Eiliger Schriftwechsel mit Dresden mündet in Demo-Verbot für Legida

Erstveröffentlicht: 
09.02.2015

Kritiker werfen Stadtverwaltung Parteinahme vor / Protestveranstaltungen dürfen stattfinden

Von Klaus Staeubert


Die Depechen, die zwischen Leipzigs Stadtverwaltung, dem Landesinnenministerium und der Polizei am Freitag und Samstag kursierten, trugen alle den Vermerk: "Eilt sehr". Am Ende des Schriftwechsels stand ein Verbot: Die Versammlungsbehörde im Leipziger Rathaus untersagte der islamkritischen Bewegung Legida ihren für heute geplanten Abendspaziergang. Grund: Mit nur knapp 1000 zur Verfügung gestellten Polizeibeamten sei der Aufzug auf Teilen des Innenstadtringes nicht abzusichern. Pikant: Mehrere für die gleichen Zeit angemeldete Gegenveranstaltungen dürfen hingegen stattfinden, so unter anderem eine Demo unter dem Motto "Pilgerweg" auf dem Ring und eine satirische Kundgebung vor dem Gewandhaus.


Die Stadt Leipzig erwecke damit den Eindruck, so mehrere Bürgerrechtler in einem gestern veröffentlichten gemeinsamen Brief, Sicherheitsinteressen politisch zu interpretieren. Gunter Weißgerber, Gesine Oltmanns, Uwe Schwabe, Tobias Hollitzer und Siegfried Reipich tragen das Versammlungsverbot unter anderem deshalb nicht mit, "weil Gewalt nach politischer Zweckmäßigkeit in verurteilens- und duldenswert unterschieden wird". Wie berichtet, war es bei vorangegangenen Kundgebungen der Islamkritiker zu gewaltsamen Ausschreitungen auch auf Seiten der Legida-Gegner gekommen. Dies deklassiere die Arbeit der Polizei, kritisierten die Bürgerrechtler in aller Schärfe, "sie soll demnach rechtsextreme Gewalt verfolgen und linksextreme Gewalt tolerieren".


Auch der Vorsitzende der Leipziger CDU, Robert Clemen, lehnte die einseitige Versammlungsverfügung der kommunalen Behörde ab. "Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Polizeinotstand durch die Stadtspitze nur vorgeschoben wird. Auf diese Weise verbietet sie eine ihr politisch nicht genehme Demo und lässt die ,willkommenen' Demonstranten gewähren. Der richtige Weg wäre gewesen, beide Demos unter Auflagen zu genehmigen oder beide zu verbieten."


Grundrechte müssten sich gerade in schwierigen Situationen beweisen, sagte Tilman Loos von der Linksjugend Sachsen. "Grundrechte gelten für alle. So wie zur Meinungsfreiheit gehört, dass jeder Schwachsinn gesagt werden darf, gehört zur Versammlungsfreiheit, dass für jeden Schwachsinn demonstriert werden darf."
Jeder nicht stattfindende Aufmarsch von Legida sei zwar positiv zu werten, erklärte Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete der Linken und Sprecherin des Aktionsnetzwerks "Leipzig nimmt Platz". "Dass Legida nicht läuft, darf jedoch nicht das Resultat eines Eingriffes der Verwaltung in Grundrechte sein."


Für René Hobusch, stellvertretender Kreisvorsitzender der Leipziger FDP und Stadtrat, ist es nicht die erste Fehlentscheidung der Stadtverwaltung in Sachen Legida. "Erst Karikaturenverbot, jetzt Versammlungsverbot", kommentierte der Liberale. "Die Entscheider in der Stadt der Friedlichen Revolution haben immer noch nicht verstanden, dass Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit unteilbar sind und auch für Kritiker und Feinde unserer liberalen und offenen Gesellschaft gelten." Nach dem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo hatte die Stadt im Januar den Legida-Demonstranten bereits das Zeigen von Mohammed-Karikaturen untersagt, nicht jedoch den Teilnehmern der Protestveranstaltungen.


Zustimmung zur Verbotsverfügung und Kritik am sächsischen Innenministerium äußerte dagegen Leipzigs SPD-Vorsitzender Hassan Soilihi Mzé. "Leipzig wird von Dresdner Behörden absichtsvoll in ein schlechtes Licht gerückt", sagte er. Die Leipziger Polizei sei zur Einschätzung gekommen, die Sicherheit der Legida-Demo sei nur durch mindestens 3100 Beamte zu gewährleisten. Das Innenministerium stellte aber lediglich 1000 Polizisten in Aussicht. "Das ist absurdes Theater", so Soilihi Mzé.


Zu den Kundgebungen und Entwicklungen um das Demo-Verbot für Legida schaltet die LVZ ab heute Vormittag einen Live-Ticker unter www.lvz-online.de.

 


 

Leitartikel Von Klaus Staeubert 

 

Bärendienst an der Demokratie


Erst Terrorgefahr in Dresden, nun Polizeinotstand in Leipzig: Zum zweiten Mal innerhalb von Wochen greifen sächsische Behörden zum letzten Mittel und treten das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ungeniert mit Füßen. Der Vorwurf staatlicher Willkür kommt da nicht von ungefähr. Der Eindruck bleibt: Im beschaulichen Sachsenland sind Meinungen jenseits des politischen Mainstreams unerwünscht.


Meinungs- und Versammlungsfreiheit bilden die Grundpfeiler der Demokratie. Genau das unterscheidet sie von Diktaturen. Dafür gingen vor 25 Jahren Abertausende in Leipzig, Ost-Berlin und Dresden auf die Straßen. Mögen politische Haltungen noch so unbequem, Losungen auf Plakaten schonungslos, provokant und abstrus sein - unsere Demokratie kann, ja sie muss Pe- und Legida aushalten.


So verständlich die Sorge von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) auch sein mag, seine Stadt könnte ohne massivsten Polizeischutz heute Abend wegen eines Legida-Aufmarsches im Straßenkrieg versinken, so sehr offenbart das Agieren seiner Versammlungsbehörde ein Dilemma, in das sich die Stadtpolitik lange vor dem Gida-Phänomen hineinmanövriert hat. Wer nur von der Bedrohung durch gewaltbereite Rechte redet, aber vor dem Extremismus von links die Augen verschließt, muss sich nicht wundern, wenn er die Geister, die er gewähren ließ, nicht mehr loswird.


Denn nicht die vielen Leipziger, die seit Wochen einer weltoffenen Stadt ein Gesicht geben und die friedlich gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz ihre Stimmen erheben, gefährden die Sicherheit in der Stadt der Friedlichen Revolution. Auch für die paar Hundert Legida-Getreuen braucht es keine Tausende von Polizisten. Die größte Sicher-heitsgefahr geht von den etwa 1500 Linksextremisten in Leipzig aus, die Legida den Kampf erklärt haben.


Dabei hat sich die Bewegung nach ihren drei "Abendspaziergängen" entzaubert. Vollmundig als Volkes Stimme gestartet, ist sie auf einen ultranationalistischen Kern geschrumpft. Die Wenigen, die noch übrig sind und paradoxerweise "Wir sind das Volk" skandieren, stehen ganz rechts außen. Im Abseits. Viele Wutbürger, die anfangs noch unter dem Banner des Widerstandes gegen eine vermeintliche Islamisierung des Abendlandes mitliefen, haben sich abgewandt. Sie wollen mit Neonazis und Hooligans nicht in einen Topf geworfen werden.


Ausgerechnet jetzt wendet die Stadt eines der härtesten Mittel staatlicher Repression gegen die unliebsame Randerscheinung an. Legida ein Versammlungsverbot zu erteilen, gleichzeitig aber den Protest der "guten Leipziger" zuzulassen, erhebt die Islamkritiker in den Märtyrerstand. Das Verbot dürfte Legida wieder Auftrieb geben. Leipzig, dessen Ruf 1989 als Stadt der Meinungsfreiheit um die Welt ging, hat damit der Demokratie einen Bärendienst erwiesen.
k.staeubert@lvz.de

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> Viele Wutbürger, die anfangs noch unter dem Banner des Widerstandes gegen eine vermeintliche Islamisierung

> des Abendlandes mitliefen, haben sich abgewandt. Sie wollen mit Neonazis und Hooligans nicht in einen Topf

> geworfen werden.

 

Das glaubt Herr Staeubert. Viele von denen dürften einfach keine Lust mehr gehabt haben, sich Woche für Woche beschimpfen zu lassen und mittels Pfefferspray und Schlagstock den Weg zu ihrer Demo geräumt zu bekommen. Insofern hat nicht LEGIDA sich selbst, sondern haben die Gegendemonstrant_innen und hier besonders diejenigen, die tatsächlich die Zugänge zu LEGIDA blockiert haben, die LEGIDA auf ihren Kern abschmelzen lassen. Was ohne nennenswerten Gegenwind passiert, war in Dresden zu sehen. Dort haben Hooligans und Neonazis auch keinen Wutbürger davon abgehalten, sich mit seinem GEZ-Protest zum rassistischen Mob dazuzugesellen.