Aktionsspaziergang in Königslutter zum Gedenktag der Psychiatrie-Toten.

Rede vor dem AWO-Auszubildenden-Wohnheim

Der 02te Oktober gilt seit 16 Jahren als Gedenktag für die durch, oder in Folge von psychiatrische/r "Behandlung" gestorbenen Menschen. Aus diesem Anlass besuchten an diesem Tag einige Aktivist*innen das AWO Psychiatriezentrum (APZ) in Königslutter (Niedersachsen) und machten mit Transparenten, mit Kreidesprüchen wie "Psychiatrie ohne Zwang!" und einer Rede auf die Missstände im vorherrschenden Psychiatrie-System und auf den Gedenktag selbst aufmerksam. Hierbei entstanden einige interessante Gespräche mit Menschen, die auf die Aktion aufmerksam wurden. Nach ungefähr einer Stunde verließen die Aktivist*innen das Gelände des APZ wieder und ließen neben den Kreidesprüchen noch aufgehängte Transparente zurück.


Die während des Aktionsspaziergangs verlesene Rede findet ihr hier:

2. Oktober: Gedenktag der Psychiatrie-Toten

 

Seit 2000 wird jährlich am 2. Oktober den Todesopfern von psychiatrischer „Behandlung“ gedacht. Die Initiative zur Erklärung dieses Gedenktages stammt vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener.

 

Warum Opfer von psychiatrischer „Behandlung“? Ist Psychiatrie nicht eine Institution der „seelischen Heilung“?

Durchaus wird das Bild von Psychiatrien selbst generiert, entspricht aber vor allem auf geschlossenen Stationen selten der Wahrheit. Viele Menschen werden gegen ihren Willen in diesen Anstalten eingesperrt und bekommen häufig auch gegen ihren Willen Medikamente, die nachhaltig körperliche Schäden verursachen, die Persönlichkeit eines Menschen verändern und zum frühzeitigen Tod führen können. Aus dem Memorandum der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie geht hervor, dass die natürliche Lebenserwartung unter Einnahme von Neuroleptika (bestimmte Psychopharmaka, die z.B. bei sogenannten „Psychosen“ verabreicht werden) um 25 Jahre verkürzt werden kann.

 

Außerdem sind Zwangsmaßnahmen, wie eben genannte, ein drastischer Eingriff in die Privatsphäre und werden häufig als traumatisch empfunden. Viele Menschen begehen gerade weil sie einer psychiatrischen „Behandlung“ unterzogen wurden oder werden, Selbstmord.

 

Wieviele Menschen sterben jährlich an den Folgen psychiatrischer „Behandlung“?

Die Zahl der Psychiatrie-Toten wurden vom Statistischen Bundesamt im Jahr 2004 auf fast 3.000 Menschen gezählt. Matthias Seibt, Sprecher des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener, betont, dass dies im Verhältnis fünf mal mehr Menschen sind, als außerhalb von Psychiatrien sterben. Desweiteren gibt es eine Dunkelziffer, die vom Statistischem Bundesamt nicht erfasst ist, da viele Menschen vor ihrem frühzeitigen Tod entlassen werden.

 

Ich möchte dazu aufrufen, sich an diesem Tag ein paar Momente Zeit zu nehmen, der Opfer dieser menschenverachtenden „Behandlung“ zu gedenken. Auch wäre es schön, darüber ins Gespräch zu kommen, sich miteinander auszutauschen.

Mein Gedenken an diesem Tag gilt den mir bekannten und unbekannten Todesopfern der Psychiatrie und all jenen, welche sich auch jetzt noch im Kampf gegen die fesselnden Drogen und das Psychiatrie-System befinden.

 

Wer möchte, kann am 2. Oktober in der Bochumer Innenstadt an einer Demonstration teilnehmen oder vielleicht selbst eine Veranstaltung in der Nähe initiieren.

 

Wer Interesse hat, selbst etwas zu initiieren, vielleicht auch zu einem anderen Zeitpunkt oder sich gegen Zwang in der Psychiatrie vernetzen möchte, kann sich gern mit der hier befindlichen Initiative Zwangbefreit in Verbindung setzen. Kontaktadresse: zwangbefreit@web.de

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Es freut mich das beim AWO Zentrum Königslutter an diesem Tag auch was gelaufen ist! Weiter so! Wir brauchen Alternativen zur Zwangspsychiatrie!

ein guter text- aber es stört mich, daß hier wie oft von antipsychatrischer seite der begriff psychose in anführungsstrichen steht. es gibt psychosen. leute die stimmen hören die nicht da sind und sich von außerirdischen verfolgt fühlen, die nachts bei frost nackt aus dem haus gehen weil sie nichts mehr kapieren- die haben meistens eine psychose. und wenn diese akut ist, also gerade ausgebrochen (weiß kein besseres wort), dann können neuroleptika und benzos sinnvoll sein. es muß dann aber so schnell wie möglich ne gute psychotherapie anfangen, so daß die medikamente auch wieder runtergefahren werden können. bei der ersten psychose klappt das mit ner guten therapie auch.

aufgrund unserer staatlichen und kapitalistischen strukturen ist es aber eher so, daß alle möglichen leute mit z b tavor und/oder haldol ruhig gestellt werden, unabhängig von etwaigen erkrankungen (ja, verdammt, es gibt psychische erkrankungen). ne gute therapie ist eben erstmal teuer, und viele therapeut*innen sind auf verschiedene art schlecht, zb die ganzen esos und die, die den kapitalismus für gesund halten.

auch die psychotherapie sollte aber nicht das übliche bei psychischen problemen sein. solidarische freund*innen, die einander auch in der krise beistehen, sind das wichtigste und können durch eine therapie auch nicht ersetzt werden.

der kapitalismus macht krank, und es wird nie genügend gute therapeut*innen geben um uns alle zu heilen; zumal wir durch die verhältnisse ja doch wieder krank werden.