Drum Linkspartei?

Einladung zu den Vorträgen und Diskussionen des

Jour fixe

Im Herbst / Winter 2012 /2013

 

Das kommentierte Programm unter: www.isf-freiburg.org

 

„Es ist offenbar, daß alle sog. allgemeinen Interessen der Gesellschaft, die der Staat angeblich vertritt, eine Abstraktion, eine Fiktion bilden und der Staat  

gleichsam eine große Schlächterei und ein ungeheurer Friedhof ist“  

Michael Bakunin

 

Drum Linkspartei?

„Wo Dein Platz, Genosse, ist“: im Elend der deutschen Sozialdemokratie

 

Wie ungerecht die Welt eingerichtet ist, das erfährt jeder jeden Tag aufs Neue. Gewiß, man betrügt sich gerne um diese traurige Wahrheit, belügt sich selbst, um nicht grün zu werden vor Neid oder rot vor Ärger. Um nicht aus der Haut zu fahren, mißt man die Welt an dem Maß, auf das sie selbst sich geeicht hat, fragt sich Fragen, deren Antwort man je schon weiß: Sollte nicht, wer gute Arbeit leistet, auch gutes Geld verdienen? Einen Platz an der Sonne gleich neben Familie Geissen? Aber am Starnberger See und auf dem Killesberg ist alles vergeben: das wurmt und nagt. Insbesondere stößt auf, daß die Leute, so gleich sie vor dem Gesetz sind, doch ihre Individualität nicht loswerden; die einen lieben Malle, die andern zieht es in den Bayerischen Wald, und wer kulinarisch den Weißwurstäquator nicht überschreiten kann, der schwört auf Demeter. Auch wenn der Staat des Grundgesetzes die abstrakte Freiheit eines jeden garantiert, so heißt das noch lange nicht, daß er ihn auch alimentiert und die Penunse spendiert, die man zur Verwirklichung seiner Wahl- und Handlungsfreiheit braucht. So scheint das Versprechen, daß alle Gewalt vom Volke auszugehen habe, an der je individuellen Zahlungsfähigkeit zuschanden zu gehen. Was liegt näher, als diesen schreienden Widerspruch nach Maßgabe seiner selbst zu skandalisieren? Was, als den Staat moralisch zu verklagen, ihn für die Kluft, die sich zwischen Sollen und Sein, zwischen Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit auftut, rigoros zur Rede zu stellen? Was, als den Staat als die Selbstverwirklichungsanstalt des Volkes zu beschwören? Und: Wären nicht die Sorgen und Nöte, die die Nation umtreiben, ganz einfach zu beheben, wenn sich das Volk tatsächlich vereinigen und seinen Staat endlich als den Staat des ganzen Volkes einrichten könnte?

 

Das ist der Stoff, aus dem die Träume der Sozialdemokratie sind, die fatale Utopie, die von August Bebel über Gustav Noske bis Gregor Gysi, von Lassalle über Lenin bis hin zu Lafontaine die Quintessenz der linksdeutschen Ideologie ausmacht: die Utopie der Volkssouveränität, die so gutmütig daherkommt, wie sie auf Wahn programmiert ist. Ihre Konstruktion scheint so evident, daß sie im Prinzip immer die selbe ist, ob nun bei der klassischen Sozialdemokratie, bei ihrem staatskapitalistischen Doppelgänger, der SED, oder bei den sozialistischen Marktwirtschaftlern von der Linkspartei, von ihrem trotzkistischen oder gleich ml-stalinistischen Escort-Dienst ganz zu schweigen: zuerst wird die Kritik der politischen Ökonomie auf eine Kritik der von der Souveränität abgespaltenen, als solcher gar nicht denkbaren „reinen“ Ökonomie depotenziert, dann werden Begriff und Sache der Kritik zur verständigen Theorie und zur Ermächtigung, die Menschenrechte des „werktätigen Volkes“ einzuklagen, verniedlicht, schließlich wird das Geld auf seine Bestimmung als Maß und Tauschmittel reduziert, um so die Kritik der politischen Ökonomie als Kritik der politischen Ökonomie rückstandslos zu entsorgen und mit Propaganda und Wahlkampf zu beginnen. Kolportiert wird sodann, ein gewisser Marx habe wissenschaftlich einwandfrei bewiesen, daß aller Wert aus Arbeit stamme, daß trotzdem die Arbeiterklasse übervorteilt werde, daß sich endlich ein gerechter Lohn, d.h. gutes Geld für gute Arbeit gehöre, denn: heißt es nicht schließlich „Volkswirtschaft“? Aber weil die Kapitalisten in ihrer Profitgier die Arbeiter permanent betrügen, müsse endlich der Staat nachhelfen – an sich kein Problem, weil die Staatsorgane letztlich ja gewählt würden und die Arbeitnehmer nach den Maßgaben des allgemeinen und gleichen Wahlrechts gegenüber den Arbeitgebern die Mehrheit stellten, würden sie nur ihrer „objektiven Interessen“ inne.

 

Die Partei etabliert sich als die Vermittlung zwischen dem traurigen Sein und dem utopischen Sollen des Staates, der ganz selbstverständlich als technischer Apparat seines Staatsvolkes vorausgesetzt wird; und deren Brotarbeit besteht nun darin, von Parteitag zu Parteitag, von Skandal zu Skandal, von Wahl zu Wahl mit unendlicher Geduld auf diesem vorgeblichen Widerspruch herumzureiten. Und damit ist das Programm schon fix und fertig, die Rezeptur jeder nur möglichen Sozialdemokratie zubereitet und eine Perspektive eingerichtet, die ihre zwanghafte Evidenz wie logische Konsistenz daraus gewinnt, daß alle diese Elemente auf ihr absolut negatives Kraftzentrum ausgerichtet sind: auf die Identifizierung von Volk und Staat im Staat der Nation. So, durch eine „Opposition“ hindurch, die Fleisch vom Fleische ist, kommt die Souveränität als die Wirklichkeit des „Selbstbestimmungsrechts des Volkes“ zu ihrer durchschlagenden Geltung.

 

Zum notorisch guten Gewissen, mit dem die Linkspartei ihren Brotberuf betreibt, zum moralischen Überbau, der ihr Gewerbe als ehrlicher Makler der Ware Arbeitskraft beflügelt, zu ihrem unermüdlichen Geklingel von wegen „gutes Geld für gute Arbeit“ gehört unabdingbar, schon der Traditionsbildung halber, eine gewisse Koketterie mit Marx, dem man gerne bekannt sein möchte, wenn auch nicht allzu intim. Denn den Staat an und für sich läßt man sich nicht miesmachen, auch nicht von Marx, wenn der etwa bemerkt: „Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, daß statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staats, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen.“ Denn wer sich als Sozialdemokrat, der es ernst meint, auf die, wie es seit Karl Kautsky und mit Stalin heißt, „sozialistische Anwendung des Wertgesetzes“ von Staats wegen kapriziert hat, läßt sich den Schneid nicht nehmen, wenn man auch selbstkritisch bereit ist, da und dort verbale Konzessionen zu machen. So heißt es dann im Erfurter Programm der Linkspartei: „Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, sondern von einer Staats- und Parteiführung autoritär gesteuert wird, muß früher oder später scheitern. Ohne Demokratie kein Sozialismus“. So will man den Staatlichkeitswahn Stalins von sich abspalten, um guten Gewissens Etatist bleiben zu können. Das Linksprogramm ist danach: ein schlichtweg unlesbarer Wortsalat, der Gesinnungsrhetorik mit sozialtherapeutischer Reklamesprache auflädt und diese Mixtur wiederum derart mit Erregung, Ethik und Empathie verquirlt, daß man sich gar nichts mehr zu merken braucht, weil man das alles längst kennt, insbesondere deswegen, weil Lafontaine schon je die „Politik für alle“ forderte und Sahra Wagenknecht von der „Kommunistischen Plattform“ längst zum AgitProp für Ludwig Erhardt und die „soziale Marktwirtschaft“ avanciert ist.

 

Die politische Evidenz, mit der „Die Linke“ hausiert, besteht aus nichts als aus der für Verkaufszwecke moralisch aufgehübschten „Alltagsreligion“ (Marx) der Ideologie, die zur kapitalen Vergesellschaftung paßt. Und weil sie nicht den Anflug einer Ahnung davon besitzt, daß sie als radikale Fürsprecherin der Ware Arbeitskraft ein unabdingbares und notwendiges Moment deren Affirmation, Reproduktion und Verewigung ist, kann sie auch keinen Begriff von Politik haben, der irgend mit materialistischer Aufklärung zu tun hätte. Sie empfindet sich vielmehr in aller leidenschaftlichen Naivität als Opposition, nicht als fatalen Reflex der Oszillation zwischen Sein und Sollen selbst, in der sich die Politik notwendig bewegt; sie fühlt sich als der geborene Widerpart der „herrschenden Klasse“, keineswegs als organischer Teil des Spiegelspiels der Politik selbst, das in der produktiven Verdoppelung all dessen besteht, das zwar ohnehin der Fall ist, das allerdings ohne die politische Konkurrenz doch in die Sphären von Legitimität und Legalität gespalten wäre, damit noch krisenanfälliger wäre als ohnehin. Dagegen stellte Johannes Agnoli in seiner „Transformation der Demokratie“ 1968 fest: „Nicht zufällig vollzieht sich die consensusbildung in einem parlamentarischen Verfassungsstaat selbst während der härtesten Wahlauseinandersetzung zwar in Polarisierung, aber gleichzeitig in der Verdoppelung der Anerkennung zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Zur Logik des Systems gehört keineswegs eine universalunilaterale Art des consensus, die nur eine Partei meint und jede Opposition ausschließt. Als adäquat erweist sich vielmehr die Verdoppelung innerhalb der consensusbildung selbst.“ Agnoli sprach von der SPD als der Arbeitnehmerpartei” des Godesberger Programms, deren Testamentsvollstrecker die Linkspartei gerne sein möchte – und von der Reproduktion der kapitalisierten Gesellschaft durch das Einverständnis, das als Protest auftrumpft. Eben darin vollendet sich die politische Souveränität des Kapitals, um die es der Linkspartei so sehr zu tun ist, daß ihr die Revolution gegen die Lohnarbeit schnurz ist, daß sie vielmehr das Recht auf gute, existenzsichernde Arbeit“ fordert, auf „gute Arbeit für alle, aber weniger Arbeit für die Einzelnen – das wollen wir als neue Vollbeschäftigung. ‚Die Linke‘ steht für die Umverteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung, für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit und einen existenzsichernden, gesetzlichen Mindestlohn.“ Indem sie politisches Kapital aus den Leiden der Lohnarbeit schlagen will, bereitet sie, wie schon die SPD der Weimarer Zeit, die Verwandlung der Arbeiter in „Soldaten der Arbeit“ vor.


konformistische Rebellion für die Verwirklichung der Volkssouveränität an – da wäre es ein blaues Wunder, wäre die Partei keine Brutstätte des Antisemitismus, wenn auch in all den Geschmacksrichtungen, die der ehrbare Antizionismus seit je bereithält. Als etwa Oskar Lafontaine 2009 in Frankfurt mit Eiern beworfen wurde, weil seine chauvinistischen Ausfälligkeiten gegen Fremdarbeiter” noch nicht ganz vergessen waren, da platzte seinem Kollegen, dem Bundestagsabgeordneten Dieter Dehm, der Kragen: das sei das Werk militanter Anhänger von israelischer Regierung und Geheimdienst unter dem Decknamen ‚antideutsch‘”, denn diese wollten „vernünftige nationalstaatliche Sozialstandards dem EU-Neoliberalismus opfern“. Natürlich, einer wie Dehm würde es sich verbitten, des Antisemitismus gescholten zu werden – aber als Fan des deutschen Volksstaates besitzt er ein untrügliches Gespür für die Einheit von guter Arbeit und guter Herrschaft, deren Vorzüge sich naturgemäß nur, und ex negativo, an Juden illustrieren lassen, die seit Nazi-Zeiten als die „antideutsche Hetzclique“ par excellence herzuhalten haben, an Israel sowieso. So kommt es, daß man nicht mehr weiß, was schlimmer ist: die antisemitische Agitation selbst oder die von Herzen kommende, zutrauliche Gutmenschelei, mit der sie getrieben wird.

 

Natürlich besteht diese Linke auf der feinsinnigen Unterscheidung von Antisemitismus und Antizionismus. Wer erinnert sich nicht an die Erklärung aus dem Ortsverband Duisburg der Partei, mit der man sich 2011 von einem Flugblatt auf ihrer WebSite, das Hakenkreuz und Davidsstern in inniger Verschlingung zeigte, distanzierte: „Antisemitismus hat keinen Platz in der ‚Linken’, das war immer so und wird immer so bleiben“ – allerdings ist dies nicht nur empirisch hundertfach widerlegt, sondern überdies logisch unmöglich. Denn wer ein Programm unterschreibt, das gegen die unmittelbare Allgemeinheit, als welche sich der prozessierende Wert im Geld und im Führungspersonal der Staatsorgane setzt, gar nichts einzuwenden hat, das vielmehr gutes Geld und gute Herrschaft anstrebt, der muß in der Fluchtlinie seiner eigenen Logik entweder verstummen oder als Antisemit (und ergo: Antizionist) enden. Wer das gute Geld, den gerechten Tausch und das produktive Kapital liebt, der wird den Zins, den Zinzeszins, die Spekulation, die Börse usw. hassen müssen; und eben darin besteht die zwanghafte Logik der deutschen Ideologie auch in ihrer sozialdemokratischen Spielart. Wer „Volk“ sagt und sich als Politiker nicht von vornherein in ethno- und anthropologischen Belanglosigkeiten verlieren will, der ist gezwungen, die vollendete Negativität dieses Begriffs durch Feindbestimmung und Rassifizierung einzuholen, also genötigt, den schmerzlichen Mangel eigener, unmöglicher Identität durch die putative Notwehr gegen das „Staatsgebilde“ der jüdischen „Gegenrasse“ militant zu überspielen: das ist der gesellschaftliche Gehalt der sog. „legitimen Israel-Kritik“ als einer linksvölkischen Mobilmachung. So jedenfalls erfüllt die Partei den Auftrag, den ihr der Staat erteilt hat, die Pflicht nämlich, wie es im Parteiengesetz heißt,  „an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken“, damit sie in eben die Souveränität einmündet, die in letzter Instanz über Leben und Tod entscheidet. So bietet sich den Freunden einer „Herrschaft mit menschlichem Antlitz“ (Agnoli) eine glänzende Perspektive, wenn es ihnen nur gelingt, den Wahn vom Volkssouverän auf die Spitze zu treiben. Denn wenn sich der linke Gesinnungspöbel in Zukunft nicht allzu tölpelhaft anstellt, dann könnte es diesem Wahlverein aus DDR-Nostalgikern, Nationalbolschewisten, Antizionisten und den vielen anderen, auf ihre je originelle Weise unnachahmlich verwirrten Sozialdemokraten doch noch gelingen, dem Original mit dessen eigenen Phrasen, nur eben „glaubwürdiger“, entscheidende Prozente abzujagen: so, wie es einst die „Grünen“ vormachten, als sie sich zur „Anti-Parteien-Partei“ proklamierten, um sodann die Kretschmanns, die Trittins, die Claudia Roths und all die prompten Dieter Salomons zu zeugen.

 

Denn die fixe Idee, am Staat zwischen Sein und Sollen erst zu unterscheiden, dann zu vermitteln, bedarf an der Schnittstelle allerhand Organisatoren und Bürokraten sowie einer Menge wissenschaftlicher Hilfskräfte, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung so zärtlich düngt und züchtet wie nur die Ebert-Stiftung des Originals, rekrutiert aus einer Masse theoriewütiger Akademiker, die sich mit einem absichtlich irgendwie mit Marx klingelndem Vokabular darin überbieten, die traurige Tatsache vergessen zu machen, daß die kommende Avantgarde doch nur aus konkurrierenden Bittstellern bestehen wird. So wird die Linkspartei am Ende doch noch das Erbe der deutschen Arbeiterbewegung antreten können, das, wie ein Kritiker pünktlich am Vorabend des Ersten Weltkriegs bemerkte, darin besteht, daß die Dirigenten ständig wechseln, während das Orchester die immer gleiche Volksmusik spielt.

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das is schlecht lesbar...und jetz nich wegen die schriftart