Costa Concordia - Einige Eindrücke

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Die Berichterstattung um das Unglück des Kreuzfahrtschiffes war durchaus umfassend. Alle Daten und Zahlen der großen Fernsehshows wurden tagelang so präsentiert, als ginge es um die aktuelle Lottoziehung und alle ZuschauerInnen säßen gespannt vor dem Fernseher, ihre Lottoscheine in der Hand haltend: Die Anzahl der Toten, der Vermissten, der Deutschen, Franzosen usw. änderte sich von Nachrichtensendung zu Nachrichtensendung; die Uhrzeiten der verschiedenen Ereignisse wurden live dokumentiert, wieder dementiert und anschließend aktualisiert, die Rettungsversuche konnten genauestens mitverfolgt werden, ebenso wie das Sinken und Bewegen des Schiffes auf dem Meeresgrund durch die Strömungen. Es reicht, einen kurzen Blick auf die Wikipedia-Seite zum Schiff zu werfen, um festzustellen, dass die Fülle an solchen Zahlen unendlich ist.

 

Das zweite große Thema, das uns Fernsehende so tief bewegt hat, war die Suche nach den Verantwortlichen, auf deren Ergebnis wir nicht lange warten mussten. Der Schuldige wurde gleich gefunden: der Kapitän Francesco Schettino1. Ich weiß nicht, wie viele von euch stutzig geworden sind, nachdem alle betroffenen (und nicht betroffenen) Seiten sich einstimmig zur Schuld von Schettino geäußert haben: Öffentlichkeit, JournalistInnen, FernsehmoderatorInnen, StaatsanwältInnen, Schiffseigentümer Costa Crociere, Küstenwache, überlebende Passagiere und Besatzungsmitglieder.

 

Es mag sein, dass Schettino die juristische Verantwortung für das Unglück trägt, jedoch erscheint die Tatsache, eine einzelne Person sei am Sinken eines 450 Millionen-Euro-Schiffes und an dem Tod von 30, wahrscheinlich 32 Menschen schuld, sehr suspekt. Menschen machen Fehler, diese entstehen aber nicht aus dem Nichts, sondern sind das Ergebnis von Umständen, Interaktionen und Kontexten. Das interessiert aber keinen Menschen, die Sündenbock-Mentalität ist mehr denn je en vogue.

 

Mensch sollte sich doch fragen, abseits einer kapitalkritischen Analyse, welchen Zweck Kreuzfahrtschiffe erfüllen. Die Konstruktion eines solchen gewaltigen Bauwerks beruht auf der Idee eines Linienschiffes; Umriss, Funktionsbereiche wie Schiffsdecke, Kabinen, Schiffsrumpf usw. werden nach dem Vorbild solcher Schiffe gebaut. Der markanteste Unterschied zu Linienschiffe ist aber die Unmenge an Bereichen und Gegenständen, die zur Navigation nicht notwendig sind: in diesem Fall 2.100 m² Wellness-Fläche, 1.500 Kabinen, mehrere Schwimmbecken und Restaurants, Diskothek und Theater, etc. Die Kreuzfahrt an sich wird nur zu einer Nebensache, im Vordergrund steht ein Luxusurlaub, wie mensch ihn auch auf festem Boden verbringen könnte: nur, dass er dann nicht mehr „exklusiv“ wäre. Diese sogenannte Exklusivität, die das Schiff noch prunkvoller aussehen lässt als die Arche der AXE Final Edition-Werbung; dass dadurch das Schiff an Manövrierfähigkeit verliert, spielt keine Rolle. Und das, obwohl die Kreuzfahrtrouten immer den Küsten entlang verlaufen mit der damit verbundenen Gefahr, den Meeresgrund mit dem Kiel zu berühren und ein Loch ins Schiffsrumpf zu öffnen. Ansonsten könnten sich die Passagiere ja auf Dauer langweilen.

 

Die mehr als 1.000 Besatzungsmitglieder hatten als Aufgabe, sich um das Wohlergehen der (zahlenden) Gäste zu kümmern; wie ihr prekäres Leben an Bord des Schiffes sich abgespielt hat, das durften die Gäste selbstverständlich nicht erfahren genausowenig wie die Öffentlichkeit2. Da wundert es nicht, dass diese beim Versinken nicht selbstlos und altruistisch ihr Leben für das der Passagiere geopfert haben; nichtsdestotrotz halfen viele Besatzungsmitglieder, besonders die vom niedrigen Dienstgrad, den zahlenden Gästen in die Rettungsboote und liefen dabei Gefahr, selber ins Wasser zu stürzen und zu sterben.

 

Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, und zwar geht es um einen Anklagepunkt gegen Schettino: Ein Kapitän, der sein Schiff im Gefahrenfall nicht als Letzter verlässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bzw. bis zu zwölf Jahren bestraft (Artikel 1097 des „Codice della Navigazione“). Im selben Gesetzbuch werden Schiffe, die von einem Schiffsunglück bzw. Havarie erfahren, verpflichtet, Hilfe zu leisten: sowohl von einer Unterstützungs- als auch von einer Rettungspflicht ist dort die Rede (Art. 489 und 490). Ausschlaggebend dabei ist, dass das Schiff unter italienischer Flagge stehen läuft. Das trifft auf alle militärischen Schiffen der italienischen Armee bzw. Marine zu, wenn sie in Seenot geratene Flüchtlinge tatenlos ihrem Schicksal überlassen. Oder wenn Kapitäne ziviler Schiffen Flüchtlinge auf hoher See retten, und sie wegen Schlepperei oder wegen Begünstigung illegaler Einwanderung angeklagt werden.

 

1 Ermittelt wurde/wird auch gegen den ersten Offizier Ciro Ambrosio und weitere Personen, dies hat jedoch kaum Beachtung in den deutschen und italienischen Medien erfahren.

2 Wie die Arbeitsbedingungen an Bord eines solchen Schiffes aussehen, kann mensch leicht im Internet herausfinden. Die ganz Faulen verweise ich auf die TV-Reportage von Melissa Monteiro.

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er bringt mal wieder etwas grundsätzliches licht ins dunkel der kapitalistischen höhle...