Pforzheim braucht keine Bürgerwehr

Pforzheim. Gegen gezielt geschürte Vorurteile helfen Fakten meist wenig. Das zeigte sich einmal mehr bei einem städtischen Informationsabend über die Sicherheits- und Kriminalitätslage in Pforzheim am Freitag, 12. Februar. Es kamen etwa 400 Interessierte ins örtliche Congress Centrum CCP – unter ihnen auch 30 bis 40 Russlanddeutsche, dazu Anhänger der rechten Hooligan-Gruppe Berserker Pforzheim und stadtbekannte Parteigänger der NPD. Die „Pforzheimer Zeitung“ berichtet von einer „hitzigen Stimmung“ und „erheblicher Polizeipräsenz“.

 

 

Viele RednerInnen aus dem Publikum nahmen kein Blatt vor den Mund. Einige setzen auf eine Bürgerwehr. Sie erklärten, wegen des Flüchtlingszuzugs um die Sicherheit ihrer Kinder auf dem Schulweg zu bangen, sich als Frau abends und nachts nicht aus dem Haus oder beim Joggen nicht in den Wald zu trauen – besonders auf dem Haidach, einem nach den Zerstörungen durch den Bombenabwurf auf Pforzheim im zweiten Weltkrieg am Reißbrett geplanten Stadtteil, der stark von deutschstämmigen Spätaussiedlern aus dem ehemaligen Ostblock geprägt ist.

 

Pfiffe, Zwischenrufe, Beleidigungen

 

Auch gab es an dem Abend Beleidigungen gegen das Podium. Eine Frau sagte „Sie sind ein Scheiß für mich“, worauf der Erste Bürgermeister Roger Heidt mit dem Abbruch der Veranstaltung drohte. Ebenso gab es Vorwürfe gegenüber den Medien.

 

Etwa 700 Menschen – unter ihnen viele Russlanddeutsche – hatten Ende Januar auf dem Pforzheimer Marktplatz gegen angeblich verheimlichte Gewalt durch Flüchtlinge und eine prekäre Sicherheitslage protestiert. Anlass der Kundgebung waren die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln und unter anderem aus Russland gesteuerte Gerüchte, ein 13-jähriges Mädchen sei vergewaltigt worden. Inzwischen ist klar, dass es das Verbrechen frei erfunden hatte. Das Kind, das 30 Stunden von zu Hause weg war, hatte Schulprobleme und übernachtete bei einem Bekannten und seiner Mutter.

 

Das Gewaltmonopol hat der Staat

 

Der Bürgerinformationsabend wurde von Roger Heidt geleitet. Neben ihm bemühten sich Oliver Hiller von der Polizei, Ordnungsamtsleiter Wolfgang Raff, die Geschäftsführerin des Bürgerhauses von Buckenberg-Haidach Barbara Baron-Cipold und Pfarrer Georg Lichtenberger bei der fast zweistündigen Veranstaltung um sachliche Aufklärung – allerdings zum Teil vergeblich. So traten sie etwa Gerüchten entgegen, auf Sportplätzen sollten Zelte für Flüchtlinge entstehen.

 

Der Erste Bürgermeister betonte, dass das Gewaltmonopol beim Staat liege. Er sehe Bürgerwehren „sehr kritisch“. Polizeioberrat Hiller berichtete, dass die Zahl der Straftaten in Pforzheim trotz höherer Einwohnerzahl von 2014 auf 2015 gesunken sei – auch die der Sexualdelikte, zu denen nicht nur Vergewaltigungen, sondern auch Kindesmissbrauch und sexuelle Nötigung zählen. Kommentar eines Zwischenrufers: „Statistiken sind gefälscht“.

 

Keine Hinweise auf zusätzliche Gefährdung

 

Es habe 2015 rund 60 bis 70 Sexualdelikte in Pforzheim gegeben. Im Jahr zuvor seien es 89 gewesen. Die meisten ereigneten sich im privaten Umfeld. Die Zahl der Einbrüche sei insgesamt gesunken, im Haidach jedoch gestiegen. Auf dem Buckenberg sank die Einbruchszahl von 24 auf sechs, im Haidach stieg sie von drei auf acht. Die Täter seien meistens Deutsche. „Wir brauchen keine Bürgerwehr“, so das Fazit Oliver Hillers.

 

Als das Publikum zu Wort kam, trat Andreas Fabrizius ans Mikrofon. Der gebürtige Kasache war Mitveranstalter der Demonstration im Januar. Er beschwerte sich, mit Hinweis auf seine Vorstrafen nicht aufs Podium geladen worden zu sein. Immer wieder von Zwischenrufen seiner Anhänger begleitet, verbat er sich, von geplanter Selbstjustiz zu sprechen. Er wolle einen Verein gründen, um die Leute „zusammenzuführen“.

 

Statt Spätaussiedlern stehen Flüchtlinge unter Generalverdacht

 

Jörg Augenstein, Vorsitzender des Bürgervereins Haidach, erklärte hingegen, er wohne zufrieden in dem Stadtteil. In den achtziger und neunziger Jahren habe es „viele Straftaten von Spätaussiedlern“ gegeben – eine Bemerkung, die beleidigende Worte und Getöse auslöste – wie auch viele Stimmen, die zur Besonnenheit mahnten..

 

Pfarrer Georg Lichtenberger berichtete, wie er als Zuwanderer damals mit Brot und Salz empfangen wurde. Seit Mitte November lebten 40 Flüchtlinge auf dem Haidach. Bis jetzt habe es keine Vorkommnisse oder gar Straftaten gegeben. Wie früher Russlanddeutsche würden nun Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt. „Ihr Benehmen stellt mich vor die Frage, wer da vor wem geschützt werden muss“, wandte er sich nach Zwischenrufen an die Versammlung.  „Zu uns kommen Menschen. Die sind nicht besser, die sind nicht schlechter, die sind gleich“, sagte eine Frau.

 

Sascha Palosy spricht von Verrätern

 

Einigen am Mikrofon jagte die bei dem Infoabend zutage tretende Ablehnung gegen Flüchtlinge weit größere Angst ein als der zu erwartende Zuzug. So kam eine Muslima vom Haidach, die zur Integration sprechen wollte, kaum zu Wort, weil das Publikum dauernd dazwischen schrie. Das Podium rief dazu auf, sich respektvoll zu verhalten.

Auch Sascha Palosy von den Berserkern Pforzheim sprach. Er sei weder rechts, noch links. „Aber rechts vor links, das ist klar.“ Die Haidacher seien „mehr Deutsche als ihr jemals sein könntet. Weil ihr seid Verräter.“ Er bezweifelte die Statistiken. Man müsse sich schützen. Der Erste Bürgermeister Heidt widersprach: „Es konnte kein Fall genannt werden, in dem die Sicherheit konkret beeinträchtigt war“, sagte er und beendete die Veranstaltung.

 

Beobachter fragen sich nach dem Verlauf dieses Abends, wie es wohl am 23. Februar in der Stadt zugehen wird. Wie jedes Jahr wollen am Jahrestag des Bombenabwurfs auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg Neonazis zu einer „Fackelmahnwache“ auf dem Pforzheimer Wartberg aufmarschieren (siehe Aufruf zu „Nicht lange fackeln!“).

 

Quelle: http://www.beobachternews.de/2016/02/14/pforzheim-braucht-keine-buergerw...

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habe ich nicht...sondern kooperiert... ;-)