Madrid: „2 años sin ti“ und andere antifaschistische Impressionen

Umbenennung der Metrostation

In der Woche vom 7.11. bis 14.11. waren Antifas der Gruppen Azzoncao und AJB zu Besuch in Madrid. Anlass für die spontane Reise war der zweite Todestag von Carlos Javier Palomino, der mit einer Kundgebung am Ort seines Verscheidens begangen werden sollte. Die übrige Zeit nutzten die Antifas um Eindrücke von der vielgesichtigen Stadt und ihrer politischen Landschaft zu sammeln. Diese sollen im folgenden zusammengefasst werden.

 

Gleich am ersten Tag nach ihrer Ankunft trafen sich die Antifas mit einer Aktivistin der Mediengruppe „La Plataforma“ (http://theplatform.nuevaradio.org). Der Treffpunkt war die Metro-Haltestelle Legazpi.

 

Am 11.11.2007 stiegen einige junge AntifaschistInnen dort in die U-Bahn, um von dort aus zu Aktivitäten gegen eine Demonstration der neonazistischen Partei Democracia Nacional aufzubrechen – unter ihnen der 16jährige Carlos. Als er im Zug-Abteil die anderen Fahrgäste auf einen an seiner Kleidung erkenntlichen Neonazi aufmerksam machen wollte, stach dieser unvermittelt und in mörderisch-gewissenloser Absicht auf Carlos ein, der daraufhin zurück auf den Bahnsteig taumelte und kurze Zeit später verstarb. An einer Hauswand bei jenem Zugang zur Metro, an welcher der Notdienst Carlos zu retten versuchte, hängt eine kleine Mamor-Tafel, die an den 16jährigen Antifaschisten erinnern soll.

 

Die Aktivistin von La Plataforma (LP) nahm sich Zeit um mit den Bochumern das besetzte Sozialzentrum „La Traba“ zu besichtigen. Es ist ganz in der Nähe der Haltestelle Legazpi gelegen. Im Wesentlichen besteht das CSO La Traba aus zwei großen Werkshallen, in denen früher Busse gewartet wurden. Ein paar Nebenräume werden von einzelnen Gruppen zum Kochen und Übernachten genutzt, und natürlich darf ein Infoladen nicht fehlen. Es gibt einen Medienraum und an einer anderen Stelle wird gerade in DIY-Manier ein Tonstudio eingerichtet. Die ganze Halle ist mit Graffiti-Wandbilder geschmückt, eines von ihnen porträtiert Carlos. Das La Traba hat einen guten Draht zur Nachbarschaft. Selbst als eines Tages die Bullen die Leute vom La Traba belästigen wollten, mischten sich Menschen aus der Nachbarschaft ein, sie in Ruhe zulassen. In einer anderen Nacht belästigten die Bullen die Schlafenden im La Traba, indem sie sie mittels Lautsprecher auf faschistische Weise beleidigten: „Guarros, arriba“ - „Wacht auf, ihr Schweine“ (http://www.youtube.com/watch?v=3_tBvbtfE-g)

 

Die Aktivistin erzählte vieles über die Arbeit von La Plataforma und welche Rolle die Gruppe in den sozialen Bewegungen Madrids einnimmt. Ihr Arbeitsfeld ist die Herstellung von Öffentlichkeit jenseits der Mainstream-Medien, welche viele politische Ereignisse oft sehr verzerrt und manipuliert darstellen. Vor allem in der Berichterstattung nach dem Mord an Carlos warfen manche SensationsjournalistInnen jegliche Pietät und Achtung über Bord, verstümmelten ein Interview mit der Mutter von Carlos, stilisierten Carlos zu einem Opfer von „Bandenrivalitäten“ und stellten FaschistInnen und AntifaschistInnen auf eine Stufe (http://www.nadir.org/nadir/initiativ/azzoncao/kommuniqueantifascista.html).

Dokumentation „Social Panic: How is it created?“

http://theplatform.nuevaradio.org/index.php?blog=3&p=903

 

Der Fülle an kürzeren Videoclips und längeren Dokumentationen nach zu urteilen, die allesamt im Internet veröffentlicht sind, lässt sich LP scheinst keine Demonstration entgehen. Sie berichten hierbei immer aus Sicht der Demonstrierenden, machen Interviews und zeichnen somit ausführlichere Bilder von politischen Ereignissen, als die Mainstream-Medien gewillt sind dies zu tun. Diese werden im Übrigen auch in Public Viewings der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bemerkenswert zudem ist noch, dass LP wenig wert darauf legt, ihre Berichte bei Indymedia Madrid einzustellen, weil es dort vor Trollen nur so wimmeln soll, die jede vernünftige Auseinandersetzung mit Berichten überlagern würden. Ein wichtiger Bezugspunkt von La Plataforma ist die Coordinadora Antifascista Madrid. LP ist eine der rund 15 autonomen Gruppen, die in der Coordinadora organisiert sind.

 

Im Internet war zu lesen, dass die CAM im November ihre Jornadas Antifascistas '09 (Antifaschistische Tage '09) durchführen, mit Konzerten, Austellungen, vielen Veranstaltungen und einer Demonstration am 21.11. als Höhepunkt, dem Jahrestag schwerer Auseinandersetzungen mit Neonazis im Jahr 1988, nachdem sich schließlich mehrere autonome Kollektive zur Coordinadora Antifascista zusammenschlossen. Für den 21.11.2009 sind Demonstrationen in vielen Städten landesweit angekündigt.

 

Am Montagabend führten einige Assoziierte der Coordinadora eine Aktion durch. Den Jahrestag der Reichspogromnacht nahmen sie zum Anlass, um auf den immer noch sehr ignoranten Umgang der spanischen Regierung und Bevölkerung mit der Zeit der faschistischen Franco-Diktatur aufmerksam zu machen. Ein Aspekt dieser Geschichtsverdrossenheit bzw. Geschichtslosigkeit ist die Tatsache, dass sehr viele Straßen immer noch die Namen von „verdienten“ Militärs und Faschisten tragen. Beispielsweise wird auf der „Paseo de Muñoz Grandes“ ein faschistischer General (http://de.wikipedia.org/wiki/Agust%C3%ADn_Mu%C3%B1oz_Grandes) geehrt, der während des zweiten Weltkriegs die Freiwilligen-Armee „Division Azul“ (Blaue Division) anführte – sehr zum Gefallen Adolf Hitlers, der ihn zum Dank für seinen verbrecherischen Einsatz an der Ostfront mit dem Ritterkreuz dekorierte. In wenigen Sekunden endwidmeten die AntifaschistInnen am Jahrestag der Reichspogromnacht diese Straße mittels Hammer und Meißel. (Bericht, Fotos und ein Video der Aktion: http://theplatform.nuevaradio.org/index.php?blog=3&p=973)

 

Mittwoch, 11.November.2009

„2 anõs sin ti“ - Gedenken an Carlos Javier Palomino

Auf einigen wenigen Plakaten wurde für den heutigen Abend eine Kundgebung an der Metro-Station Legazpi beworben. Soviel man hörte, wurden allerdings nicht allzu viele Menschen erwartet. Einerseits lag es wohl an der mangelnden Bewerbung – nicht mal im Szeneladen „Potencial Hardcore“ in Vallekas wussten die Leute davon. Andererseits gab es die Einschätzung, dass für viele Menschen, die in den letzten Jahren die grausame Geschichte vom Mord an einem jugendlichen Antifaschisten und den darauffolgenden Prozesses mitverfolgt haben, der Fall mit der Verurteilung des Ex-Berufssoldaten Josué Estébanez de la Hija zu 26 Jahren Gefängnis nun abgeschlossen sei. Zur Demonstration am 12. September, die den Prozess öffentlich begleitete, waren einige tausend Menschen gekommen, viele Mütter und Väter aus der Umgebung von Legazpi bildeten die ersten Reihen des Demo-Zugs und drückten so ihre Verbundenheit mit den Angehörigen von Carlos aus. (Artikel: http://ajb.blogsport.de/2009/10/27/moerder-von-carlos-palomino-verurteilt/ )

 

So trafen sich die Organisatoren der Kundgebung zunächst im CSO La Traba, um die letzten Angelegenheiten zu besprechen. Nachdem dies erledigt war packten die Anwesenden die am Vortag gemalten Transparente und Fackeln zusammmen und gingen geschlossen in einem Pulk von 30 Personen zum nahegelegenen Kundgebungsort. Dort wurden sie von einer kleinen Gruppe Antidisturbios (Riot Cops) erwartet, aber in Frieden gelassen.

Und anders als den Erwartungen der Organisatoren entsprechend kamen mehr als 500 Menschen zusammen, um an Carlos zu erinnern. So positionierten sich die Anwesenden mit ihren Transparenten auf einem Fahrsteifen der Straße, der zunächst von den Ordnern abgesperrt wurde. Immer wieder wurde die Straße mit Parolen wie „Carlos vive! La lucha sigue!“, „Carlos hermano, nosotros no olvidamos“ und „Josue - Asesino“ beschallt.

Gegen 21:15 Uhr war es dann soweit: eine Leiter wurde quer über das Geländer des Treppenzugangs aufgestellt und wenige Minuten später stieg eine vermummte Person auf die Konstruktion. In ihrer Hand hielt sie eine Rolle Klebeband und Papier. Als dann alle begriffen, was sie vorhatte, riefen wieder alle „Carlos vive! La lucha sigue!“. In Erinnerung an den Freund und Genossen wurde die Metro Station in „Carlos J. Palomino“ umbenannt.

Sichtlich berührt hielt nach dieser Aktion die Mutter von Carlos, Mavi, eine kurze Rede.

Danach war die Kundgebung in Gedenken an Carlos beendet.

 

Persönliche Nachbetrachtung:

Auch wenn die TeilnehmerInnen anfangs den Eindruck machten, dass sie alles sehr locker sahen, war dies zum Schluss nicht der Fall. So waren wir von der Emotionalität dieser Kundgebung sehr mitgenommen. Nach der Kundgebung wurden wir Mavi vorgestellt. Wir erklärten ihr unser Mitgefühl und dass wir sie für eine sehr starke Frau und Mutter halten, und dass wir ihren Sohn Carlos niemals vergessen würden. Sie war sehr davon berührt, dass die Mutter eines Bochumer Antifaschisten zu der Kundgebung mitgekommen war und ihr Rosen übergeben hat. Sie umarmten sich und Mavi versprach, die Rosen in das Zimmer ihres Sohnes zu legen.

Entgegen aller Verständigungsschwierigkeiten hat uns die Kundgebung persönlich sehr berührt und wir haben wahrscheinlich noch nie so eine Gänsehaut verspührt, als die anwesenden Skinheads, Punks und anderen AntifaschistInnen anfingen die bereits erwähnten Parolen zu rufen. Hier begriffen wir, dass menschliches Mitgefühl keine Nationalgrenzen und keine Sprachbarrieren kennt. Carlos war ein junger Mensch und Antifaschist, wie wir auch. Jeder und jedem anderen der 200 Menschen, die vor zwei Jahren auf dem Weg zur Gegen-Demonstration die U-Bahn betraten, hätte der gleiche faschistische Hass das Leben kosten können. Und auch dann wären wir hier gewesen. Die Abneigung und der Hass gegen die Schwachen der Gesellschaft und solche, die sich für sie einsetzen, baut diejenigen Grenzen auf, an der viele Menschen, ob MigrantInnen, Homosexuelle, Menschen anderen Glaubens, oder politisch Verfolgte ihre Würde und ihr Leben verloren haben und verlieren. Wir waren hier um diese Grenzen ein Stück weiter einzureißen.

 

Ni olvido! Ni perdón!

Carlos vive!


Antifas aus Bochum


Weitere Artikel:

Interview mit der Coordinadora Antifascista Madrid:
http://linksunten.indymedia.org/de/node/6686

Projecto Memoria – Der faschistische Mord an Carlos J. Palomino:
http://linksunten.indymedia.org/de/node/6622

Videos zur Ermordung von Carlos Palomino erschienen:
http://linksunten.indymedia.org/de/node/6803

Zwei kurze Mitteilungen aus Madrid:
http://linksunten.indymedia.org/de/node/7833

Mörder von Carlos Palomino verurteilt:
http://ajb.blogsport.de/2009/10/27/moerder-von-carlos-palomino-verurteilt/

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Informativer Bericht, danke für die Eindrücke. Spannend und gut zu lesen. Ich meine auch den Artikel davor, über den ermordeten russischen Genossen. (Ich gehe davon aus, die Verfasser sind so ziemlich die gleichen Personen?)

Macht weiter so!

Lediglich dass es nur auf linksunten geposted wurde finde ich schade, auf de.indy hätte es schließlich noch mehr leute erreicht.