Die Waffenruhe der ETA bietet nun auch der spanischen Regierung Zapatero die Chance, im Herbst nicht zurücktreten zu müssen, wenn die Konservativen sie über den Haushalt stürzen wollen und sie über den Generalstreik im September weiter geschwächt wird.
Eigentlich war es keine wirkliche Überraschung, dass die baskische Separatistenorganisation ETA nun bestätigt hat, seit Monaten eine Waffenruhe einzuhalten. Sie hat ein entsprechendes Video mit einer Erklärung an die BBC geschickt. Darin erklärt sie: "ETA teilt mit, dass vor einigen Monaten die Entscheidung gefallen ist, keine offensiven bewaffneten Aktionen durchzuführen". Sie wählte die BBC, weil sie sich mit ihrer Entscheidung an die für eine mögliche friedliche Konfliktlösung an die dafür bedeutsame "internationale Öffentlichkeit" wendet. "Wir rufen die dazu auf, mit Verantwortlichkeit auf den Willen und die Verpflichtung der ETA zu antworten und sich an der Ausarbeitung einer dauerhaften, gerechten und demokratischen Lösung für diesen jahrhundertealten politischen Konflikt zu beteiligen", erklären drei vermummte Mitglieder in baskischer Sprache.
Seit ihrer Sommeroffensive vor gut einem Jahr, mit der die ETA ihr 50jähriges Bestehen begangen hat und Stärke zeigen wollte, hatte sie keine Anschläge mehr ausgeführt. Für alle, die sich mit der Lage im Baskenland beschäftigen und mit der Geschichte der Organisation vertraut sind, war damit klar, dass sie sich längst in einer nicht ausgesprochenen Waffenruhe befand. Das konnte deshalb auch entsprechend mitgeteilt werden. Daran änderte auch nichts, dass die spanische Regierung immer wieder behauptet hat, die ETA sei so geschwächt, dass sie keine Anschläge durchführen konnte. Dass die Organisation "fast zerschlagen" sei, hört man gebetsmühlenhaft seit der Gründung der ETA.
Sie begründet ihren Schritt nun auch damit, dass sich das "Baskenland in einem wichtigen Augenblick" befinde. "Der Kampf der vergangenen Jahre neue politische Möglichkeiten eröffnet hat. Das Autonomiemodell ist erschöpft, für die Basken ist die Stunde für den politischen Wandel gekommen, der Moment, um im Baskenland demokratische Verhältnisse zu schaffen, wie es die Mehrheit der baskischen Bevölkerung wünscht". Der spanische Staat sei sich bewusst, dass Euskal Herria (Baskenland) an einem Scheideweg angelangt sei und sich für die Option der Unabhängigkeit entscheiden kann und deshalb habe der eine "faschistische Offensive" gestartet. "Sie wollen, dass Bedingungen für einen politischen Wandel in der Verzweiflung verfault, die über eine Blockade erzeugt wird; die politische Debatte soll abgelenkt werden, um eine demokratische Lösung zu verhindern, und den Wusch der Bevölkerung in diesem Ausnahmezustand ersticken."
Sie übergibt die Initiative nun definitiv an die "baskischen Akteure und die baskischen Bürgerinnen und Bürger", die dieser Situation mit Verantwortung und mit Nachdruck begegnen sollen und diesen Schritt lange gefordert haben. Denn das die keine Anschläge durchgeführt hat, hatte nur zweitrangig mit Verfolgungsdruck, militärischer Stärke oder Logistik zu tun. Bedeutsamer ist das politische Umfeld aus dem sie kommt und in dem sie agiert. In der baskischen Gesellschaft allgemein und auch in der linken Unabhängigkeitbewegung, hat sich durchgesetzt, dass der bewaffnete Kampf der ETA inzwischen dem Ansinnen vieler Basken eher schadet und ein Zusammenführen der verschiedenen Kräfte erschwert oder verhindert. Deshalb ist von der baskischen Linken, die für gleiche oder ähnliche Ziele wie die ETA eintritt, also für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland, der Druck auf die ETA enorm gewachsen. Dass sie den letzten Friedensprozess zum Jahreswechsel 2006/2007 gesprengt hat, den die in Spanien verbotene Partei Batasuna auf den Weg gebracht hatte, wollte die baskische Linke nicht hinnehmen.
Obwohl Batasuna weiterhin verboten und viele ihrer Führungsmitglieder inhaftiert sind (http://www.info-baskenland.de/322-0-Politische+Verhaftungen+im+Gewerkschaftshaus.html), hat die Partei einen neuen Friedensprozess angeschoben und erhält dafür international große Unterstützung. So hatte der baskische Freundeskreis im Europaparlament der Initiative von Friedensnobelpreisträgern eine Plattform in Straßburg geboten. Sie forderte von der ETA eine Waffenruhe, um die Vorraussetzungen zu schaffen, damit auch der letzte bewaffnete Konflikt in Europa beendet werden kann.
Begleitet wurde der Vorstoß im Baskenland dadurch die Formierung der Zivilgesellschaft. So hat zum Beispiel Batasuna eine Aktionseinheit mit der sozialdemokratischen Baskischen Solidaritätspartei (EA) geschmiedet . In einer gemeinsamen Erklärung wurde dabei im Juni deutlich gemacht, dass "ausschließlich auf demokratische Mittel" gesetzt wird. Im Beisein von internationalen Beobachtern verpflichtete man sich darauf, "eine Strategie zu entwickeln, die auf der zivilen, friedlichen und demokratischen Konfrontation basiert", um den "politischen Konflikt zu überwinden" und "für ein definitives Ende der Gewalt" zu sorgen.
Letztlich trägt die ETA, dieser Entwicklung Rechnung, denn die beiden Parteien hatten sich ohnehin gerade auf einen Text geeinigt, um von der ETA die von der internationalen Friedensinitiative "überprüfbare und permanente" Waffenruhe nach irischem Vorbild zu fordern. Von der spricht die ETA zwar in der Erklärung noch nicht, doch daran führt kein Weg vorbei, wenn der Prozess eine Chance bekommen soll. Das Papier, das vor der Veröffentlichung schon an die Presse durchgesickert ist (http://www.elcorreo.com/vizcaya/v/20100904/politica/batasuna-confian-avale-este-20100904.html), solle dazu dienen, die Aktionseinheit um weitere Parteien, Gewerkschaften und Organisationen zu erweitern. Die ETA, welche diese Bemühungen nicht torpedieren will, blieb keine andere Möglichkeit mehr, als sich nun öffentlich zu erklären.
Für den spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero ist dieser Vorgang letztlich ein Rettungsanker, um nicht die nächsten Monate aus dem Amt gejagt zu werden. Schließlich ist nun die Geduld der katalanischen Partei Konvergenz und Einheit (CiU) vorbei. Bisher hat die rechtsbürgerliche Partei die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Madrid noch bei allen Vorhaben gestützt und auch ihre Sparpläne durch das Parlament laufen lassen. Doch die CiU hatte stets betont, dass ihre Geduld begrenzt sei und sie bläst nun offen zum Sturz von Zapatero. Sie hat gerade die Baskisch‑Nationalistischen Partei (PNV), mit der sie enge Beziehungen unterhält, aufgefordert, gemeinsam mit der rechten Volkspartei (PP) gegen den Haushalt 2001 zu stimmen. Sie will damit im Herbst vorgezogene Neuwahlen "erzwingen", wie das Führungsmitglied Felip Puig die "Aufforderung an unsere Freunde und Partner der PNV" erklärte.
Auch die baskischen Nationalisten müssten einsehen, dass nun ein "Richtungswechsel" in Madrid nötig sei. Ohne eine Unterstützung der CiU oder der PNV zum Haushalt wäre die PSOE-Regierung tatsächlich am Ende. Die PP fordert, wegen der extremen Wirtschaftskrise und einer Arbeitslosigkeit über 20 Prozent, seit langem den Rücktritt von Zapatero. Die Linksparteien lehnen den Haushalt auch ab, der tiefe Einschnitte ins Sozialsystem, die Kürzung der Gehälter von Staatsbediensteten und ähnliches vorsieht und unterstützen den Generalstreik am 29. September gegen diese Maßnahmen, der die Regierung weiter schwächen wird.
Für die PNV schlägt aber nun die Stunde, um zu versuchen, historische Forderungen der Basken durchzusetzen. Sie hat Dutzende Kompetenzen im Blick, die auch 30 Jahre nach der Verabschiedung des Autonomiestatuts nie an die Basken übertragen wurden, obwohl sie Verfassungsrang haben. Schon 2008 und 2009 unterstützte die PNV die jeweiligen Haushalte mit den Stimmen ihrer Parlamentarier, damit das Baskenland ausstehende Kompetenzen im Bereich Forschung und Entwicklung und der aktiven Arbeitsmarktpolitik übertragen bekommt.
Zapatero weiß um seine Schwäche und bot der PNV inzwischen eine "Beteiligung" an. Er will sich eine gewisse Stabilität erkaufen, um die Legislaturperiode bis 2012 beenden zu können. Einfach wird es ihm die PNV aber nicht machen, wenngleich die neuen politischen Entwicklungen im Baskenland ihr den Weg ebnen, um einen Schritt auf Zapatero zuzugehen. Denn auch die Erfahrungen der PNV mit der PSOE sind sehr schlecht. Deshalb fordert sie, um überhaupt Verhandlungen über den Haushalt aufzunehmen, dass zunächst die schon versprochenen Kompetenzen zur Arbeitsmarktpolitik übertragen werden. Auch dieses Versprechen hat Zapatero bisher nicht eingelöst. Im Blick hat sie nun, dass endlich das baskische Sozialsystem in die Hände der baskischen Regierung kommt.
Sie hat auch schon die politische Normalisierung im Baskenland auf die Tagesordnung und gefordert, dass das Parteiengesetz fallen müsse, dass zum Verbot von Batasuna geschaffen wurde. Über dieses Gesetz wurden Hunderte Parteien und Listen verboten und es macht einen Friedensprozess sehr schwierig oder verunmöglicht ihn, wie sich 2006 gezeigt hat. Zudem verfälscht es den Wählerwillen im Baskenland stark. Das zeigte sich, als nach der Aufhebung eines Verbots, schließlich doch eine Liste zu den Europaparlamentswahlen antreten konnte, die für die baskische Linke wählbar war.
Die CiU macht Druck auf die PNV und erklärt, Zapatero sei "nicht zu trauen". Sie weist auf das katalanische Autonomiestatut hin, dass mit Zapatero verabschiedet wurde, aber inzwischen völlig verstümmelt ist, was zu einer massiven Konfrontation zwischen Katalonien und Spanien geführt hat und 1,5 Millionen Menschen in Barcelona zum Protest trieb. Doch auch der PNV sind Zapateros "dauernde falsche Versprechungen und Betrügereien" bekannt, welche die Katalanen nun anführen. Schließlich wurden auch die baskischen Pläne zur Neubestimmung der Beziehungen zu Spanien von Zapatero vom Tisch gewischt, die geplante Volksabstimmung 2009 wurde sogar verboten.
Doch die PNV weist darauf hin, dass bei Neuwahlen jetzt der ultrakonservativen PP wohl eine absolute Mehrheit bescheren würden. Es war diese PP, welche vor dem Verfassungsgericht gegen das neue katalanische Autonomiestatut geklagt hat, weil sie ständig die Einheit Spaniens in Gefahr sieht. Deshalb bekämpft sie die katalanischen und baskischen Bestrebungen nach mehr Autonomie und Selbstbestimmung mit allen Mitteln. Bekannt ist auch, dass die Versuche, einen neuen Friedensprozess im Baskenland auf den Weg zu bringen, mit einer PP-Regierung keine Aussichten auf Erfolg haben dürfen. Schließlich hat die PP ebenfalls alle ihre Eisen ins Feuer geworfen, um den letzten Friedensprozess zu kippen. So helfen letztlich die linke Unabhängigkeitsbewegung und die ETA der sozialistischen Regierung an der Macht zu bleiben. Die PNV muss von Maximalforderungen nun Abstand nehmen. Viele Basken würden es ihr nicht verzeihen, jetzt, wo wieder eine friedliche Beilegung des Konflikts möglich wird, Zapatero zu stürzen, und sie damit für mindestens vier Jahre zu beerdigen.
Ralf Streck, den 06.09.2010
Reaktionen aus Spanien
Schaut man sich die Reaktionen der Regierung an, machen die weiter auf harte Linie.
http://www.elpais.com/articulo/espana/Gobierno/descarta/dialogo/ETA/pese...
Sie zeigt sich "skeptisch" und will die Anti-Terror-Politik nicht um "ein Komma" verändern. Der Innenminister tut so, als hätte die ETA eine Offensive angekündigt, um Spanien zu Verhandlungen zu zwingen: "ETA tötet, um sich durchzusetzen und deshalb kann es keinen Dialog geben. Der Staat wird ihr ein ums andere Mal Nein, Nein, Nein sagen". Komisch, warum haben die Sozis denn schon zweimal verhandelt, wenn sie immer Nein sagen. Gut auch davor haben sie immer gesagt, es werde keine Verhandlungen geben.
Interessanter ist vielmehr, dass man in Brüssel in der Erklärung der ETA ein "positives Zeichen" sieht. Man werde die Entwicklung aus der Nähe betrachten, war die Reaktion aus Brüssel. Am Samstag wird es in Bilbao eine riesige Demo geben, 17 Uhr 30 Aita Donosti, falls jemand in der Nähe ist und sich das mal anschauen will.
Soli-Kampagne für ETA-Gefangene Marina
Marina Bernadó war jahrelang politische Aktivistin der sozialen Bewegungen in Barcelona. Im Jahr 2001 kam es zu einer Repressionswelle gegen Hausbesetzer und Antifaschisten wegen Unterstützung der baskischen Organisation ETA. Zahlreiche Personen wurden festgenommen und zum Teil zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Marina konnte sich der Festnahme entziehen, bis sie im Herbst 2006 in Frankreich festgenommen wurde.
Info: http://marina.blogsport.de