Heute Nacht fand in Wien der WKR-Ball statt. Trotz eines kompletten Demoverbotes fanden unzählige Demonstrationen und Spontanaktionen statt.
In den letzten Tagen lehnt sich die halbe arabische Welt gegen ihre Diktatoren auf (wir berichten laufend), da könnte man annehmen, diesen Schwung sollte man nicht ungenutzt lassen und in aller Welt müssen sich die Menschen auf den Straßen versammeln. Letzten Freitag passierte das in Wien gleich mehrmals. Ich wünschte, ich könnte auch eine coole Rock’n'Roll-Story über Schmerzen im Arsch bringen, aber Wien ist leider nicht so spannend, dafür sperren wir die halbe Stadt ab, wenn Burschenschafter auf einen Ball gehen.
Den Anfang machte eine kleine Solidaritäts-Kundgebung am Stephansplatz, wo man in Gedanken bei den Brüdern und Schwestern in Ägypten war. Wie ein Haufen spartanischer Soldaten in Igel-Formation standen geschätzt 40 Menschen beim Haas-Haus, skandierten auf arabisch und hielten einige handgeschriebene Zettel in die Luft. Da und dort war auch eine Fahne zu sehen. Die wenigsten Passanten konnten damit etwas anfangen, ein paar Touristen und vielleicht drei Presseleute schossen Fotos, die Demonstranten selbst hatten Videokameras dabei und heiße sechs Polizisten überwachten skeptisch das Geschehen.
Ich weiß nicht, wie lange die schon dort waren, bevor ich kam, dann ging aber alles schnell. Nach rund zehn Minuten murmelte jemand etwas, allgemeiner Jubel brach in der Gruppe aus und die Kundgebung begann sich aufzulösen. Einige stellten sich zusammen und plauderten, jemand montierte die Kamera vom Stativ und eine Gruppe Teenagermädchen beendete das Spektakel auf ganz westliche Art und Weise: „Gemma Mäci?“
Ich hatte ja gehofft, dort einige Demonstranten der NO WKN-Partie anzutreffen, wurde doch am Vortag ihre vor über zwei Wochen angemeldete Demonstration untersagt, obwohl sich EU-Beobachter angemeldet hatten. Generell herrschte Demoverbot was den Ball des Wiener Korporationsrings angeht. Für alle, die den WKR nicht kennen: Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss verschiedener (schlagender) Burschenschaften, die mehr oder weniger offen im rechtsextremen Eck herumsitzen. Jedes Jahr feiern sie einen Ball in der Hofburg, wo auch illustre Gäste aus den Reihen der NPD und Vlaams Belang anzutreffen sind, oder auch Vertreter der Bewegung „Pro Köln“. Für heuer, so sagte man, kündigte sich die neue „Führerin“ der Front National, die Tochter LePens an. Ob sie nun wirklich da war oder nicht wollte man mir nicht bestätigen.
Also wollte man sich „illegal“ versammeln. Ich erfuhr, dass es so um 17:00 Uhr herum am Campus im Alten AKH losgehen sollte, also begab ich mich dort hin. Viel los war nicht, verirrt standen ein paar Studenten herum, einige Fotografen, vermutlich zivile Polizisten, jemand ging mit seinem Hund spazieren und hinter mir spielten zwei kleine Kinder in der Wiese. Mit der Zeit kamen aber doch einige Leute, es wurden Flyer verteilt, die meisten warteten im Gebäude, immerhin hatte es Temperaturen um die 0°C. Mich ereilte der Ruf der Natur, ich ging in ein nahegelegenes Café, bermerkte am Weg schon das heraneilende Polizeiaufgebot und gab via Twitter bescheid, was draussen so los war. Als ich zurück wollte, sah ich das:
Damit war die Rückkehr fürs erste erledigt. Ein paar Jungs mit geschulterten Bierpaletten erkundigten sich bei mir nach der Lage und zogen mit den Worten „Wir finden schon einen Weg rein, wir lassen uns was einfallen“ ums Eck. Weitere Passanten wollten wissen, was da los ist, die meisten waren überraschend positiv gegenüber den Demonstranten eingestellt, lediglich eine ältere Dame beschwerte sich fürchterlich über den Ausfall der Straßenbahn wegen der „Scheiß Demonstranten“.
Der Kessel war ewig zu, also checkte ich nach weiteren Demos, da man ja „dezentral“ vorgehen wollte, um der Polizei möglichst wenig Fläche zu bieten. Die Burggasse war am nächsten, also spazierte ich rüber und fand den nächsten Kessel vor. Diesmal war die WEGA zugegen (ja, das sind die Jungs, die man normal zu Geiselnahmen und dergleichen herbeiruft).
Besonders toll war der Dude, der da auf einem Balkon über dem Kessel auftauchte und die Polizei recht unmissverständlich drauf hinwies, dass er ihr Verhalten scheiße findet und sie „gefälligst die Hofburg räumen sollen“. Die anwesenden Demonstranten honorierten das mit Applaus, ein paar Einwandererjungs, welche direkt bei den Polizisten standen riefen ihnen „Ruhe auf den billigen Plätzen!“ zu. Ein Beamter musste schmunzeln.
Auf der anderen Seite des Kessels war das Bild ähnlich. Eine vorbeiziehende Koreanerin warnte mich „There’re Cops, everywhere!“ und als ich durch eine Lücke in den Kessel rein wollte, hielt mich schnell noch ein Polizist davon ab und „entfernte“ mich aus seinem Bereich.
Gelegentlich telefonierte ich mit Kollegin Lou Hefner, die mit ihrer Entourage gerade beim Volkstheater war, wo ebenfalls was los war. Sie erzählte mir, dass auf der Mariahilfer Straße gerade ziemlich was abgeht, also beschloss ich, in diese Richtung zu fahren. In der U6 sprachen ein paar Leute über die laufenden Demos und wollte die Fotos auf meiner Kamera sehen.
Beim Volkstheater angekommen traf ich bei der Station gleich auf Lou, man sprach von ein paar Verhaftungen und (Schwer)Verletzten auf der MaHü. Direkt neben uns parkte Big Brother:
Ebenso kam die Info, dass der Kessel aufgelöst sei und sich Richtung Innenstadt bewegte. Wir wollten sehen, was so los ist bei der Hofburg, wo ja gerade die „Burschis“ auftanzten, also machten wir uns ein Bild von der Lage, die äußerst beschaulich war:
Eine weitere kleine Gruppe auf alten Fahrrädern schloss sich uns kurz an, wir checkten unsere Timelines nach den aktuellen Versammlungsorten und zogen Richtung Stephansplatz weiter. Für mich hat sich der Demokreis damit geschlossen. Es war auch der Beweis, dass unsere Hüter von Recht und Gesetz ebenso Twitter lesen (Hashtag: #nowkr), denn kaum waren wir angekommen, schossen schon ein paar Einsatzfahrzeuge auf den menschenleeren Platz, den sie auch gleich wieder verließen.
Ich trennte mich, langsam schon ziemlich eingefroren, von der Gruppe und ging runter zum Schwedenplatz, wo dem virtuellen Vernehmen nach auch ein paar Leute auftauchen sollten. Auch hier nur Polizei.
Im Taxi nach Transdanubien unterhielt ich mich mit dem Fahrer, einem Serben mit breitestem Dialekt, über die Demos und den Ball. Er wurde an einem anderen Stellplatz von Demonstranten gebeten, keine Ballgäste mitzunehmen und bestätigte mir, dass sich viele Kollegen, er einschließlich, daran halten werden. Ich dachte ein bisschen über die ganze Sache nach und je länger, desto mehr musste ich den Kopf schütteln. Erste Bilder von den Festnahmen auf der MaHü kamen herein, in der ZIB 2 wurden die Demos gar nicht erwähnt, in der ZIB 24 nur mit zwei Sätzen, um dann einen längeren Beitrag über das Finale der anstaltseigenen Casting-Show zu bringen. Dem Polizeiaufgebot nach hätte man annehmen können, man rüste zum Bürgerkrieg oder zumindest für offene Straßenschlachten mit der reinkarnierten RAF. Irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, dass die Polizei die Eskalation suchte, damit man den internationalen Kollegen eine gute Show bringen konnte. Jetzt gehe ich schlafen.
OPRYDE
Read the rest at Vice Magazine: WIEN DEMONSTRIERT ODER KESSELHÜPFEN FÜR FORTGESCHRITTENE - Vice AT
wichtig zu betonen ist
wichtig zu betonen ist sicher, dass der beitrag nur ein subjektiver eindruck war.
ich hab ganz andere sachen und viel mehr aktionen gesehen.
verschiedenstes ist da gegangen:
-clowns sind bei der TU der Polizei auf die nerven gegangen
-leute haben auf der strasse ein transpi gemalt und sind damit flyernd durch die u-bahnen gefahren
-der fahrradblock hat taxis mit ballgästen blockiert
-andere radlerInnen haben punktuell strassenbahnen blockiert
-beim schwedenplatz wurde kurzzeitig die vielspurige strasse von 20 leuten blockiert
-auf der mahü wurde laut radio orange bei kleider bauer eine scheibe eingeworfen, aus solidarität mit den angeklagten tierrechtlerInnen
-gegenüber von der oper am ring, fand am gehsteig eine kurzweilige tekknoparty mit 20 tekknos statt. sie endete mit perlustrierungen durch 40 robocops
-am gürtel zwischen alserstrasse und urban-loritz platz wurde immer wieder kurzzeitig die strasse blockiert
-bei der rossauerländer fand eine soli-kundgebung für die verhafteten durch, meinen infos zufolge, bis zu 50 leuten statt
-und: überall war innerhalb kürzester zeit ein völlig übertrieben großes polizeiaufgebot, doch in vielen fällen verflüchtigten sich die demonstranInnen dann auch schon wieder
die überfordertheit der organisatorInnen der untersagten demos, wurde durch spontanen aktionismus kompensiert.
weiter so!
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