Am 30. April wird in Wedding, im Rahmen der Antikapitalistischen Walpurgisnacht wieder eine berlinweite Demonstration gegen steigende Mieten, Rassismus und soziale Ausgrenzung stattfinden, so wie eine lange Nacht der linken Locations im Wedding am 19. April.
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19. April | Weddinger Nächte sind lang | Veranstaltungen gegen
Rassismus und soziale Ausgrenzung- für eine solidarische Gesellschaft!
[Infos: HWVW-Blog]
# 30. April 2013, S.-U.-Bhf. Gesundbrunnen | 16 Uhr, Kundgebung | 20.30 Uhr, Demonstration
[Aufruf | Material]
Das Bündnis "Hände weg vom Wedding!"
hat zur Situation im Bezirk eine Broschüre erstellt, die sich mit
Mietsteigerung, der Rolle der Quartiersmanagements, staatlichem
Rassismus und weiteren Themen befasst. Auf Indymedia werden diese in den
Wochen vor dem 30. April als inhaltliche Begleitung veröffentlicht.
# Teil 1: "Niemand hat die Absicht Arme zu verdrängen"
Rolle und Funktion der Quartiersmanagements
Quartiersmanagement – Motor der Ausgrenzung
Mit
der Einführung des „Quartiersmanagements“ reagierte der Berliner Senat
1999 auf die zunehmenden sozialen Probleme in einigen Berliner
„Quartieren“. Gemeint sind Stadtteile, in denen vor allem Menschen aus
sozial benachteiligten Gesellschaftsschichten leben. Dort wo „trinkende“
Menschen in der Öffentlichkeit zu sehen sind, Drogen konsumiert werden,
Graffiti die Wände verzieren und die Häuser marode sind.Auch im Wedding
wurde 1999 ein Quartiersmanagement eingeführt. Wedding war noch nie
einer der besser gestellten Bezirke, doch nach der Wende führte ein
massiver Abbau von Industriearbeitsplätzen zu einer hohen
Arbeitslosigkeit und viele besser verdienende Haushalte zogen fort. Mit
seinem traditionell hohen Migrant_innenanteil kam im Wedding noch dazu,
dass in einer Mischung aus Rassismus, Sozialchauvinismus und
vermeintlicher Kriminalität der Bezirk von Zuzügler_innen eher gemieden
wurde. Die Mieten blieben so vergleichsweise günstig.
Wedding ist auch heute noch als „sozialer Problembezirk“ bekannt. Hier leben vorwiegend Menschen mit geringem Einkommen. Der „Versorgungsgrad“ mit Kinder- und Jugendeinrichtungen beträgt
lediglich 50 %, d.h. es sind gemessen am Bedarf nur halb so viele
Einrichtungen vorhanden. Dazu kommt, dass das Angebot oft nicht den
spezifischen Anforderungen der Jugendlichen entspricht und deshalb nur
unzureichend genutzt wird.
Quartiersmanagement – formulierter Zweck und Realität
Im
Quartiersmanagementverfahren sollen die Bewohner_innen aktiv an einem
Verbesserungsprozess teilnehmen. Die wirtschaftlichen Schwächen des
Bezirks sollen behoben und die Lebensbedingungen verbessert werden.
Was
das bedeutet, wird am Beispiel des Helmholtzplatzes im benachbarten
Prenzlauer Berg deutlich. Der Prenzlauer Berg war einst einer der
ärmsten Bezirke Berlins, heute ist er einer der reichsten. Auch hier
wurde 1999 ein Quartiersmanagement eingeführt. Hohe Arbeitslosigkeit,
Drogenhandel, leerstehende Wohnungen und verwilderte Grünanlagen prägten damals den Zustand. Heute schieben
gut situierte Mittdreißiger/vierziger-Eltern teure Kinderwagen durch die
Straße, tauschen sich über Yogaübungen aus und blicken dabei auf
blitzblank sanierte Altbauten. Kaum zu glauben, dass es hier jemals
Probleme gab mit Drogendealern in Gebüschen und verfallenen Altbauten,
mit „Trinkern“, die mit ihren „Hunderudeln“ das Trafohäuschen auf dem
Platz besetzten.
Die „Stadtmanager“_innen des Quartiersmanagements
rodeten einfach das Gebüsch auf dem Platz und bauten das Trafohäuschen
zum Nachbarschaftsheim mit Café um. Sie stellten Bänke auf, legten
Spielplätze an und organisierten Weihnachtsmärkte. „Sie haben den Platz
für alle Bewohner_innen zurückerobert“, sagt der bekannte Stadtforscher
Hartmut Häusermann. Häusermann verfasste 1998 im Auftrag des Senats eine
Untersuchung, in der die Einführung eines Quartiersmanagements
vorgeschlagen wurde. „Alle Bewohner_innen“ ist hierbei jedoch zweifellos
falsch. Von den Menschen, die vor 10 Jahren um den Helmholtzplatz herum
wohnten, sind heute kaum noch welche übrig. Die vorgeblichen „sozialen
Problemfälle“ sind völlig verschwunden und auch insgesamt haben 80 % der
ehemaligen Bewohner_innen den Prenzlauer Berg verlassen. Für sie war im
aufgewerteten Kiez mit seinen ins unermessliche gestiegenen Mieten
einfach kein Platz mehr.
Weddinger Quartiersmanagement
Anders
im Wedding. Hier treten die sozialen Probleme auch nach 10 Jahren
Quartiersarbeit noch offen zu Tage. „Die soziale Ausgangslage in Wedding
ist nicht vergleichbar mit der in Prenzlauer Berg“, sagt Katja
Niggemeier, Quartiersmanagerin im Soldiner Kiez.Der Soldiner Kiez,
bekanntgeworden als der Kiez mit der höchsten Mordrate Berlins, kann
stellvertretend für viele soziale Konflikte im Stadtteil betrachtet
werden. Zu Beginn der Quartiersarbeit im Soldiner Kiez lagen die
Schwerpunkte auf baulichen Maßnahmen an Spielplätzen und Schulen.
„Straßen, Plätze und Grünanlagen litten unter Verwahrlosung“, heißt es
auf der Internetseite des Quartiersmanagements. Verwahrlosung bedeutet
schlechtes Image und Imageverbesserung ist der dauerhafte Schwerpunkt
der Quartiersmanagements. Und so werden längst fällige Erneuerungen, wie
die Pflege von Spielplätzen und Grünanlagen als Erfolge des
Quartiersmanagements in der Öffentlichkeit verkauft.
So rüstet der
Kiez auf und „Orte der nachbarschaftlichen Begegnung“ werden geschaffen.
Kinder können ohne Angst vor Heroinspritzen im Sand spielen und selbst
bei Nacht braucht niemand mehr Angst zu haben, denn am Grünzug an der
Panke ist für ausreichend Beleuchtung gesorgt. Ein Kiez für alle! Nur
eben ganz wie im Prenzlauer Berg: für viele Bewohner_innen wird in der
Aufwertung auch hier bald kein Platz mehr sein. Die Verdrängung ist Teil
der Strategie.
Um die Verdrängung weiter anzukurbeln, werden im
Wedding mittlerweile vor allem soziokulturelle Projekte wie die Kolonie
Wedding gefördert. In Kooperation mit dem Wohnungunternehmen Degewo
werden leer stehende Gewerberäume zu Projekträumen umgewidmet, mit denen
Kunst- und Kulturinteressierte in den Kiez gelockt werden sollen. Die
Kunst kommt jedoch nicht aus dem Kiez selbst. Auch im benachbarten
Brunnenviertel bemüht sich die Degewo mit Straßenfesten und
subventionierten Ladenräumen um eine Imageverbesserung der
Nachbarschaft. Ziel: besserverdienende Mieter_innen zu gewinnen.Es gibt
aber auch ablehnende Stimmen zur der Politik des Quartiersmanagement,
und die sind alles andere als neu. Insbesondere sind 2011 die Praktiken
des Quartiersmanagements Neukölln in die Kritik geraten. Mit dem Projekt
„Task Force Okerstraße“ sollte in Zusammenarbeit mit privaten
Akteur_innen durch Meldung unangepassten Verhaltens ein
Bespitzelungsnetz entstehen, das zum Austausch der bestehenden
Mieter_innenstruktur und so zur Aufwertung im Kiez führen sollte. Dabei
zielte die Strategie offen auf die Verdrängung von Roma, Nicht-Deutschen
und sogeannten „Trinkern“ im Kiez.
Finanzielle Hintergedanken
Sowohl
am Helmholtzplatz als auch am Beispiel Brunnenviertel und Soldiner Kiez
wird deutlich: das Quartiersmanagement ist eine systematische
Verdrängung von einkommensschwachen Bewohner_innen, um die
wirtschaftliche Potenz von Innenstadtgebieten touristisch und
wirtschaftlich auszuschlachten. Finanziert wird das Verfahren zu 50 %
aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und zu 50 % aus dem
Programm „Soziale Stadt“.
Mit dem Programm „Soziale Stadt“, welches
zusammen mit dem Quartiersmanagement 1999 vom Senat für Stadtentwicklung
eingeführt wurde, soll verhindert werden, dass es in „Problemgebieten“
zu einer Abwärtsspirale kommt und damit einer weiteren Verschlechterung
der Situation der Bewohner_innen. In der Praxis bedeutet dies jedoch
lediglich eine Stabilisierung des Quartiers und eben nicht die
Verbesserungen der Lebensbedingungen der ursprünglichen Bewohner_innen.
Stabilisierung bedeutet soziale, polizeiliche und finanzielle Kontrolle,
damit das Mieter_innenverhalten schön vorhersehbar und gewinnbringend
wird. An der Ursache Armut ändert Quartiersmanagement nichts, es
verdrängt nur die Einkommensschwachen in andere, noch nicht aufgewertete
Bezirke, vornehmlich Außenbezirke.
Darüberhinaus unterstützt der
Fokus der Quartiersmanager_innen auf Kreativwirtschaft und
Dienstleister_innen aktiv die Verdrängung von Kleinbetrieben und für
bürgerliches Empfinden unerwünschten Gewerben wie Sexshops und
Spielcasinos.
Unangenehme Aussichten
In
Berlin öffnet sich die Schere zwischen besseren Wohngegenden in
Innenstadtnähe und schlechteren, die immer mehr an den Rand gedrängt
werden, immer weiter.
Quartiersmanagement verhindert dies nicht,
sondern trägt dazu bei. Die Verdrängung ist politisch gewollt. Wer sich
nicht gegen Investor_innen, neoliberale Stadtplaner_innen und
Quartiersmanager_inne durchsetzen kann, muss gehen. Ein Prozess, der
inzwischen vielen unter dem Schlagwort „Gentrifizierung“ bekannt ist.
Das Quartiersmanagement ist der Motor der Aufwertung der innenstadtnahen
Bezirke, soziale Probleme erscheinen dabei als Hemmschuh. Die Existenz
armer und unangepasster bzw. weniger finanzkräftiger Menschen ist
genauso relavant für Grundstückspreise und Mieten wie Fluglärm oder der
geplante Bau der A 100 in Friedrichshain. Auch Rassismus spielt eine
Rolle. Gegenden, in denen viele Menschen mit Migrationshintergrund
leben, werden in den Medien schnell als Slums der Großstadt bezeichnet,
was erstens falsch und zweitens pure rassistische Hetze ist. In den
vergangenen Jahrzehnten von Integrationsversuchen sollten diese Menschen
so deutsch wie möglich gemacht werden. Doch so deutsch wie möglich wird
eben nie deutsch genug sein.Die sogenannte besserverdienende
Mittelschicht ist auf dem Weg nach Wedding und das Quartiersmanagement
ist schon fleißig dabei, die Gehwege von Hundekot und sonstigem Abfall
zu befreien. Die soziale Frage wird vom Quartiersmanagement nicht
gestellt. Stattdessen werden Fahrradtouren vom Prenzlauer Berg in den
Wedding organisiert, um auf das touristische und wirtschaftliche
Potenzial des Bezirks aufmerksam zu machen.Wer sich nicht nach oben
boxt, wird auch nicht gefördert. Investiert wird nur in die, die nach
Meinung von Senat und Investoren auch eine Zukunft haben. Das ist
Sozialchauvinismus in Reinform.
Eine Berliner HipHop-Gruppe hat es auf den Punkt gebracht:
„Vielleicht fällt nur Licht auf dein Viertel wenn es brennt“.
Quartiersmanagement ist auf jeden Fall für sehr viele kein Lichtblick, sondern der Anfang vom Ende.
Zwei Sachen:
1. Die These, dass die Leute auch heute noch wie damals aus dem P'berg verdrängt werden, ist ein bisschen fragwürdig. Es gab letztes Jahr mal eine Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass es keine Ausweichgebiete mehr gibt, in denen ärmere Leute billigeren Wohnraum finden. Daher würden die Menschen in ihren Kiezen bleiben und den höheren Wohnungspreis durch Überbelegung kompensieren. Hier kann man ein Interview mit den Studienmacher_innen nachlesen: http://neukoellnverteidigen.blogsport.de/2012/07/20/fakten-zur-gentrifizierung/#more-14
2. Es ist sinnvoll, auch mal nächtliche Aktionen in diesem Kontext zu erwähnen und in Erwägung zu ziehen. Letztes Jahr wurde kurz vor dem 1. Mai das Quartiersmanagement im Brunnenviertel entglast: https://linksunten.indymedia.org/de/node/59128