Frantz Fanon, Die Verdammten der Erde, 1961.
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Was sich in Strassburg abspielte war ziemlich vorhersehbar und ziemlich unvermeidlich. Doch, wie nach jedem Gegengipfel der zu schönen Ausschreitungen führt, schreit man Skandal von links nach rechts, beschuldigt die einen oder anderen, sie lassen gemacht, angestachelt, oder, noch deftiger, all das in der Dunkelheit machiavellistisch organisiert zu haben.
Alle politischen Parteien, die linksaussen eingeschlossen, machen sich zu Sprachrohren von Sicherheitsdiskursen, einer stinkender als der andere, explizit oder implizit die polizeiliche Machtlosigkeit gegenüber den Ausschreitungen betrauernd (siehe weiter unten, die Auswahl konformistischer Zitate).
Es ist schliesslich immer der gleiche Film, mit einer gemeinsamen Idee zur Grundlage, die von der UMP zum Parti socialiste, von Attac bis zum Front national geteilt wird: es ist unmöglich, dass sich die Leute derart revoltieren, dass sie sich Ausschreitungen hingeben. Diese Leute können demzufolge nur auf die eine oder andere Art und Weise manipuliert sein.
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Wie dies auch getan werden konnte im Juli 2009 nach den grossen Ausschreitungen in Genua während dem G8, so wiederholen wir es: wir brauchen niemanden, um uns zu revoltieren und zu kämpfen. Diesen Samstag 4. April 2009, in Strassburg, wenn wir Scheiben eingeschlagen haben oder Gebäude angezündet haben, die im Dienst des Staates und des Kapitalismus stehen (Zoll, Banken, Tankstelle, Tourismusbüro, Hotel Ibis etc.), wenn wir Überwachungskameras und Werbeplakate zerstört haben, wenn wir die Polizei angegriffen haben, so taten wir das nicht, weil eine okkulte Organisation uns dazu gedrängt hätte, sondern weil wir uns bewusst dafür entschieden.
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Dass wir es so leicht hatten, zu handeln, war der Tatsache zu verdanken, dass wir mehrere hundert, vielleicht gar mehrere tausend (der berühmte internationale schwarze Block!) waren, die es taten.
Und auch weil die Bullen nicht totale Roboter sind. Es sind auch Menschen, sie fühlen auch Angst, zum Beispiel.
Und in einer „Demokratie“, so sarkozystisch sie auch sein mag, würde es ein schlechtes Bild abgeben, DemonstrantInnen zu töten. Denn eine der Möglichkeiten für die Polizei, die Riots schneller zu stoppen, wäre gewesen, auf Augenhöhe zu zielen. Und mit anderen Waffen als Tränengas, Lärmgranaten und Flashballschüssen zu kämpfen...Am 8. April 2009 sagte Luc Chatol, Sprecher der Regierung, dass „die Priorität der Regierung sei, dass es keine Toten gebe“. Weil sich ihre „Demokratie“ noch nicht genug bedroht fühlt.
4
Dass wir nur in den armen Quartieren des Strassburger Hafens agieren konnten, heisst das wir weder die Kraft, noch die Finesse hatten, bis ins Zentrum vorzustossen. Die Polizei und die Armee beschützten die berühmte „rote Zone“, anders ausgedrückt das Zentrum und die Bonzenquartiere Strassburgs. Aber alle wissen es: wir wären in diesen reichen Quartieren eine einiges grössere Bedrohung gewesen...
Es wissen übrigens auch alle, dass nur institutionelle und kommerzielle Gebäude angegriffen wurden. Die Güter der Lokalbevölkerung wurden nicht angetastet.
Wir kämpfen gegen die Macht, nicht gegen diejenigen, die sie hinnehmen müssen.
5
Der mediale und politische Diskurs versucht dem schwarzen Block die Etikette „nihilistische und blutrünstige Chaoten“ aufzukleben. Doch die Praktiken des schwarzen Blocks beschränken sich nicht auf Akte der Zerstörung (genauso wie sich unsere Existenzen nicht auf den schwarzen Block, der nur ein punktueller und kontextueller Modus der Demonstration darstellt, beschränken). Der schwarze Block praktiziert die gegenseitige Hilfe und die Komplizität mit allen DemonstrantInnen, in der Konfrontation, der Selbstverteidigung und der Flucht im Angesicht des polizeilichen Feindes.
Während einer Riot entsteht eine spontane und anonyme Solidarität, authentisch in dem Sinn, dass jede Geste frei davon ist, etwas dafür zurück zu erwarten.
Es sind zwei Welten, die sich gegenüberstehen, was sich schon in ihrem Vorgehen zeigt: auf der einen Seite, entschiedene DemonstrantInnen, die für ihre Überzeugungen, ihre Wünsche, ihre Wut zu leben, sinnlos und ganz, da sind. Auf der anderen Seite, vereidigte Bullen, die durch Zwang und Gehorsam da sind, für die Ordnung und das Geld und bezahlt werden, um niederzuschlagen und so wenig wie möglich über ihr Tun nachzudenken (denn das würde zu einem zu grossen Demissionsrisiko führen).
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Was am NATO-Gipfel in Strasburg diskutiert wurde, betrifft uns alle. Die post-kolonialistischen Kriege, die die westlichen Mächte im Moment führen, finden wir zum Kotzen und den Krieg gegen „den inneren Feind“ widert uns ebenfalls an. Bevölkerungskontrolle, Verwaltung der Migrationsströme, Aufrüstung der Polizeikräfte, Perfektionierung der Geheimdienste und der Fichierungen, gegen all das erhoben wir uns.
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Für die Macht geht es v.a. darum, weiterhin allen die kapitalistische Demokratie weiterhin allen als einzig mögliche soziale Organisationsform aufzuzwingen. Und trotz unserer Scheissleben, trotz dem schwankenden Charakter des Kapitalismus in letzter Zeit, muss man feststellen, dass die revolutionären Perspektiven soweit weg scheinen, dass man sie sich nur mit Mühe vorstellen kann. Doch die zutiefst konterrevolutionäre Resignation unserer Epoche ist keine Fatalität. Es ist ein schönes Ziel, es zu schaffen, sich vom Kapitalismus zu emanzipieren durch den Kampf und gegenseitige Hilfe. Und diese Emanzipation kann de facto nicht koexistieren mit der kapitalistischen und staatlichen Macht.
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Wohlwissend, dass eine andere Welt nicht möglich sein kann ohne die Vernichtung der globalisierten kapitalistischen Demokratie, wohlwissend, dass „alle herrschenden Klassen ihre Privilegien immer bis zum Schluss und mit der erbittertsten Energie verteidigten“ (Rosa Luxemburg, Was will Spartakus?, 1918), haben wir kein Problem damit in dieser Welt der Unterdrückung und der sozialen Kontrolle das Chaos und die Zerstörung zu säen (um die spektakulären Begriffe der Medien zu verwenden). Es scheint uns gar ungenügend.
Jegliche Möglichkeit revolutionärer Veränderung dieser Welt braucht ein greifbares Kräfteverhältnis. Es ist die Aufgabe der Beherrschten, neue Grundlagen sozialen Lebens zu kreieren ohne auf das Einverständnis der Herrschenden zu warten.
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Die letzten Jahre waren geprägt von Aufständen, die die Macht beunruhigen: Aufstände der armen Quartiere im November 2005, die Bewegung gegen den CPE im Frühling 2006, Anti-Sarko-Ausschreitungen während den Präsidentschaftswahlen 2007, Studenten- und Schülerbewegungen von 2007 bis 2008, und vor kurzem der griechische Aufstand.
Für all diese Bewegungen, wie auch für den schwarzen Block in Strassburg, liegt der Fokus der Medien auf der Jugend derselben, als ob die Revolte in einem Generationenphänomen eingeschlossen werden sollte (mit allen mitleidigen Bemerkungen, die damit einher gehen: „ihr werdet sehen, in zehn Jahren werdet ihr das alles vergessen und resigniert wie alle haben“).
Wir denken, dass darin eine Gefahr liegt, die unbedingt überwunden werden muss. Ein Aufstand (eine Revolution noch weniger) kann nicht nur von der Jugend kommen, sondern er muss, wie der Klassenkampf, alle betreffen und von allen erlebt werden, unabhängig von Altersunterschieden, Hautfarben, Geschlecht, Bewegung etc. Voller Bewusstsein für die Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse.
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Wenn wir von der Feststellung ausgingen, dass, um die Macht zu stürzen, es wenig bringt, sich darauf zu beschränken, ruhig zu demonstrieren, wie viele man auch sein mag, sogar mit mehreren Tausend Leuten, so sind wir uns auch bewusst, dass die Angriffe gegen die Polizei oder die Zerstörungsakte an staatlichem oder kapitalistischem Eigentum mit mehreren Tausend Leuten auch noch nicht reichen.
Mit einigen Millionen hätte es schon mehr Biss. Alle Kontroll- und Repressionstechnologien könnten sich als ungenügend herausstellen, um die allgemeine Wut zu kontrollieren.
Lasst uns gemeinsame Widerstandspraktiken, konkrete Solidaritäten, aussergesetzliche Kampfesmittel und revolutionäre Perspektiven kreieren und verbreiten...Ein ganzes Programm, um mit der alten Welt und ihren Technologien einer jetzt schon ziemlich muffigen Zukunft aufzuräumen!