„Touristen“ aus dem Kosovo

Roma im Kosovo suchen im Müll nach Brauchbarem. Die Armut treibt viele Angehörige dieser ethnischen Minderheit auf den Weg nach Westeuropa
Erstveröffentlicht: 
21.10.2012

In Freiburg gibt es kaum noch Aufnahmekapazitäten für ROMA-MIGRANTEN
Die Stadt Freiburg sieht sich seit einigen Wochen mit einer zunehmenden Zahl von Zuwanderern aus Ex-Jugoslawien konfrontiert.
Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach bezeichnet die Situation als brisant. Mit Hilfe aus Stuttgart ist kaum zu rechnen.


Als in der vergangenen Woche die Freiburger Stadtverwaltung einen Preis der Europäischen Union für die Integration von Roma-Flüchtlingen erhielt, wies von Kirchbach bereits darauf hin, dass die Aufnahmekapazitäten vor Ort erschöpft seien. In einem Gespräch mit Der Sonntag präsentierte er diese Wochen Zahlen: Von Jahresbeginn bis zum 1. August sollen rund 70 Roma aus dem Kosovo, Mazedonien oder Serbien vor den Türen der Freiburger Flüchtlingswohnheime gestanden haben. Im August und September baten erneut ungefähr 70 Zuwanderer aus Ex-Jugoslawien um Zuflucht, allein diesen Monat erhöhte sich ihre Zahl wieder um rund 70 Personen.

Die Migranten hätten stets keine Pässe bei sich, und es ist kein Geheimnis, dass Mund zu-Mund-Propaganda ihnen vermittelt, die Chance, bleiben zu können, sei in kaum einer anderen deutschen Stadt so groß wie in Freiburg. Bereits am Dienstag hatte allerdings der Freiburger Gemeinderat eine neue Resolution zu den Roma-Flüchtlingen verabschiedet und, so von Kirchbach, auch an die Bundesregierung appelliert, sich des Themas anzunehmen und eine gemeinsame Roma-Politik innerhalb der Europäischen Union zu forcieren.

„Die Armutsprobleme der Roma auf dem Balkan und in Osteuropa können nicht in Freiburg gelöst werden“, sagte Ulrich von Kirchbach am Freitag. Die Situation in den Wohnheimen an der Bissierstraße, am Flugplatz, an der Hammerschmiedstraße und auf der Haid sei derzeit alles andere als gut, aber von Kirchbach warnt, in der Öffentlichkeit von einer „menschenunwürdigen Situation“ zu sprechen: „Es ist wichtig vor allem für die seit den Kriegswirren auf dem Balkan bei uns lebenden Roma, dass die Stimmung in der Stadt nicht kippt.“

Wie schon öfter berichtet, hat nur knapp mehr als ein Drittel der rund 1000 in Freiburg Zuflucht suchenden Roma ein längerfristiges Bleiberecht. Die größte Gruppe der Roma ist nur geduldet, ihr droht kurz- oder mittelfristig die Abschiebung. Sowohl die Bundes- als auch die Landesregierung in Stuttgart vertreten die Ansicht, dass die derzeitige politische Situation im Kosovo es nicht mehr rechtfertige, den von dort wegziehenden Roma Asyl in Deutschland zu gewähren. Das Regionale Bündnis gegen Abschiebungen Baden-Württemberg kritisierte hingegen in einer Presseerklärung, dass am Donnerstag diese Woche vom Baden-Airpark in Söllingen rund 80 Roma in den Kosovo abgeschoben worden seien. Laut von Kirchbach aber waren kaum in Freiburg sich aufhaltende Roma betroffen: „Während der vergangenen Monate gab es aus Freiburg nur wenige Abschiebungen in Einzelfällen.“

Angesichts der erneut entstandenen schwierigen Situation will das Freiburger Rathaus seine Politik bezüglich der Roma-Zuwanderung aus Serbien, Mazedonien und dem Kosovo notgedrungen ändern: „Wir werden die neu angekommenen Menschen als Touristen behandeln“, sagt von Kirchbach. Das kann für diese Menschen nur bedeuten, dass sie auf eigene Faust klarkommen müssen. Viel Verständnis bei der Landesregierung in Stuttgart scheint es für die Freiburger Problematik nicht zu geben: Das Innenministerium fühlt sich für die Roma nicht zuständig, das Integrationsministerium teilte auf Anfrage in dürren Worten mit: „Personen, die in der Regel keinen Asylantrag gestellt haben, werden seit 1. April 2012 auf die Asylbewerberquote der Stadt angerechnet, so dass Freiburg dafür entsprechend weniger Asylbewerber aufnehmen muss. Das gilt allerdings nicht für diejenigen, die bereits vor diesem Zeitpunkt in Freiburg gelebt haben.“ Einfacher formuliert: Wegen der Roma muss Freiburg weniger Asylbewerber aufnehmen.Aber: Nur Kosten für Asylbewerber werden einer Kommune erstattet.

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