Göppingen: Eine Einschätzung

AN Göppingen am 1. Mai 2009 in Schweinfurt

Am vergangenen Dienstag referierte im Göppinger Bürgerhaus der Sozialwissenschaftler und Experte für Neonazi-Strukturen, Robert Andreasch, über die aktuellen Entwicklungen der rechten Szene in Süddeutschland. Neben einem allgemeinen Überblick wurde hierbei vorallem ein Augenmerk auf die lokal ansässigen rechtsradikalen Gruppierungen gelegt. Fest steht: Es gibt in und um Göppingen eine aktive Neonazi-Szene, die bundesweit auf Demonstrationen in Erscheinung tritt.  Hierbei sind insbesondere die sogenannten "Autonomen Nationalisten Göppingen" zu nennen, die vorallem durch Propaganda-Aktionen wie Flugblattverteilungen auffallen und im Rahmen einer "Dresden-Aktionswoche" momentan auf den geplanten Nazi-Aufmarsch am 19.2. mobilisieren.


Im Vorfeld des Vortrages kam es im rechten Internet-Forum Thiazi zu Aufrufen, die Veranstaltung mit "kreativen Methoden" zu stören. Was die lokale Neonazi-Szene darunter versteht, wurde bereits während eines Vortrages mit Robert Andreasch in Waiblingen ersichtlich, der am 17.3.2010 im Kulturhaus Schwanen stattfand. Hierbei rotteten sich einige Straßen vom Veranstaltungsort entfernt ca. 20 Neonazis zusammen, wohl um Besucher des Vortrages abzufangen. Einige Tage zuvor veröffentlichte ein Aktivist der "AN Göppingen" im Internet eine Ankündigung der Veranstaltung mit dem Aufruf an seine Kameraden, dem Referenten Robert Andreasch "aufs Maul zu geben".

Entsprechend war es auch u.a. das Klientel aus Göppingen, das an diesem Abend in Waiblingen in Erscheinung trat.


Der versuchte Überfall ging allerdings nach hinten los - so traf eine Gruppe von Neonazis aus Göppingen und der Heidenheimer Region vor dem Kulturhaus Schwanen auf einige anwesende Antifaschisten, die sich wehrhafter zeigten als es die Nazis wohl erwartet hatten. Es kam zur Auseinandersetzung, während der die Rechten einige Blessuren davontrugen und im Anschluss bemerkenswerte Sprinterqualitäten bewiesen.

Wohl aufgrund ihrer Erfahrungen mit antifaschistischer Gegenwehr verzichteten die Göppinger Neonazis am Dienstag darauf, die offene Konfrontation vor dem Veranstaltungsort zu suchen. Ihre großspurigen Ankündigungen, "keine linken Strukturen in Göppingen zu dulden" beschränkten sich somit darauf, aus sicherer Entfernung aus fahrenden Fahrzeugen heraus den Hitlergruß zu zeigen und beim Anblick autonomer Antifas die Flucht zu ergreifen.

Noch peinlicher ist in diesem Zusammenhang allerdings der Versuch, mit Emails an die Stadtverwaltung eine Verhinderung des Vortrages zu erreichen. Neben mehr oder minder unterschwelligen Drohungen anhand von Verweisen auf die Überfälle von Neonazis auf Veranstaltungsteilnehmer während eines Andreasch-Vortrages 2007 in Aalen markierten die Faschisten hierbei besorgte Bürger, die sich über angeblich "linksextreme" Tendenzen des Referenten empören. Außer Acht gelassen wurde freilich, dass der Diffamierungskampagne seitens des bayrischen Verfassungsschutzes gegen Robert Andreasch und das a.i.d.a.-Archiv in München zwischenzeitlich durch den bayrischen Verwaltungsgerichtshof juristisch ein Riegel vorgeschoben wurde.

Interessanter ist in diesem Kontext aber, dass sich die Göppinger Neonazis explizit auf die CDU-Landtagsabgeordnete Nicole Razavi beziehen, die sich kürzlich in einer Anfrage an den Landtag nach "linksextremen Tendenzen" bei der Grünen Jugend sowie den Göppinger Jusos erkundigte. Letztere waren es auch, die nicht nur den Vortrag mit Robert Andreasch in Göppingen organisierten, sondern auch seinerzeit die sog. "Eislinger Erklärung" der Jungen Union Göppingen scharf kritisierten. In dem Positionspapier der CDU-Jugendorganisation wird u.a. offen gegen Migranten und Homosexuelle gehetzt und eine angebliche "Selbstgeißelung des Volkes mit den Verbrechen des Dritten Reiches" angeprangert. Eine detailierte Stellungnahme seitens Razavi, wie sie von den Jusos gefordert wurde, blieb aus. Was lediglich erfolgte, war die genannte Anfrage an den Landtag, die aufgrund der Ereignisse als billige und durchschaubare Retourkutsche auf die Kritik am Hetzpamphlet der Jungen Union betrachtet werden muss.

Der Linksextremismus-Vorwurf, der als politische Waffe gegen unliebsame linke Strömungen dank Bundesfamilienministerin Kristina Schröder mittlweile zur Staatsdoktrin geworden ist und mit Steuergeldern finanzierte Kampagnen nach sich zieht, entarnt sich nun also auch im vorliegenden Fall als Versuch der bürgerlichen Rechten, die antifaschistische Arbeit kritischer Initiativen zu diskreditieren. Dass die Argumentation von Razavi in Göppingen nun Wasser auf die Mühlen der Anti-Antifa-Arbeit regionaler Neonazis darstellt, war absehbar und manövriert ihren Versuch, linke Jugendgruppen zu diffamieren nur noch weiter ins Abseits.

Als vorläufiges Fazit der Entwicklungen in Göppingen ist festzuhalten, dass unabhängig von der offenen Agitation faschistischer Gruppierungen ein besorgniserregendes Potential an reaktionärem Gedankengut in der selbsternannten "demokratischen Mitte" der politischen Landschaft anzutreffen ist.


Göppingen bleibt also ein Pflaster, auf dem es aus antifaschistischer Perspektive noch einiges zu tun gibt. Insbesondere den Versuchen selbsternannter "Anti-Antifa-Aktivisten", im Anschluss an (rechts-)konservative Propaganda Hetze gegen linke Strukturen zu verbreiten, muss entsprechend entgegengewirkt werden.


Auch die bürgerlich-demokratisch auftretende Rechte muss hierbei zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden. Abseits von Prügelnazis und dem bundesweiten Schaulaufen der "AN Göppingen" stellt die Verankerung nationalistischer, rassistischer und gegen progressive linke Politik gerichteter Positionen in etablierten Parteien und deren Jugendorganisationen eine gesamtgesellschaftlich nicht weniger bedenkliche Entwicklung dar. Die inzwischen aufgrund öffentlichen Drucks zurückgezogene "Eislinger Erklärung" der Jungen Union ist hierbei ein zwar entlarfendes Pamphlet, aber letztlich nur die Spitze des Eisberges.

Auch in Zukunft wird eine antifaschistische Linke gefordert sein, hier Aufklärungsarbeit zu leisten und der Propaganda von Neonazis und bürgerlichen Rechten eine angemessene Antwort zukommen zu lassen.

 


 

Weitere Informationen:

 

http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/ein-sieg-gegen-den-verfassungsschutz/

http://www.swp.de/geislingen/lokales/geislingen/Die-Eislinger-Erklaerung-Auszuege;art5573,443737

http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2523543_0_5622_--eislinger-erklaerung-kehrtwende-der-jungen-union.html

http://www.swp.de/geislingen/lokales/geislingen/Beschaemende-Unterstellung;art5573,624315

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert