Pforzheim ist eine der deutschen Städte, welche im Zuge der Bombardierungen Ende des Zweiten Weltkriegs zu großen Teilen zerstört wurde. Dies geschah am Abend des 23. Februar 1945. Seit vielen Jahren nutzt der sogenannte „Freundeskreis ein Herz für Deutschland“ (FHD) diesen Tag für eine rechte Fackelmahnwache auf dem Pforzheimer Wartberg.
Hier wird in Ausblendung aller deutschen Schuld den deutschen Opfern durch die Bombardierung gedacht. Der FHD hat die Mahnwache im Voraus bis einschließlich 2020 angemeldet. Die Stadt selbst hat niemals wirklich probiert, die rechte Veranstaltung zu verbieten, vielmehr wird der antifaschistische Gegenprotest kriminalisiert und massiv eingeschränkt. So mussten AnmelderInnen einer antifaschistischen Demonstration im Jahr 2005 noch sogenannte, mit Pforzheim EINMALIGE und später auch für rechtswidrig erklärte, Demonstrationsgebühren von immerhin 150,-€ bezahlen. Demonstrationsrecht für den, der sich`s leisten kann also.
In diesem Jahr kam es erstmals wieder zu einer größeren Mobilisierung zu Gegenprotesten nach Pforzheim. Nicht zuletzt durch Erfolge wie in Mannheim und Dresden, bei denen Veranstaltungen von Neonazis durch zivilen Ungehorsam in Form von Blockaden verhindert oder stark eingeschränkt werden konnten, wächst bei immer mehr Menschen der Mut, gegen Faschisten auf die Straße zu gehen.
Für die diesjährigen Gegenproteste war zuerst eine Kundgebung am Hbf mit anschließendem Demonstrationszug in Richtung Pforzheimer Nordstadt geplant. Da jedoch die Stadtverwaltung eine Demonstrationsroute in die Nordstadt in jedem Fall untersagte und lediglich eine Route durch die Südstadt anbot, beschlossen die AnmelderInnen keine Demonstration, sondern nur eine Kundgebung am Hbf zu machen.
Schon im Vorfeld konnte man über die regionale Presse einen Vorgeschmack auf die Stimmung, die eine/n AntifaschistIn am 23. Februar in Pforzheim erwarten würde, bekommen. Da war die Rede von rechten und linken Chaoten, die man hier nicht haben wolle. Man störe sowohl mit der rechten Veranstaltung als auch mit den linken Protesten dagegen das städtische Gedenken. Hier wurden AntifaschistenInnen mit Nazis gleichgesetzt. Auch wird sich nicht mit der ebenso wichtigen Täterrolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt, sondern lediglich der Opfer auf deutscher Seite gedacht.
Stadt und Polizei schufen mit Drohszenarien in der Pforzheimer Zeitung für eine Stimmung, welche wohl jede/n PforzheimerIn in eine allgemeine Ablehnhaltung gegenüber der GegendemonstrantInnen bringen sollte. So titelte die Pforzheimer Zeitung im Vorfeld „Polizei erwartet mehr Extremisten als je zuvor“. In einem Videobeitrag, der dem Artikel angehängt war, versicherte die Pforzheimer Polizei, dass man mit starken Kräften vertreten sein werde, sodass linke und rechte Gruppierungen auseinander gehalten werden könnten. Annähernd 1000 PolizistInnen aus mehreren Bundesländern sollten eingesetzt werden. Letztlich war die Polizei mit knapp 1600 BeamtInnen im Einsatz. Auch der Pforz-heimer Oberbürgermeister Gert Hager (SPD) stellte den antifaschistischen Protest im Vorfeld mehrmals unter den Generalverdacht des Extremismus, was vielleicht nicht der richtige Weg ist, mit rechten Veranstaltungen und den damit verbunden Gegenprotesten umzugehen.
Am 23. Februar kamen nun um etwa 15.30 Uhr rund 700 GegendemonstrantInnen am Pforzheimer Hbf zusammen und hielten eine Kundgebung ab. Ein Bus mit Gegendemons-trantInnen aus Mannheim wurde schon einige Kilometer vor Pforzheim von der Polizei auf einen Parkplatz gelotst und durfte erst 1 ½ Stunden später weiterfahren, nachdem jede/r PassagierIn sich hatte durchsuchen und abfilmen lassen. Dies führte dazu, dass der Bus erst nach 17.00 Uhr in Pforzheim ankam.
Gegen 17.00 Uhr wurde die Kundgebung am Hbf beendet und es formierte sich ein Demonstrationszug, welcher zügig vom Hbf Richtung Pforzheimer Nordstadt aufbrach. Am Fuße des Wartbergs ging es dann im Zick-Zack den Berg hinauf, bis fast ganz nach oben gab es keine Behinderungen der Demonstration durch die Polizei. Als es dann auf dem Wartberg zu einer Sperrung durch eine Polizeikette kam, entschloss sich die Demonstration, die Kette zu überwinden, was nach kurzer Zeit auch gelang. Hierbei kam es vereinzelt zu Steinwürfen, womit die Polizei jedes noch folgende Vorgehen rechtfertigte. Es ging weiter über einen Feldweg auf die Rückseite des Wartbergs, wo sich die GegendemonstrantInnen über ein Feld einer Sperre durch die Polizei (eine Reihe Bauzäune mit mehreren Reihen PolizistInnen dahinter) näherten. Die regionale Presse berichtete, dass es zu diesem Zeitpunkt zu weiteren Steinwürfen gegen die Polizei gekommen sei. Es waren jedoch lediglich Schneebälle, welche der gepanzerten und behelmten Polizei wohl nicht großartig geschadet haben dürften.
Direkt am Bauzaun reagierte die Polizei daraufhin mit massivem Einsatz von Pfefferspray. Über 400 GegendemonstrantInnen befanden sich in unmittelbarer Nähe vor dem Bauzaun. Von Hinten kamen nun weitere „demonstrationserprobte“ Kräfte der Polizei in einer Kette über das Feld gerannt. Sie schlossen die über 400 GegendemonstrantInnen somit in einem Kessel ein. Jede/r, der nicht gleich in Richtung Bauzaun aufgerückt war und der Polizeikette im Weg stand, bekam mit voller Härte die Antwort – Schlagstock, Pfefferspray und Faustschläge waren die Mittel der eingesetzten BeamtInnen um die GegendemonstrantInnen zusammenzutreiben. Der Kessel wurde geschlossen, lange Zeit wurden Toilettengänge verwehrt. Erst nach 23.00 Uhr, nachdem die Personalien jedes/r GegendemonstrantIn im Kessel festgestellt waren, wurde der Kessel aufgelöst. Diejenigen, die dem Kessel entfliehen konnten blockierten weitere Zufahrtswege zum Wartberg.
Etwa 95 Nazis waren schon mittags mit Privatautos auf den Wartberg gefahren um dort in ihren Fahrzeugen auf den Beginn ihrer Veranstaltung zu warten. Etwa 125 weitere Nazis stiegen in Pforzheim aufgrund der Blockaden auf dem Wartberg gar nicht erst aus dem Zug sondern fuhren weiter nach Mühlacker, wo sie nach Verhandlungen mit Polizei und Stadt eine 10-minütige Fackelmahnwache abhielten und dann wieder nach Hause fuhren. Hierbei handelte es sich hauptsächlich um Nazis aus der Rhein-Neckar-Region.
Auf dem Wartberg führten die anwesenden Nazis ihre Fackelmahnwache durch, jedoch durch die Blockaden mit deutlich weniger Teilnehmern als geplant und nur ermöglicht, durch die frühe Anreise und den massiven Schutz durch die Polizei.
Auch wenn die Fackelmahnwache der Nazis fast wie geplant stattfinden konnte, ist der Tag im Hinblick auf die vielfältigen Aktionen gegen die Nazis und der großen Zahl von GegendemonstrantInnen, die sich in Pforzheim den Nazis entgegenstellten, als Erfolg zu sehen.
Und vielleicht kommt man auch in Pforzheim irgendwann ins Grübeln, ob es bei einer rechten Veranstaltung wirklich nötig ist, den Gegenprotest dermaßen zu behindern und Polizeieinsätze zu befehligen, die über 700 000 Euro kosten.
<3
Danke an alle Teilnehmer für diese tolle Zusammenarbeit und Solidarität.
Ich hoffe wir erreichen in Zukunft eine noch größere Teilnehmerzahl um staatliche Repressionen so stark es möglich ist, zu schwächen und unmöglich zu machen.
Soweit ich mich entsinnen kann, kam es auf dem Wartberg bei der besagten Polizeikette die uns aufhalten wollte, nicht zu steinwürfen.
Dies geschah imo erst im Kessel am Ende.
Trotzdem danke ich allen, die schnell nach dem umstürzen des Bauzauns reagiert haben, und seitlich ausgewichen sind um die Polizeikette in die Nutzlosigkeit zu stürzen.
Solche Aktionen sollten für die Zukunft besprochen und durchgedacht werden, damit es lockerer und schnellerer von der Hand geht.
Li(e)bertäre Grüße aus Stuttgart!
Brille im Kessel gefunden
Wenn jemand ihre/ seine Brille im Kessel verloren hat, bitte in Stuttgart (Linkes Zentrum Lilo Herrmann) melden. Sie wurde gefunden und kann dort abgeholt werden.