In mehreren Städten Ägyptens kam und kommt es heute zu Protesten gegen die Moslembrüder.
Dabei werden Zusammenstösse aus Kairo, Alexandria, Mahalla, Tanta und Kafr El-Zayat gemeldet. Eine erste Zusammenfassung:
In Kairo zogen Tausende zuerst zum Tahrir Platz, später immer mehr Menschen auch in Richtung Präsidentenpalast. Stacheldrahtverhaue werden beiseite geräumt, der black bloc hat ebenfalls zum Präsidentenpalast mobilisiert. Einige erklimmen die Mauer des Palastes, andere bringen Graffitis zum Gedenken an Mohamed al-Gendy, der von den Bullen zu Tode gefoltert wurde, an der Mauer an.
Steine fliegen auf die Bullen und über die Mauer, ein Wachhäuschen fängt an zu brennen. Die Bullen schiessen Tränengas und mit Wasserwerfern, später dann auch aus scharfen Waffen, vorerst in die Luft.
Schon am Nachmittag hatte der black bloc Metrolinien in Kairo blockiert, an anderen Stellen wurde der Autoverkehr zum Erliegen gebracht.
Auf der Kundgebung am Tahrir Platz wurde in Reden und Sprechchören zum gemeinsamen Sturz der Moslembrüder in Tunesien und Ägypten aufgefordert, der Mord an Chokri Belaïd war allgegenwärtig.
Kam es in der Vergangenheit auch schon zu "internationalistischen" Aktionen, zum Beispiel gemeinsamen Angriffen von syrischen und ägyptischen Aktivisten auf die syrische Botschaft in Kairo, so hat der heutige Tag mit dem Aufruf zum gemeinsamen Kampf eine neue Qualität in Sachen "Internationalismus" gebracht.
In Mahalla warfen Demonstranten Molotovs auf das Rathaus und versuchten es zu stürmen, Kämpfe mit den Bullen. Am Mittwoch war dort ein Aktivist, der in der für ihre kämpferische Belegschaft bekannte Mahalla Textile Company beschäftigt ist, von Unbekannten entführt und mit Elektroschocks gefolterert worden. Kollegen hatten ihn später schwerverletzt auf der Strasse liegend gefunden und ins Krankenhaus gebracht.
In Kafr El-Zayat gibt es einen versuchten Sturm auf eine Bullenstation, auch hier Zusammenstösse.
In Tanta, der Heimatstadt von Mohamed El-Gendy, sind Tausende auf den Beinen, wütende Parolen gegen die Bullen, die ihn zu Tode gefoltertert haben. Zusammenstösse, als es Versuche gibt, den Sitz der Provinzregierung zu stürmen.
In Zagazig drängen die Bullen mit Tränengas wütende Angreifer zurück, die versuchen, den Wohnsitz von Mursi zu stürmen. Hier auch Versuche, das HQ des politischen Arms der Moslembrüder zu stürmen.
Auch in Alexandria Proteste und Kämpfe mit den Bullen, wieder einmal ist die Bullenstation in Sidi Gaber das Ziel militanter Angriffe.
Am Mittwoch hatte es in Kairo eine beachtlich grosse Demo mit mehreren tausend Menschen gegen sexuelle Gewalt gegeben.
http://youtu.be/xsRKgp5RHUk
Deutschsprachig haben wir aktuell dazu jenseits der Massenmedien lediglich einen Artikel von H. Wettig in der jungle world zur aktuellen Entwicklung in Ägypten gefunden, indem sie auf die Übergriffe und die Reaktionen darauf eingeht.
Protest gegen Polizeigewalt
09.02.2013 / junge Welt
Ägypten: Protest gegen Polizeigewalt
Kairo. Tausende Menschen haben am Freitag in Ägypten erneut gegen Staatschef Mohammed Mursi demonstriert. In der Hauptstadt Kairo zogen die Protestierenden in einem Sternmarsch auf den zentralen Tahrir-Platz. Auch in mehreren ägyptischen Provinzstädten fanden nach den Freitagsgebeten Kundgebungen statt. Zu den Aktionen hatten 38 Oppositionsgruppen aufgerufen. Sie forderten eine Regierung der nationalen Einheit, Änderungen der Verfassung sowie Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz. Die Demonstranten protestierten auch gegen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte. Zuletzt hatten Polizisten den Aktivisten Mohammed Al-Guindi, ein Mitglied der linksnationalistischen »Volksströmung«, schwer mißhandelt. Der 28jährige starb in der Haft. Vor wenigen Tagen hatten zudem Aufnahmen von Polizisten für Empörung gesorgt. Diese hatte einen 50jährigen Mann beim Präsidentenpalast mit Knüppeln verprügelt, ihm die Kleider vom Leib gerissen und ihn nackt zu einem Transporter geschleift. (AFP/jW)
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Die Muslimbrüder als Partner
29.01.2013/ German Foreign Policy
KAIRO/BERLIN
(Eigener Bericht) - Massenproteste mit zahlreichen Todesopfern überschatten den morgen beginnenden Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Muhammad Mursi in Berlin. Schon letzte Woche gingen Hunderttausende in Ägypten gegen die islamistische Regierung auf die Straße, während in der deutschen Hauptstadt Vorbereitungen für die bevorstehenden Gespräche getroffen wurden. Der Berlin-Aufenthalt des ägyptischen Staatspräsidenten soll vor allem deutsche Geschäfte in dem nordafrikanischen Land fördern, dessen Ökonomie zur Zeit am Boden liegt, auf lange Sicht aber nach Einschätzung deutscher Wirtschaftskreise große Chancen bietet. Die Zusammenarbeit mit Mursi und der hinter ihm stehenden Muslimbruderschaft ist von der Bundesregierung bald nach der Revolte von Anfang 2011 in die Wege geleitet worden; sie knüpft an Konzeptionen an, die deutsche Think-Tanks gemeinsam mit US-Organisationen nach dem Wahlerfolg der Muslimbruderschaft von 2005 entwickelt hatten. Experten warnen ganz ausdrücklich vor einer "positive(n) Bewertung der Muslimbruderschaft"; "autoritäre Tendenzen" seien in ihren Reihen "nicht zu übersehen".
Positive Perspektiven
Der Berlin-Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten, der seit Monaten fest eingeplant ist, soll vor allem der Intensivierung deutscher Geschäfte mit Ägypten dienen. Das Land steckt ökonomisch in einer schweren Krise: Ausländische Investoren halten sich wegen der anhaltenden Massenproteste zurück, der Tourismus ist eingebrochen, der Absturz der ägyptischen Währung treibt die Preise im Land in die Höhe. Andererseits rechnen deutsche Wirtschaftskreise auf lange Sicht mit profitablen Geschäftsmöglichkeiten. "Wirtschaftliche Fundamentaldaten und Potenzial weisen unverändert in Richtung positive Perspektiven", schreibt die bundeseigene Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest: "Deutsche Unternehmen sollten die sich abzeichnenden Chancen nutzen."[1] In einem Presseinterview, das seinen Besuch vorbereiten sollte, hat Staatspräsident Mursi erklärt, die Bundesrepublik habe "viel zu bieten" - "Wissenschaft, Technologie, eine stabile Wirtschaft"; sein Land, das "wichtigste Tor nach Afrika", könne hingegen als "Standort für Investitionen" dienen.[2] Er wünsche, "dass die deutsche Rolle in Ägypten und im Nahen Osten größer wird - wirtschaftlich und politisch", verkündete Mursi: "Wir bewegen uns auf starke Beziehungen mit Deutschland zu, insbesondere beim Transfer von Technologie, vor allem bei Entwicklung und Forschung." Die angestrebte starke wirtschaftliche Position wäre selbstverständlich mit beträchtlichem politischem Einfluss verbunden.
Tatkräftig unterstützen
Mursis Berlin-Reise wird überschattet von Massenprotesten gegen seine islamistische Regierung, bei denen es letzte Woche erneut zu zahlreichen Todesopfern kam. Bereits Ende 2012 waren die Proteste nach einer längeren Unterbrechung wieder aufgeflammt. Sie hatten sich daran entzündet, dass Mursi sich im Herbst quasidiktatorische Vollmachten angemaßt hatte - er hatte die Justiz des Landes faktisch entmachtet. Zudem richteten sie sich schon recht bald gegen die neue Verfassung Ägyptens, die Mitte Dezember schließlich verabschiedet wurde. Die Verfassung ist, nachdem alle liberalen und alle christlichen Delegierten unter lautstarkem Protest aus der verfassungsgebenden Versammlung ausgezogen waren, fast nur von Islamisten verabschiedet worden; Kritiker empören sich darüber, dass sie Möglichkeiten zur Diskriminierung von Frauen sowie zur Beschränkung der Presse- und Religionsfreiheit eröffnet.[3] Auf dem Höhepunkt der Proteste im Dezember hieß es in der Boulevardpresse, Mursis geplante Berlin-Reise werde "als heikel" empfunden, "weil niemand weiß, wie viele Tote es bis dahin in Ägypten noch geben wird."[4] Nach den Demonstrationen der vergangenen Tage mit zahlreichen Todesopfern erklärte Außenminister Westerwelle, Deutschland sei bereit, den "Transformationsprozess" in Ägypten "tatkräftig zu unterstützen": "Der Besuch von Präsident Mursi in Berlin in wenigen Tagen ist eine sehr gute Gelegenheit, darüber intensiv zu beraten."[5]
Dialogforen statt Isolation
Dass Berlin - wie der Westen insgesamt - in den aktuellen Kämpfen zwischen Mursi und seinen unterschiedlichen Gegnern auf der Seite der islamistischen Kräfte steht, ist nach den langen Jahren des sogenannten Anti-Terror-Kriegs überraschend. Die Überlegungen, die dem aktuellen Pakt zugrunde liegen, gehen allerdings bis ins letzte Jahrzehnt zurück. Spätestens nach dem Wahlerfolg der ägyptischen Muslimbruderschaft im Jahr 2005 wurde in westlichen Think-Tanks - auch in deutschen - ausführlich diskutiert, ob man die Islamisten auf Dauer ausgrenzen könne oder ob die Option, mit ihnen ein Machtarrangement zu finden, nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen sei. Derlei Überlegungen stellten etwa die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und das U.S. Institute of Peace (USIP) in ihrem "Transatlantic Foreign Policy Discourse" der Jahre 2006 und 2007 an. Wie es in einer SWP-Studie hieß, die in diesem Zusammenhang 2007 publiziert wurde, sei es "keine Option", die "Muslimbruderschaft zu isolieren". Stattdessen könne man eine "Kommunikation" mit ihr in die Wege leiten; das "Misstrauen", das bei den ägyptischen Islamisten gegenüber dem Westen bestehe, könne "in Dialogforen abgebaut werden".[6] In einer Reihe von Publikationen schlugen damals deutsche Regierungsberater vor, eine engere Zusammenarbeit mit islamistischen Kräften einzugehen: Gemeinsam könne man, so hieß es, die Verhältnisse in der arabischen Welt ohne jeden eigenen Machtverlust stabilisieren. Identische Überlegungen gab es unter anderem in den USA.
Zu schwach
Auf diese Vorüberlegungen konnte Berlin Anfang 2011 zurückgreifen. Recht rasch stellte sich im Verlauf der arabischen Revolten heraus, dass die liberalen urbanen Kräfte, die die Medienberichte im Westen dominierten, sich nicht würden durchsetzen können: Man habe bald erkannt, dass "der (...) protestierenden Jugend die Kraft und Ausdauer zur Organisation ihrer Interessen fehlte", heißt es etwa in einem Bericht des Vorsitzenden der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, der damals zahlreiche Gespräche in Kairo führte.[7] Berlin hielt entsprechend zwar zu den liberalen Kräften Kontakt und stellte ihnen beispielsweise am Tahrir-Platz Räumlichkeiten zur Verfügung ("Tahrir-Lounge"), bereitete aber zugleich die Kooperation mit der Muslimbruderschaft vor (german-foreign-policy.com berichtete [8]) - schließlich kommt es aus Berliner Sicht vor allem auf die Sicherung des eigenen Einflusses an. Wie der Mittelost-Experte Guido Steinberg (SWP) bekräftigt, begann Außenminister Guido Westerwelle dann im November 2011, "die neue Strategie der Öffentlichkeit vorzustellen" - "indem er bestätigte, dass die Bundesregierung Kontakte zur Muslimbruderschaft aufgebaut habe".[9] Als Vorbild nannte man damals die deutsche Kooperation mit der islamistischen AKP des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan.[10]
Autoritäre Tendenzen am Nil
Ein Zwischenergebnis der Kooperation ist in den kommenden Tagen in Berlin zu besichtigen: Die Bundesregierung verhandelt mit Staatspräsident Mursi, gegen dessen islamistischen Kurs in Kairo Massen demonstrieren, über einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen und eine engere politische Zusammenarbeit. Experten warnen davor. "Die positive Bewertung der Muslimbruderschaft und anderer nichtmilitanter Islamisten ist deutlich verfrüht", heißt es etwa in einer aktuellen Analyse. Deren Autor - der Mittelost-Spezialist Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) - urteilt, es sei noch "nicht abzusehen, ob sich die Muslimbrüder in Ägypten in ein stabiles demokratisches System einbinden lassen" oder ob sie stattdessen nicht versuchten, "Konkurrenten auszuschalten". "Autoritäre Tendenzen sind im Land am Nil ebenso wie in der so oft als Vorbild gerühmten Türkei nicht zu übersehen", schreibt Steinberg.[11] Allerdings haben solche Tendenzen Berlin kaum je von einer Kooperation abgehalten - vorausgesetzt, das jeweilige autoritäre Regime war bereit, zumindest den wichtigsten deutschen Forderungen nachzukommen. Wieso Ägypten dabei eine Ausnahme bilden sollte, ist nicht ersichtlich.