Dr. Jekyll & Mr. Nazi? Neonazis tätowieren in Celle

Nazis kein ruhiges Hinterland

Am 3.9.2011 eröffneten Janice Kaufmann und Christian Heidrich einen Tattoo-Shop in der Hannoverschen Straße 9, direkt gegenüber dem KAV-Gymnasium. Die CZ berichtete hierüber am 30.11. mit einem halbseitigen Artikel auf ihrer Jugendseite CickZack. Warum die beiden Tätowierer _innen ihren Laden „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ genannt haben, wurden sie von den CZ-Reporter_innen aber vermutlich nicht gefragt. Vielleicht wären die beiden aktiven Neonazis Kaufmann und Heidrich daraufhin auch kurz ins Stocken geraten, steht der Name „Jekyll & Hyde“ doch symbolisch für eine doppelgesichtige Geschichte, in welcher sich hinter bürgerlich-gutherziger Fassade eine menschenverachtende Persönlichkeit versteckt.

 

Der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz lässt sich nämlich auch hinter der Fassade ihres Celler Tattoo-Shops finden. Neben der längst im gesellschaftlichen Trend liegenden Tätowierung, gibt es hier die Naziideologie für den eingeweihten Kunde_innenstamm gratis dazu;

 

laut Gerüchten gerne auch in Form von Tattoos mit klassischer Nazisymbolik. Verwunderlich ist dies kaum. So sind Janice Kaufmann und Christian Heidrich breit vernetzte und medial bekannte Nazis.

Mit ihrem Laden bieten die beiden nun einen neuen Anlaufpunkt für die Naziszene, ihre verstärkte Organisierung, wie auch eine Plattform zur Verbreitung ihrer Ideologie. Betrachtet man die stetig wachsende Freundesliste auf Facebook, scheint diese Taktik schon nach knapp einem Jahr mehr als erfolgreich. Neben bekannten Neonazis wie Helge Grotjans oder rechten Onlineshops wie dem Adlerversand, posten hier täglich Neukund_innen, wie gut ihnen der Shop gefällt. Auf diese Weise verschwimmen die Grenzen zwischen Neonazis und Tattoo-Liebhaber_innen zu einer undurchsichtigen Grauzone.

 

Das „Sich-Einrichten“ in der Grauzone kann als aktuelle Strategie organisierter Nazistrukturen betrachtet werden, um sich gesamtgesellschaftlich zunehmend Räume zu erschließen. Dass es sich bei den Betreiber_innen des „Jekyll & Hyde“ um Mitglieder solcher Nazistrukturen handelt, zeigt sich anhand ihrer bisherigen und aktuellen Aktivitäten.

 

Die 30-Jährige Janice Kaufmann ist im Raum Celle bereits seit Langem als Mitglied der rechten Szene bekannt und noch viel länger als solches aktiv. Ins Blickfeld der Lokalmedien gerät sie 2006, als sie an ihrem 25. Geburtstag, dem 10.11.06, vor der damaligen Rechteszene-Kneipe „Bayrische Botschaft“ eine Hetzjagd auf kurdische Passanten initiiert, für die sie im Folgejahr verurteilt wird (vgl. Revista 39; TAZ 16.11.2006).

 

Als aktive und ideologisch gefestigte Anhängerin der rechten Szene trat Kaufmann aber bereits lange zuvor auf. Neben diversen Naziaufmärschen im gesamten norddeutschen Raum, gehören für sie die alljährlichen Besuche der Sonnenwend- und Erntedankfeiern auf dem Hof des bekannten Nazis Joachim Nahtz in Eschede zum Pflichtprogramm. Im Rahmen solcher Veranstaltungen zeigt sich Kaufmann stets gut vernetzt: Regionale und überregionale Kontakte zu Kameradschaften – vor allem natürlich der Kameradschaft 73, der sie selbst zuzurechnen war, und den Snevern Jungs – sind für sie ebenso selbstverständlich, wie der Besuch von Nazi-Konzerten.

 

Lange Zeit teilte sie diese Aktivitäten mit ihrem früheren Lebensgefährten Dennis Bührig, der seit Mitte der 1990er Jahre zunächst in Celle und später im gesamten norddeutschen Raum als organisierter Kameradschaftsnazi aktiv ist. Diese Verbindung, wie auch Kaufmanns eigene Naziaktivitäten, sind im Celler Raum seit einer Outing-Aktion Ende des Jahres 2006, vor der damals gemeinsamen Wohnung in der 77er Straße, offenkundig (vgl. CZ 5.1.2007 ; Revista 34). Ins Visier gerät sie, weil sie an vorderster Front dabei ist, als die damals bekanntesten Celler Neonazis Klaus Hellmund und Dennis Bührig zu Beginn desselben Jahres die Celler Kameradschaft 73 nach einer längeren Haftstrafe Hellmunds wieder reaktivieren wollten. So legte sie am 11. März 2006 beim „Heldengedenken“ in Halbe einen Kranz im Namen der Kameradschaft nieder (vgl. Foto „Heldengedenken“ in Halbe). Auch beim Naziaufmarsch in Celle im Dezember 2006 marschiert Kaufmann in der ersten Reihe hinter dem Banner vom „Nationalen Widerstand Celle“ (vgl. Revista 34). Daran zeigt sich, wie sehr sie bereits zu diesem Zeitpunkt in der Szene verankert war.

 

 

Dies wird auch deutlich, als sie 2008 in Eschede, neben Maria Knoch, als Hauptverantwortliche der neu ins Leben gerufenen, völkischen Frauen-Vereinigungen Düütsche Deerns in Erscheinung tritt. Gemeinsam mit einer Kameradin aus diesen Zusammenhängen besucht sie im März 2009 die Extremismus-Ausstellung in der CD-Kaserne und ist auch ansonsten bei den Ausflügen der Gruppe dabei. Ebenso gehört sie zum viel älteren Frauennetzwerk Gemeinschaft Deutscher Frauen, das für die Verbreitung der Naziidiologie und vor allem deren Weiterreichen an die nächste Generation bereits lange eine bedeutende Rolle in der Naziszene spielt. Ruhiger wird es um Kaufmann, als sie mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem mittlerweile zum norddeutschlandweit führenden Nazikader aufgestiegenen, Dennis Bührig und der gemeinsamen Tochter ins ländliche Bröckel bei Celle zieht. Das Nazipaar trennt sich Ende 2009/Anfang 2010, woraufhin Bührig nach Wathlingen zieht, wo er bis heute lebt. Kaufmann bleibt (ebenfalls bis heute) in der Wohnung in Bröckel. Von einer Distanzierung zur Neonaziszene kann trotz Trennung nicht die Rede sein: Auch 2010 ist sie bei den obligatorischen Terminen der rechten Szene auf Hof Nahtz anzutreffen. In dieser Zei gerät die gesamte Celler Naziszene in Rotation; Freundschaften und politische Verbindungen scheinen sich neu zu organisieren, alte Bekannte werden nie wieder zusammen gesehen und neue Gesichter zeigen sich in der Stadt.

 

Eines der neuen Gesichter ist Kaufmanns neuer Lebensgefährte Tobias Koßmann.

Ganz im Sinne völkisch-nationalistischer Frauenorganisationen, ist auch Kaufmanns neuer Partner ein Neonazi, der fest in der Szene verankert ist. Als Verbindungsstelle des Nazipaares lässt sich, neben dem gemeinsamen Interesse an Tätowierungen, die gewaltbereite Kameradschaft der Snevern Jungs (aktiv in Schneverdingen und Umland) ausmachen. Spätestens seit dem Wiedererstarken der K73 im Jahr 2006 arbeitete Kaufmann mit den Snevern Jungs in politischen Kontexten eng zusammen. Koßmann wiederum ist dem Kreis der Schneverdinger Kameradschaft zuzurechnen. Bereits lange ist er mit dem führenden Snevern Jungs Kader Markus Schindler befreundet. Beide zeigen sich im Internet immer wieder gerne in freundschaftlicher Pose im Duett. Markus Schindler ist außerdem Gitarrist der Neonaziband „Alte Schule“ und regelmäßig auf internationalen Veranstaltungen der Blood & Honour Szene anzutreffen. Koßmann, der gemeinsam mit Kaufmann in Bröckel wohnt, gehört, ebenso wie sie selbst, dem inneren Kreis der norddeutschen Neonaziszene an. Nicht nur sein Freundeskreis, sondern auch der Besuch von Naziaufmärschen zeugen hiervon. Mit Tobias Koßmann hat Kaufmann einen neuen Lebensgefährten, mit dem sie ihre Nazi-Aktivitäten fortführen kann. So besuchten die Beiden unter anderem im März 2012 eine NPD-Faschingsfeier im Thinghaus in Grevesmühlen, sowie die Sonnenwendfeier im Juni 2012 auf Hof Nahtz in Eschede.

 

Enge Verbindungen ins Schneverdinger Umland hat auch der zweite Mann in Kaufmanns Leben, ihr Geschäftspartner Christian Heidrich. Christian „Heidi“ Heidrich, aka „Mr. Blonde“ oder „Dr. Hate“, nach eigener Angabe 1980 geboren, gehört schon lange zur alteingesessenen Nazi-Szene der Regionen Hildesheim und Munster.

Bereits seit 10 Jahren zeigt Heidi sich immer mal wieder auf Naziaufmärschen im Bundesgebiet, darunter in Magdeburg 2005 in direktem Gefolge des kürzlich als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verhafteten Holger Gerlach (vgl. Foto „Naziaufmarsch in Magdeburg 2005“), aber auch gemeinsam mit seinem langjährigen Chef, dem Neonazi Hannes Franke.

 

Hannes Franke ist Besitzer des Tattoostudios Bulletproof in Munster, in welchem Christian Heidrich auch aktuell an zwei bis vier Tagen die Woche Tattoos sticht. Ins Visier der Medien geriet der Laden aufgrund seines Betreibers, denn Franke wurde bereits im Jahr 2000 wegen der Veröffentlichung des Blood & Honour-Magazins „Axtschlag“ verurteilt. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, die verbotene Organisation „Blood & Honour“ weiterhin fortzuführen, sodass Franke sich immer wieder wegen „Blood & Honour“-Verstrickungen zu verantworten hatte. Laut NDR-Info 2008 soll er Anweisungen gegeben haben „abtrünnig gewordene „Blood & Honour“-Mitglieder“ abzustrafen.

 

 

In direktem Zusammenhang mit dem „Bulletproof“ steht der Munsteraner Laden „Dezentral“, mit dem sich der Tattoo-Shop anfangs sogar eine gemeinsame Gewerbefläche teilte. Beim „Dezentral“ handelt es sich um einen Militärausrüster, der von Frankes Freund Johannes Knoch betrieben wurde. Gemeinsam eröffneten die beiden auch eine Schule für Nahkampf, die „Close Combat School“ in Munster. An den vom Kampfsport-Nazi Knoch durchgeführten, paramilitärischen Übungen nahmen auch Mitglieder der organisierten Naziszene teil. Knoch gehörte neben der Nahkampfschule auch ein Tattoo-Shop in Hildesheim, der „Last Resort“. In diesem arbeitete der heute in Celle tätige Christian Heidrich ab 2000 mindestens zehn Jahre. Bis heute ist Heidrich mit den Angestellten dieses Ladens via Facebook befreundet. 2002 wurde der „Last Resort“ von der Polizei durchsucht, weil Knoch verdächtigt wurde, die verbotene Organisation Blood & Honour weiterzuführen. Hinsichtlich dieses Verdachts wurde er 2008 verurteilt. Ein Jahr später wurde der Hildesheimer Tattoo-Shop von Antifaschist_innen als Anlaufpunkt von Neonazis geoutet. Im Zuge des Outings, das den Titel „Nazis, Tattoos, Paramilitärs...?“ trägt, wurden die Hintergründe der weit verstrickten Neonazigeschäfte um Knoch und Franke offen gelegt (http://akahi.blogsport.de/images/NTPk.PDF).

 

 

Christian Heidrich arbeitete sowohl mit Franke, als auch mit Knoch mehrere Jahre zusammen. Dass auch er rege Kontakte innerhalb des verbotenen, aber immer noch bestehenden Blood & Honour-Netzwerkes pflegt, liegt auf der Hand (vgl. Foto „Christian Heidrich bei einer Blood & Honour-Zusammenkunft“). Bereits die Hildesheimer Kampagne wies darauf hin, dass Heidrichs Geschäftsfreunde Knoch und Franke sich außerdem verstärkt um Kontakte in der Rockerszene bemühen und ebensolche zum jüngst aufgelösten Charter der Hells Angels Hannover pflegen. Auch auf der Eröffnungsfeier des „Jekyll & Hyde“ begrüßten Heidrich und Kaufmann Gäste, die via T-Shirt ihre Unterstützung dieser Szene kundtaten.

 

Die weitreichenden Kontakte von Christian Heidrich und Janice Kaufmann und die Tatsache, dass in ihrem Umfeld immer wieder organisierte Neonazis auftauchen, zeigen deutlich was es mit dem „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ in der Hannoverschen Straße 9 auf sich hat: Das Tattoostudio finanziert aktive Neonazis und ihre Strukturen. Zudem bietet ein Ladengeschäft in Celle der rechten Szene einen Treffpunkt und somit die Möglichkeit Strukturen regionaler Neonazis zu stärken.

 

Seit mehreren Jahrzehnten gibt es in Celle eine Kontinuität aktiver Neonazistrukturen.

Über wechselnde Organisationsformen versuchen sie Nachwuchs zu gewinnen und ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten. Als Beispiele seien hier die Freie Nationale Jugend Celle, die Kameradschaft 77 und die Kameradschaft 73 genannt. Heute noch öffentlich aktiv sind die Freien Kräfte Celle, die nach der Auflösung der K73 gegründet wurden und im Internet mit dem „Infoportal-Celle“ vertreten sind.

Kontinuität zeigt sich auch in den Bemühungen der regionalen rechten Szene um einen Treffpunkt, in dem Nachwuchs geschult werden kann. Seit das Schulungszentrum in Hetendorf aufgelöst wurde gab es immer wieder Versuche einen solchen Ort zu schaffen. Zuletzt versuchten junge Neonazis durch die Besetzung eines Hotels in Gerdehaus einen „nationalen Freiraum“ zu erlangen. Bisher gibt es in der Region um Celle zwar noch kein neonazistisches Schulungs- oder Jugendzentrum, aber trotzdem bieten Aufmärsche, Konzerte und die Sonnenwend- und Erntedankfeiern auf Hof Nahtz in Eschede entsprechende Anlaufpunkte. Janice Kaufmann und Christian Heidrich sind im Begriff, mitten in der Celler City einen weiteren Anlaufpunkt für junge, wie alte Neonazis oder solche, die es werden sollen, zu etablieren. Dabei scheint die Taktik aufzugehen, ein cooles, vermeintlich alternatives, subkulturelles Feld zu bedienen, Kontakte zu Jugendlichen zu knüpfen und sich ein schützendes bürgerliches Image aufzubauen, hinter dessen Fassade sich unbehelligt agieren lässt.

 

Das facettenreiche Auftreten der Neonazis in und um Celle, äußert sich in vielschichtigen Aktionen und über einen andauernden Zeitraum hinweg: Die Brandanschläge gegen engagierte Nazigegner_innen bei Faßberg und Unterlüß, die regelmäßig stattfindenden Neonazitreffen auf „Hof Nahtz“, die vermehrten Aktionen in der Öffentlichkeit: Beispielweise die Kampagne zum Naziaufmarsch 2011 in Dresden, das Stören der 1. Mai-Kundgebung 2012, das regelmäßige Verteilen der Nazizeitschrift „Bock“, sowie der Schulhof-CD's zeugen davon, dass jegliches Auftreten verschiedener Nazis in Celle und Umland gut strukturiert und organisiert ist.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Ich find´s falsch der Romanfigur Mr. Hide Menschenverachtung zu unterstellen.

Es gibt viele Aspekte unter denen man sich da (den Roman) durchaus positiv beziehen.

Okay, soll jetzt nicht in Literaturkritik ausarten, aber die Argumentation ist dahingehend nicht richtig.

Man kann es auch um-interpretieren und (mutwillig) den anarchistischen Bombenleger in der Figur ausmachen.

Da wäre es angebrachter die Deutungshoheit durch Faschos in Frage zu stellen als sich dies einfach so anzunehmen.

 

"Hide": Im Verborgenen, Verbergen, Verstecken ...

Konspiration selber ist doch wohl legitim, auch wenn man die Umtriebe der Nazis klar benennen muß und kann.

für die gute Recherche und den Artikel.

Checkt mal die Haus-Nr. vom Tatoo-Laden. Ist Nr.9 wirklich richtig?

Das Gymnasium hat Nr. 53. 9 und 53 können wohl kaum gegenüber liegen oder?

Die Hausnummer 9 ist definitiv richtig. Straßen-Nummernbnennung allerdings echt seltsam

Tun die Lehrer vom Gymi was dagegen? Wie ist der Schulleiter politisch drauf?