Stasi-West, Verfassungsschutz-Ost: Politische Geheimdienste im Nachkriegsdeutschland

Reinhard Gehlen
Erstveröffentlicht: 
01.02.2012

In den letzten Tagen wurde den Medien wieder bewusst, dass sich der Staat noch lebende Fossile aus dem Kalten Krieg wie den sogenannten "Verfassungsschutz" leistet. Warum wir Inlandsgeheimdienste brauchen - oder auch nicht.


Hauptfeind: Ministerium für Staatssicherheit

Im Februar 1950 fanden sich in der gerade gegründeten DDR Männer zusammen, von denen 76% in Zuchthäusern und Konzentrationslagern von Hitler und General Franco verbracht hatten. 31% hatten aktiv gegen den deutschen Faschismus gekämpft, etwa der Widerstandskämpfer Hans Fruck, der eigentliche Architekt der nun aufzubauenden Auslandsabteilung. Deren Leiter, der legendäre (und Legenden fabrizierende) Markus Wolf, war als Übersetzer bei den Nürnberger Prozessen unmittelbar mit Führungspersönlichkeiten des Dritten Reiches befasst gewesen. Diese Kommunisten waren sich einig, dass jedes politische System besser sei, als das der Nazis. Fassungslos mussten sie mit ansehen, wie im Westen Schlüsselpositionen in Polizei, Justiz, Politik, Diplomatie und Wirtschaft ausgerechnet mit hochbelasteten Nazis besetzt wurden.

"3.Weltkrieg 1954"

Damit nicht genug, konservierte ein obskurer Nazi-General Reinhard Gehlen, der den Krieg gegen Osten als Lebensaufgabe erkoren hatte, mit Billigung der USA die vormaligen Kräfte von SS, SD und GeStaPo in einer Organisation, die mehr einem Geheimbund als allem anderen glich. Gehlen, der den Krieg gegen Stalin für unvermeidlich hielt, hatte damals das Ziel, verdeckt aufzurüsten und als Feldherr künftiger Streitkräfte die nicht zuletzt von seinem vormaligen Geheimdienst "Fremde Heere Ost" zu verantwortende Niederlage in Stalingrad zu korrigieren.

Zur Vorbereitung des Tages X, den Gehlen für das Frühjahr 1954 ansetzte, bemühte er sich um Zersetzungsmaßnahmen gegen die Sowjetarmee und den Aufbau eines Agentennetzes im Osten, dessen größter Erfolg die Verführung der Sekretärin von DDR-Ministerpräsident Grothewohl darstellte. Gehlen baute auch in Westdeutschland subversive Strukturen auf, unterwanderte die Presse personell und finanziell und baute seinen Einfluss aus. Nach dem Vorbild des mächtigen FBI-Chefs J. Edgar Hoover legte er über etliche Personen Akten an, die ihm ein einzigartiges Herrschaftswissen sicherten. Rechenschaft war Gehlen nur den US-Diensten verpflichtet, die ihn allerdings nie im Griff hatten.

Parallel zu den mit Schlapphüten bedeckten Altnazis der "Org" bauten auch die Geheimdienste und Militärs der Siegermächte subversive Strukturen auf. Die Strukturen der noch vor der NATO gegründeten ultrageheimen GLADIO-Einheiten sind nach wie vor unter Verschluss. Die amerikanischen Geheimdienste C.I.C. und dann die CIA rekrutierten in eigenen Programmen Freiwillige, die sich paramilitärisch gegen den Kommunismus engagierten. Viele dieser Aktivisten wurden unter falscher Flagge angeworben und wähnten sich in verdeckten Altnazi-Organisationen, die tatsächlich jedoch heimlich von amerikanischen Militärs und Diensten kontrolliert wurden.

Ebenfalls gegen den Kommunismus engagierte sich die sogenannte "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU), die auf einen Umsturz innerhalb der DDR hin arbeitete und ihren "Humanismus" durch Brandanschläge und Sabotage auf dem Gebiet der DDR demonstrierte. Mit "Reifentötern" führte die KgU einen Verkehrsunfall mit 7 Todesopfern herbei, legte Brandsätze in Kaufhäusern und an einer hölzernen Autobahnbrücke. Sie versuchte sogar einen Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnbrücke, der sowjetische Soldaten getötet und damit politische Spannungen herbeigeführt hätte. Derartiges würde man heute "Terrorismus" nennen. Ironischerweise billigte ein ehemaliges Mitglied der KgU, Ernst Benda, in seiner späteren Funktion als Bundesverfassungsrichter ausgerechnet die "Terroristengesetze" gegen die RAF, die ihren Ursprung ebenfalls mit einem geheimnisvoll gelegten Kaufhausbrand verband. (Bewaffnet mit Molotowcocktails usw. wurde die RAF von einem Scharfmacher namens Peter Urbach, der sich als Agent Provocateur des Verfassungsschutzes erwies.)

Die KgU bereitete gegen Anfang der 50er Jahre sogar Giftmorde an DDR-Politikern vor, welche durch Festnahmen rechtzeitig vereitelt werden konnten. Der neue ostdeutsche Geheimdienst hatte sich die Subversion im eigenen Land nicht lange bieten lassen und seinerseits zwischenzeitlich die westlichen Strukturen bis unter die Dachspitze unterwandert, die fortan im Osten kein Bein mehr an die Erde brachten. Erster Häuptling des MfS war der Spanienkriegs-Veteran Wilhelm Zeisser gewesen, der nach parteiinternen Machtkämpfen 1953 abdanken musste. Sein Nachfolger, der Schiffssaboteur Ernst Wollweber, machte 1957 den Weg für den rustikalen Kämpfer Erich Mielke frei, der sich bereits während der "stalinistischen Säuberungen" als nicht zimperlich erwiesen hatte und die Organisation bis zum Schluss mit eiserner Hand führte.

Horch & Guck

Das organisierte Spitzelsystem umfasste natürlich auch denen eigenen Staat, wo es vom Westen angeworbene Agenten oder verführte Bürger zu überführen galt. Das Ministerium für Staatssicherheit, das man angesichts der DDR-Verfassung genauso gut hätte "Verfassungsschutz" taufen können, beschränkte sich jedoch nicht auf die nachvollziehbare Abwehr von äußerer Einflussnahme, sondern entwickelte sich wie ein Krebsgeschwür zu einer politischen Geheimpolizei, die allein schon personell groteske Ausmaße annahm und totalitäre "Rechte" beanspruchte, wie man sie aus dem verhassten Polizeistaat der Nazis kannte. Die politische Zensur und der allgegenwärtige Überwachungsdruck durch Spitzel bis ins Ehebett führten zu Selbstzensur, Einschüchterung und einem Klima gegenseitigen Misstrauens.

Die ursprünglich gegen Nazis und rechtsgerichtete westliche Strategen gegründete Organisation pervertierte zu einem politischen, mit "deutscher Gründlichkeit" geführten Unterdrückungsinstrument, was vor allem deshalb möglich war, weil sich der allmächtige Geheimdienst einer demokratischen Kontrolle entzog, im Gegenteil selbst die Kontrolle in etlichen Bereichen ausübte. Die Spione persönlich wurden von ihren Organisationen allerdings nicht weniger aufmerksam auf Linientreue beschnüffelt - inklusive HVA-Chef Wolf, dessen Privatleben den moralischen Vorstellungen des Dienstes nicht durchgehend entsprach.

Die DDR-Staatsführung wusste, was sie am MfS hatte, denn ohne ihr Machtinstrument und die isolierende Westgrenze wäre die DDR schon aus wirtschaftlichen Gründen implodiert. Die Beobachtung von Abgeordneten der linientreuen DDR-Blockparteien bedarf vor dem Hintergrund eines mit Spitzeln und Spitzel-Spitzeln durchsetzten Staates keiner vertieften Erwähnung. Während das eigene Volk, die eigenen Beamten und die Nachkriegsgeneration vier Jahrzehnte unter Generalverdacht standen, observierten an der Spitzelspitze die Herren Mielke und Honecker zuletzt gemeinsam in der Datscha Pornos - natürlich, aus dem dekadenten Westen, denn ein VEB Porno passte nicht zum Selbstverständnis des real-existierenden Sozialismus. Doch selbst das gigantische MfS vermochte der Entschlossenheit verprellter Bürger nichts entgegen zu setzen.

Operationsgebiet Deutschland

Auch den Westmächten stand nach dem Krieg nicht der Sinn nach einer Neuauflage eines nationalsozialistischen Deutschlands. Doch auch das neue und alte Feindbild, der "Iwan", war weder von außen, noch von innen gewünscht. Als sich im Nachkriegsdeutschland die Parteien formierten, wollte man die junge Demokratie nicht nur steuern, sondern vor allem wissen, was lief, und durchsetzte sie von Anfang an mit Zuträgern.

Der britische Geheimdienst etwa führte Adolf von Thadden, der seit 1947 eine Karriere durch diverse Parteineugründungen am rechten Rand durchlief, 1949 im Bundestag saß und 1964 die NPD gründete, die er Ende 1969 beinahe in den Bundestag geführt hätte. Damit war die NPD von Anfang an ein den DDR-Blockparteien nicht unähnliches Vehikel, das kontinuierlich von diversen Diensten auf der Führungsebene nachrichtendienstlich unterwandert war. Auch die CIA hatte auf die Parteienlandschaft ihres - wie US-Vordenker Brzesinsky formulierte: "Vasallenstaates" - stets ein wachsames Auge. Als sich in den 80ern aus der Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung eine neue Partei im linken Spektrum gebildet hatte und in den Bundestag einzog, erhielten diverse Führungspersonen Klaransprachen, ob sie nicht an die USA berichten wollten.

Während die kritische Ex-Grüne wie Jutta Dittfurth einen Anwerbeversuch der Schlapphüte später öffentlich machte, hat man derartiges von ihren Kollegen nicht gehört, die ebenfalls ins Beuteschema passten. (Sicher ist es nur ein Zufall, dass Joschka Fischer nach seiner Amtszeit ein Semester Vorlesungen an der CIA-Rekrutierungsuniversität Princeton hielt und für die vormalige US-Außenministerin Madeleine Albright arbeitet.)

Geheimdienst ohne Zähne

Auch die westlichen Militärregierungen wollten den Deutschen nach dem Krieg eine offizielle Behörde zubilligen, die Informationen über die politischen Ränder sammeln sollte. Diese sollte für die politischen Entscheider lediglich Informationen sammeln, dieses auch unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel wie Spitzel (vornehm: "V-Leute" genannt), Abhören, Tarnen und Täuschen und so weiter. Begehrlichkeiten, den neuen Geheimdienst auch mit aktiven polizeilichen Befugnissen wie Befragungs- und Festnahmerechten usw. auszustatten, erteilten die Siegermächte unter Hinweis auf die Erfahrungen mit der GeStaPo eine klare Absage.

Bei der Wahl des Häuptlings des Inlandsgeheimdienstes, der als "Bundesamt für Verfassungsschutz BfV" firmieren sollte, konsultierten Adenauer und seine "rechte Hand" Hans Globke Org-Chef Gehlen und einen gewissen Paul Dickopf. Auch der umtriebige Dickopf war ein hochbelasteter Nazi, der zudem wie Gehlen für die CIA arbeitete. Der britische Geheimdienst setzte jedoch seinen Kandidaten Otto John durch - vormals einer der Verschwörer des 20. Juli, den Gehlen daher als Verräter empfand. (Dass Gehlen selbst bei Kriegsende zu den USA übergelaufen war, blendete er großzügig aus.)

Machtmensch Gehlen betrachtete den Inlandsgeheimdienst argwöhnisch als lästige Konkurrenz, wobei die Org wie auch ihr Nachfolger BND ohne allzu große Scham im Inland operierten, obwohl deren Auftrag allein das Ausland betraf. Der übergangene Kamerad Dickopf stand wenigstens Pate beim Aufbau der "Sicherungsgruppe Bonn", die nach dem Vorbild des Reichssicherheitsdienstes gebildet wurde und auf der Führungsebene hochbelastete Fachkräfte aus der SS beschäftigte. Der SG Bonn wird eine Nähe zu den Geheimdiensten, namentlich dem Verfassungsschutz nachgesagt. 1951 wurde Dickopf Chef und Architekt des neu gegründeten Bundeskriminalamts (BKA), das ebenfalls geheimdienstliche Mittel anwendet und als Sammelbecken für GeStaPo- und SS-Veteranen fungierte.

Otto John

Auch unter John und vor allem seinen Nachfolgern fanden etliche Personen mit brauner Weste Anstellung in der in Köln ansässigen Bundesbehörde. Wem der Sold im Schlapphut nicht reichte, erfand einfach angebliche Informanten, deren Agentenlohn man selbst einzusacken pflegte. Kein gutes Licht auf das BfV warf die Vulkan-Affäre. Der neue Geheimdienst erwies sich als perfekte Brutstätte für Doppelagenten und brachte bald sogar BfV-Präsidenten John ins Zwielicht, der unter bis heute ungeklärten Umständen plötzlich verschwand und irgendwann in Ostberlin auftauchte. Etliche Affären folgten, eine hanebüchener als die andere. Der Dienst erfüllte wenigstens seine politische Aufgabe, der Politik Material zu verschaffen, mit welchem die erschröckliche KPD als verfassungsfeindlich verboten wurde. Anzeichen, dass der Staat jemals von den versprengten Kommunisten im Westen umsturzgefährdet war, sind nicht bekannt.   

Hubert Schrübbers

Nach den lähmenden Querelen mit John wurde 1955 Hubert Schrübbers neuer BfV-Präsident. Dieser sah sich nach Wirtshausschlägereien veranlasst, den Umgang seiner rheinischen Spione mit Alkohol zu regeln. Dennoch hielten sich im Amt diverse Alkoholiker, am bekanntesten der oberste Spionagejäger Hansjoachim Tiedge, der dann in den 80ern spektakulär die Fronten wechselte. Die Ära Schrübbers beschreibt der Publizist Peter-Ferdinand Koch in seinem Buch Enttarnt (2011) als "Tollhaus". Der Radikalenerlass eröffnete dem BfV in den 70ern ein weites Betätigungsfeld: Als Spitzel gegen die 68er rekrutierte man Minderjährige und Senioren, verwanzte Universitäten. Inzwischen beobachtete das BfV auch die Ausländer, von denen der Import gewalttätig ausgetragener Konflikte aus ihren Heimatländern befürchtet wurde.

Während es etwa in Großbritannien zu spektakulären Massenausweisungen enttarnter Ostspione kam, gelangen Schrübbers solche Erfolge nicht. Dabei wäre eine Massenfestnahme zum Greifen nahe gewesen, denn ein fähiger Mitarbeiter hatte durch einen Zufallstreffer ein Funknetz von ca. 90 Ostagenten entdeckt. Doch in der Behörde hatte man für so etwas weder personelle Kapazität, noch beschäftigte der Geheimdienst einen versierten Codeknacker. Erst Jahre später wurde die Spur mit Partnerdiensten verfolgt. 1972 hatte das gelangweilte MfS ein Einsehen und sorgte mit lancierten Enthüllungen über Schrübbers NS-Vergangenheit für Personalwechsel.

Von Günther Nollau bis Ludwig Holger-Pfahls

Günther Nollau

Nachfolger Günther Nollau indes bewies, dass man Untätigkeit wenigstens taktisch einsetzen konnte. Der begabte Intrigant informierte seinen Bundeskanzler Brandt nicht von dem Verdacht gegen dessen Referenten Günter Guillaume. Der Wehner nahestehende Nollau ließ es zu, dass Brandt ins Messer lief und Staatsgeheimnisse mit dem Perspektivagenten des MfS teilte. Als Nollaus Rolle ruchbar wurde, nahm auch er 1975 den Schlapphut. Von Nollau verblieb das Verdienst, das von Anfang an schlechte Verhältnis zu den Kollegen vom BND zur Feindschaft ausgebaut zu haben. Die Mitbewerber in Ostberlin verfolgten die Hahnenkämpfe westlicher Geheimdienste mit wachsender Begeisterung.

Richard Meier

Der als Saubermann angetretene Richard Meier trat 1983 wieder ab, nachdem er bei einem Autounfall mit seiner Geliebten aufgefallen war. Auch unter Meier war es nicht gelungen, auf der Jagd nach der RAF dem BKA Punkte abzuringen. Immerhin lieferte er über die rechtsgerichtete Wehrsportgruppe Hoffmann genug Material, dass diese 1980 als verfassungsfeindlich verboten wurde. Es mehren sich allerdings in den letzten Jahren die Anzeichen, dass diese als private Neonazi-Organisation dargestellte Wehrsportgruppe mit GLADIO zu tun hatte, also "Staatstheater" war. Dem BfV blieben derartige Erkenntnisse offenbar verborgen, obwohl GLADIO tatsächlich eine verfassungsfeindliche Einflussnahme fremder Mächte darstellte und daher eine zentrale Aufgabe des BfV hätte sein müssen.

Heribert Hellenbroich

BfV-Präsident Heribert Hellenbroich fand für seine Meisterspione neue Einsatzfelder wie das Notieren von Autokennzeichen aller möglichen Atomkraftgegner. Die Halter der verdächtigen Fahrzeuge wurden in die hauseigene NADIS-Datei eingespeist und fortan als Staatsfeinde geführt. Bei so viel "Staatsfeinden" (zu denen heute auch die Bundeskanzlerin zu rechnen wäre) war natürlich eines sicher: Der anscheinend unverzichtbare Arbeitsplatz der Verfassungsschützer. Hellenbroich wechselte 1985 zum BND, wo ihn jedoch die Tiedge-Affäre die Autorität und das Amt kostete. Ausgerechnet mit einem vormaligen MfS-Undercover-Mann gründete er später eine Wirtschaftsberatungsfirma.

Ludwig Holger-Pfahls

Die schillerndste Figur des deutschen Inlandsgeheimdienstes war (zumindest nach seinem Ausscheiden als Präsident 1987) der Strauß-Vasall Ludwig Holger-Pfahls, der es als späterer Waffenlobbyist nach seinem Untertauchen 1999 selbst zur international meistgesuchtesten Person der deutschen Behörden brachte. Pfahls, der gerade zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, gehörte der Partei des Politikers Alexander Dobrindt an, der derzeit dafür eintritt, den demokratisch gewählten politischen Gegner zu bespitzeln und zu verbieten, weil dieser ja wohl verfassungswidrig sei.

Mit der an Peinlichkeiten schwer zu überbietenden Leistung von Pfahls konkurrierte eigentlich nur noch der obskure Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz Helmut Roewer, der in den 90er Jahren das Aufblühen des Rechtsextremismus im vormaligen Territorium des MfS beobachtete, dann unter erstaunlichen Umständen den Dienst quittierte und in fragwürdigen Verlagen publiziert. Die Tatsache, dass die ihm entwichene rechte Bombenbastlergruppe und andere Neonazis innerhalb weniger Jahre mehr Morde begingen, als dem bisherigen Evergreen RAF zugeschrieben wurden, überstieg das Vorstellungsvermögen der Berufsparanoiker des Verfassungsschutzes.

Von Gerhard Boeden bis Peter Frisch

Gerhard Boeden

Pfahls Nachfolger Gerhard Boeden unterschied sich von den bisherigen Amtsinhabern durch seine Herkunft. Der vormalige Streifenpolizist hatte sich über die Leitung der SG Bonn bis hin zum BKA-Vize hochgearbeitet. In seiner bis 1991 währenden Amtszeit widmete er sich insbesondere der RAF. Im Zuge der Vereinigung hoffte er auf ostdeutsches Personal, das jedoch überwiegend nichts mit dem Verfassungsschutz zu schaffen haben wollte. Wer ans Überlaufen dachte, bot sich lieber gleich der CIA an. Auch zwischen dem BND und den einstigen Hauptgegnern kam es in den Vereinigungsjahren zu erstaunlichen Harmonien, die noch immer nicht aufgearbeitet sind.

Immerhin kooperierte der legendäre Chefabhörer des MfS, Generalmajor Horst Männchen, der das BfV über die noch immer laufende Lauschpraxis der Russen sowie über das hochgeheime RYAN-Programm informierte. Männchens Wissen war wegen seiner in Jahrzehnten gewonnenen Kenntnisse über die Telefonate etlicher westdeutscher Politiker unschätzbar. Sein wertvollstes Gut war jedoch die Lieferung von Horrorszenarien über russische Agenten, die wie die Horden Dschingis Khans einzufallen drohten. Wer wollte da auf einen Abwehrgeheimdienst verzichten?

Eckart Werthebach

Der erste nennenswerte Coup des Verfassungsschutzes gegen das MfS gelang BfV-Präsident Eckart Werthebach, der einen Fischzug in Ostberlin unternahm, um an MfS-Dossiers zu kommen. Es handelte sich allerdings um Leichenfledderei, denn dieses Abenteuer fand erst 1991 statt, als das MfS den Schlapphut längst an den Nagel gehängt hatte. Jedoch pfuschte Werthebach dem BND ins Handwerk, der sich in den Vereinigungsjahren bestens mit gewissen MfS-Kollegen verstand. Zufällig gerieten Informationen in Umlauf, die Werthebach in Misskredit und 1995 um seinen Schreibtisch brachten. Seine folgende Karriere als Berliner Innensenator endete ebenfalls vorzeitig. Kulturell bleibt er als Freund der deutschen Sprache in Erinnerung, die der Ex-Verfassungsschützer unter gesetzlichen Schutz stellen wollte. Die Durchsetzung eines sprachlichen Reinheitsgebots hätte im Beamtenapparat gewiss spannende Arbeitsstellen geschaffen.

Peter Frisch

Nach einem unspektakulären Gastspiel von Hansjörg Geiger nahm 1995 Peter Frisch auf dem Präsidentenstuhl Platz. Frisch war früher im niedersächsischen Innenministerium tätig und will nichts davon mitbekommen haben, als es das Landesamt für Verfassungsschutz 1978 krachen ließ. Bei der "Operation Feuerzauber" sprengten die niedersächsischen Verfassungsschützer ein Loch in die Mauer der JVA Celle, das man als versuchte Gefangenenbefreiung der RAF inszenierte. Frischs Dementi jeglicher Kenntnis des Staatstheaters im Stile der "Operation Nordpol" vermochte manche Geheimdienstkenner nicht zu überzeugen. (Die Tochter des wohl hiervon informierten niedersächsischen Ministerpräsidenten machte drei Jahrzehnte später als Bundesfamilienministerin mit eigenartigen Begründungen für Internetsperren von sich reden.)

Als Präsident des BfV musste Frisch einen mysteriöser Whistleblower jagen, der etliche Faxe an Bundestagsabgeordnete sandte, in denen er Frischs Amtsführung kritisierte und ihm Bereicherung vorwarf. Als die Fahnder den Faxenmacher in einem Telefonladen stellten, ging ihnen der Schlapphut hoch: Es handelte sich um den eigenen Sicherheitschef, den höchsten Geheimnisträger im Hause, wie in Peter-Ferdinand Kochs "Enttarnt" nachzulesen ist. In die Ära Frisch fielen die Kurdenkrawalle von 1998, bei denen das BfV nicht einsatzfähig war - wegen des rheinischen Karnevals, der die 2.500 Mitarbeiter offenbar vollständig beanspruchte.

Zehn Jahre nach Wegfall des Mitbewerbers im Osten fiel auch der Presse auf, dass man die Gegenspionage eigentlich nicht mehr so recht brauchte. Frischs Leistung wurde von vielen darin gesehen, der Presse die Notwendigkeit seiner Arbeitsstätte durch heiße Luft zu vermitteln. Eine Existenzberechtigung verdankte das BfV insbesondere der Entwicklung von rechtsextremen Strukturen im Osten, welche von etlichen Landesämtern für Verfassungsschutz in der Weise beobachtet wurden, als dass man V-Leute honorierte, die hierüber ihre Organisationen finanzierten. Die Verfassungsschützer züchteten und protegierten den Gegner, der sie selbst in Lohn und Brot halten sollte. Frisch ging 2000 in den Ruhestand und übergab an Heinz Fromm, der das Amt noch heute führt.

Post 9/11

Die für Geheimdienste konstituierende Nachfrage nach Sicherheit stieg schlagartig an, als den Diensten der 11.09. und damit ein neues Feindbild in den Schoß fiel. Die auf den Osten eingetakteten Dienste verfügten allerdings nicht nennenswert über Personal mit Sprachkenntnissen aus der arabischen Welt. Berühmt ist der Fall eines angeheuerten Übersetzers, dem die Stimme eines Abhörmitschnitts bekannt vorkam: seine eigene.

Mit die wertvollsten Informationen über die arabische Extremistenszene schöpften die Verfassungsschützer aus einer Quelle, die sie zuvor gar nicht genug hatten verteufeln können: aus den Akten des MfS. Also lag es nahe, einen MfS-Veteran in dessen Wohnung aufzusuchen und um Kooperation zu bitten. Die in "Enttarnt" geschilderte Szene stimmt nachdenklich: Der MfS-Mann erinnerte den Anwerber daran, dass man ihn und seine Kollegen mit einer 800,- Mark-Rente auf die Straße gesetzt, ihnen berufliches Fortkommen verwehrt und sie wie Aussätzige stigmatisiert habe. Die in Not geratenen Kollegen im BfV sollten nun zusehen, wie sie alleine zurecht kämen.

Tatsächlich misst die Öffentlichkeit die Spione in Ost und West mit zweierlei Maß: So wird Besuchern im Museum Story of Berlin sowie im Film "Das Leben der anderen" die Sammlung von Geruchsproben Verdächtiger als etwas Widerwärtiges präsentiert. Umgekehrt stören sich wenige daran, dass Schäubles BKA ebenfalls Geruchsproben sammelte und dieses Wissen bei politischen Ereignissen wie den Demonstrationen in Heiligendamm einsetzte. Das MfS befand sich mit dem Abhören zwar technisch auf der Höhe seiner Zeit, verfügte jedoch nur über begrenzte Kapazitäten zur Erfassung, Speicherung und Auswertung etwa von Telefonaten. Verglichen mit den heutigen automatisierten Systemen, die sämtliche Anrufe verdachtsunabhängig auf Buzzwords beschnüffeln, Verkehrsdaten speichern und mithilfe der mobilen Ortungswanze ("Handy") Bewegungsprofile rekonstruieren und insbesondere E-Mails mitlesen, befand sich das MfS in der Steinzeit.

2003 machten sich die Verfassungsschützer vollends lächerlich, weil im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens herauskam, dass die NPD auf der Führungsebene von den Diensten flächendeckend unterwandert worden war. Ein Rechtsstaat kann jedoch keine Organisation als verfassungsfeindlich verbieten, die er selber geheimdienstlich nahezu steuert. Statt ein Verbotsverfahren vorzubereiten, sabotierten also die Schlapphüte mit traditionellem Rechtsdrall das Verfahren. Wozu eine so massive Aufklärung durch honorierte V-Leute erforderlich ist, um die NPD einschätzen zu können, war nicht zu vermitteln. Dennoch berichten noch heute ca. 130 V-Leute dem Verfassungsschutz über ihre Verfassung. Die Abteilung zum Rechtsextremismus ist übrigens die kleinste im BfV (Stand 2011).

Umstürzlerische Kommunisten

Demgegenüber standen für die traditionelle Beobachtung des linken Spektrums stets erkleckliche Mittel zur Verfügung, die insbesondere zur Buchführung über politisch als nicht zuverlässig erkannte Mitbürger eingesetzt wurden und werden. Denn wo wären wir hingekommen, hätten Lehrer mit kommunistischer Weltanschauung unsere Kinder in Kunst oder Sport unterrichtet? Wie würde wohl die Republik aussehen, wäre die Leitung der städtischen Müllentsorgung Marxisten überlassen worden? Wie sollten wir uns ohne Vorfeldaufklärung gegen die seit 50 Jahren unmittelbar bevorstehende kubanische Revolution verteidigen? Die Absurdität des Überwachens politischer Köpfe kristallisiert sich in der Person des Rechtsanwalts Dr. Rolf Gößner, dessen vier Jahrzehnte währende Überwachung nunmehr vom Bundesverwaltungsgericht Köln für rechtswidrig erklärt wurde.

20 Jahre nach Ende des Warschauer Pakts steigt der Verfassungsschutz selbst demokratisch gewählten Bundestagsabgeordneten hinterher. Selbst zur Beschnüffelung der Bundestags-Vizepräsidentin hat das Bundesinnenministerium offensichtlich Spionageauftrag erteilt - was ein Geschmäckle hat, denn dessen politische Leitung ist der parlamentarische Mitbewerber. Sogar ein Mitglied des Geheimdienstekontrollgremiums wurde vom Geheimdienst kontrolliert, was man schwerlich parodieren kann.

Wer bewacht die Wächter?

Tatsächliche Kontrolle findet allerdings gar nicht statt, da das winzige Kontrollgremium der Parlamentarier keine Kapazitäten hat und nicht beurteilen kann, was man ihm gar nicht zeigt. Die Mitglieder werden wie Pilze behandelt: Man hält sie im Dunkeln und füttert sie mit Dung. Der Verfassungsschutz tat sich traditionell schwer mit Transparenz. Bereits die Einführung eines jährlich zu veröffentlichenden Verfassungsschutzberichts wurde von Hardlinern zum Anfang vom Ende des Geheimdienstes ausgerufen. 2004 öffnete Nordrhein-Westfalen die Archive wenigstens zur Frühgeschichte des ersten Verfassungsschutzes der Bundesrepublik von 1947-1961 (Wolfgang Buschfort: "Geheime Hüter der Verfassung"). Nunmehr wurde bekannt, dass man in Nordrhein-Westfalen das Landesamt für Verfassungsschutz genauer unter die Lupe nehmen möchte.

Das BfV hat vor einiger Zeit (wie zuvor das Außenministerium, das BKA und der BND) eine Historikerkommission mit der Aufarbeitung der Amtsgeschichte beauftragt. Anders als beim BND soll es keine Filterung der Akten geben. Vielleicht erfahren wir bald, wofür wir uns 60 Jahre lang eine Behörde geleistet haben, die uns verrät, dass die Kommunisten Kommunisten, die Nazis Nazis und die Islamisten Islamisten sind.

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"Aber ist bei den Jüngeren mehr bekannt als jene Grusel- und Schauermärchen, die seit 1990 absichtsvoll (WIE IN DIESEM BEITRAG!) verbreitet werden?"

 

http://www.edition-ost.de/programm-2/titel/748-Fragen_an_das_MfS.html