Newroz in Amed – Nicht die Zeit zu trauern, sondern zu kämpfen.

Newroz in Amed 2016

Spätestens seit Beginn der 90er Jahre und dem Wiedererstarken der kurdischen Bewegung wurde auch das Newrozfest politisch neu besetzt. Rückgehend auf die Mythologie der brennenden Festung von Dehok steht das Entzünden des Newroz-Feuers als Symbol fuer die Befreiung von jeglicher Gewaltherrschaft. Nach den letzten Jahren des Friedensprozesses stand dieses Newroz wieder unter repressiven Vorzeichen…

 

Die Nacht vor Newroz verbrachten wir gemeinsam mit vielen Genoss*innen aus ganz Kurdistan. Es wurde gemeinschaftlich in einer großen Halle getanzt, sich ausgetauscht und geschlafen.

 

Während des Abends fand ein großes Plenum statt, in dem auch wir uns vorstellten. Wir sagten, dass wir die Kämpfe um Befreiung und um ein herrschaftsfreies Leben, als gemeinsame Kämpfe begreifen. Weiterhin wollen wir Solidarität zeigen und an den Newrozfeierlichkeiten teilhaben. Außerdem möchten wir von der Lage in Nordkurdistan berichten und noch viel von der Bewegung vor Ort lernen.

 

Die Reaktion der Freund*innen war eine sehr kraftvolle und motivierende. Sie sagten, es gebe ihnen Kraft, wenn selbst in dieser schweren Zeit internationale Freund*innen hierher kommen und sie glauben, dass ihre Ideen weiterhin bestehen und funktionieren können. Es sei nicht die Zeit zu trauern, sondern zu kämpfen. Anschließend lasen sie den Aufruf der Jugend und die Zusammenfassung der Briefe seit 2003 von Abdulah Öcalan zu Newroz vor.

 

Mit den Freund*innen, mit denen wir die Nacht zusammen verbracht haben, gingen wir am nächsten Morgen auf die Straße. Jedes Jahr führt eine Jugenddemo zu den Newrozfeierlichkeiten, so auch dieses. Auf der Demonstration begleiteten uns nach kurzer Zeit mehrere Acrips (gepanzerte Polizeifahrzeuge) und versuchten zu provozieren, indem sie mehrmals in die Demo hinein fuhren. Die Demo ließ sich nicht provozieren und lief lautstark weiter. Viele vorbeifahrende Busse hatten Newroz pîroz be (Fröhliches Newroz) auf den Anzeigen stehen, Autos hupten und aus allen Häusern kamen Solidaritätsbekundungen, selbst von den Kleinsten an den Fenstern.

 

Kurz vor dem Festivalgelände erwartete uns ein martialisches Polizeiaufgebot, das eindeutig zur Einschüchterung und Verhinderung der Feierlichkeiten dienen sollte. Es ist absolut klar was der türkische Staat damit bezwecken wollte. Er möchte wieder einmal mit Gewalt Menschen an Auslebung ihrer Kultur hindern. Die Feier in Amed war eine der wenigen erlaubten. Trotzdem wurde uns berichtet, dass ca. 40 000 Menschen, die aus ganz Kurdistan mit Zügen oder Autos angereist waren, zurück geschickt wurden.

 

Das Festivalgelände wurde aus Sicherheitsgründen, schon zwei Wochen vor Newroz von Genoss*innen aus ganz Bakur gesichert und eingezäunt worden. Es gab weder Stände noch Mülleimer und überall standen Genoss*innen, die das Gelände sicherten, um das Risiko eines weiteren Anschlages zu minimieren.

 

Auf dem Weg zu dem Fest, hatte die Polizei im Abstand von wenigen hundert Metern, zwei Kontrollschleusen errichtet. Absolut willkürlich wurden bei den Kontrollschleusen für Frauen* (zum Teil von männlichen Polizisten) völlig legale Tücher abgenommen. Selbst das Beiführen eines Verbandskastens hat zu mehrfacher Kontrolle durch Polizisten geführt. Bei der Kontrolle der Männer* eskalierte, ohne ersichtlichen Grund, die Situation. Mit Schlagstöcken wurden umstehende Personen durch die Schleuse getrieben, Akreps und Wasserwerfer wurden aufgefahren.

 

Auf dem Fest angekommen, füllte sich langsam das Gelände, bis sich ca. eine Million Menschen einfanden. Viele tanzten und sangen zusammen, egal ob mensch sich kannte oder nicht. Es wurden viele Reden auf der Bühne gehalten von Gülten Kisanak, Sirri Süreya Önder, Selahatt in Demirtas und vielen anderen. Beeindruckend war der freundliche Umgang und Austausch zwischen den Menschen und die euphorische Stimmung. Anders als auf politisch, kulturellen Veranstaltungen in Deutschland, trinkt dort niemand Alkohol und alle sind rücksichtsvoll miteinander.

 

Als das Newrozfeuer entzündet wurde, standen alle Menschen auf und sangen gemeinsam Cerxa Sorese (Der Lauf der Revolution). Manche warfen Kleidungsstücke ins Feuer, mit dem Gedanken, dass wenn etwas altes verbrennt, etwas neues entstehen kann. Mehrmals lief die Jugend lautstark, kraftvoll, mit vielen Fahnen durch die Menge und wurden von allen Besucher*innen bejubelt.

 

Als sich das Newrozfest langsam leerte, wurde die letzte Besucher*innengruppen, bei dem Verlassen des Geländes von der Polizei mit Tränengasgranaten angegriffen.

 

Trotz Anschlagsgefahr und der permanenten Repression, ließen sich die Menschen nicht einschüchtern. Auch dieses Jahr wurde von der kurdischen Bewegung wieder gezeigt, dass egal was der türkische Staat auch tut, er der Bewegung die Kraft nicht nehmen kann.

 

Newroz pîroz be!

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