[Saar] Aufruf zur Demonstration: „Gegen den Deutschen Opfermythos – Kein Wehrmachtsdenkmal in Riegelsberg!“ am 13. Februar 2016

Gegen den deutschen Opfermythos!

Siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat der Gemeinderat in Riegelsberg beschlossen, auf dem dortigen Friedhof Gedenkplatten für die aus der Gemeinde stammenden Gefallenen der SS und der deutschen Wehrmacht zu errichten. Die Initiatoren sind dem rechten Spektrum zuzuordnen und streben eine Verharmlosung der Verbrechen der Wehrmacht und eine Wiederbelebung des nationalsozialistischen Heldengedenkens an. Die Mitglieder des Gemeinderats erweisen sich größtenteils als unfähig und unwillig, diesem Treiben einen Riegel vorzuschieben. Wir rufen daher alle dazu auf, sich gegen den geplanten Bau zu wehren und an unserer Demonstration am 13. Februar 2016 teilzunehmen.

 

Was ist bisher geschehen?


Schon seit mehreren Jahren versucht die „eingeschworene Truppe“ der Initiativgruppe Hindenburgturm die Erinnerung an die Verbrechen der Wehrmacht buchstäblich ins rechte Licht zu rücken. Spätestens seit 2013 fällt die Gruppe immer wieder in ihrem Bestreben auf, revisionistische Erinnerungspolitik durch das Errichten eines Denkmals für die Gefallenen der Gemeinde Riegelsberg zu betreiben. Zunächst strebten Dietmar Braun und seine Freunde an, den maroden Hindenburgturm als Kriegerdenkmal wiederzubeleben. In einer aufwendigen militärischen Choreographie sollten die Namen von 471 Riegelsberger SS- und Wehrmachtangehörigen im Innern des Turmes neben den Gefallenen des Ersten Weltkrieges verewigt werden. Der Antrag wurde, trotz euphorischer Bewerbung durch den SPD-Bürgermeister Klaus Häusle, letztendlich abgelehnt. Stattdessen wurde ein neues Konzept zum Gedenken an die „Opfer“ des Zweiten Weltkrieges erarbeitet. Der neue Plan sah vor, auf dem Friedhof der Gemeinde eine noch viel größere Gedenkstätte an die Gefallenen einzurichten. Zehn Granit-Tafeln mit den Namen der gefallenen Riegelsberger sollten ein bereits vorhandenes Denkmal, das an die „Opfer“ beider Weltkriege erinnert, erweitern. Das Vorhaben stieß in den saarländischen Medien auf ein lautes Echo und wurde von einzelnen Historikern und antifaschistischen Gruppen kritisiert. Für besonderes Unverständnis sorgte hierbei Dietmar Braun, der in einem Radiointerview kein Problem damit hatte, durch eine Wortwahl, die aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch schöpfte, zitiert zu werden. Außerdem, so machte Braun deutlich, würden es auch SS-Männer verdienen, nach ihrem Tod geehrt zu werden, schließlich würde ja auch an die von Nazis ermordeten Juden mit Stolpersteinen erinnert.

 

 Der Skandal war perfekt: Sowohl der Gemeinderat als auch der Bürgermeister erfüllten offensichtlich unkritisch die Denkmalwünsche einer geschichtsrevisionistischen Gruppe, die erwiesenermaßen die Vollstrecker des deutschen Vernichtungskrieges ehren und diese zu Opfern verklären möchte. Es wäre nun an der Zeit gewesen, alle Pläne zur Errichtung des Denkmals und zur Zusammenarbeit mit Braun abzusagen. Doch weder Bürgermeister Häusle, noch die SPD, geschweige denn die CDU-Fraktion erkannten die Zeichen der Zeit, sondern stimmten all diesen Vorkommnissen zum Trotz für eine Weiterverfolgung der Pläne der Hindenburgtruppe. Lediglich die bewilligten 5000 Euro wanderten in einen anderen Topf und sollten durch den Bürgermeister für das Denkmal ausgegeben werden, nachdem sich dieser mit nicht näher bestimmten, ominösen „Experten“ besprochen hätte.

 

Sowohl der Bürgermeister als auch die Mitglieder des Gemeinderats waren sich auch im Nachgang zu dieser Blamage nicht zu schade, die Pläne positiv zu kommentieren. Klaus Häusle nahm sogar die Riegelsberger Soldaten in Schutz. „Eine Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern sei heute methodisch gar nicht mehr möglich und auch nicht sinnvoll“, zitiert ihn der Saarländische Rundfunk. Außerdem sei, als würde das die Täter von jeder Schuld frei sprechen, das geplante Mahnmal „ein Mahnmal des Friedens“. Ingbert Horn, Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im Riegelsberger Gemeinderat, erklärte „Die sind alle tot.“, wodurch ein „Ende der Schuld“ erreicht sei. Die Täter seien nur „in Anführungsstrichen Täter“ und hätten somit ein Anrecht auf eine Gedenkstätte.

 

Kollektive Erinnerung in Riegelsberg


Es wäre zu einfach, anzunehmen, dass es in Riegelsberg darum ginge, ein Denkmal für trauernde Angehörige zu schaffen. Es geht darum, ein Denkmal zur kollektiven Erinnerung zu schaffen. Das heißt, dass kein wirkliches Interesse daran besteht, den Familien mit ihren individuellen Erfahrungen einen Anlaufpunkt anzubieten, an dem sie um einen Gefallenen trauern können, sondern, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges umzudeuten und die gefallenen Riegelsberger als Helden zu feiern.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass auf dem Friedhof der Gemeinde bereits ein solches Denkmal existiert. Ein großer Findling prangt dort, der an die „Opfer“ beider Weltkriege gedenkt. Davor erstreckt sich ein weites Gräberfeld mit über 100 stilisierten eisernen Kreuzen. Nicht nur Wehrmachtsangehörige, die eine Befreiung durch die US-Truppen verhindern wollten, sondern auch Angehörige des Volkssturms und sogar bei Bombenangriffen getötete Riegelsberger Anwohner sind dort beigesetzt. Es ist anzunehmen, dass die Beisetzung von zivilen Opfern mit Militärs mit Absicht erfolgte, damit beide als „Angehörige einer Blutsgemeinschaft“ zelebriert werden können. Sowohl der Frontkämpfer als auch die Deutsche Familie werden somit als gleichwertige Mitglieder eines „Volkskörpers“, also einer biologisch-rassischen Einheit verstanden, die im Tod vereint die selben Interessen verfolgten und vereint im Kampf gegen den selben Gegner starben. An die ca. 60 auf dem Waldfriedhof in Massengräbern beigesetzten Zwangsarbeiter_innen, die aus ihrer Heimat verschleppt und zu Sklavenarbeit gezwungen wurden, erinnert lediglich ein durch zwei große Hecken halb verborgener Stein. Im NS-Sprachgebrauch werden diese als „Ostarbeiter“ bezeichnet und erfahren weder das Gedenken, noch die Aufmerksamkeit, die den Wehrmachtssoldaten regelmäßig zuteil wird. Alle Toten sollen nun zusätzlich noch gemeinsam durch das Setzen des Findlings per Inschrift zusammen als Opfer des Krieges verbunden werden. Auch der Hindenburgturm spielt im Zusammenhang mit der saarländischen kollektiven Erinnerung eine wichtige Rolle. 1934 erbaut, war dieser nicht bloß ein Ort der Trauer um die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, sondern ein offenes Bekenntnis zu Nazideutschland und eine Artikulation des Wunsches nach Anschluss an dasselbe.

 

Der Turm ist eine ziemlich genaue Kopie eines Turmes, der das symbolische Zentrum des Nazidenkmals „Reichsehrenmal Tannenberg“ schmückte und eben keine unpolitische Aussichtsplattform. Er symbolisiert ganz im Sinne des NS-Totenkultes die Verbindung der deutschen Gefallenen des Ersten Weltkrieg mit dem „Geist von Tanneberg“ und in erweitertem Sinne die Opferbereitschaft des einzelnen Soldaten, für die Volksgemeinschaft zu sterben. In der Geschichte der Gemeinde nimmt der Turm vor allem die Funktion ein, die Verbundenheit der Riegelsberger zu Nazi-Deutschland auszudrücken, was in zahlreichen deutschnationalen und nationalsozialistischen Kundgebungen vor und während der NS-Zeit deutlich wird.


In Anbetracht der Geschichte des Turmes ist es skandalös, dass dieser über Jahre hinweg nicht nur im Zentrum der Bemühungen der IG Hindenburgturm stand, sondern seine Restaurierung und Nutzung im Ort auch regelmäßig Gegenstand der örtlichen Kommunalpolitik war. 1997 wurde das inzwischen stark verfallene Denkmal unter Aufwendung von fast 300.000 D-Mark sogar rundum saniert.

 

Kollektive Erinnerung im Saarland


Nicht nur in Riegelsberg, sondern auch im übrigen Bundesland hat man immer noch große Probleme, mit dem Gedenken an die Nazivergangenheit selbstkritisch umzugehen.In Saarbrücken und Völklingen (Luisenthal) erinnert zum Beispiel immer noch die „Straße des 13. Januar“ an das Bekenntnis der Saarländer zu Hitlerdeutschland in der Saarabstimmung von 1935. In Völklingen war bis 2013 ein ganzer Stadtteil nach dem Nazi und verurteilten Kriegsverbrecher Hermann Röchling benannt, bis nach jahrelangen kommunalpolitischen Diskussionen der ehemals als Bouser Höhe bezeichnete Stadtteil in Röchling-Höhe umbenannt wurde. Eine wenig sinnvolle Maßnahme. Auch von etablierten Parteien wurde gezielt Erinnerungspolitik betrieben, um die deutsche Vergangenheit in einem nicht allzu schlechten Licht dastehen zu lassen. Anlässlich der Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht“ in Saarbrücken im Jahr 1999 titelten nicht nur die NPD in einem Flugblatt, sondern auch die CDU in einer Anzeige in der Saarbrücker Zeitung: „Unsere Väter waren keine Mörder“ (CDU), bzw. „Unsere Großväter waren keine Verbrecher“(NPD). In der Ausstellung wurden in großem Umfang Fotografien und andere Dokumente präsentiert, die die Beteiligung der Wehrmacht an Kriegsverbrechen eindrucksvoll belegten. Am 9. März 1999, kurz nach dem Erscheinen des CDU-Inserats, wurde von bis heute nicht ermittelten Tätern ein Bombenanschlag auf die Ausstellung verübt.

 

Selbst Bürgerbündnisse, die sich eigentlich zur Aufgabe gemacht haben, ein Zeichen gegen Nazis zu setzen, scheitern daran, die nationalsozialistische Vergangenheit des Saarlandes in den richtigen Kontext zu setzen. Anlässlich des Aufrufs zu einer der größten Demonstrationen in Saarbrücken gegen „Saargida“ am 12. Januar 2015 erklärte das Bündnis „Bunt statt Braun“, dass viele Saarländer nach dem Anschluss zum nationalsozialistischen Deutschland von 1935 selbst zu Flüchtlingen wurden und die Aufgerufenen sich somit umso mehr für Flüchtlinge einsetzen müssten. Angesichts der damals über 90-prozentigen Zustimmung der Saarländer zur Vereinigung mit dem Deutschen Reich erscheint diese Analogie doch recht gewagt.

 

Auch die Kulturschaffenden in Saarbrücken mischen bei der deutschen Opferstilisierung kräftig mit. Ausgerechnet die Macher des „Max-Ophüls-Festivals“ entblödeten sich nicht damit, Nico Hofmann, den Produzenten, Autoren und Regisseur von Machwerken wie „Dresden“ oder „Die Flucht“, die die Geschichte Deutschlands einseitig aus der Sicht der deutschen Bevölkerung erzählt, dabei die Verbrechen der Deutschen ausblendet und diese im Gegenteil zum Opfer des von ihnen verursachten Krieges verkehrt, am 18. Januar 2016 für seine „Verdienste um den jungen deutschsprachigen Film“ auszuzeichnen. Dabei waren es jüdische Kulturschaffende wie Max Ophüls, die das Deutschland, das von Regisseuren wie Nico Hofmann so verharmlost wird, verlassen mussten, um der drohenden Vernichtung zu entgehen.

 

Nach all den Jahren, in denen Deutschland als Verursacher zweier Weltkriege, in denen der Vorstoß der Deutschen in Osteuropa als beispielloser Vernichtungskrieg und die systematische Vernichtung von über 6 Millionen Juden als nie dagewesenes Menschheitsverbrechen zählten, sind revisionistische Einstellungen wieder salonfähig geworden. Nicht nur im Film, sondern auch in den Verkaufszahlen historische Sachbücher tritt dies offen zutage. Christopher Clarks Werk „Die Schlafwandler“, das mit der revisionistischen und längst widerlegten These, die Deutschen seien nicht alleine Schuld an dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, sondern seien sozusagen in diesen „hineingeschlittert“, in allen Medien wohlwollend besprochen wurde, führte mit über 200.000 verkauften Exemplaren über Wochen die Bestsellerlisten an. Die Botschaft solcher Machwerke bleibt stets die Gleiche: Auch die Deutschen mussten leiden, auch die anderen waren schlecht, Krieg ist irgendwie schlimm und früher war dennoch alles besser. Selbiges gilt für zahlreiche, vor allem populär-historische, Veröffentlichungen zum 2. Weltkrieg. Die deutsche Bevölkerung wird zum Opfer einer kleinen Clique weniger Verrückter, nämlich der Nazis verklärt, die das Deutsche Volk manipuliert hätten. Daran schließen sich zahlreiche andere Mythen an: Die Deutschen hätten von Auschwitz nichts gewusst, hätten eine gleichgültige Haltung gegenüber dem NS-Regime bewahrt, waren vielleicht sogar unpolitisch und unbeteiligt. Durch diese Argumentation werden die Deutschen kollektiv zu Opfern eines Krieges, den sie nie gewollt hätten. Die Bemühungen in Riegelsberg reihen sichsomit nahtlos in die deutsche und saarländische Erinnerungspolitik ein, deren Ziel es ist, die Deutschen zu den eigentlichen Opfern des von ihnen initiierten Unheils zu machen.

 

Fazit:


Es kann nicht sein, dass in einer Zeit, in der bundesweit Kriegerdenkmäler zu Recht immer seltener als Veranstaltungsorte genutzt, sondern eher umgepflanzt oder sogar abgerissen werden, Riegelsberg sich dazu entschließt, ein neues zu bauen. Nicht nur, dass hier der Wunsch einer kleinen Gruppe, die sich als ideologisch höchst fragwürdig outet, erfüllt wird; Riegelsberg läuft außerdem Gefahr, in Zukunft an Tagen wie dem Volkstrauertag oder dem 8. Mai ein Aufmarschplatz für Nazis zu werden, die auf einem so protzigen Denkmal ihre Helden ehren können. Schon jetzt nehmen die Denkmäler in Riegelsberg einen viel zu großen Platz ein und lassen den tatsächlichen Opfern des Krieges nur wenig Raum.

 

Mit mangelndem Geschichtsbewusstsein und Beratungsresistenz blamieren sich die Mitglieder des Gemeinderats jedes Mal aufs Neue. Die Opfer des Krieges, die in erster Linie Jüd_innen, Kommunist_innen, Homosexuelle und überhaupt im nationalsozialistischen Sinne alles andere als „deutsch“ waren, sind den politischen Protagonisten vollkommen egal. Stattdessen werden die Mörder und ihre Mithelfer mit allen Ehren bedacht.


Die Saarländer sollten stets das Bewusstsein, sich freiwillig und mit großer Mehrheit dem nationalsozialistischen Deutschland angeschlossen zu haben, wachhalten, um zu begreifen, wie faschistische Strukturen entstehen. Nur so ist es möglich, heute die Zeichen der Zeit zu erkennen und Rassismus und Faschismus schon im Keim zu ersticken. Es gilt daher, die Erinnerung an die Verbrechen der Wehrmacht und deren Unterstützung durch die saarländische Bevölkerung wachzuhalten und die warnenden Stimmen und den antifaschistischen Widerstand gegen den Anschluss an das Reich zu ehren.

 

Schließt euch daher unserer Demonstration gegen das Wehrmachtsdenkmal in Riegelsberg an und zeigt, dass es weder dort noch sonst wo ein Gedenken an die willigen Vollstrecker des deutschen Raub- und Vernichtungskrieges geben darf! Es soll nicht nur kein neues Denkmal in Riegelsberg entstehen, auch sollte man die alten verrotten lassen oder gleich abreißen!

 

13. Februar 2016 – 14.00 Uhr
Treffpunkt: S-Bahnhaltestelle Riegelsberg Süd

 

Antifa Saar / Projekt AK

http://www.antifa-saar.org

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