Streiks und soziale Kämpfe im wirtschaftlich krisendeln Ägypten

Streiks und soziale Kämpfe im wirtschaftlich krisendeln Ägypten

Wenig mediale Resonanz finden die Wellen von Streiks und sozialen Kämpfen, die Ägypten seit Beginn des Aufstandes gegen das Mubarak Regime in Wellen überziehen. Die Ausstände zu Beginn der ägyptischen Revolution in der wirtschaftlich bedeutenden Suez Kanal Zone sowie in den von den Militärs kontrollierten Wirtschaftbetrieben (1) dürften ein wesentlicher Faktor für die Entscheidung der Militärs gewesen zu sein, sich vom "Pharao" abzuwenden. Seitdem flammen immer wieder regionale Kämpfe von ArbeiterInnen auf, selbst neue Gesetze, die erst vom Militärat (SCAF), und dann später in dem von den Moslembrüdern kontrollierten Parlament beschlossen wurden, konnte die sozialen Proteste und Streiks nicht stoppen.

 

Über 50% der ÄgypterInnen leben in präkären Arbeitsverhältnissen und dabei sind all die Millionen von Frauen nicht eingerechnet, die aufgrund reaktionärer Ideologie oder wegen mangelnder Chancen auf dem Arbeitsmarkt gezwungen sind, sich ausschliesslich "um die Familie zu kümmern".

Meistens finden die Streiks oder Aktionen nur für wenige Tage oder Wochen statt, sind die konkreten Forderungen durchgesetzt oder sind die minimalen Ersparnisse aufgebraucht, werden die Kämpfe (vorerst) beendet.

Aktuelle Streiflichter

Seit zwei Tagen befinden sich mehrere tausend Beschäftigte der staatlichen Mahalla Misr Spinning and Weaving Company, dem grössten Textilbetrieb Ägyptens, im Ausstand.

Sie fordern die Auswechselung des Führungsmanagements, dem sie Unfähigkeit und Missmanagement vorwerfen.
Außerdem fordere sie eine höhere Beteiligung an den Unternehmensgewinnen, sowie höhere Bonuszahlungen.
Desweiteren fordern sie eine Unterstützung ihrer Forderungen durch den neugewählten Präsidenten der Moslembüder. Morsi hatte öffentlich und populistisch erklärt, er habe jederseit ein offenes Ohr für die Sorgen "seiner Ägypter", er werde seinen Amtssitz nicht wie Mubarak von "Sicherheitskräften" abriegeln lassen. Seitdem treffen täglich dutzende von Delegationen vor dem Amtssitz ein, um ihre Forderungen und Anliegen durch Protestaktionen oder Petitionen vorzutragen.

Die Mahalla Misr Spinning and Weaving Company beschäftigt insgesamt 24.000 Menschen, die Textilindutrie Ägptens ist einer der wenigen indutriellen Standbeine des Landes.
Die Arbeitskämpfe in diesem Betrieb sind mittlerweile Legion.
Schon unter Mubarak kam es 2006 und 2008 zu Ausständen in den Betrieben.
Die mittlerweile weltweit bekannte "Bewegung des 6. April", die wesentlich den Aufstand des Tahrir Platzes mitorganisiert hat, wurde 2008 als Unterstützungsgruppe für einen Streik in einer Fabrik der Company gegründet.

In den letzten 18 Monaten gab es zahlreiche Streikaktionen im Unternehmen, die kampferprobte Belegschaft hat auf Streikversammlungen lauthals Parolen gegen das Management angestimmt und klargemacht, dass sie den Ausstand bis zur Erfüllung aller Forderungen fortsetzen werde.

In Suez haben mehrere hundert Beschäftige der United Sugar Company (USC) eine Kundgebung vor dem Konsulat von Saudi Arabien abgehalten . Die saudi-arabische Savola Group ist Mehrheitsanteileigner der USC.
Seit mehr als 20 Tagen befinden sich die ArbeiterInnen im Ausstand, mit einem "sit-in" in der Fabrik versuchen sie ihre Forderungen nach höheren Risikozuschlägen sowie besserem Arbeitsschutz Nachdruck zu verleihen.
Da die Produktion seit Beginn der Arbeitskämpfe komplett ruht, haben die Mehrheitsanteileigner mit Entlasssungen und einer völligen Schliessung der Fabrik gedroht. Sie weigern sich, in konkrete Verhandlungen mit den ArbeiterInnen zu treten.
Die Streikenden kündigten an, nach Kairo zu reisen und ihre Proteste vor der Botschaft von Saudi Arabien fortzusetzen.
Die Savola Gruppe hat ihre Gewinne im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr von $234 Millionen Dollar auf 269 Dollar gesteigert

Mehrere hundert Beschäftigte des Erziehungsministeriums haben heute eine Pressekonferenz des Bildungsministers Minister Gamal El-Arabi gestürmt.
Sie riefen: "Wir wollen ihn nicht, er ist ein Betrüger und Ganove".
Der Versuch, auch sein Büro zu stürmen, wurde von "Sicherheitskräften" verhindert.
Der Minister zeigte sich empört über "das Benehmen" der Beschäftigten, sie sollten gefälligst ihre Forderungen nach höheren Löhnen "zivilisiert" vortragen, im übrigen würde sie ja schon überdurchschnittlich verdienen.

Die genaue Anzahl der Arbeitskämpfe in Ägypten kann niemand benennen, manchmal sind es "nur" fünfzig Beschäftigte einer Abteilung, manchmal sind es Tausende, die um bessere Lebensbedingungen kämpfen, wie im aktuellen Streik in der Textilindustrie.

Uniso warnten schon im letzten Jahr Unternehmerverbände, Militär, Moslembrüder, Vertreter der grossen Gewerkschaften sowie Teile der "revolutionären Jugendgruppen", in patriotischer Mission vereint, davor, dass Ägptens Wirtschaftskrise nicht zu handeln sei, wenn es weiter zu solch massiven Arbeitskämpfen kommen solle.

Die ägyptische Wirtschaft lahmt nach einem kurzen Zwischenhoch nach dem Sturz Mubaraks gewaltig.
Das Wachstum tendiert gegen Null, während die Inflation auch im letzten Quartal wieder über 10% lag. Der Militärrat hatte mit einer Reduzierung der eh knappen Devisenbestände (es wird mittlerweile von einer Halbierung ausgegangen) und bei den einheimischen Banken aufgenommenen Krediten bisher die Löcher gestopt und "das schlimmste" verhindert.
Kurzfristig drohte aber der totale Kollaps, denn die Kapitalflucht und die ständige Abwertung des ägyptischen Pfunds lassen sich nur noch mit ausländischen Geldern stoppen.

Über eine Zusage des IWF über gut 3 Milliarden Dollar gab es monatelang einen politischen Streit zwischen dem SCAF und den Moslembrüdern, diese wollten nicht, das der Kredit vor der Präsidentschaftswahl ausgezahlt wird, damit sie über die Gelder mitverfügen können. Mittlerweile haben sie nach der Ernennung von Morsi zugestimmt, die Modalitäten mit dem IWF auszuhandeln.

Damit dürften auch die Golfstaaten bereit sein, ihre nach dem Sturz Mubaraks zugesagten umfangreichen Kredite zu realisieren. Sie hatten dies stets an das Zustandekommen der IWF Kredite gekoppelt.
Ob es im Rahmen der IWF Kredite zu den damit "üblichen" Einschneidungen im öffentlichen Sektor kommen wird, ist eine spannende Frage.
Grundnahrungsmittel sind ebenso wie Benzin und Heizöl/gas in Ägypten staatlich subventioniert, Bei einem Staatshaushalt von 67 Milliarden fliessen 14 Milliarden in diesen Bereich.

Kürzungen in diesen Bereichen würden unweigerlich zu neuen Unruhen führen, deshalb hatte der SCAF immer erklärt, diese Subbventionen nicht antasten zu wollen. Was sich der IWF stattdessen einfallen lässt, oder ob er die Moslembrüder in eine Konfrontation mit ihrer eigenen sozialen Basis zwingen wird, ist die offenen Frage.

Vor drei Tagen nun traf H. Clinton in Kairo zu einem Staatsbesuch ein.
Die USA haben seit über einem Jahr mit Zuckerbrot und Peitsche an dem widerwilligen Bündnis zwischen Moslembrüder und dem SCAF gebastelt.
Als es fraglich erschien, ob der Militärrat einen Wahlsieger Morsi zulassen werde, wurde z.B. mit einem Einfrieren der US Militärhilfe gedroht, die für das ägyptische Militär lebenswichtig ist. Ägypten ist nach Israel der zweitgrösste Empfänger von US Militärhilfe in der Region (jährlich 1,3 Milliarden Dollar) .

Clinton verteilte nun Mahnungen und Belobigungen an die beiden Akteure, im Gepäck hatte sie Zusagen über hunderte Millionen Dollar an Investitionen für die ägyptische Wirtschaft .

Im September wird eine US-Wirtschaftsdelegation in Kairo die Einzelheiten besprechen .

Die Kairoer Börse befindet sich übrigens derzeit in Feierlaune.
Nach der offiziellen Verkündung des Moslembruder Morsi als Sieger der Präsidentschaftswahlen stieg der Indix um 7 %, in der folgenden Woche um immerhin noch weitere 3% täglich.
Die Aussicht auf jetzt auflaufende Miiliarden von IWF, den Golfstaaten, der EU und den USA dürfte für weitere Jubelfeiern bei den Börsianern sorgen.

Wenn da nur nicht diese Streiks wären....

(1) Das Militär kontrolliert direkt oder indirekt wesentliche Teile der ägyptischen Wirtschaft, gesicherte Zahlen liegen nicht vor, allgemein wird ein Anteil zwischen 30% und 50% angegeben



recherchegruppe aufstand für linksunten

uprising.blogsport.de

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Solidaritätsaufruf: "Ägyptische Wahlen unter Militärherrschaft"

http://de.indymedia.org/2012/06/332021.shtml

 

Jano Charbel: Labor Law stalled as independant unions struggle for representation  (Egypt Independant)

http://www.egyptindependent.com/news/labor-law-stalled-independent-union...


siehe auch http://www.she2i2.blogspot.de/