Von Sarrazin zu Stuttgart 21 – Der Wutbürger im Dummspiegel

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Nach der diskursiven Erfindung der Extremisten, erfindet der Spiegel nun den Wutbürger. Dass Extremisten alle der gleichen Gattung angehören, egal ob sie gegen Ausländer hetzten, oder gegen jede Fremdenfeindlichkeit aktiv werden ist nichts neues. Ob sie die bestehende Ordnung ablehnen, weil sie Konkurenz und damit auch Rassismus notwendig macht, oder weil sie einen Faschismus etablieren wollen ist egal – wer die bestehende Ordnung bekämpft ist ein Hass-Chaot. Nach dem gleichen Muster strickt der Spiegel nun den Wutbürger. “Der Wutbürger” ist nicht ganz so schlimm wie der Hass-Chaot, immerhin ist er noch diskursiv und materiell in der Gesellschaft verwurzelt, dennoch ist er gefährlich – denn er hält nicht still (wer sich über die ungegenderte Sprachestört – so schreibt der Spiegel halt).

 

"Eine neue Gestalt macht sich wichtig in der deutschen Gesellschaft: Das ist der Wutbürger. Er bricht mit der bürgerlichen Tradition, dass zur politischen Mitte auch eine innere Mitte gehört, also Gelassenheit, Contenance. Der Wutbürger buht, schreit, hasst. Er ist konservativ, wohlhabend und nicht mehr jung. Früher war er staatstragend, jetzt ist er zutiefst empört über die Politiker. Er zeigt sich bei Veranstaltungen mit Thilo Sarrazin und bei Demonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21"

Meine Anerkennung für Dirk Kurbjuweit, der es in seinem Essay schafft dir-nichts-mir-nichts zwei komplett entgegengesetzte aktuelle politische Strömungen einfach gleichzusetzten. Auf der einen Seite eine Bewegung, die (bei aller verkürzten Analyse) sich mit der Beton- und Wasserwerferpolitik von oben anlegt, und auf der anderen Seite ein plumper Hass auf alles Fremde. Aber darauf kommt es nicht an. Denn ein Wutbürger ist jeder der den Mund aufmacht und sich nicht totstellt nach dem Motto: Wenn-die Politik-das-so-macht-wird-es-schon-richtig-sein. Ganz egal ob links oder rechts. Wer abweicht von der Mitte – nein wer die loyalität kündigt gegen die Politik von oben, wer nicht bedingungslos gehorsam ist, dem wird die Rationalität abgesprochen.

"Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen den beiden Beispielen. Wer in Stuttgart brüllt, würde vielleicht nicht für Sarrazin schreien und umgekehrt. Aber es gibt Parallelen, es geht jeweils um Zukunftsvergessenheit. Der Wutbürger wehrt sich gegen den Wandel und er mag nicht Weltbürger sein."

Eine ernsthafte Analyse könnte  höchstens soweit gehen, die Ursachen für beide Bewegungen – die faschistoide Sarrazin-Bewegung, und die Mitbestimmungsbewegung in Stuttgart in der gleichen gesellschaftlichen  Situation auszumachen. Nämlich in der einer wachsenden Unzufriedenheit. Ob diese ihre Ursache in der kapitalistischen Krise hat, darin dass allgemein kapitalistische Versprechen immer schaler werden, darin dass nicht mehr daran geglaubt wird, dass die herrschende Politik Lösungen für akute Probleme parat hat – ich weiß es nicht. Vielleicht spricht es sich aber rum, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Und vielleicht ist die herrschende Realität beschissen genug um ihr nicht hinterherzutrauern.

Wie meistens in Zeiten der Unzufriedenheit, gibt es 2 Gruppen von Lösungsansätze in die diese ausschlägt: Die sozialen, und die nationalen. Sicherlich sind nicht alle sozialen Lösungsansätze emanzipatorisch – so gibt es zum Beispiel auch Sozialrassismus und so weiter. Zumindest sind aber alle nationalen Lösungsansätze antiemanzipatorisch, und soziale Fragen sind die die notwendigerweiße gestellt werden müssen – mit dem Ergebnis die sozialen Verhältnisse über den Haufen zu werfen. Genau das fürchtet der Spiegel:

"Er (der Wutbürger) vergisst zudem, dass er die Demokratie trägt. Es spielt keine Rolle mehr, dass das Bahnhofsprojekt in einem langen Prozess durch alle demokratischen Instanzen gegangen ist. Der Wutbürger hat das Gefühl Mehrheit zu sein und die Lage besser beurteilen zu können als die Politik. Er macht sich zur letzten Instanz und hebelt dabei das ganze System aus."

Seine gesamte Eindimensionalität beweist der Spiegel hier mit der Formulierung “die Lage besser beurteilen zu können”. Was ist besser, was ist schlechter? Für wen überhaupt? Was ist das Ziel? Und warum? Fragen wir doch den Spiegel selbst, er wird es einige Zeilen später beantworten:

"Die nächste Moderne wird von chinesischem Tempo und chinesischen Dimensionen bestimt werden. Deutschland muss und sollte das alles nicht mitmachen (ein wenig Rhetorik, bevor es nun zum Punkt kommt:) aber es muss und sollte Anschluss halten und nicht wütend das Überkommene verteidigen."

Auch hier ist er an Eindimensionalität nicht zu übertreffen: Es gibt entweder nach vorne oder zurück. Zukunftstechnologie oder Steinzeit. Wem der Fortschritt nutzt? Ob er überhaupt zukunftsfähig ist, in einem ökologischen Sinne? Diese Fragen kennt der Spiegel nicht. Vorwärts und nimmer zurück!

"Der Wutbürger denkt an sich, nicht an die Zukunft seiner Stadt. Deshalb beginnt sein Protest in dem Moment, da das Bauen beginnt, also die Unannehmlichkeit. Nun schiebt er das beiseite, was Bürgertum immer ausgemacht hat:Verantwortlichkeit, nicht nur das Eigene und das Jetzt im BLick zu haben, sondern auch das allgemeine und das Morgen"

Tja, wessen Matrix bestimmt ist, von Standortstatistiken und Wirtschaftsanalysen, für den ist alles was dem entgegensteht eben egoistisches Interesse, welches er nicht verstehen kann. Deshalb muss er dem Wutbürger vorwerfen nicht zu verstehen:

"Er versteht nicht, oder er will nicht verstehen, dass ein Sieg der Gegner von Stuttgart 21 jeden anderen Protest in Deutschland beflügelt. Fast jedes neue Kraftwerk, fast jede Hochspannungsleitung, fast jedes Windrad (Anm.: rhetorisch nicht schlecht, ist aber ein alter Trick) , fast jede Straße ist umstritten, weil sie nicht in Lebensgefühle passen oder Lebenslagen verändern. Deutschland wird erstarren, wenn sich allenorten die Wutbürger durchsetzten."

Oh du heilige Scheiße! Kein Atomkraftwerk und keine Autobahn könnte mehr gebaut werden, wenn die betroffenen Menschen  sich jetzt einmischen wollen und ihre egoistischen Interessen über die der “Zukunftsfähigkeit” einer Nation stellen? Wo kämen wir da hin? Ja wo kähmen wir denn da hin? Fragen wir das einmal – nein diesesmal nicht den Spiegel, der durfte schon genug Plattheiten loswerden – sondern die Gruppe Gegenbilder. Wo kähmen wir hin wenn die Wutbürger tatsächlich Projekte undurchsetzbar machen und sich gegen Herrschaft auflehnen?

"Ohne Herrschaft ginge vieles nicht – und das wäre gut so! Alle Versuche, statt dem vom Egoismus angetriebenen Menschen ein soziales und am Interesse anderer ausgerichtetes  Wesen zu schaffen, sind Formen der Fremdbestimmung – selbst wenn appellativ an das Gute im Innern angeknüpft werden sollte. Denn schlechtes Gewissen ist Fremdbestimmung, es orientiert sich an Erwartungshaltungen anderer, an Angst und normativen Setzungen. Gesetze, Moral, Esoterik und Religion sind ohnehin Wertesysteme, die von außen kommen und den Menschen steuern.
Den Egoismus überwinden zu wollen, bedeutet den Verzicht auf den impulsivsten, energiegeladensten Antrieb des Menschen. Der Versuch wird meistens scheitern, weil der Egoismus zu stark ist. Wo er gebrochen wird, bleibt oft ein kraftloses, persönlichkeitsschwaches Wesen zurück.

Tatsächlich wäre wichtig, genau das stark zu machen und kooperativ zu nutzen, was den Menschen im Kern antreibt: Sein Egoismus, der Wille nach einem besseren Leben, das Bedürfnis nach Sicherheit bzw. Geborgenheit, Lust und Befriedigung, Selbstentfaltung und Innovation – alles also Ziele, die vom Egoismus gespeist werden. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen so sein, daß diese Motivation die freie Kooperation fördert. Wenn es besser für ein gutes Leben usw. ist, kooperativ zu handeln, dann wird das auch eher geschehen. Gesucht sind also Rahmenbedingungen, unter denen der Antrieb zu einem besseren Leben, der Egoismus der Menschen, weitestmöglich das kooperative Verhalten fördert und konkurrierende Beziehungen verdrängt."

Von diesem Egoismus will der Spiegel wohl nichts wissen.  Denn:

"Was wird aus meinem Land ist eine Frage, die sich Bürger stellen. Was wird aus mir ist eine Frage die sich Wutbürger stellen. Wird diese Frage nicht genügend beantwortet verliert er die Gelassenheit."

Was wird denn aus unserm Land, wenn sich alle nur noch fragen was aus ihnen selber wird, fragen wir wieder die Gruppe Gegenbilder.

"Menschen treten nicht nur als Individuum, sondern auch als Gruppe auf. Nur in wenigen Fällen jedoch sind diese Gruppen das Ergebnis freier Vereinbarung, also die gleichberechtigte Einigung auf eine gemeinsame Organisierung unter Sicherung der Autonomie des Einzelnen. Die meisten Gruppen basieren auf der Schaffung kollektiver Identität und/oder der Erzwingung der Mitwirkung in einer Gruppe (…) Volk und Vaterland: Beide entstehen durch die Konstruktion einer kollektiven Identität über die Beschreibung scheinbarer gleicher Eigenschaften, Traditionen, Umwelt, Fähigkeiten usw. sowie die Abgrenzung gegen das Andere, was von außen kommt und das „Wir“ direkt oder zumindest in der völkischen Reinheit bedroht. Ein Volk entsteht nie durch die Einigung von Menschen darauf, ein Volk sein zu wollen, sondern durch Benennung des Kollektivs und der Benutzung des „Wir“ als kollektive Identität. „Wir Deutschen“ ist das Ergebnis einer Organisierung von Menschen zwischen Flensburg und Konstanz, sondern eine Formulierung, die die Identität erst schafft. Im Gegensatz zum Volk ist die Nationalität eine erzwungene Mitgliedschaft durch formalen Akt in der Regel bei der Geburt. Sie ist herrschaftsförmig, weil zumindest kraft Geburt ohne Einwilligung durch die betroffene Person. Ähnlich wirkt die Zwangszugehörigkeit zu einer Familie, einer Religion, einem Geschlecht u.ä., die oft auch bereits bei der Geburt entschieden wird und ab dann das Leben prägt."

Vielleicht ist es also gar nicht sinnig die eigenen Interessen hinter die des Vaterlandes zu stellen. Vielleicht stehen nationale Interessen nämlich immer im Konflikt mit den Interessen anderer Nationen, und vielleicht ist das ein prima Nährboden für Rassismus. Vielleicht ist der Spiegel, welcher alles unter das Interesse dieses Landes stellen will, viel näher an Sarrazin dran als die Wutbürger aus Stuttgart, und muss um davon abzulenken, ebn diese mit Sarrazin in einen Sack werfen. Vielleicht ist der Spiegel etwas schizophren wenn er schreibt:

"Eifer gegen andere Menschen, Rassen, Volksgruppen, Religionen ist unziemliches  Verhalten ist unanständig…"

Es bleibt nur zu hoffen, dass die aktuelle Desinformationsstrategie nach hinten losgeht und aus Wutbürgern Hasschaoten werden

 

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"Eine neue Gestalt macht sich wichtig in der deutschen Gesellschaft: Das ist der Wutbürger. Er bricht mit der bürgerlichen Tradition, dass zur politischen Mitte auch eine innere Mitte gehört, also Gelassenheit, Contenance. Der Wutbürger buht, schreit, hasst. Er ist konservativ, wohlhabend und nicht mehr jung. Früher war er staatstragend, jetzt ist er zutiefst empört über die Politiker. Er zeigt sich bei Veranstaltungen mit Thilo Sarrazin und bei Demonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21"

 

was ist falsch an dieser auszage? was ich auf den straßen stuttgarts sehe, sind garantiert keine menschen die die gesellschaftliche emanzipation im sinne haben! ist in etwa das selbe klientel, welches gegen arbeitslose, migrantinnen und linke "chaotinnen" hetzt!
querfront stuttgart 21?- nein danke!!!

weißt du vogel überhaupt, was ne querfront ist?

aber ist ja inzwischen üblich, lieber sein eigenes szene-nischchen zu bauen und sich in dieser wohl zu fühlen.

andere menschen streiten noch immer für ne emanzipatorische gesellschaft.

und da gehören die von dir verhassten s21 nunmal zu.

Vogel als Anrede für einen Diskussionsbeitrag verwendet kein respektabler Mensch. Wenn es Sie stört, dass einer nicht weiß, was eine Querfront ist, dann erklären Sie das doch besser, sonst kommt das so von oben herab rüber. Mit freundlichen grüßen.

sach ma, wat bist Du denn für ein Proll, Querfrontler ja? Oder warum verteidigst Du das? Emanzipatorische gesellschaft? dann lass doch den Erwachsenen ihre Nischen.

Um himmels willen! Die Bürger von Stattgart sind garnicht linksradikal...ich hatte immergedacht das wäre in der Stadt common-sense....

Wenn du was erreichen willst musst du zu en Menschen gehen, mit ihnen Kämpfen und Leben. Dann kannst du ihnen auch zeigen, dass eine andere Welt möglich ist. Nicht indem du schöne Texte in Zeitschriften schreibst, die eh nur die lesen werden, die sowieso schon mehr oder weniger deiner Meinung sind. Was soll man denn deiner Meinung nach tun? Nie wieder mit anderen Reden, weil die ne andere Meinung haben und das dann ja Querfront wäre? Wie wäre es stattdessen, wenn du versuchen würdest die Menschen dort aufmerksam zu machen darauf, wie man das alles auch sehen kann was da abgeht? Du wirst die Leute verändern und die Leute dich. Wäre das Querfront? ist das zu pragmatisch?

Von Nischen, Wutbürgern und gesellschaftlicher Veränderung

In meinem linksgeprägtem Lebensumfeld höre ich immer so Kommentare wie: "oh die armen Bürgers jetzt bekommen die einmal auf die Fresse und dann heulen sie, aber wenn tagtäglich Migranten abgeschoben werden und die emanzipatorische Linke von Bullen etwas kassiert, dann ist das egal"----

Immer wieder wird versucht im Guten als auch im Schlechten etwas in Stuttgart 21 hinein zu projezieren und das nervt mich seit  geraumer Zeit.

Eines ist für mich klar: Wenn es die linksradikale Szene( weit weg von irgendeiner Form von Bewegung) nicht mal  mehr schafft sich bei repressiven Maßnahmen des staatlichen GEWALTmonopols- kurz BULLENGEWALT zuverhalten, dann ist für mich jegliche Hoffnung auf Veränderung durch die "emanziapatorische Linke" verspielt, und ich muss wohl vergebens auf die neue "Wutbürgerströmung" hoffen.

Dieses ganze isolierte Nischengekrebse und selbst abfeiern geht mir sowie so gehen die Hutschnur. Man selbst ist die Krone der emanzipatorischen Schöpfung und kann schön über das BÜRGERLICHE herziehen und wenn sich im BÜRGERLICHEN dann mal etwas tut, dann spottet man , wenn sie auf ihre Schnauzen bekommen.

Ein Hoch auf die Linke.

Ein Hoch auf die ganzen ...ISMEN

Die Linke sagt: "Wir müssen eine gesellschaftliche Macht aufbauen, wir müssen einen revolutionären Geist entfachen" und noch ganz andere Dinge, an Phatos kaum zuüberbieten. Wo ist sie denn die Stadtteilarbeit ? Wo ist denn die gesellschaftliche Kommunikation ? Aber nein wir laufen alle auf Antisparmaßnahmendemos etc. im zünftigen Autonomenlook schwarzvermummt im stechschrittlichen Ringelrein im schwarzen Block und schreien Parolen wie. "BÜRGER lasst das Glotzen sein,reiht euch in die Demo ein ...[und gefälligst jetzt ihr Ärsche ihr]". Und dann in 30 Jahren , wird sich rotweinglasschwenkend daran erinnert wir radikal man doch war und ist dann der neue "Wutbürger" ? Ich glaube dass die Linke sich in einer historisch schlechten Entfernung von gesellschaftlicher Einflussnahme befindet, aber vielleicht auch alles nur zu schwarz gemalt? Was solls sagte das Schwein und schloß hinter sich die Tür zum Schlachthof.

 

Aber immer schön: Venceremos



Und jetzt auch noch das Wort des Jahres 2010! Au mann!

 

http://www.klimaretter.info/kolumnen/kolumne-n-reimer/7590-wut-auf-die-w...