Alltag als Abschiebepolizist: "Manchmal werde ich im Flugzeug angebettelt"

Polizeihauptkommissar Norbert Hillenbrand während einer Rückführung am Düsseldorfer Flughafen
Erstveröffentlicht: 
18.08.2016

In Deutschland leben Zehntausende Migranten, die kein Recht haben zu bleiben. Der Polizist Norbert H. hat bisher 8000 Menschen in ihre Heimat abgeschoben. Warum macht er diesen Job? Und was widerfährt ihm im Abschiebealltag? Ein Interview von Takis Würger

 

An einem Dienstag im März stand der Mann, dessen Nachname nicht ausgeschrieben werden darf, morgens um fünf Uhr auf, trank zwei Tassen Zitronentee, aß ein Rosinenbrötchen mit Nutella und fuhr dann zum Düsseldorfer Flughafen, um 93 Menschen in ihre Heimat abzuschieben.

 

Der Mann, Norbert H., 45 Jahre alt, ist Polizeihauptkommissar bei der Bundespolizei, aber er trägt an diesem Tag einen Anzug, weil deutsche Polizisten im Ausland keine Uniform tragen dürfen. An seine Krawatte hat er eine Nadel gesteckt, auf der eine kleine Concorde abgebildet ist. H. liebt das Fliegen. In seiner Freizeit engagiert er sich als zweiter Vorsitzender im Verein der Freunde historischer Luftfahrzeuge.

 

Das Flugzeug an diesem Tag fliegt erst nach Skopje, dann nach Belgrad. Die Menschen an Bord fliegen, weil sie müssen.

 

H. würde es nicht stören, wenn in diesem Text sein voller Name stünde, aber auf Rat der Presseabteilung der Bundespolizei bittet er darum, dass der Name abgekürzt wird. Die Gefahr, dass ihn sonst Abschiebegegner daheim besuchen, sei zu groß. H. sagt, wichtig sei nicht er als Individuum, sondern seine Funktion als Rückführer, wie er es nennt. Was also erzählt der Abschiebepolizist Norbert H. von seinem Arbeitsalltag? Und warum sind Abschiebungen wieder ein so großes Thema?


Die Funktion des Rückführers könnte noch von großer Bedeutung werden für Angela Merkel. Neue Flüchtlinge kommen nicht mehr, jedenfalls nicht in großer Zahl, und nun wird es für die Bilanz ihrer Kanzlerschaft darum gehen, diejenigen loszuwerden, die kein Recht haben, hier zu sein.

 

Um kurz nach acht Uhr läuft H. über die Fliesen im Abfertigungsbereich F des Düsseldorfer Flughafens, der früher für Militärcharter genutzt wurde. Heute werden von dort, in Sichtweite des Terminals, Menschen abgeschoben. Das Flugzeug und die Besatzung dafür kommen von einer großen deutschen Airline, die darum gebeten hat, nicht genannt zu werden. Die Passagiere werden in Bussen vorgefahren, manche von ihnen wissen schon länger von diesem Flug, bei anderen hat an diesem Morgen, als es noch dunkel war, ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde geklingelt und gesagt: "Bitte packen Sie Ihre Sachen."

 

Offiziell darf jeder Passagier 20 Kilogramm Gepäck mitnehmen, aber H. lässt die Menschen das mitnehmen, was sie wollen. Er habe auch schon einmal ein Kinderfahrrad mit abgeschoben und einen aufblasbaren Swimmingpool. Manche würden gern ihren Fernseher mitnehmen, aber das erlaubt die Fluggesellschaft nur dann, wenn er originalverpackt ist.

 

An der Gepäckkontrolle wartet eine Familie mit zwei Kindern. H. beugt sich zu ihnen runter und fragt: "Seid ihr schon mal geflogen?"

 

Das Mädchen schaut ihn an, es lächelt, macht kleine Sprünge auf der Stelle und sagt: "Nein."

 

"Dann wird das ja ein spannender Tag", sagt H.

 

Danach kümmert er sich darum, dass das Mädchen im Flugzeug am Fenster sitzen kann.

 

Die Passagiere bekommen im Wartebereich eine Flasche Mineralwasser von San Pellegrino, einen Apfel, ein Balisto und zwei Brote, eins mit Wurst ohne Schweinefleisch, eins mit Käse. Im Flugzeug gibt es pro Person ein Baguette mit Tomate und Mozzarella oder ein Vollkornbaguette mit Hähnchenbrust, auf dem zweiten Flugabschnitt Skopje-Belgrad wird ein Stück Obst an jeden ausgeteilt. Wer will, bekommt ein Spielzeug von der Airline.

 

In der Abflughalle ist es ruhig, Kinder spielen auf dem Fußboden, Polizisten unterhalten sich mit Passagieren, viele essen ihr Balisto. Ein paar Männer, die vor ihrer Reise inhaftiert waren, sitzen mit Handschellen gefesselt auf ihren Stühlen, daneben jeweils zwei Beamte, die sie eskortieren.

 

In dem Nebenraum F.0.005.4 liegen Matten auf dem Boden, und auf der Fensterbank stehen Schachteln mit Plastikhandschuhen, daneben liegen Kabelbinder mit abgerundeten Kanten, damit sie nicht ins Fleisch schneiden, wenn man damit einen Menschen fesselt. In den Raum F.0.005.4 kommen Passagiere, die gewalttätig werden oder randalieren, an diesem Tag passiert das nicht. Auf den weißen Wänden des Raumes sind viele schwarze Fußabdrücke von Gummisohlen. Sie stammen von den Tritten der Menschen, die sich weigern wollten, in ihre Heimat geflogen zu werden.

 

Um 13 Uhr besteigen die Passagiere einen Bus, der sie aufs Rollfeld bringt. Vor der Treppe, die ins Flugzeug führt, bilden die Polizisten ein Spalier, damit niemand wegrennt. Die Menschen steigen ins Flugzeug, als würden sie in den Urlaub fliegen. Nur eine junge Frau bleibt auf der Treppe stehen, Tränen laufen ihr übers Gesicht.

 

"Nein, ich will nicht", sagt sie. Ihr Deutsch ist erstklassig. Eine Polizistin schiebt sie sanft nach oben.

 

H. sitzt in der ersten Reihe. Mit wenigen Minuten Verspätung hebt das Flugzeug ab und verlässt Deutschland.

 

Als Norbert H. zurück ist in Deutschland, nimmt er sich Zeit für ein Gespräch.

 

SPIEGEL: Herr H., ist alles gut gegangen?

 

Rückführer: War ein sehr ruhiger Flug.

 

SPIEGEL: Vor dem Abflug sagten Sie: "Man muss eine Arbeit mögen, wenn man sie gut machen soll." Was macht Ihnen Spaß am Abschieben?

 

Rückführer: Wenn ich eine Rückführung fliege, sehe ich den unmittelbaren Einsatzerfolg, das motiviert mich. Ich sehe zum Beispiel, da ist ein Mann immer wieder straffällig geworden, der wird außer Landes gebracht. Nebenbei mag ich es, weil ich sehr gern reise und die Arbeit mit ausländischen Kollegen schätze.

 

SPIEGEL: Machen Sie das freiwillig?

 

Rückführer: Alle Beamten, die Rückführungen begleiten, machen das freiwillig. Bei mir kommt als Motivation noch die Begeisterung fürs Fliegen dazu. Ein Rückführer muss schon gern mit dem Flugzeug reisen. Ich sehe viele Flughäfen, und ich finde, man nimmt ein anderes Land wesentlich intensiver auf, wenn man nur ein paar Stunden dort ist.

 

SPIEGEL: Was ist der schönste Moment einer Abschiebung?

 

Rückführer: Eine Abschiebung ist nicht schön. Der schönste Moment ist, wenn ich nach einem Flug in Düsseldorf gelandet bin, alle sind gesund, und Mensch und Material sind wieder heil zu Hause. Wenn ich einen Straftäter in Priština abliefere, ist das sehr erfüllend, aber nicht schön. Da ist einfach nur eine negative Sache endgültig abgeschlossen.

 

SPIEGEL: Was war das schönste Land, in das Sie einen Menschen abgeschoben haben?

 

Rückführer: Das waren wohl Kenia und Kanada.

 

SPIEGEL: Deutschland schiebt nach Kanada ab?

 

Rückführer: Ja, zum Beispiel Straftäter.

 

SPIEGEL: Sie kommen ja ganz schön rum.

 

Rückführer: Solche Reisen sind selten. Ich habe dienstlich nie die Badehose dabei. Ich fliege mindestens 50-mal auf den Balkan, ehe ich mal nach Kenia fliege. Ich war nur zweimal in Kenia. Ich war auch einmal auf Jamaika, aber da bin ich sofort wieder weggeflogen.

 

SPIEGEL: Fliegen Sie gleich zurück, oder bleiben Sie ein wenig im Land?

 

Rückführer: Je nach Flugplan, oft geht der nächstmögliche Flug am Folgetag.

 

SPIEGEL: Wie viele Abschiebeflüge haben Sie begleitet?

 

Rückführer: 220.

 

SPIEGEL: Wie viele Menschen haben Sie abgeschoben?

 

Rückführer: Ich schätze, rund 8000.

 

SPIEGEL: Was ist Ihre Aufgabe bei einer Abschiebung?

 

Rückführer: Meistens bin ich der Polizeiführer einer Sammelrückführung. In erster Linie ist meine Aufgabe die Sicherheit der Rückzuführenden und meiner Beamten sowie die Übergabe im Zielland. Ich bin der Ansprechpartner für die Crew. Ich bin für alles zuständig und verantwortlich.

 

SPIEGEL: Wie gelingt eine gute Abschiebung?

 

Rückführer: Es ist wichtig, sich in den Rückzuführenden hineinzuversetzen. Viele wollen nach Hause, aber nicht in Begleitung der Polizei, das empfinden viele Menschen als Tieferstellung. Ich sag ihnen dann, ich bin hier nur dafür da, dass es im Zielland mit den Reisedokumenten keine Probleme gibt.

 

SPIEGEL: Welche Aufgabe genau hat die Bundespolizei bei Abschiebungen?

 

Rückführer: Die Aufgabe der Bundespolizei besteht nur darin, die beschlossene Abschiebung zu vollziehen, das ist eine reine Vollzugsaufgabe. Die Leute meinen immer, die Bundespolizei würde entscheiden, das ist aber eine Aufgabe der Ausländerbehörden der Bundesländer. Wir sind ganz am Anfang da, wenn die Leute ein Schutzersuchen äußern, und am Ende, wenn die Rückführung vollzogen wird. Wir sind die Allerletzten in der Kette.

 

SPIEGEL: Ist das eine Befreiung oder eine Last?

 

Rückführer: Ich denke, eine Befreiung. Wenn ich über die Zukunft eines Menschen urteilen müsste, wäre es noch schwerer. Manchmal sind da Kinder, die sprechen den besten Ruhrpottdialekt, können besser Deutsch als die Muttersprache. Da frage ich mich, wieso war eine Integrationnicht möglich, wenn die perfekt Deutsch sprechen? Und auf der anderen Seite habe ich den Straftäter, der nach fünf Jahren kein Wort Deutsch kann, aber einen guten Rechtsanwalt hat, und der schafft es - fünf Minuten vor Abflug, mit einstweiligem Rechtsschutz -, sich der Maßnahme zu entziehen, weil er einen Folgeantrag gestellt hat. Natürlich denke ich: Wie kann das so passieren? Ich hadere dann manchmal.

 

SPIEGEL: Mit was?

 

Rückführer: Es ist eine schwere Aufgabe.

 

SPIEGEL: Wie lernt man, ein guter Abschieber zu werden?

 

Rückführer: Man meldet sich freiwillig. Dann muss der Vorgesetzte eine kurze Beurteilung schreiben, ob er einen für geeignet hält. Dann folgt ein drei Wochen langer Lehrgang. Man lernt Einsatztraining, Taktik, Strategie, Psychologie. Man lernt auch interkulturelle Kompetenzen. Wenn eine muslimische Familie abgeschoben wird, muss man die besondere Rolle des Vaters verstehen. Wenn man dem sagt, er soll sein Gepäck zur Seite stellen, kann das schon eine Erniedrigung vor der Familie sein.

 

SPIEGEL: Was machen Sie in so einem Fall?

 

Rückführer: Ich nehme den Mann zur Seite und spreche mit ihm, so gut das geht, allein und auf Augenhöhe. Beim Training lernt man, die Menschen von ihren Sorgen abzulenken. Zum Beispiel, indem man sie fragt, ob sie genug Geld dabeihaben. Wir bekommen von der Ausländerbehörde bei Bedarf ein Handgeld für die Menschen.

 

SPIEGEL: Ein Handgeld?

 

Rückführer: 50 Euro, damit sie sich den Bus nach Hause leisten können. Wenn man die Leute außerdem fragt, ob sie abgeholt werden, sagen sie meistens, ja, es wäre super, wenn ich den und den noch anrufen kann. Dann kriegt er einen Anruf mit meinem Handy, und ich weiß, der wird ohne Trouble fliegen.

 

SPIEGEL: Was lernen Sie noch?

 

Rückführer: Wir haben ganze Lehrgänge für Rückführer-Englisch. Ein Zustellungsbevollmächtigter ist ein "authorized recipient". Die Bordgewalt des Luftfahrzeugführers ist "the power of the air-craft commander". Dann lernen Sie noch, wie man mit dem Kapitän redet, und viel über Impfungen und Reisemedizin. "Cook it, peel it, boil it or forget it." So was muss man wissen, wenn man nach Afrika fliegt.

 

SPIEGEL: Bekommen Sie eine Prämie fürs Abschieben?

 

Rückführer: Nein. In den Niederlanden ist das so, aber die deutschen Beamten machen das, weil sie es beruflich erfüllend finden.

 

SPIEGEL: Kündigen Sie den Passagieren die Abschiebung an?

 

Rückführer: Nein. Das Verfahren im Vorfeld der Abschiebung ist Sache der Ausländerbehörde.

 

SPIEGEL: Was passiert, wenn ein Mensch am Tag der Abschiebung nicht daheim ist?

 

Rückführer: An dem Tag passiert nichts. Der Mensch wird dann ausgeschrieben zur Fahndung.

 

SPIEGEL: Was passiert, wenn ein Mensch die Tür nicht aufmacht?

 

Rückführer: Dann ruft das Ausländeramt die Landespolizei, und die Beamten öffnen die Tür. Meistens ist keiner da. Bei so einem Charter geht oft eine Telefonkette der Rückzuführenden rum, dass die Abschiebung bevorsteht. Das Ergebnis ist: Je später die Mitarbeiter der Behörden klingeln, umso weniger Menschen treffen sie an.

 

SPIEGEL: Was passiert, wenn ein Mensch sich weigert mitzukommen?

 

Rückführer: Die Ausländerbehörde holt die Landespolizei, und die Polizisten nehmen den Menschen mit. In einem Fall hab ich mal eine Zulieferung vom Sondereinsatzkommando bekommen, weil ein Mann gedroht hat, seine Frau umzubringen.

 

SPIEGEL: Wann kommt man in Abschiebehaft?

 

Rückführer: Wenn ein Mensch mehrmals untergetaucht ist, als ihm seine Abschiebung angekündigt wurde, und er dann bei einer Polizeikontrolle erwischt wird. Abschiebehaft ist ein Mittel, das sicherstellt, dass ein Mensch nicht mehr untertauchen kann. Das ist allerdings mehr eine Verwahrung, da sind keine Straftäter in den Zellen. Die Unterkunft ist auch etwas besser als ein Gefängnis.

 

SPIEGEL: Was passiert, wenn ein Mensch den Pass wegwirft?

 

Rückführer: Den Pass oder die Papiere hat sowieso schon das Ausländeramt.

 

SPIEGEL: Wie identifizieren Sie die Menschen?

 

Rückführer: Im Asylverfahren werden Fingerabdrücke genommen, und jeder Mensch wird biometrisch fotografiert.

 

SPIEGEL: Wie würden Sie einer Abschiebung entgehen?

 

Rückführer: Wenn ich aus Deutschland abgeschoben werden sollte, könnte ich einer Abschiebung nur entgehen, wenn ich Geld oder Freunde habe. Wenn ich untergetaucht bin, kriege ich kein Geld mehr vom deutschen Staat, habe keine Krankenversicherung mehr, ich kann ohne Pass fast in kein Hotel einchecken. Aber Untertauchen geht, wir haben Leute gehabt, die haben zehn Jahre lang illegal im Chinarestaurant Teller gewaschen.

 

SPIEGEL: Wie unterscheidet sich eine Abschiebung nach Afrika von einer Abschiebung auf den Balkan?

 

Rückführer: Die Unterschiede sind groß. Afrikaner haben manchmal 30 Handys dabei, weil die zu Hause viel wert sind, aber sie dürfen die Akkus nicht mitnehmen, weil die Airline das aus sicherheitstechnischen Gründen nicht erlaubt. Afrikaner haben auch oft 60 Kilogramm Gepäck. Viel zu viel natürlich, aber dann leg ich manchmal die Kilos auf mich um, damit sie alles mitkriegen. Im Flieger fragen Afrikaner öfters nach Geld. Manchmal werde ich im Flugzeug angebettelt.

SPIEGEL: Kann man das so pauschal sagen?

 

Rückführer: Nicht pauschal, aber es gibt schon Tendenzen. Fliege ich in ein muslimisches Land, muss ich bei der Kommunikation immer besonders auf die Rolle des Mannes eingehen, auch wenn ich mit den Kindern spreche. Bei Afrikanern hat mir schon mal eine Frau ein Kind in den Arm gedrückt, die war da ganz entspannt.

 

SPIEGEL: Wer randaliert am meisten?

 

Rückführer: Afrikaner leisten häufiger Widerstand. Ich verstehe das. Aus dem Kongo nach Europa zu gelangen ist viel schwieriger als aus Albanien. Viele Afrikaner haben alles gegeben, sich Geld geliehen, damit es ein Sohn nach Europa schafft. Menschen vom Balkan habe ich teilweise schon dreimal nach Hause geschickt.

 

SPIEGEL: Haben Sie Mitleid?

 

Rückführer: Vor Kurzem haben wir eine Familie abgeschoben, die war seit 1992 hier, seit dem ersten Balkankrieg, die Kinder sprachen untereinander Deutsch. Da kommen Beamte auf mich zu und sagen: "Wie kann das sein?" Da denke ich: Um die Familie ist es schade. Polizisten sind keine Roboter. Wir wissen, was es heißt, Geborgenheit zu fühlen, ein Dach über dem Kopf zu haben, Kindern eine Zukunft aufzubauen. Es kommt immer wieder vor, dass Polizisten von heute auf morgen sagen: Ich mache das nicht mehr.

 

SPIEGEL: Tun Ihnen Kinder mehr leid als Erwachsene?

 

Rückführer: Ja.

 

SPIEGEL: Welcher Moment Ihrer Karriere hat Sie am meisten gerührt?

 

Rückführer: Wenn jemand eine deutsche Freundin hat mit gemeinsamen Kindern und dann Deutschland verlassen muss. Wenn sich die Kinder an den Vater hängen. Das ist hart zu sehen.

 

SPIEGEL: Wie gehen Sie damit um?

 

Rückführer: Ich setze mich abends auf die Terrasse im Garten, esse in Ruhe, lese ein wenig. Aber ein Mann, der kein Blut sehen kann, darf kein Metzger werden.

SPIEGEL: Sie sind hart geworden.

 

Rückführer: Ich weiß nicht, ob ich das gelernt hab. Ich würde nicht sagen, dass ich abgestumpft bin. Ich hoffe, das ist bei mir nicht passiert. Ich habe schon gesehen, dass ein Rückführer aus seiner Privatschatulle einem Menschen 20 Euro gegeben hat, weil der ihm so leidgetan hat. Ich hab das auch schon gemacht, aber das Geld immer erstattet bekommen.

 

SPIEGEL: Haben Sie zu einem Flüchtling schon mal persönlichen Kontakt aufgebaut, der länger hielt?

 

Rückführer: Nein.

 

SPIEGEL: Hat sich das Gefühl verändert von der ersten bis zur 220. Abschiebung?

 

Rückführer: Ich rede mit den Menschen im Flieger und lerne von ihnen. Ich hatte mal einen Rückzuführenden aus Kamerun, der hat mir seine ganze Flucht erzählt, der ist einmal durch ganz Afrika, um nach Norden zu kommen. Solche Erfahrungen verändern einen. Da sieht man, wie gut man es in Deutschland hat. Wir können uns alle heute Abend hinlegen und wissen, es fliegt keine Rakete ins Haus. Wir wissen, unsere Familie wird nicht gefoltert. Wenn man die Sorgen der Menschen dieser Welt kennenlernt, mit Menschen redet, die 250 Kilometer auf Flipflops gegangen sind, dann sieht man, wie erbärmlich es ist, sich über eine Beule am eigenen Auto aufzuregen.

 

SPIEGEL: Wann müssen Sie Gewalt anwenden, um einen Menschen abzuschieben?

 

Rückführer: Wenn jemand versucht zu fliehen, tritt, kratzt, beißt, spuckt und sich so verhält, dass die Sicherheit der Maßnahme gefährdet ist oder die der Menschen. Wir nennen das aber nicht Gewalt, sondern unmittelbaren Zwang. Manche Menschen versuchen, sich selbst zu verletzen, sich irgendwie flugunfähig zu machen, zum Beispiel indem sie sich an der Kabinentür den Kopf einzuschlagen versuchen.

 

SPIEGEL: Wie fühlt es sich an, einem Menschen Gewalt anzutun?

 

Rückführer: Es ist nicht schön. Ich fühle mich nicht wohl, wenn neben mir ein gefesselter Mensch sitzt, und ich gucke auf die Stahlfesseln. Man muss das an sich abperlen lassen, und man versucht, solche Situationen gar nicht entstehen zu lassen.

 

SPIEGEL: Gibt es Stewardessen im Flieger?

 

Rückführer: Ganz normal, ja, die stellt die Airline. Ich hatte einmal eine Stewardess, die ist in Tränen ausgebrochen und hat gesagt: "Ich wusste ja nicht, dass da Kinder bei sind." Da hab ich ihr das erklärt und gesagt, behandeln Sie die Rückzuführenden wie normale Fluggäste, und Sie werden sehen, das wird ein Flug wie jeder andere. Am Ende hat sie sich beruhigt.

 

SPIEGEL: Sie fliegen auch bei Linienflügen mit, wenn es nicht genug abzuschiebende Personen gibt, dass es sich lohnen würde, eine Maschine zu chartern. Wie oft weigern sich Piloten, Sie mitzunehmen?

 

Rückführer: Wissen Sie, im Jahr 2015 gab es insgesamt knapp 20000 Rückführungen aus Deutschland. Es gab in diesem Zeitraum aber nur etwa 90 Rückführungen, die aufgrund einer Beförderungsverweigerung gescheitert sind. Dann steigen wir aus. Aber die Zahlen sagen eigentlich alles. Beim Charter passiert das nicht, da wissen das die Piloten vorher.

 

SPIEGEL: Was machen Sie, wenn einer Ihrer Passagiere auf Toilette muss?

 

Rückführer: Die Polizisten begleiten den Rückzuführenden auf die Toilette, die dürfen die Toilettentür schließen, aber nicht abschließen. Die Toilette wird speziell durchsucht, da werden die Seifen entfernt, damit niemand in einer Verzweiflungstat Seife schluckt.

 

SPIEGEL: Angeblich schauen Sie und Ihre Kollegen zu?

 

Rückführer: Nein. Die Tür ist zu.

 

SPIEGEL: Wie reagieren Fremde, wenn Sie von Ihrer Arbeit erzählen?

 

Rückführer: Ich gewinne Verständnis für die Maßnahmen. Ablehnung erlebe ich nie. In meinem Bekanntenkreis sind auch viele Menschen, die grün wählen. Es gibt auch Polizisten, die fliegen Abschiebungen und wählen grün.

 

SPIEGEL: Sind Sie stolz auf Ihre Arbeit?

 

Rückführer: Ja.

 

SPIEGEL: Warum?

 

Rückführer: Darauf, es für die Rückzuführenden so angenehm wie möglich zu machen. Ich sehe mich auch als Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland und hoffe, dass ich sie würdig vertrete.

 

SPIEGEL: Wie schiebt man einen Menschen würdig ab?

 

Rückführer: Einmal hat ein Abschiebebeobachter von der Kirche, der bei einer Rückführung dabei war, zu mir gesagt, er sei gegen jede Rückführung, er möchte das nicht, aber so, wie wir es machten, schonender ginge es nicht. Das war das höchste Lob, was wir je bekommen haben.

 

SPIEGEL: Wie hat sich Ihre Arbeit durch die starke Zuwanderungder vergangenen Monate geändert?

 

Rückführer: Es sind mehr Rückführungen geworden, und das wird so weitergehen.

 

SPIEGEL: Wie verabschieden Sie die Flüchtlinge?

 

Rückführer: Ich muss mich dabei immer konzentrieren, nicht "Auf Wiedersehen" zu sagen. Ich stehe vorn am Ausgang, und die Menschen steigen vor mir aus. Die Crew steht da, gibt jedem noch ein Stück Schokolade wie bei einem normalen Flug. Ich sage dann meistens: "Danke für Ihre Kooperation, tschüs." Manchmal rutscht mir auch "Auf Wiedersehen" raus.

 

SPIEGEL: Herr H., wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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H. würde es nicht stören, wenn in diesem Text sein voller Name stünde, aber auf Rat der Presseabteilung der Bundespolizei bittet er darum, dass der Name abgekürzt wird. Die Gefahr, dass ihn sonst Abschiebegegner daheim besuchen, sei zu groß.

 

und

 

H. liebt das Fliegen. In seiner Freizeit engagiert er sich als zweiter Vorsitzender im Verein der Freunde historischer Luftfahrzeuge.

 

wird zu

 

Stellvertreter Vorsitzender: Im Februar 2014 wurde Norbert Hillenbrand in den Vorstand gewährt. Der Bundespolizist in Leitender Funktion, ist durch seine Tätigkeit am Flughafen Düsseldorf sehr mit der Luftfahrt verbunden. Er löste damit Kurt Waldmeier ab, welcher als Gründungsmitglied dem VFL seit 1991 angehört und dem Verein auch weiter als Mitglied treu bleiben wird.

 

Quelle: vfl-ev.de/verein/menschen.php

 

Außerdem:

 

Für Bundespolizisten ist es nichts Neues: Tagein, tagaus beschäftigt sich die Behörde seit jeher mit Rückführungen. Doch plötzlich ist der Begriff „Abschiebung“ in aller Munde. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo öffentlich gefordert wird, die Zahlen zu erhöhen und mehr Menschen in ihre Heimatländer zurückzubringen. Ein hochsensibles Thema, denn Bundespolizisten stehen im Mittelpunkt, wenn es darum geht, diese Rückführungen durchzuführen. Straftäter, Familien mit Kindern und junge Menschen, die mittlerweile feste Bindungen in Deutschland haben, verlangen von den Polizisten ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und Einfühlungsvermögen. Die Flugfrequenzen für den Großteil der – speziell ausgebildeten – Beamten sind merklich gestiegen.
Norbert Hillenbrand (45) ist Dienstgruppenleiter am Flughafen in Düsseldorf und einer von vielen, die regelmäßig für diese Aufgabe in die Luft gehen. Für die Bundespolizei kompakt schildert er einen für ihn typischen Sammelcharterflug.

 

Quelle:  Zeitschrift der Bundespolizei "kompakt" - 04/2016 (PDF)