Der Empörten-Virus greift um sich

Danke IWF, dass du hier bist

Die spanischen Protestler haben ihr Ziel erreicht und inzwischen die westliche Welt mit dem Protest infiziert. Denn am weltweiten Aktionstag wird es heute in 70 Ländern und in mehr 1000 Städten zu Protesten kommen. Aufgerufen hat zu den "internationalen Protesten" die spanische Plattform "Wahre Demokratie Jetzt" (DRY). Ausgedrückt werden soll die "Empörung über den Verlust unserer Rechte", denn diese Rechte würden den Menschen von einem "Bündnis der großen Unternehmen und der politischen Klasse entzogen" (deutsche Übersetzung des Aufrufs).

 

Beschlossen worden war der Protesttag schon am 30. Mai auf den spanischen Protestcamps der "Indignados". Zwar hatten die Empörten und DRY schon damals auf eine internationale Ausweitung der Proteste gehofft, dass die Bewegung aber zum Vorbild für die massiven Proteste in Israel  und den USA werden sollte und am Samstag in insgesamt 45 Ländern protestiert wird, hatte man im Frühjahr nicht einmal zu träumen gewagt. Die Bewegung war mit den Demonstrationen am 15. Mai entstanden, zu denen DRY in mehr als 50 spanischen Städten die Menschen "ohne Job, ohne Wohnung, ohne Pension und ohne Angst" aufgerufen hatte.

 

Mit der freiwilligen Auflösung der Protestlager Ende Juni hatte sich auch die Bandbreite der Proteste vergrößert. So entstanden auch Protestmärsche, mit denen sie in verschiedenen Marschsäulen auf Madrid gezogen waren.  In der spanischen Hauptstadt wurde dann Ende Juli entschieden, den Schritt zur "Globalisierung der Proteste" zu gehen. 50 Marschierer machten sich damals auf den Weg nach Brüssel, wo sie am vergangenen Samstag eingetroffen sind.

 

Auf dem Weg wurde die Gruppe immer größer  und am 16. September waren es schon Hunderte, die in Paris eintrafen. Auf ihrem Weg nach Brüssel wuchs die bunte Truppe noch weiter an. Während die Camps auf dem 1500 Kilometer langen Marsch meist toleriert wurden, hat die Polizei in Brüssel in der Nacht vom vergangenen Samstag auf Sonntag im Elisabeth-Park gewaltsam geräumt und 48 Protestler festgenommen. Der Park sollte in dieser Woche zum "Internationalen Sitz der Empörung" werden. Hier sollte die zentrale Demonstration vorbereitet und das alternative Parlament eingerichtet werden. Damit wollen die Empörten vor dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober in Brüssel zeigen, dass sie sich vom Europaparlament und den EU-Institutionen in der belgischen Hauptstadt nicht vertreten fühlen. Allerdings wurde der Gipfel wegen der Probleme und der neu hervortretenen Bankenkrise verschoben. 

 

Während sich die Scheinwerfer auf Brüssel richten, haben sich auch die Indignados in der Heimat wieder auf viele Proteste für das Wochenende vorbereutet. Schon in den letzten Wochen haben die Empörten mit der Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) etliche Zwangsräumungen von Familien verhindert, die ihre Raten angesichts einer Arbeitslosigkeit von mehr als 21 Prozent nicht mehr an die Banken bezahlen können. Am Wochenende wird es deshalb auch zu vielen Aktionen vor Banken und vor Parlamenten kommen. 

 

Unterstützt werden soll die Volksinitiative (ILP), die nach Monaten der Verschleppung nun auf dem parlamentarischen Weg ist. Dafür hatten die Betreiber 500.000 Unterschriften gesammelt. Die Gesetzesinitiative sieht vor, dass die Hypothekenschuld mit der Rückgabe der Immobilie an die Bank beglichen ist, wie zum Beispiel in den USA. In Spanien verlieren die Familien ihre Wohnung, sitzen danach aber oft auf einem Schuldenberg. Denn nach derzeitiger Rechtslage übernehmen die mit Milliarden gestützten Banken die Immobilien nur für die Hälfte des Werts, wenn sie sie nicht zwangsversteigert werden können.

 

In den letzten Wochen rückt auch die Mobilisierung gegen die Einschnitte ins Bildungssystem immer stärker ins Zentrum. In verschiedenen Regionen streiken immer wieder Lehrer und Schüler gegen die Einschnitte im Rahmen des Sparprogramms und werden von Empörten unterstützt. Anknüpfend an diese Proteste haben die Gewerkschaften für den 20. Oktober zu neuen Streiks im Bildungssektor aufgerufen. Neue Empörte gibt es auch unter Sozialarbeitern, Selbstständigen und sogar unter Apothekern, denen die Regionalregierungen ausstehende Rechnungen seit Monaten nicht bezahlen.

 

Eigentlich hatten die Empörten auch einen Generalstreik geplant. Doch bisher ist die Bereitschaft dazu in den Führungen der beiden großen Gewerkschaften gering, während sie an der Basis reift. Die Empörten erwarten, dass es nach den vorgezogenen Neuwahlen am 20. November zum Generalstreik kommt, wenn die neue Regierung mit neuen Grausamkeiten aufwartet. Schließlich haben beide großen Parteien nun sogar eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert, wie es die Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangt hatte.

 

Trotz allem wird das Land die ohnehin schwachen Ziele kaum erreichen können. Das zeigen auch die gescheiterten Versuche, über Privatisierungen das Tafelsilber zu verscherbeln. Gerade mussten nun auch die Privatisierungen der beiden größten Flughäfen aufgeschoben werden. Geplant hatte die sozialdemokratische Regierung, über die Privatisierung der Flughäfen in Madrid und Barcelona insgesamt 5,2 Milliarden Euro einzunehmen. Am 30. Oktober sollte die Frist für die öffentliche Ausschreibung auslaufen. Sie wird nun zunächst um drei Monate verlängert, erklärte das Ministerium für Infrastruktur in Madrid.


Als Begründung wurde angeführt, dass die Interessenten mehr Zeit verlangt hätten, um an Geld für die Finanzierung zu kommen. "Die Bietergruppen haben das Interesse an einer Teilnahme an der Auktion bekräftigt aber erklärt, dass sie wegen der wachsenden Spannungen an den globalen Finanzmärkten mehr benötigen, um die notwendigen Finanzmittel aufzubringen", wurde in einer Presseerklärung mitgeteilt. Als neue Frist wurde nun der 31. Januar 2012 festgelegt, doch dieses Datum kann man getrost vergessen. Schließlich finden am 20. November vorgezogene Neuwahlen statt. Bisher gehen alle Umfragen davon aus, dass die ultrakonservative Volkspartei (PP) diese Wahlen gewinnen wird, die diesen Privatisierungen angeblich kritisch gegenübersteht.

Da kürzlich auch schon die teilweise Privatisierung der Lotteriegesellschaft verschoben wurde, die sogar 7 Milliarden einbringen sollte, klafft nun ein Loch von etwa 13 Milliarden Euro in der Rechnung der Regierung, weil auch andere Verkäufe gescheitert sind. Angesichts der wirtschaftlichen Stagnation im Land und der enormen Arbeitslosigkeit von 21,2% wird Spanien seine Sparziele nun schon 2011 nicht erfüllen können, wie schon anhand der hohen Defizite in den Regionen deutlich gemacht haben. Das Land soll nach Brüsseler Vorgaben das Haushaltsdefizit 2011 eigentlich auf 6% senken. Dass kann nun ohne statistische Tricks nicht mehr gelingen. Daran ändert auch nichts, dass die Finanzministerin Elena Salgado erst kürzlich behauptete, das Land käme beim Abbau des Defizits gut voran. Es zeigt sich, dass das, was auch für Griechenland als Lösung angeboten wird, keine Lösung ist. Vielmehr müsste der Staat sein Tafelsilber zum Schleuderpreis verschleudern und dazu ist sogar die Regierung Zapatero wohl nicht bereit.

Erneut wurde heute die Kreditwürdigkeit des Landes von der Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) zurückgestuft. "Wegen der hohen Arbeitslosigkeit, einer Kreditverknappung und der hohen Verschuldung des Privatsektors sowie dem wahrscheinlichen Abschwung bei den wichtigsten Handelspartnern sehen wir erhöhte Risiken für Spaniens Wachstumsaussichten", begründete S&P. Die Note wurde von um eine Stufe von AA auf AA- gesenkt, womit S&P den Schritt von Fitch kürzlich nachvollzieht. Die Zinsen für spanische Staatsanleihen werden sich damit weiter verteuern, womit weitere Finanzlöcher entstehen. Weitere Herabstufungen sind programmiert, weil auch S&P den Ausblick auf negativ beließ. 

Sogar optimistisch geht die Agentur für 2012 aber noch von einem Wirtschaftswachstum von 1% aus, aber auch eine Rezession wird nicht ausgeschlossen. Es ist erstaunlich, dass auch diese Agentur nicht anführt, dass das Land wohl kaum die angestrebten Sparziele erfüllen kann. Dass sich die Agenturen nicht sonderlich in Spanien auskennen, haben sie mit der absurden Abstufungspolitik gezeigt. Damit wurde das Land erst auf den verrückten Sparkurs gezwungen. 

 

So richtig in den Tod gespart wird derzeit nach Griechenland aber Portugal. Einbußen bei Einkommen und Renten und längere Arbeitszeiten wurden nun über den Haushalt 2012 beschlossen. Die konservative Regierung unter Pedro Passos Coelho setzt die Schere damit an der Mittelschicht an, der 2012 Einbußen von bis zu 20% hinnehmen soll, rechnete die Wirtschaftszeitung Jornal de Negocios vor. Rentner und Staatsbedienstete, die mehr als 1000 Euro im Monat erhalten, sollen einen guten Teil der Last tragen. Wegfallen werden für sie die beiden Sonderzahlungen für den Urlaub und an Weihnachten. Die Arbeitszeit soll zudem für die Staatsbediensteten um 30 Minuten am Tag angehoben werden.


Doch auch die Unterschicht wird erneut zur Kasse gebeten werden. Einkommen, die zwischen dem niedrigen Mindestlohn und 1000 Euro liegen, sollen Einschnitte bei den Sonderzahlungen hinnehmen. Arme sind besonders davon betroffen, dass der verringerte Steuersatz auf viele Güter abgeschafft wird. Für sie soll künftig der auf 23% angehobene normale Mehrwertsteuersatz erhoben werden. Auch bei den Ausgaben für Bildung und Gesundheit soll weiter gekürzt werden.


"Das Land durchlebt eine Zeit des nationalen Notstands", erklärte Coelho nach Verabschiedung der Sparpläne durch das Kabinett mitten in der Nacht auf Freitag. "Wir müssen viel mehr tun als ursprünglich geplant war." Es hätte nie dazu kommen dürfen", meinte er. "Als ich gewählt wurde, hätte ich nie gedacht, dass ich dem Land so strenge Maßnahmen würde ankündigen müssen." Er war im Juni bei vorgezogenen Neuwahlen an die Macht gekommen. Seine Konservativen hatten zuvor den Sozialdemokraten die Zustimmung für mildere Sparpläne verweigert, worüber deren Regierung gestürzt ist. Seit Coelho er an der Macht ist, kündigt er einen drakonischen Sparplan nach dem anderen an. Das Parlament muss im November noch den Haushaltsentwurf verabschieden. Eine Zustimmung gilt aufgrund der großen Regierungsmehrheit als sicher.


Seit der Wahl versucht Coelho die Vorgaben der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EUB) und EU-Kommission sogar über zu erfüllen . Er will seine Landsleute damit beruhigen, dass diese Maßnahmen nur so lange gelten, solange das Land Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm benötige. Doch das kann lange dauern, weil die Regierung die Konjunktur abwürgt. Längst wurde Portugal in die Rezession zurück gespart. Experten prognostizieren, dass die Sparmaßnahmen dazu führen, dass die Wirtschaft 2011 um 1,8% und 2012 um 2% schrumpft.


Da damit die hohe Arbeitslosigkeit von 12,3% ansteigt und Steuereinnahmen wegbrechen, ist fraglich, ob das Land damit die abgeschwächten Vorgaben erfüllen kann, das Haushaltsdefizit 2011 wie aus Brüssel gefordert, 2011 auf 5,9% und 2012 auf 4,6% zu senken. 2010 wurde das Ziel verfehlt, das Defizit auf 7,3% zu senken. Die Vorgabe an die Sozialdemokraten, schon 2011 das Defizit auf 4,3% zu senken, war dem Konservativen gestundet worden. Vermutlich wird Portugal aber wie Griechenland von Coelho tief in der Rezession versenkt und der verrückte Sparkurs dürfte auch Portugal in Richtung Depression führen. Es ist schon erstaunlich, dass das sogar inzwischen die Financial Times erkannt hat. Damit der Weg wie in Griechenland vorgezeichnet. Wie für die Hellenen wird bald auch für Portugal ein Schuldenschnitt wird nötig, mit all den Verwerfungen die diese Debatte nach sich zieht. Denn auch Portugal wird mittelfristig nach diesem Kurs erst so wieder auf die Beine kommen können, nachdem man es gerade tief in der Misere versenkt.Doch auch die Portugiesen werden das nicht einfach ohne Widerstand über sich ergehen lassen. Sie machen sich, in ihrer besonderen Art, über den IWF lustig. Überall findem man Sprays: "Ich liebe den IWF", oder "Danke IWF, dass du hier bist".


© Ralf Streck, den 14.10.2011

 


 

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hinkt der vergleich mit einer krankheit, gar etwas virulentem, nicht gewaltig? wollen sie so verstanden werden?

1. haben die den Vergleich selbst bemüht und ich versteh auch dein Problem damit nicht.

nach meiner Erfahrung sind spatzenhirne diejenigen die andere grundlos beleidigen ;)

 

Aber mal zur Sache: Hab mich über den Vergleidh auch erst gewundert, aber macht doch Sinn: Der Protest ist wie man sieht Ansteckend. Und eine Krankheit ist doch nicht schlecht wenn sie den Kapitalismus befällt, oder?