In Russland wird keine zwei Wochen nach der Vergabe der WM 2018 zur Hatz auf Ausländer geblasen, es gibt Tote und Verletzte. Militante Neonazis instrumentalisieren rechtsradikale Fußballfans für ihre Zwecke. Doch Präsident Medwedew twittert kühl: "Alles ist unter Kontrolle".
Im Internet ruft die russische SS ihre Kameraden zur Schlacht um Moskau. Die "Slawjanskij Sojus", die Slawenunion - abgekürzt SS, gehört zu den berüchtigtsten rechtsradikalen Vereinigungen in Russland. Ihr Führer Dmitrij Djomuschkin posiert gern in Tarnfleck und mit Baseballschläger, er trägt ein Hakenkreuztattoo auf dem Oberarm. "Es ist Krieg", verkündet die Slawenunion in roten Lettern auf ihrer Homepage. Auf einer apokalyptisch anmutenden Fotomontage stehen links finstere Bewohner des Kaukasus, rechts jene Fußballfans, die am Samstag im Zentrum von Moskau wüteten. Zwischen den beiden Lagern liegt Moskau, das von schwarzen Rauchschwaden verhüllt wird. "Auf wessen Seite aber wirst Du stehen?" fragen die rechten Propagandisten.
Der Krieg, den Russlands Rechtsextreme ausrufen, hat in der Nacht zu Montag die nächsten Opfer gefordert: Im Süden der Stadt attackierte ein Dutzend Jugendlicher einen Mann aus Zentralasien und tötete ihn durch Messerstiche in die Milz. Im Osten feuerten Unbekannte aus einer Gaspistole sieben Mal auf einen Verkäufer aus Aserbaidschan und verletzten ihn schwer. Ein zweiter Aserbaidschaner wurde im Zentrum der Metropole niedergestochen.
Nach der Massendemonstration von Fußballfans am Wochenende eskaliert in Moskau die Gewalt. Am Samstag hatten sich rund 6000 teils vermummte Anhänger des Hauptstadtclubs Spartak auf dem Moskauer Manege-Platz versammelt. Ihre Aktionen halten die Sicherheitskräfte der Hauptstadt schon seit Tagen in Atem. Mal marschieren sie grölend durch die Straßen, mal blockieren sie den Leningradski Prospekt, eine von Moskaus wichtigsten Ausfallstraßen, die das Zentrum mit dem Flughafen Scheremetewo verbindet. Beim Spiel von Spartak gegen den slowakischen Meister MSK Zilina randalierten sie so heftig, dass die Champions-League-Partie unterbrochen werden musste.
Begonnen hatte alles mit dem Tod von Jegor Swiridow, 27. Der Spartak-Fan, Mitglied bei der Ultra-Gruppierung "Union", geriet am 6. Dezember mit mehreren Männern aus den russischen Kaukasus-Republiken in Streit und wurde erschossen. Moskaus Miliz nahm die Verdächtigen zwar bald fest, ließ bis auf einen jedoch alle anderen wieder laufen.
Offene Straßenschlacht mit Kräften der Sonderpolizei
Rechte Gruppierungen wie die Slawenunion machen sich jetzt den Unmut der Fans zu Nutze. Am Samstag geriet der zunächst friedliche Trauermarsch für Swiridorow außer Kontrolle. Unweit des Roten Platzes skandierten Tausende Slogans wie "Russland den Russen" und reckten den Arm zum Hitlergruß in Richtung Kreml.
Selbst dem Moskauer Miliz-Chef gelang es nicht, die Wogen zu glätten: Wladimir Kolokolzew verkündete per Megafon, die Polizei tue "alles, um den Fall aufzuklären", wurde aber von der aggressiven Truppe übelst beleidigt. Hunderte meist ganz in Schwarz gekleideter Männer versuchten, die Miliz-Ketten zu durchbrechen, dann lieferten sie sich eine offene Straßenschlacht mit Kräften der Sonderpolizei. Dutzende Menschen wurden verletzt.
Nach der Räumung des Platzes machten die Rechten in der Metro Hatz auf Ausländer: Milizionäre mussten sich schützend vor eine Gruppe Farbiger stellen, an der Station "Tretjakowskaja" griffen Unbekannte einen 27-jährigen Usbeken an, brachen ihm die Nase und schlugen ihn krankenhausreif. In den U-Bahn-Wagons gingen die Angriffe weiter, die Schläger feuerten sich gegenseitig an und brüllten "töte, töte!"
Keine zwei Wochen nach der überraschenden Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2018 an Russland wird erneut deutlich, dass das Land ein massives Problem mit rechtsradikalen Fans hat. Russische Medien beklagen seit Jahren, dass gewaltbereite rechtsgerichtete Gruppen Stadien und Fanszene dominieren und friedlichen Anhängern die Freude am Spiel verleiden. Auch deshalb kommen heute zu Spielen der russischen Premier-Liga im Schnitt nur noch 5000 bis 6000 Zuschauer.
Russlands Sportminister Witali Mutko aber verharmlost die Lage: "Soweit ich mit den Fan-Bewegungen vertraut bin, so waren sie nie politisiert." Möglicherweise habe man es aber versäumt, sich hinreichend um die Anhänger zu kümmern. "In Wahrheit teilen 80 Prozent der russischen Ultras rechtsradikale Ideen", sagt Galina Koschewnikowa, Rassismusforscherin des Moskauer Sowa-Instituts. So fallen die Botschaften von rechten Aufwieglern wie der Slawenunion auf fruchtbaren Boden. Im Sommer war schon einmal ein Spartak-Fan ermordet worden, doch damals sei es den Behörden gelungen, durch intensive Gespräche mit den Fangruppierungen eine Eskalation zu vermeiden, so Koschewnikowa. "Nach der Vergabe der WM aber waren wohl alle so euphorisiert, dass sie die Probleme glatt vergessen haben", sagt die Wissenschaftlerin.
Dabei stellen die Schlägertrupps der Fußballfans nur einen Teil des Problems dar. Rechte Parolen treffen in Russland auf erhebliche Resonanz. Als der Regisseur Pawel Bardin für sein Skinhead-Doku-Drama "Russland 88" Passanten befragte, stimmten viele Parolen wie "Russland den Russen" zu. Rechtsradikale ermordeten im vergangenen Jahr 71 Menschen, meist Gastarbeiter aus Zentralasien oder Kaukasier, die für Hungerlöhne Müll in russischen Städten aufsammeln oder Schnee schippen. 2009 verurteilten russische Gerichte 135 meist jugendliche Skinheads, 43 davon zu Haftstrafen von fünf oder mehr Jahren.
Präsident Dmitrij Medwedew kündigte per Twitter bereits ein hartes Vorgehen gegen Gewalttäter an: "Alles ist unter Kontrolle. Wir werden mit jedem aufräumen, der Mist macht." Das Durchgreifen der Miliz allerdings war nicht ganz so konsequent: Die 60 Fans, die bei den Ausschreitungen am Samstag verhaftet wurden, sind schon wieder auf freiem Fuß.
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