Zuviel der Ehre : Fritz-Haber-Weg in Clara-Immerwahr-Weg umbenannt

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Engagierte Mitarbeiter des neugegründeten Instituts für angewandte Tautologie (IAT) benannten auf unbürokratische Weise den Fritz-Haber-Weg auf dem Gelände der Uni Karlsruhe in Clara-Immerwahr-Weg um. Warum wird der Name eines Nobelpreisträgers ersetzt durch den Namen einer "einfachen" Doktorin der Chemie? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen diesen historischen Personen und aktueller Militärforschung in Karlsruhe? Dies soll im Folgenden geklärt werden.

Nach verschiedenen Tätigkeiten in der Industrie und an Hochschulen erhielt Fritz Haber 1894 in Karlsruhe an der damaligen Technischen Hochschule eine Assistentenstelle in der Physikalischen Chemie und habilitierte dort 1896. 1898 wurde er in Karlsruhe zum außerordentlichen Professor für Technische Chemie ernannt.

1901 heiratete Fritz Haber die Chemikerin Clara Immerwahr. Sie hatte 1900 als erste Frau an der Universität Breslau promoviert, und war damit eine der ersten deutschen Frauen mit Doktortitel - zu einer Zeit, als es noch unüblich war, dass Frauen überhaupt Abitur machten. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit war sie eine engagierte Frauenrechtlerin.

Habers Versuche mit Phosgen und Chlorgas, deren Ziel die Entwicklung eines Kampfstoffes war, begannen schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn. Er wurde somit zum geistigen Vater der Giftgaswaffen, die im Ersten Weltkrieg, der "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts", vom deutschen Reich eingesetzt wurden. Clara Immerwahr missbilligte öffentlich seine Forschungen als "Perversion der Wissenschaft".

Wenige Tage nach dem ersten deutschen Giftgas-Einsatz am 22. April 1915 bei Ypern, durch den tausende französische Soldaten umgekommen waren, beging Clara Immerwahr Suizid. Haber war aufgrund des erfolgreichen Einsatzes zum Hauptmann befördert worden.  Am 15. Mai, in der Nacht der Feier zur Beförderung, schoss sie sich mit der Dienstwaffe Habers ins Herz und verstarb am folgenden Morgen. Noch am selben Tag reiste Haber unbeeindruckt an die Ostfront, um einen Gaseinsatz gegen russische Soldaten zu beaufsichtigen.

Die zeitgenössische Lokalpresse schrieb: "Durch Erschießen ihrem Leben ein Ende gesetzt hat die Gattin des Geheimen Regierungsrates Dr. H. in Dahlem, der zur Zeit im Felde steht. Die Gründe zur Tat der unglücklichen Frau sind unbekannt." Clara Immerwahrs Biographin Gerit von Leitner: "Eine klare und deutliche Stellungnahme von ihrer Seite während des Krieges ist nicht erwünscht. Es gibt nur noch eine Möglichkeit, nicht Mittäterin zu sein. Als das Haus leer ist [nach der Feier des Sieges in Ypern] und Fritz sich mit Schlafmitteln der Verantwortung entzieht, schreibt Clara über Stunden in Abschiedsbriefen auf, was sie der Nachwelt übermitteln will. ... Das Hauspersonal hat die Abschiedsbriefe gesehen. Wer hat sie vernichtet?"

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Haber aufgrund des Verstoßes gegen die Haager Landkriegsordnung von den Alliierten zeitweilig als Kriegsverbrecher gesucht und floh vorübergehend in die Schweiz. In seinen Lebenserinnerungen berichtete Otto Hahn über ein Gespräch mit Haber: "Auf meinen Einwand, dass diese Art der Kriegführung gegen die Haager Konvention verstoße, meinte er, die Franzosen hätten – wenn auch in unzureichender Form, nämlich mit gasgefüllter Gewehrmunition – den Anfang hierzu gemacht. Auch seien unzählige Menschenleben zu retten, wenn der Krieg auf diese Weise schneller beendet werden könne"

Haber erhielt den Nobelpreis für Chemie 1918 für den als Haber-Bosch-Verfahren bekannten Prozess zur Ammoniaksynthese.

 


 

Am 1.10. entstand das KIT aus der Fusion der Universität Karlsruhe (Campus Süd) mit dem Forschungszentrum Karlsruhe (Campus Nord). Das sogenannte "KIT-Zusammenführungsgesetz" bildet dafür die rechtlichen Grundlagen.

Am Forschungszentrum war bereits eine Zivilklausel mit dem Text "Die Einrichtung verfolgt nur friedliche Zwecke" in Kraft, die auf Wunsch des Forschungszentrums für das neue KIT übernommen werden sollte.

Nachdem sich viele MitarbeiterInnen des Forschungszentrums bereits intensiv für eine einheitliche Zivilklausel eingesetzt hatten, sprach sich in einer Urabstimmung im Januar 2009 eine deutliche Mehrheit (63 %) der Studierenden dafür aus, obwohl konservative und liberale Studierendengruppen dagegen agitiert hatten. Auch das Plenum des im Rahmen der bundesweiten Bildungsproteste besetzten Redtenbacher-Hörsaals sprach sich fast einstimmig gegen Militärforschung am KIT aus.

Trotz der angestrebten Vereinheitlichung sieht das im Juli 2009 verabschiedete KIT-Gesetz eine getrennte Zivilklausel vor, die für den "Großforschungsbereich" gilt, für den "Universitätsbereich" allerdings nicht. Dieser Spagat dient offensichtlich dazu, weiterhin die Tür für militärische und zivilmilitärische Forschung offen zu halten, die nachweislich an der Universität stattfindet.

 


 

Das IAT stellt sich entschlossen gegen jegliche Form von Militärforschung, insbesondere auch am KIT. Darum unterstützt es uneingeschränkt die Forderungen nach einer allgemeinen Zivilklausel am gesamten KIT. Es genügt jedoch nicht, nur formal Verbote zu erlassen, die einem gewitzten Winkeladvokaten möglicherweise Schlupflöcher lassen. Vielmehr müssen sich Forscher ihrer Verantwortung deutlicher bewusst werden. Dass dies allzu häufig nicht der Fall ist, zeigt gerade der Gegensatz Haber-Immerwahr, der einen wichtigen Konflikt in unserer Gesellschaft abbildet: Den zwischen blindem technischem Fortschritt zugunsten fragwürdiger Ideale einerseits und Forschung im Bewusstsein moralischer Verantwortung andererseits. Wir entwickeln Methoden uns gegenseitig immer effizienter zu töten, gar die Existenz der Menschheit insgesamt zu beenden, bevor wir konsequent begriffen haben, dass weder das eine noch das andere erstrebenswert ist.


Wo Haber für die Effektivierung des Tötens steht, steht Immerwahr für die Fassungslosigkeit humanistisch denkender Menschen solchen Verbrechen gegenüber. Er erklärte zynisch seine Entwicklungen für notwendig, um den Krieg schnell beenden zu können - sie benennt seine Aktivitäten als "Perversion der Wissenschaft".


Fritz Haber steht deshalb stellvertretend für eine Vielzahl von Wissenschaftlern, die ihre Fähigkeiten in den Dienst von Militarismus und Krieg gestellt haben. Eine angemessene Erinnerung an seine Person darf seine Mitverantwortung für Kriegsverbrechen nicht verschweigen. Clara Immerwahr vertritt  jene Wissenschaftler, die sich stets kritisch mit dem zwiespältigen Charakter der Forschung auseinandersetzt haben, und für die  ethische Einschätzungen stets wichtiger waren als Autoritäten und der politsche Zeitgeist.

Es ist an der Zeit, dass unsere Gesellschaft nicht bloß technisch fortschrittlich wird, sondern vor allem ethisch. Eine solche Gesellschaft würde ihre Straßen nicht nach Kriegsverbrechern und Militaristen benennen, sondern nach Pazifisten. Wir brauchen keine Habers, wir brauchen Immerwahrs.

 


 

Zur weiteren Lektüre wird empfohlen:
[1] http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/clara-immerwahr/
[2] http://www.karlsruhe.de/rathaus/ordnung/frauen/was_fuer_frauen/immerwahr/
[3] http://www.dr-emmas-chemielabor.de/clara-immerwahr/
[4] http://www.gruene-karlsruhe.de/mt/bt/04052009-kit-zivilklausel.html
[5] http://hikwww1.fzk.de/br/content/mitbestimmung/pmVerdiKITgesetz.pdf
[6] kleine Anfrage der Linken offenbart Auftrag in Höhe von 205.325 Euro: http://dokumente.linksfraktion.net/drucksachen/7782424894_1610157.pdf

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Weiter so!

Wollte nicht das KIT dieses Jahr noch, also 2015 eine zusätzliche kritische Gedenktafel anbringen? Was ist daraus geworden?