Der Pirat

Der Spiegel 23/2012 vom 4.6. zur Deutschen Burschenschaft
Erstveröffentlicht: 
04.06.2012

ORTSTERMIN: In Eisenach zeigt sich die Deutsche Burschenschaft als rechtsextremer Haufen.

Von Juan Moreno


Friedrich Engelke sieht nervös aus. Er hat viel nachgedacht in den vergangenen Wochen. Wenn sein Plan heute funktioniert, könnte alles anders werden. Ein Befreiungsschlag. Deutschland würde danach vielleicht sagen, schaut, Burschenschaftler, das sind keine Irren, keine Rechtsextremen, nur Typen mit Mütze, Bändchen über der Brust und der albernen Vorliebe, sich mit Klingen Narben ins Gesicht zu hauen. Aber keine Nazis, nur etwas konservativer als andere. Das würde Deutschland vielleicht denken. Allerdings, glaubt Engelke, müsse dafür sein Plan funktionieren.

„Seit 1815 gibt es Burschenschaften, heute ist ein Schicksalstag“, sagt Friedrich Engelke. Ein älterer, etwas aufgeregter Herr, Mitglied der Rostocker Burschenschaft Obotritia. Engelke ist 63 Jahre alt, Rechtsanwalt in Hamburg, seit Ende der sechziger Jahre Burschenschaftler und politisch irgendwo zwischen Gauweiler, Koch und Beckstein zu verorten. Ein
„Wertkonservativer“, wie er sagt.

Es ist kurz nach drei Uhr, in zehn Minuten beginnt der Deutsche Burschentag in der Werner-Aßmann-Halle, das Jahrestreffen der rund 120 deutschen und österreichischen Burschenschaften. DerVerband hat knapp 10 000 Mitglieder. Rund 400 Delegierte sind angereist. Einmal im Jahr treffen sich die deutschen Burschenschaften in Eisenach. Engelke steht schon eine Weile vor der grauen Halle. Er raucht Kette.

Es ist eine Revolution, die Engelke da vorhat. Er möchte mit einem Dringlichkeitsantrag dafür sorgen, dass Norbert Weidner, Chefredakteur ihrer Verbandszeitung „Burschenschaftliche Blätter“, abgesetzt wird. Weidner rauszuwerfen wäre ein Zeichen, das alle verstehen würden. So einer gehört nicht zu uns.

Weidner, ein Chefredakteur, der ungern mit Journalisten redet, hatte kürzlich Dietrich Bonhoeffer einen „Landesverräter“genannt und seine Hinrichtung durch die Nazis „rein juristisch“ gerechtfertigt. Bonhoeffer, evangelischer Theologe und Widerstandskämpfer, war kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach einem SS-Standgerichtsurteil gehängt worden. Mittlerweile ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.

Im vergangenen Jahr hatte Weidners Verbindung, die „Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“, den Vorschlag gemacht, eine Verbindung aus dem Dachverband auszuschließen, weil die einen Burschenschaftler mit chinesischen Eltern aufgenommen hatte. Unter anderem, weil er zu einer „außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung“ gehöre und nicht zur deutschen „geschichtlichen Schicksalsgemeinschaft“.

Sich von der Welt abwenden, in die eigene Burg zurückziehen – Burschenschaftler sind eine besonders harte Spezies von Globalisierungsverweigerern. Seit Jahren gehen die Mitgliederzahlen zurück. Studentische Burschenschaften stehen für Vaterlandsliebe, für einen etwas ranzigen Patriotismus. Opis alte Geschichten. Königsberg, Dresdner Bombennacht, Ostgebiete. Solche Dinge.

Dabei ist es keine schlechte Zeit für Patriotismus. Seit der Weltmeisterschaft 2006 kommen die Deutschen wieder besser mit ihrem Nationalstolz klar. Allerdings denkt man beim neuen Patriotismus an Autofähnchen, bunte Perücken und Fanmeilen, die bei Özil-Toren ausflippen. Man hat nicht das Gefühl, dass irgendjemand wieder in Polen einmarschieren möchte. Heute kommen Deutsche fahnenschwenkend als EM-Schlachtenbummler.

Engelke kehrt euphorisch aus der Halle zurück. Er sieht aus wie ein Schaffner mit seiner roten Tellermütze. Die Halle ist für Journalisten gesperrt. Burschenschaftler haben jahrzehntelang ihre Debatten intern geführt. Man redete nicht mit den Medien. Engelke ist das jetzt egal. Es ist die neue Zeit. Neue Offenheit. Transparenz wie bei den Piraten.

Der Dringlichkeitsantrag ist angenommen. In der nächsten Stunde wird entschieden, ob Weidner rausfliegt. Um den Dringlichkeitsantrag auf die Tagesordnung zu setzen, brauchte er eine Zweidrittelmehrheit. War kein Problem. Ein gutes Zeichen, findet Engelke.

Es könnte der Moment sein, in dem die deutschen Burschenschaften im Jahr 2012 ankommen. Der Augenblick, in dem die Rückwärtsgewandten nach vorn schauen, eine Art Achtundsechzig, über vierzig Jahre zu spät, aber immerhin. Vor ein paar Tagen hatte ein Bündnis von Gewerkschaften, SPD und Bündnis 90/Die Grünen noch erklärt, dass der „rechte Akademikerbund“ immer weiter nach rechts rücke. Teilweise dominiert von einer „offen völkischen und extrem rechten Strömung“. Vielleicht dreht sich das heute. Engelke tänzelt in die Halle zurück.

Vier Stunden später ist alles vorbei. Engelke, der in seiner Wohnung mehr als 1800 Bücher zur NS-Zeit hat, sitzt in der Bar des Thüringer Hofs in der Eisenacher Innenstadt. Er betrinkt sich. Der Burschentag hat Weidner nicht entlassen. Die Mehrheit der Delegierten findet, der Verbandsfunktionär solle bleiben.

„Was sind das für Menschen“, fragt Engelke nach ein paar Bier und schaut ins Glas.

Burschenschaftler.

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