Tübingen: 280 demonstrieren gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Syrien

Demo gegen Syrienkrieg - 1

Am Samstag den 23.1.2016 sammelten sich am Tübinger Hauptbahnhof über 200 Menschen, um gegen den Syrien-Einsatz der Bundeswehr zu demonstrieren. Aufgerufen hatten zahlreiche Tübinger Gruppen, vom Friedensplenum/Antikriegsbündnis, der Informationsstelle Militarisierung, der Frauengruppe Zumutung, der SDAJ, ['solid].SDS, der Frauengruppe Courage bis zur der Partei Die Linke, Ver.di, MLPD und Attac. Einige syrischer Flüchtlinge und die Demo-Samba Gruppe Reutlingen/Tübingen schlossen sich an. Zum Höhepunkt der Demonstration wurden 280 Teilnehmende gezählt.

 

Die Auftaktkundgebung begann mit einer Live-Schaltung zu Henning Zierock, Mitglied der Gesellschaft Kultur des Friedens und Mitarbeiter der Linken-Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel, der an den zeitgleich stattfindenden Protesten gegen die Politik des World Economic Forum teilnahm.
Die SDAJ beschrieb in ihrem Redebeitrag, wie auch westliche Mächte wie die USA, Frankreich und Deutschland je nach momentanem strategischem Kalkül, mal mit religiösen Fundamentalisten zusammenarbeite und mal die Bekämpfung dieser als Interventionslegitimation heranziehe.
Es folgte ein Redebeitrag eines syrischen Geflüchteten auf Arabisch, welcher auf deutsch übersetzt wurde. Er verwies auf die Schrecken des Krieges und verdeutlichte, dass diese durch Waffen, Militärs und Milizionäre verschiedenster Seiten verursacht wurden. Da der Krieg sich durch Einmischung militärischer Mächte mit eigenen Interessen verschlimmern und verlängern würde, forderte er den sofortigen Abzug der Streitkräfte dieser Mächte, auch der Bundeswehr.
Die Auftaktkundgebung beendete der Gewerkschafter Tobi Kaphegi mi einem Grußwort des DGB, worin die Aufgabe der Lehren aus dem zweiten Weltkrieg, Völkerrecht und Recht auf Asyl, angeprangert wurden. Auch die Ähnlichkeiten der heutigen Situation mit dem ersten Weltkrieg, die vor allem im Konfrontationskurs der Großmächte EU, USA und Russland gipfelt, wurde angesprochen.

Dann zog die lautstarke Demonstration, angeführt von syrischen Gelüchteten mit bunten mehrsprachigen Plakaten, vom Bahnhof über die Neckarbrücke zum Lustnauer Tor. Schwungvoll dominierte akustisch die Demo-Samba-Gruppe den hinteren Teil der Demonstration. Der vordere wurde von den Parolen des Jugendblocks, bestehend aus Anarchist*innen, SDAJ-Anhänger*innen und Anderen, geprägt. "Mali, Afghanistan, Syrien, Türkei - bei jeder Schweinerei ist die BRD dabei!" und andere antimilitiaristische und antirassistische Prolen wurde skandiert.

Der Redebeitrag der Informationsstelle Militarisierung (IMI) auf der Zwischenkundgebung war wie gewohnt durch eine Vielzahl an Details geprägt, die über die gängigen Medien kaum bekannt sind. So wurde angeführt dass die Einsatzbasis der Bundeswehr in der Türkei nur wenige Kilometer von einer Kommandozentrale entfern sei, die die türkische Regierung für den sog. Islamischen Staat eingerichtet hätte, von wo aus dieser seine Aktionen koordiniere. Von dort aus flögen deutsche Tornado-Flugzeuge im Bündnis mit Frankreich, Großbritannien, Australien, aber auch der Türkei, Qatar und Saudi Arabien Bombenangriffe in Syrien. Der Redner der IMI erläuterte, dass die Türkei, obwohl lange Zeit starke Unterstützerin des IS, den Krieg gegen diesen nun als Vorwand nutze, um Angriffe gegen die eigene (hier kurdische) Bevölkerung zu fliegen. Was also als Interventionsgrund gegen Assad diente, hielt im Falle der Türkei die BRD nicht davon ab, 2012-2015 in der Türkei ein Patriot-Rakenabwehrsystem zu stationieren und diese damit zu schützen. Durch das Anführen vieler weiterer geostrategischen Tatsachen begründete die IMI ihre klar anti-militaristische Position.

Einer der bedeutensten Redebeiträge war wohl der der Frauengruppe Zumutung, der außer den Kriegseinsatz auch die Instrumentalisierung der Übergriffe auf Frauen für eine rassistische Stimmungsmache kritisierte. So würden die sexualisierten Übergriffe in Köln und anderen Städten für das Anfeuern einer rassistische Stimmung gegen Migrant*innen und Geflüchtete ausgenutzt. Die Frauengruppe Zumutung kritisierte, dass sich jetzt alle möglichen Rassist*innen, welche die alltäglichen Übergriffe die nicht von Migranten kamen, ignoriert hatten, plötzlich als 'Frauenfreude' auftäten, um gegen Minderheiten zu hetzen. Gleichzeitig betonte die Sprecherin die Solidarisierung mit den Betroffenen dieser und aller anderen derartigen Übergriffe, aber ohne dadurch eine Einschränkung des Asylrechts oder eine Sonderbehandlung einer ganzen Menschengruppe, also einer Kollektivstrafe, wie in diesem Fall die der Gruppe "die  Nordafrikaner", zu akzeptieren. Vielmehr müsse die sexistische Kultur, an der wir alle auch als Opfer und Täter teilnähmen, verändert werden.
Nach der Zwischenkundgebung zog die Demonstration an der Neuen Aula der Uni Tübingen vorbei und bog schließlich lautstark in die Altstadt, um auf dem Marktplatz vor dem Rathaus eine Endkundgebung abzuhalten. Dort ging der Kreistagskandidat der Partei Die Linke Bernhard Strasdeit auf die Völkerrechtliche Grundlage, die schlicht nicht gegeben sei, des Angriffskrieges der Bundeswehr ein. Die Frauengruppe Courage berichtete über Frauen als primäre Kriegsopfer und sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel.
Abschließend wurde nicht nur zur Demonstration gegen die NATO "Sicherheitskonfrerenz" am 13.2. in München aufgerufen, sondern auch dazu den Anti-Militarismus auch in der Zeit zwischen den Demonstrationen zu praktizieren. So müsse beispielsweise thematisiert werden, dass der ehemalige private Organisator des NATO-Konferenz Wolfgang Ischinger in Tübingen als Honorarprofessor beschäftigt werde - trotz Zivilklausel, wie auch die sonstige Militärforschung der Tübinger Universität und deren Zusammenarbeit mit der Bundeswehr.

Die aufrufenden Gruppen waren großteils Zufrieden mit der Demonstration, da trotz kurzfristiger Mobilisierung eine für Tübinger Verhältnisse akzeptable Zahl an Teilnehmenden zustande kam. In Anbetracht der aufrufenden Gruppen und der Aktualität des Themas hätten jedoch auch mehr Leute kommen können. Ein Problem war trotz Pressemitteilung auch die mangelhafte Ankündigung in der Lokalzeitung Schwäbisches Tagblatt (Südwestpresse). Die Polizei verhielt sich friedlich.

Termine in Tübingen:
Informationsveranstaltungen und eventuelle Busfahrt zur Demonstration gegen die NATO 'Sicherheitskonferenz' am 13.Februar:
-am 25.1. im Epplehaus um 19 Uhr von der SDAJ und
-am 2.2. im IMI-Büro im Sudhaus um 19 Uhr von der IMI.

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Es ist richtig und wichtig, gegen westliche imperialistische Bestrebungen und der Beteiligung der BRD daran die Stimme zu erheben. Die Bundeswehr hat auch in Syrien nichts verloren!

 

Aber mehr Mut hätte sich mensch gewünscht, nicht nur die Rolle der westlichen Mächte und der Türkei anzusprechen. Sehr wenig bis nichts kam zum Einfluss Saudi-Arabiens und des Irans, den Machtinteresseren und des massiven militärischen Eingreifens Russlands und insbesondere zum Islamofaschimus des Daesh.

 

So wirkt Analyse wie Demo etwas eindimensional, und mensch bleibt die traurige Erkenntnis, daß der Abzug des halben Dutzend deutscher Aufklärungstornados nur ein winziger Schritt auf dem Weg zum Frieden in Syrien wäre, während mensch sich an die Benennung der großen Schritte noch nicht herantraut, geschweige denn eine Lösung für sie hätte.

Insbesondere der erste Beitrag bei der Abschlusskundgebung (DIE LINKE) ging stark auf IS ein, die Rolle Russlands wurde auch mehrfach kritisiert. Grundsätzlich finde ich es aber richtig, v.a. vor der eigenen Türe zu kehren. Oder sollen wir in Deutschland Lösungen für die Probleme - Militarismus, Imperialismus und Autoritarismus - Russlands und Saudia Arabiens präsentieren, bevor wir die selbst bewältigt haben?

"Abschließend wurde nicht nur zur Demonstration gegen die NATO "Sicherheitskonfrerenz" am 13.2. in München aufgerufen, sondern auch dazu den Anti-Militarismus auch in der Zeit zwischen den Demonstrationen zu praktizieren."

vor allem letzteres kann nicht oft genug wiederholt werden

Warum der Einsatz der Bundeswehr und der generelle Kurs der, vor allem auch der westlichen, Großmächte sich teilweise mit der Situation vor dem ersten Weltkrieg vergleichen lässt wird von C. Marischka von der Informationsstelle Militarisierung in seinem Redebeitrag dargestellt, der hier zu lesen ist:

 

http://www.imi-online.de/2016/01/25/katastrophal-gefaehrlich-und-dumm/