Ran an die Arbeit

Erstveröffentlicht: 
28.07.2016

Linke Identitätssuche findet heute nicht mehr über die Arbeit statt, sondern immer mehr über den Inhalt des WG-Kühlschranks oder die politische Korrektheit von Sprache und Frisuren. Dabei gibt es viele gesellschaftliche Bereiche, in denen linke Interventionen notwendig wären.

 

Von Sebastian Weiermann

 

Dass die radikale Linke in Deutschland in einem miserablen Zustand ist, ist keine besonders neue Erkenntnis. Markus Liske führte vergangene Woche an dieser Stelle aus, warum eine Strategie hin zu mehr linkem Populismus und die Orientierung an den Nationalstaat, wie sie teilweise in der Linkspartei zu beobachten ist, wohl kaum zielführend sind. Aber auch, was im weitesten Sinne undogmatische linksradikale Gruppen, Organisationen oder Einzelpersonen so treiben, scheint wenig hilfreich für einen Wandel in der Gesellschaft.

 

Um die radikale Linke aus der Krise zu bringen, ist es erstmal nötig, den derzeitigen Zustand zu analysieren. Schaut man sich die vergangenen Jahre an und sucht nach angeblichen Erfolgen von linksradikalen Strukturen in der Bundesrepublik, fällt auf, dass es oft versucht wurde, globale Probleme an einzelnen Ereignissen festzumachen und mittels einer Massenmobilisierung anzugehen, die notwendigerweise eine unterkomplexe Kritik formulierte. So geschehen zum Beispiel bei den »Blockupy«-Protesten in Frankfurt oder den »Ende Gelände«-Aktionen im Rheinland oder der Lausitz. Fraglos ist die Kritik an der »Troika« (EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds) und dem »Spardiktat« für südeuropä­ische Länder berechtigt. Aber taugen Aufrufe zu einem Aktionstag gegen die Eröffnung des neuen Hauptsitzes der Europäischen Zentralbank wirklich für eine umfassende Kapitalismuskritik? Und hat es irgendeine linksradikale Struktur in Deutschland gestärkt, dass vor eineinhalb Jahren in Frankfurt ein paar Scheiben zu Bruch gegangen sind und eine Handvoll Polizeiautos gebrannt haben?

 

Ähnliches gilt für »Ende Gelände«. Klimawandel und umweltschädlicher Kohleabbau sind keine schönen Dinge. Ein paar Stunden in einem riesigen Loch mitten im Nirgendwo auf einem Bagger zu sitzen, wird diese Probleme aber wohl kaum lösen. Für diese »Eintagsmobilisierungen« arbeiten linke Gruppen gerne mal, auch auf lokaler Ebene, mit »Bürgis« zusammen. Im besten Fall hängt dann im Gewerkschaftsbüro ein buntes Plakat mit dem Aufruf zu »zivilem Ungehorsam« und beim obligatorischen »Mobi-Vortrag« treffen sich 30 Menschen und erzählen, wie bei den letzten zehn Events davor, warum dieses Ereignis besonders toll oder blöd sei und warum Gruppe XY den dollsten Aufruf hat. Das wars dann aber auch wieder, bis zum nächsten Event.

 

Haben Gruppen bei den oben geschilderten Beispielen noch irgendwie den Anspruch, in die Gesellschaft zu wirken, steht dies bei anderen Kämpfen der vergangenen Jahre überhaupt nicht zur Debatte. Hamburg und Berlin sind hier wohl die auffälligsten Beispiele, bei denen sich Autonome nur noch in nennenswerter Zahl versammeln, wenn ihren geliebten Freiräumen das Aus droht. Dann schafft man es, größere Kampagnen zu initiieren, fordert auch mal gleich die »Stadt für alle« und ist für einige Monate ganz engagiert im Kiez. Konnte der Freiraum verteidigt werden, lehnt man sich aber auch schnell wieder auf dem ranzigen Hausbesetzersofa zurück und trinkt sein Astra oder Sterni.

 

Dass Linksradikale für günstigen Wohnraum in Szenekiezen streiten, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Die meisten Menschen, die sich in der Szene bewegen, sind zwar gut ausgebildet, in der Regel mit Universitätsabschluss, aber trotzdem in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Allerdings sind Arbeitsverhältnisse, »Ausbeutung« oder wie auch immer man es nennen möchte faktisch kein Thema in der deutschen Linken. Klar, abstrakt wird mal das »gute Leben« gefordert oder in Aufrufen über Prekarisierung gejammert. Aber mit einer wie auch immer gearteten Praxis in der radikalen Linken ist das nicht verbunden. Für die meisten ist die Arbeit in einer Antifa-Gruppe oder einem anderen Zusammenschluss so etwas wie ein Hobby. Einmal die Woche Plenum, am Wochenende mal zu einer Demonstration oder in den Lesekreis und abends im Szeneladen tanzen und trinken. Wo und wie Menschen arbeiten, ist vielleicht ein Thema für private Gespräche, aber nichts woran versucht wird, Kritik zu formulieren und gesellschaftliche Verhältnisse zu erklären oder gar zu verändern. Dabei dürfte es zum Beispiel Hunderte Menschen geben, die sich irgendwie linksradikal definieren und sich in Universitäten von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln und beim Versuch, im akademischen Bereich Karriere zu machen, immer wieder umziehen müssen. Oder linke Menschen, die mehr oder weniger prekär im sozialen Bereich arbeiten, wo auch immer mehr gespart wird und auch das Befristungsunwe­sen um sich greift. Andere beziehen vielleicht Hartz IV. All dies sind Kontexte, in denen soziale Kämpfe notwendig und angebracht wären.

 

Andererseits ist dies heutzutage schwieriger als zu den Hochzeiten der alten Arbeiterbewegung. Während früher viele Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter im selben Betrieb arbeiteten, sind viele Linke heute an ihren Arbeitsplätzen vereinzelt – weil die Linke insgesamt schwächer geworden ist, weil es ein breiteres Spektrum an Berufen gibt, in denen Linke arbeiten. Wahrscheinlich auch, weil es in Zeiten von Hartz IV nicht unbedingt einfacher geworden ist, auf der Arbeit eine dicke Lippe und damit den Verlust des Jobs zu riskieren. So stehen Linke heutzutage eher alleine da. Kämpfe um Lohn und Arbeitsbedingungen fallen aus dem Aktionsrepertoire der radikalen Linken meist heraus. Wenn es aber politisch kein Thema ist, wovon Leute ihre Miete bezahlen, bleibt ein wesentlicher Teil des eigenen Alltags von linker Kritik ausgeschlossen.

 

Da die eigene Identitätsfindung heute, zum Teil sicher begrüßenswerter Weise, nicht mehr über Arbeit stattfindet, werden in linken Diskus­sionen andere Themen aufgegriffen. Dreadlocks als cultural appropriation oder Partys nur für »sexpositive, queer, trans*, intersex PoC«. Teile der radi­kalen Linken betreiben eine überspitzte Identitätspolitik. Die Critical Whiteness-Szene ist dafür ein herausragendes Beispiel, obwohl auch andere linke Subszenen ihr in nichts nachstehen. So erlebt derzeit ein dogmatischer Anarchismus eine Hochphase, der in seiner Agitation und Sektenhaftigkeit an die schlimmsten K-Gruppen erinnert. Das, was einmal »antideutsch« genannt wurde, ist zu einem identitären Spaß verkommen, der darin besteht, in Facebook-Gruppen pseudoideologiekritische Nonsense-Debatten zu führen. Die antirassistische Szene hat keine Antwort auf den Stimmungswechsel nach den überwiegend von Migranten aus dem Maghreb begangenen sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht gefunden. Dabei ist die Unterstützung von Geflüchteten derzeit so nötig wie selten zuvor. Wie sie mit diesen Konflikten umgehen soll, scheint auch für »die Antifa« noch ein Rätsel zu sein. Gegen die »Alternative für Deutschland« hat man keine neuen Konzepte entwickelt und versucht es mit der altbekannten Strategie aus Militanz und Bündnisarbeit. Der parlamentarische Erfolg der Rechtspopulisten konnte damit allerdings noch nicht eingedämmt werden. Das Problem des Islamismus wird bis auf winzige Ausnahmen völlig ignoriert. Es gibt also eigentlich viel zu tun.

 

Um wirklich etwas tun zu können, braucht die radikale Linke einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung. Dafür muss sie attraktiv werden und analysieren, unter welchen Problemen breite Bevölkerungsschichten zu leiden haben. Häufig wird sich bei der Ana­lyse herausstellen, dass es sich um Probleme handelt, mit denen Linke in ­ihrem Alltag auch zu kämpfen haben, ob Hartz IV, Altersarmut, die Abwertung von Care-Arbeit oder die Ökonomisierung im Bildungssektor. All dies könnten Ansatzpunkte sein, nur müssten sie ernst genommen und auch mit den Lebensrealitäten von linken Akteuren verknüpft werden. Es geht es nicht darum, die Leute da abzuholen, wo sie stehen, sondern gemeinsam Perspektiven eines besseren Lebens zu entwickeln und sich im eigenen Alltag dafür einzusetzen.

 

Wie das genau aussehen kann, ist unklar, wäre aber sicherlich eine Debatte wert. Klar kann die radikale Linke sich in ihre »Freiräume« zurückziehen und über Marx, Israel und Gender-Sternchen diskutieren – das bringt eine Welt, in der alle ohne Angst verschieden sein können und ein Auskommen haben, aber auch nicht näher. Vielleicht ist es interessanter, mit anderen Betroffenen der herrschenden Verhältnisse nach neuen Perspektiven zu suchen.

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So erlebt derzeit ein dogmatischer Anarchismus eine Hochphase, der in seiner Agitation und Sektenhaftigkeit an die schlimmsten K-Gruppen erinnert.

 

Welche eigenschaften von sekten möchtest du den "dogmatischen" Anarchisten vorwerfen.

 

Nach meinem verständniss ist die von jedem eigenverantwortlich betriebene Agitation der Anarchisten nicht mit der der zentralisiert aufgearbeitenten Agitation durch Berufsagitatoren von (autoritären) K(ommunisten?)-Gruppen vergleichbar...

 

Ich würde mich gerne belehren lassen ;)