Von Hanning Voigts
Im mittelhessischen Lumdatal wird eine Familie seit Monaten von Neonazis bedroht. Zum harten Kern der Gruppe gehören zehn Rechtsradikale. Jetzt zeigt die Polizei verstärkt Präsenz.
Lumdatal – Das Schlimmste, sagt Ulrike K., sei der chronische Schlafmangel. „Wir schlafen wenig, sehr wenig“, sagt sie. „Ich schrecke bei jedem langsam fahrenden Auto hoch.“ Dass sie bedroht werde, habe sie 24 Stunden am Tag im Kopf – besonders, wenn es dunkel werde. „Das ist eine extreme psychische Belastung.“
Ulrike K., ihr Mann und ihr Sohn leben am Stadtrand von Allendorf im beschaulichen Lumdatal (Landkreis Gießen). Die Familie bewohnt ein Haus in ruhiger Lage, es gibt eine Terrasse und zwei neugierige Hunde. Doch seit einigen Monaten ist es vorbei mit dem Dorfidyll: Familie K. ist ins Visier lokaler Neonazis geraten. „Wir werden bedroht und schikaniert“, sagt Ulrike K., die in Wirklichkeit anders heißt. Lange hat sie damit gehadert, ihren Fall öffentlich zu machen. Aber irgendwann siegte ihr Trotz über ihre Bedenken: „Wir lassen uns hier nicht unterkriegen.“
Aggressive Aktionen
Die Neonazis, mit denen Familie K. zu kämpfen hat, halten das Lumdatal seit Anfang des Jahres in Atem. Die Gruppe, zu deren hartem Kern etwa zehn Rechtsradikale aus Allendorf, Treis und Londorf gehören, gibt die Flugblatt-Zeitung „Lumdatal Stimme“ heraus, ist im Internet präsent und fällt durch aggressive Aktionen auf: Im Februar störten sie eine Sitzung der Staufenberger Stadtverordnetenversammlung, sie bedrohten lokale Grünen-Politiker und Allendorfs Bürgermeisterin Annette Bergen-Krause (SPD).
In der Nacht zum 1. Mai zogen die Rechten angetrunken durch Allendorf, traten die Haustür eines Einfamilienhauses ein und grölten „Sieg Heil“. Mittlerweile regt sich im Lumdatal Widerstand: Es gibt Kundgebungen, Sportvereine und Politiker werden gegen Rechts aktiv. Eine Antifa-Kampagne mit dem Titel „Wälder, Wiesen, Neonazis“ versucht, über rechte Strukturen und die Hintergründe aufzuklären. Doch die Situation von Familie K. bleibt unangenehm.
Alles habe mit ihrem Sohn Timo – auch er hat einen anderen Namen – angefangen, erzählt Ulrike K. Sie sitzt mit einem Kaffee in ihrem Garten, und wenn sie über die Neonazis spricht, dann stehen ihr Wut und Abscheu ins Gesicht geschrieben. Timo kennt einige der Rechten aus der Schule – und die anderen von der Straße. „Auf dem Dorf kennt man sich“, sagt der 16-Jährige. Irgendwann habe er die rechten Parolen nicht mehr ertragen und das Facebook-Profil „Antifaschistisches Lumdatal“ gestartet, um etwas dagegenzusetzen. Die Reaktion der Neonazis ließ nicht lange auf sich warten. Eine verstellte Stimme forderte Timo am Telefon auf, die Seite zu löschen, sonst werde „was passieren“. Einige Tage später hielt nachts ein Auto vor dem Haus , ein Knall ertönte. „Ich gehe davon aus, dass das eine Gaspistole war“, sagt Ulrike K.
Steine gegen Fenster
Die Polizei habe ihr zunächst wenig helfen können. „Die haben das heruntergespielt und meinten, sie wollen keinen Krieg zwischen Links und Rechts“, sagt K. „Plötzlich waren wir die Linken, nur weil wir gegen Nazis sind.“ Während erste Ermittlungen gegen einen Neonazi im Sande verliefen, tauchte in einer Nacht im Februar ein Mann im Garten auf und warf Steine gegen die Fenster. Immer wieder fuhren Autos bewusst langsam am Haus vorbei, hielten kurz an oder hupten. Der Streit um Timos Facebook-Seite ist wohl nicht der einzige Grund für den ständigen Nervenkrieg: K.s Mann kommt aus Tunesien und lebt erst seit einem Jahr in Allendorf. „Wir sind alles, was die hassen“, sagt sie. Nach einer Neonazi-Demo Ende Mai in Allendorf und Grünberg seien vier von diesen im Auto vorgefahren, bedrohliche, zum Teil vermummte Gestalten. „Die haben uns als Zecken beschimpft und gesagt, wir sollten endlich verschwinden“, erzählt sie. „Und zu meinem Mann meinten sie, er solle zurück nach Afrika gehen.“
Polizei verstärkt Präsenz
Viele Dorfbewohner solidarisieren sich mit der Familie, mit Bürgermeisterin Bergen-Krause besteht ständiger Kontakt. Aber es gebe auch einige Anwohner, sagt Ulrike K., die seien selbst latent rechts oder spielten die Drohungen als Jungenstreich herunter. „Damit gibt man denen Raum, in dem sie schön gedeihen können“, sagt K.. Die Mutter eines der Neonazis habe ihr sogar gedroht, sie werde „mal richtig auf die Fresse bekommen“. Seitdem ist die Familie noch vorsichtiger. Immerhin habe die Polizei inzwischen ihre Präsenz verstärkt, berichtet Ulrike K.. In der vergangenen Woche hätten Beamte ihr Haus bewacht, als die Neonazis wieder durch die Stadt gezogen seien.
Unbekannte hatten den Treffpunkt der Gruppe demoliert, eine Hütte am Elmensee nördlich von Allendorf. Familie K. befürchtet, dass die Wut der Rechten wieder sie treffen wird. „Man kann nie einschätzen, was als Nächstes kommt“, sagt sie. „Bei denen kann man gar nichts einschätzen.“ Ob sie jemals daran gedacht habe wegzuziehen? Nein, sagt Ulrike K. bestimmt. Im Moment bewege sich endlich etwas im Lumdatal, der Druck auf die Neonazis steige. „Und selbst wenn wir hier weggehen, ist das Problem ja nicht gelöst. Dann kriegt es nur jemand anderes ab.“