Sozialrevolutionärer 1. Mai in Bremen

1. Mai Bremen 2015

Rund 100 Menschen schlossen sich am heutigen 1. Mai in Bremen dem "sozialrevolutionären Stadtspaziergang" an. Der unangemeldete Demonstrationszug setzte sich gegen 15 Uhr vom Buchtstraßenfest aus in Bewegung und zog unter lauten Parolen über die Wallkreuzung durchs Viertel bis zum Ziegenmarkt. Ein Aufruf, der an Passant*innen verteilt wurde, erklärte die Ziele der Demonstration [vollständiger Aufruf unten]: der Wut über die herrschenden Verhältnisse Ausdruck zu verleihen, die von Ausgrenzung, Ausbeutung und Unterdrückung gekennzeichnet seien. Diese unsozialen und undemokratischen Verhältnisse würden von Staat und Wirtschaft gezielt befördert, die Ursache der derzeitigen Wirtschaftskrise aber liege im kapitalistischen Wirtschaftssystem selbst.

 

Da Staat und Wirtschaft, aber auch in das System integrierte Institutionen wie der DGB diese Verhältnisse nicht verändern wollten, sondern absichern, müssten Menschen, die Alternativen suchen, eigene Wege gehen: Dem Bestehenden setzt der Aufruf als Alternative eine gesellschaftliche Selbstorganisierung von unten entgegen, in der die Entscheidungen in direktdemokratischen Prozessen jeweils von denen getroffen werden, die von den Folgen betroffen sind, in der gesellschaftliche Solidarität statt Profitlogik gilt und eine solidarische und demokratische Ökonomie, in der die Wirtschatf dem Leben aller diene, statt den Profitinteressen einzelner.

 

Die vielfältigen Anliegen der Demonstrant*innen spiegelten sich auch in den Parolen wieder, die vom Demonstrationszug gerufen wurden: "Freiheit entsteht als kämpfende Bewegung", "Kein Gott - kein Staat - kein Patriarchat" oder "No nation, no border!". Auch die Redebeiträge, für die der Zug entlang der Route immer wieder anhielt, thematisierten vielfältige gesellschaftliche Problemfelder, die einer selbstorganisierten, direktdemokratischen und solidarischen Alternative im Wege stehen. So wurde über Unterdrückung und Ausgrenzung durch Sexismus, Rassismus und Homophobie gesprochen, über Ausbeutung und Verdrängung durch Kapitalismus und Diktate des Privateigentums und über zunehmende staatliche Kontrolle und Überwachung im Internet und im öffentlichen Raum.

 

Verschiedene Teilnehmer*innen der Demonstration werteten den Stadtspaziergang als einen ersten kleinen, aber sinnvollen und notwendigen Schritt. So sagte ein Demonstrant: "Für eine ziemlich spontane Demo war das nicht schlecht, ausbaufähig aber gut. Zumal viele Bremer*innen, die am ersten Mai nicht auf die Straße gehen, um sich die verlogenen Reden von SPD- und DGB-Funktionär*innen anzuhören, auch dieses Jahr eher in andere Städte gefahren sind, um sich dort an sozialrevolutionären Demonstrationen zu beteiligen, die bereits eine längere Tradition haben.

 

Aufgerufen hatten zu dem Stadtspaziergang Menschen aus selbstorganisierten, außerparlamentarischen politischen Zusammenhängen, die sich dem libertären, antikapitalistischen und emanzipatorischen Spektrum zugehörig fühlen und eine von unten selbstorganisierte und solidarische Gesellschaftsordnung anstreben.

 

Ab der Wallkreuzung war die Demonstration von der Polizei mit mehreren Fahrzeugen begleitet worden, die sich aber zurückhaltend und friedlich verhielt.

 

ANHANG: AUFRUF

SOZIALREVOLUTIONÄRER 1. MAI 2015 IN BREMEN – ANTIKAPITALISTISCH, EMANZIPATORISCH, LIBERTÄR

EIN STADTSPAZIERGANG FÜR ALLE, DIE NICHT NACH OLDENBURG FAHREN!

 

AN DER BEFREIUNG ARBEITEN

Widerstand leisten – Gesellschaft von unten aufbauen

 

1. MAI: WARUM GEGEN DEN KAPITALISMUS?

 

Nach Arbeitskämpfen in den USA im Mai 1886 werden hunderte Arbeiter*innen verhaftet und sieben anarchistische Arbeiterführer zum Tode verurteilt. Die Urteile, die an vier von ihnen vollstreckt wurden, stuft ein Gouverneur später als Justizmord ein. Der 1. Mai wird zum jährlichen »Arbeiterkampftag«.

 

Im Laufe der Geschichte vereinnahmen immer wieder herrschende Gesellschaftsschichten den 1. Mai für ihre Zwecke. Denn das Sinn entleerte Ritual, welches der DGB jedes Jahr mit arbeitgeberfreundlichen Forderungen und Hilfestellung bei der nationalen Standortsicherung praktiziert, hat den Kampftag gegen Ausbeutung und Unterdrückung in sein Gegenteil verkehrt. Der DGB verrät mit dem Prinzip der „Sozialpartnerschaft“ die zentralen Interessen der Lohnabhängigen: Die Befreiung von Lohnarbeit, von Ausbeutung und Unterdrückung. Deswegen ist es notwendig, dem 1. Mai auch in Bremen wieder seine Bedeutung zurück zu geben.

 

Der Kapitalismus ist in unserer Gesellschaft in alle Lebensbereiche der Menschen eingedrungen. 
Agenda 2010 und Hartz IV verschärfen die Rahmenbedingungen für das Ziel der bestmöglichen Verwertung aller Menschen im Dienste des Profits. Konkurrenz, Leistungsdruck und ökonomische Zwänge bestimmen nicht nur unsere Arbeitswelt, sondern regeln auch die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander. 
Dieses Prinzip wird uns eingeimpft, von der Erziehung im Elternhaus, über Schule und Ausbildung bis ins Berufsleben.

 

LOHNARBEIT ABSCHAFFEN

 

Durch die Abhängigkeit von Lohnarbeit werden wir in Existenzangst gehalten und müssen unsere Arbeitskraft und Lebenszeit verkaufen. Von der eigentlichen Funktion von Arbeit als selbstbestimmter und gesellschaftlich sinnvoller Tätigkeit, ist dies alles weit entfernt. Immer weniger Zeit bleibt für gesellschaftliches Miteinander. Konsum nimmt als Ersatzbefriedigung eine immer größere Rolle ein. Lohnarbeit ist in aller Regel nicht schöpferisch, sondern erhöht sogar noch den Druck auf die gesellschaftliche notwendige, aber unbezahlte Sorgearbeit. Diese Tätigkeiten werden dann in geschlechtlich ungerecht verteilter Arbeitsteilung aufgebracht. Es findet eine Mehrfachbelastung jener Menschen statt, die in der Geld- und Verwertungslogik untergeordneten Positionen zugeschrieben werden. Dies betrifft zumeist Frauen.

 

KAPITALISMUS IST DIE KRISE!

 

Heute entscheiden unlegitimierte, nichtgewählte Institutionen wie IWF, EZB oder die EU-Kommission über Leben und Tod und über die Lebensgrundlage ganzer Länder.

 

Wie skrupellos diese Herrschenden im Dienst des Finanzkapitals agieren, kann man im Süden Europas beobachten. Mittels dem Diktat eines mörderischen Sparzwangs, ist die individuelle und kollektive soziale Sicherung fast vollständig der kapitalistischen Umverteilung von unten nach oben geopfert worden. Getroffen werden wie immer die Ärmsten. Doch die Kredite der zumeist deutschen und französischen Banken werden bedient – mit dem Leben und dem Blut der Griechen. Um eine solche unmenschliche Härte vor der hiesigen Bevölkerung zu rechtfertigen, wird skrupellos die Nationalismuskarte ausgespielt und die Menschen gegeneinander aufgehetzt.

 

Die Griechenland-Krise ist aber nur eines von vielen Beispielen für die desaströsen Auswirkungen der kapitalistischen Krisenpolitik. Die gigantischen Konjunktur- und Banken-Rettungsprogramme werden hierzulande und in ganz Europa auf die Lohnabhängigen und EmpfängerInnen von Sozialleistungen abgewälzt.

 

Die wirklichen Ursachen der Krise sind nicht allein gierige Finanzmanager oder korrupte Politiker. Die wirkliche Ursache der Krise ist vor allem das kapitalistische Wirtschaftssystem selbst.

 

DIE VERHÄLTNISSE BEDEUTEN AUSGRENZENUNG!

* Flüchtlingsmord durch die Festung Europa, rassistische Hetze und Abschiebungen

* Patriarchale Verhältnisse und Sexismus

 

DIE VERHÄLTNISSE BEDEUTEN AUSBEUTUNG!

* Arbeitszwang, Leistungsdruck, Armut

* Umweltzerstörung und drohendes Klima-Desaster

* Landgrabbing, Kriege um Böden, Märkte und Rohstoffe

 

DIE VERHÄLTNISSE BEDEUTEN UNTERDRÜCKUNG

* Sparzwang, Sozialabbau und AGENDA 2010 und HARTZ IV

* BRD/TROIKA-Terror in den Ländern Süd-Europas

* Polizei-Morde und staatliche Willkür überall

* staatliche Überwachung im Internet und im öffentlichen Raum

 

DIE VERHÄLTNISSE SIND UNERTRÄGLICH!

* Privatisierung, Mietsteigerung, Verdrängung

* Abbau und wirtschaftliche Verwertungslogik von Bildung

* Angriffe auf Freiräume

* Aufrüstung und globale Militarisierung

* staatliche Mittäterschaft im NSU/VS-Komplex

 

Brauchen wir noch mehr Hinweise dafür, dass Menschen in diesem System absolut keinen Wert haben?! 
Außer, wenn wir uns »verwerten« lassen … und unsere Zukunft gleich noch dazu!

 


Also: VERKAUF DICH!--ODER WEHR DICH!

DU ENTSCHEIDEST!

 

ES GIBT ALTERNATIVEN

Leitende Prinzipien für ein besseres Zusammenleben sollten sein:

* Eine Welt, in der die Wirtschaft dem Leben der Menschen dient

* Eine Welt ohne Grenzen: Bewegungsfreiheit für alle – weltweit


* Selbstorganisierung von unten: In basisdemokratischen Prozessen entscheiden diejenigen, die selbst von den Folgen betroffen sind

* Solidarität, statt Profitlogik: Solidarische Ökonomie, statt Ausbeutung durch Eigentum

* Vergesellschaftung der Gemeingüter: freie Bildung; gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums

* 
bedingungslose und teilhabegerechte Existenzsicherung – für alle

 

DIE REGIERENDEN REPRÄSENTIEREN UNS NICHT!

Auf eine grundlegende Veränderung durch Wahlen zu hoffen, wäre angesichts der herrschenden Verhältnisse naiv. Der Staat mit seinen Institutionen ist auf die Ziele der Wirtschaft ausgerichtet. Es ist der Staat, der diese Verhältnisse mit Hilfe von Wahlen, Parteien und Parlamenten absichert.

 

Erheben wir unsere Stimme – anstatt sie abzugeben!

 

Darum komm mit uns auf die Straße! Sei mit uns kreativ, sei mit uns laut, sei mit uns wütend,
denn Du hast verdammt noch mal allen Grund dazu! Sei kreativ, wo es sonst keine*r ist!

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Mittlerweile befinden wir uns nicht mehr im Kapitalismus sondern in einer Art modernem Feudalismus.

 

Wer Marx bis zum Ende gelesen hat, (Kapital) der weiß, es sind drei Klassen und nicht zwei die am Ende der kapitalistischen Phase entstehen.

--- eine sehr schöne Aktion zum Thema Care-Arbeit:

 

https://linksunten.indymedia.org/de/node/141876

Schön, wenn auch in Städten, wo diese Tradition zuletzt nicht mehr gepflegt wurde (wie leider eben in Bremen), sowas wieder möglich ist. Die 100 Teilnehmer*innen sind wohl für Bremen ein ermutigendes Anfangsresultat.

Würden sich anhand solcher Aktivitäten die zerstreuten (oder eher informellen) Zusammenhänge zu Neuem verbinden, wäre das sicherlich gut für gemeinsame Aktivitäten und grössere Beteiligung.

Dem Aufruf war ja zu entnehmen, dass er sich an alle richtet, die nicht nach Oldenburg fahren werden.
Manche aus der Szene sollen sich jedoch spontan unsicher gewesen sein, ob sie dem Aufruf folgen wollen. Wieviele trotzdem oder eben wegen der eigenen Unsicherheit nicht zur Bremer Demo gegangen sind, ist natürlich nicht zu sagen.
Aber vielleicht kann die unklare Haltung dazu durch eine Diskussion etwas geklärt werden. Deshalb hier ein paar der aufgeschnappten Argumente:

-die seit Jahren etablierte autonome Maidemo in Oldenburg, zu der auch manche aus Bremen bisher hingefahren sind. Andere oder eher gesagt, viele aber sind nicht gefahren. Die Angst ist wohl: Ist es nicht unsolidarisch in der eigenen Stadt paralell etwas eigenständiges zu machen? Zieht das nicht die Leute ab, die bisher aus Bremen nach Oldenburg gefahren sind?

-unterschiedliche Ansichten zu der allgemeinen Frage, ob es überhaupt etwas bringt, an solchen Traditionstagen etwas zu machen, was nicht lange vorher und breit vorbereitet und getragen wurde. Stichwort Aktionismus.

-Unklarheit darüber, wer eigentlich dazu aufruft. Damit stellt sich für manche in Bremen die Frage der eigenen Teilnahme wohl nur noch sehr bedingt.

Sicher sind alle diese Fragen grundsätzlich im Ansatz sehr berechtigt.
Doch bleibt offen, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Eindeutigkeit  sich Personen danach richten? Stichwort Dogmatismus.
Daran angeschlossen die leidige Frage, ob es nicht (in der sogenannten Szene) zuviele Hemmnisse gibt und ob darunter nicht auch manche selbst gemachte, also vermeidbare Verhinderungen sind?