[RU-UA-DE] Was soll Antifaschismus heißen?

Stellvertretend eine detaillierte Beschreibung einer TV-Sendung eines russischen Staatssenders (5 Канал).

 

Wohin mit der Siegeseparade:

Siegesparade am 9 Mai nach London oder Berlin zu verlegen wäre eine interessante Idee, meint die Moderatorin. Eine Panzervorführung könnte sich zwar nur auf Warschau beschränken, aber warum dürften nur Polen sich am Feier ergötzen? Warum nicht gleich eine grosse europäische Tournee organisieren? Es wäre zwar ein bisschen umständlich, aber es ginge, meint die Moderatorin und übergibt das Wort an den Kollegen, der bestens informiert zu sein scheint. Warschau wäre viel zu einfach, meint er. Die polnische Hauptstadt sei nur 1300 Kilometer von Moskau entfernt. Der Panzer T-90 brauchte weniger als 24 Stunden um in die Vorstädte von Warschau einzurollen. Die Fallschirmjäger, die dafür nur zwei Stunden brauchten, wären schon längst da erhollt und in Paradeuniformen! Es sei so lange her, als man zu Berlin war! 1800 Kilometer sei doch keine lange Strecke für eine moderne Armee. Die Gebiete der ehemaligen DDR wären darüber hinaus für russische Offiziere nicht so ganz fremd, meint der Journalist und zählt sofort weitere Hauptstädte. Prag, Vilnius, Riga, Tallin, Helsinki es wäre überhaupt nicht der Rede wert, russische Soldaten würden dahin auch zu Fuß gelangen, wie sie vor 70 Jahren bereits taten. Die Veranstaltung einer Siegeseparade in London und Washington wäre dagegen schwieriger und müsste im voraus geplannt werden. Ohne Luftstreitkräfte und Kriegsmarine einzusetzen würde es kaum gehen. »Unsere Armee« sei gross und würde für alle reichen. Schade nur, dass »die westlichen Partner« die Raketen vom Typ Iskander und Satan [bei der Siegesparade vorgeführt] nicht sehen werden könnten: die letzteren seien doch nur über Luft lieferbar.

 

Auch wenn nicht jede Minute im russischen Staatsfernseher so aussieht, ist die beschriebene Sendung nicht »aus dem Kontext gerissen«. Sie ist nur eine von vielen und inzwischen mehr oder weniger »normal« für das russische Fernsehen. Sogar kaum versteckte Drohungen mit Atomwaffen sind dort keine Seltenheit mehr. Das gleiche betrifft auch mehrere russische Politiker und hohe Beamten. Diese Sendung steht wirklich für Vieles und das Ziel dieser detaillierten Wiedergabe war nur, einen möglichst lebendigen Einblick in diese wunderschöne Welt zu gewähren (auch ohne Sprachkenntnisse ist sie anschauenswert).

 

Worauf wir in diesem Kontext insbesondere achten müssen, ist der schiere Missbrauch des Begriffes »Antifaschismus«, der jetzt im Dienst der Rechtfertigung von der dümmsten Sachen stehen soll. In Russland ist der Begriff bereits dermaßen diskreditiert worden, dass sein sinnvoller Gebrauch in der Öffentlichkeit beinahe komplett blockiert ist. Ob es im Zusammenhang mit der Ukraine auch in der BRD dazu kommen wird, hängt in der ersten Linie von einem kollektiven Subjekt namens »deutsche Linke« ab. Es sei denn so bezeichnete Gemeinschaft ist nur vorgestellt und hat nichts reales an sich.

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Beides. "Die AntifaschistInnen" sind natürlich eine imagined community. Dem gegenüber stehen die Erfahrungen von Gemeinsamkeit der Menschen, welche in den letzten Jahren gegen Naziaufmärschen auf die Straße gegangen sind. Und die mit dem Missbrauch von Antifaschismus so ihre Erfahrungen haben. Erinnert sei etwa an das gewaltsame Vorgehen von PolizistInnen vor einem Jüdischen Museum, anlässlich dessen ein sichtlich um Fassung bemühter Polizeisprecher (der ärmste hatte wirklich Mühe, nicht laut loszulachen) in die Kamera sprach: "Wer vor einer jüdischen Einrichtung in Deutschland randaliert, darf sich nicht wundern...". Des weiteren sollten die Enthüllungen um das Stichwort NSU herum jedeN antifaschistisch AktivEn gelehrt haben, jeglicher Staatlichkeit zu misstrauen. Und, wirklich bitter zu lernen, also, echt übel, das war: Auch zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Akteuren ist nicht immer zu trauen. Die gleichen ExpertInnen, welche anlässlich der EM noch gerne zitiert wurden zu den Themen Rassismus und Extreme Rechte in der Ukraine konnten nach dem Begrinn der Maidan-Proteste in der ganzen Ukraine keine Nazis mehr sehen (Andreas Umland ist das enttäuschendste Beispiel). Nur noch Verteidiger Europäischer Werte gegen Russische Aggression sahen die Experten von Gestern. Eine Schwarze Sonne? Tja, so ein EU-Sternenkranz verwischt schon mal schnell, wenn von ungeübter Hand gemalt. Bandera? Ist das nicht so nen Kopftuch für Männer? Nach all dem wäre ich, bezogen auf Deine Frage, da mal zuversichtlich. Der Antifaschismus hat in den letzten Jahren so viele Irritationen hinnehmen müssen, er wird auch das schaffen. Und spätestens wenn der Nebel über der ganzen völkisch-irrationalen Propaganda in der Ukraine sich lichtet, wird er wieder als Richtsschnur zur Verfügung stehen. Weil es einfach nicht falsch ist, gegen Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Autorität einzutreten.