[B] Abgeordneter Andreas Baum (PIRATEN) - Verknüpfungen zur Rechtsrockszene?

Andreas Baum mit Jacke "Brotherhood" von Nazilabel OPOS Records

Der Berliner Landesabgeordnete Andreas Baum hatte einen freiwilligen oder unfreiwilligen Kontakt mit der überregionalen Rechtsrockszene und trug eine Fan-Jacke eine nationalsozialistischen Band. Die Umstände werfen weitere Fragen auf, die vor dem Hintergrund seiner Abgeordnetentätigkeit umfassend geklärt werden müssen. Der Artikel soll für die nötige Öffentlichkeit sorgen.

 

Vorgeschichte

 

Am 16. Dezember 2014 erschien auf dem neonazistischen Weblog "DortmundEcho", das dem äußert aktiven Dortmunder Stadtverband der Partei "Die Rechte" zuzuordnen ist, einen Artikel über einen angeblichen Spitzel für Antifa-Strukturen, den man durch eigene Infiltration ausfindig machen konnte: Andreas Baum, Mitglied des Berliner Landtags für die PIRATEN. An den Artikel angehängt ist ein aktuelles Bild von Andreas Baum und eine Fotografie seiner angeblichen Wohnung.

 

Im Artikel wird beschrieben, dass eine "AG GesMa" antifaschistische Strukturen unterwandert hätte, um ein angebliches Geflecht aus Staat und Antifaschisten nachzuweisen, das immer wieder Rechtsrockkonzerte behindern würde. Teil dieses angeblichen Geflechts, das den Projektnamen "Thomas Kuban" (ein bekannter Journalist, der mit seinem Film "Blut muss fließen" eine erschreckende Zusammenstellung heimlich gefilmter Rechtsrockkonzerte veröffentichte und aus Angst um sein Leben nur anonym und verfremdet auftritt) trägt, sei der Abgeordnete Andreas Baum. Es folgt eine Darstellung seiner sonstigen politischen Positionierung.

 

Andreas Baum sei angeblich schon vorher auf Rechtsrockkonzerten anwesend gewesen, so zu einer Record-Release-Show der Naziband "Blutzeugen" am 29. November 2014. Außerdem sei er angeblich auf einer Kundgebung gegen Asylbewerber in Wittstock (Dosse) erschienen. 

 

Konkret geoutet worden sei er allerdings, als er am 13. Dezember 2014 eine Mitfahrgelegenheit zu einem Konzert im Ausland wahrnahm. In dem Auto sei er vor die Wahl gestellt worden, als vermeintlicher Antifaschist entweder geoutet dem Konzertpublikum vorgeführt zu werden oder den PKW zu verlassen. Baum wurde dann in einer unbenannten Ortschaft hinausgelassen.

 

Öffentliche Reaktionen

 

Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Artikels wurde er vor allem in der NRW-Naziszene in sozialen Netzwerken geteilt und erreichte dann szeneintern auch den Berliner Raum, wo der Landesvorsitzende der Partei "Die Rechte" - Uwe Dreisch - auf den Artikel auf Facebook verlinkte, sowie das Portal "Nationaler Widerstand Berlin Brandenburg" auf Twitter. Auf Facebook-Portalen der rechten Szene wurden Morddrohungen gegen ihn ausgesprochen.

 

Es folgt dann am vergangenen Wochenende eine Vorabmeldung durch den Journalisten Lars Petersen, der dann am 22. Dezember 2014 in der B.Z. einen Artikel veröffentlichte, der weitestgehend die Angaben der Nazis übernahm und Andreas Baum als tätigen Undercover-"Spion" der antifaschistischen Recherche darstellte. Lars Petersen teaserte auf Twitter den Artikel mit dem Zusatz "Mutig, Herr Baum!"

 

Andreas Baum selbst löschte in der vergangenen Woche seinen Twitter-Account @rka (twitter.com/rka), ohne sich dort zu äußern. 

 

Er antwortete weder auf unsere Bitten zur Positionierung und Beantwortung unserer Fragen noch beantwortete er die Fragen mehrere Pressevertreter*innen.

 

Analyse

 

Auffällig ist, dass nicht alle Behauptungen aus der Luft gegriffen scheinen. Am 13. Dezember 2014 fanden tatsächlich zwei Konzerte der Rechtsrockszene im europäischen Ausland statt: in Belgien das "White X-Mas" mit den Bands mit den Bands „Helle und die RACker“, „Überzeugungstäter“, „Confident of Victory“, „Blutzeugen“, „Kraftschlag“, „Sniper“ und eine „surprise band“; in Frankreich das "White Christmas III" mit den Bands „Frakass“, „Green Arrows“, „Battle Dogs“ und „Nessuna Resa", veranstaltet von einem lokalen "Blood & Honour"-Chapter.

 

Das durch das DortmundEcho veröffentlichte Bild (siehe Anhang) stellt unzweifelhaft Andreas Baum dar. Unter der Zipjacke, auf die wir gleich eingehen werden, trägt er eine Sportjacke, mit der er auch während einer im Internet abrufbaren Sitzung des Landesparlaments von Berlin aufgetreten ist. Die Witterungsverhältnisse (Schneeregen / kleiner Hagel), die auf dem Foto erkannbar sind, passen zu den Witterungsverhältnissen von Mitteldeutschland in der Nacht des 13. Dezember 2014: vorherrschend regnerisches Wetter mit Temperaturen stellenweise um den Gefrierpunkt.

 

Das Wichtigste jedoch erscheint die von Andreas Baum auf dem Foto getragene Zipjacke: sie ist eine Produktion des neonazistischen Musiklabels "Opos Records", dass sich auf sogenannten "NSHC" - nationalsozialistischen Hardcore - spezialisiert hat. Das Motiv, dass am 25. September 2014 in den Shop aufgenommen wurde und inzwischen ausverkauft ist, nennt sich "Brotherhood" und versinnbildlicht die Zusammenarbeit zwischen mehreren NSHC-Bands, ganz konkret die Bands Brainwash, Moshpit und Hope For The Weak . Opos Records bieten in ihrem Webshop nicht nur Fanartikel für Bands an, sondern auch politische T-Shirts mit der Aufschrift "Sommer, Sonne, Nationaler Sozialismus". Die Band "Moshpit" positiniert sich auf einer T-Shirt eindeutig mit der Aufschrift "I Love NS".

 

Diese Jacke war nur auf einschlägigen rechtsradikalen Internetseiten oder direkt bei Konzerten zu kaufen und gilt als Sammlerstück. Ihr Produzent, Opos Records, ist auch das Label der Band "Blutzeugen", die an diesem Abend in Belgien auftraten und an deren Record-Release-Konzert Andreas Baum laut dem Text am 29. November 2014 teilnahm.

 

Ob Andreas Baum in Wittstock mitgelaufen ist, können wir nicht einschätzen - hier sind regionale Genoss*innen gefragt. Es nahmen aber bekannte Berliner Nazifunktionäre teil, denen Baum in seiner Funktion als ehemaliger Fraktionsvorsitzender der PIRATEN bekannt sein düfte und die ihn demzufolge schon dort bemerkt haben würden. Gerade auch, weil sich andere Abgeordnete der PIRATEN als explitze Antifaschist*innen positionieren und von Nazigewalt regelmäßig betroffen sind.

 

Unsere Schlüsse

 

Andreas Baum nahm am 13. Dezember 2014 eine Mitfahrgelegenheit wahr und musste diese unfreiwillig verlassen. Er trug eine Jacke der Nazi- und Rechtsrockszene. Das Bild ist in dieser Situation entstanden.

 

Andreas Baum wird nicht in einer wie auch immer gearteten Undercover-Funktion als Teil einer antifaschistischen Recherchegruppe in diese Situation geraten sein. Seine exponierte Funktion als Mandatsträger lässt das höchst unwahrscheinlich sein. Er ist kein Teil der antifaschistischen Szene, engagiert sich aber im queerpolitischen Bereich. Er hört privat gerne Hardcore.

 

Ein Infiltration durch Neonazis in Recherchestrukturen der antifaschistischen Szene ist höchst unwahrscheinlich Grundlage dieser Veröffentlichung. Sollte eine solche tatsächlich gelungen sein, gäbe es keinen Grund, sie in dem vorliegenden Text zu erwähnen; vielmehr würde die öffentliche Bekanntgabe vermeintlich eingesetzte Nazispitzel gefährden.

 

Wahrscheinlich wurde also die Story um die "Thomas-Kuban-Recherchegruppe" um eine Zufallsbegegnung oder ein zufälliges Erkennen von Andreas Baum herum konstruiert, um Verwirrung und Misstrauen in antifaschistischen Strukturen und der Piratenpartei zu erzeugen. 

 

Offene Fragen

 

Die Sache ist mehr als suspekt. Wir haben uns zur Veröffentlichung entschieden, nachdem sowohl Andreas Baum selber als sein Umfeld auf unsere Anfragen hin gemauert haben - wohl um den zu erwartenden politischen Schaden abzuwenden. Wir sehen ihn einerseits als Betroffenen neonazistischer Gewalt - die ihn als vermeintlicher Spitzel verfolgt - andererseits stehen wir aber vor Widersprüchen in der ganzen Geschichte, die er als Amtsträger und öffentliche Person anscheinend nicht gewillt ist, zu widerlegen. Wir sehen es als höchst problematisch an, wenn ein Abgeordneter explizite nationalsozialistische Kleidung trägt - tat er das freiwillig? Und wollte er tatsächlich auf ein Konzert, das "White X-Mas" als Thema hatte und auch für szeneunkundige, aber politisch vorgebildete Beobachter*innen als reines Nazikonzert zu erkennen war? 

 

Wie passt das als mit früheren Äußerungen, die sich eher links verstehen lassen, und mit seinem Amt als queerpolitischer Sprecher zusammen?

 

Und dann stellt sich wie immer die Frage: was wussten Verfassungsschutz und Polizei - und hielten sie es geheim?

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hätte er da mit einem slime-shirt hingehen sollen?
ich will  (ohne ihn persönlich zu kennen, bin auch nicht aus berlin) erstmal glauben, dass er dort aus recherchezwecken hingefahren ist.
gerade auf einem konzert einer szene, die sich so dermassen über dresscodes definiert, wäre es doch vermutlich auffällig, mit vermeintlich unbelasteten klamotten hinzufahren.
nun bin ich auch nie auf solchen konzerten gewesen, aber hätte "blut muss fliessen (film)" über jahre hinweg entstehen können, wenn der filmemacher sich dort nicht zumindest optisch ein wenig angepasst hätte (was er ja auch mal in interviews angab)?
wenn er denen ein paar euros "gespendet" hat, um so besser an  informationen zu kommen, denke ich, dass hier der kosten-nutzen-faktor greifen kann (wäre vielleicht mal ein thema für künftige diskussionen).
das drecks-shirt wiegt wahrscheinlich nicht den schaden auf, den die nazi-szene bei gezielter recherche erleiden kann.
vielmehr würde mich auch interessieren, wie sich die piraten-partei dazu äußert.
haben sie ihm möglicherweise einen maulkorb verpasst?

es ist doch totaler bullshit, das ein abgeordneter (!) undercover auf nazikonzerte fährt um zu recherchieren. wer genug im kopf hat, um recherche zu machen, der hat auch genug im kopf um zu wissen, dass er das nicht als öffentliche person undercover macht.

 

gleichzeitig wirkt die piratenpartei schon seit jahren als magnet für nazis und ex-nazis, warum nicht also einer mehr? vgl. auch den fall lars dickhoff 

 

mehr wird mensch vor allem dann wissen, wenn sich baum dazu äußert. und das sollte er schnell mal machen.

Es gibt keine ansprechbar Gruppe "Piraten gegen Rechts - Bundesverband"

Im Zweifel machen solche Outings einfach nur Menschen kaputt.

Gerade vor dem Hintergrund, dass unter anderem nicht geklärt ist, ob er undercover gehandelt hat oder nicht.

Wird sowas nicht normalerweise wieder offline genommen? Ich bitte darum.

Er ist Abgeordneter der Piratenpartei und will zu einem Konzert der Rechten. Er trägt entsprechende Kleidung. Jeder Abgeordnete sollte sich dann auch Fragen gefallen lassen. Mir fallen nur zwei Antwortvarianten ein:

 

Als exponierter Mandatsträger in rechten Kreisen Informationen gesammelt: ist mutig bis gedankenlos.

 

Als Abgeordneter der Piraten Rechtsrock zu hören und sich auf einem Konzert erwischen zu lassen: ist sicher daneben bis rücktrittswürdig.

 

Ich halte beide Antworten für möglich aber nicht gleich wahrscheinlich. Als Politiker sollte er das ehrlich aufklären, so wie das auch mal als Newcomer versprachen, oder er muss mit den Zweifeln anderer leben.

Der Herr Baum stellt regelmäßig seinen Twitter Account auf deaktiviert (währen des Urlaubs?) ist also nichts besonderes.

...finde ich es, das bei der dünnen Faktenlage hier auch noch publik zu machen. Ohne dass ich Baum und seine politische Arbeit irgendwie kenne, ist hier eindeutig abwarten angesagt. Ist ja super dass ihr ein Auge drauf habt, denn mysteriös ist es allemal, aber noch nicht so lange her.

 

Natürlich mutet es bescheuert an, als Abgeordneter verdeckte Recherche zu betreiben, aber vielleicht hatte er eben eine einmalige Chance durch entsprechende Kontakte? Und so bekannt ist dein Gesicht als Berliner Piraten-Abgeordneter nun auch nicht, oder wer hätte ihn auf der Straße (bzw. auf nem Nazikonzert in Dortmund/im Ausland) erkannt?

 

Solange alles so vollkommen unklar bleibt sollte man sein Gesicht nicht bekannter machen, meine ich.

Der Herr Pirat sollte lieber mal Stellung beziehen. Das ist nicht mysteriös, das stinkt zum Himmel.

Diese Stellungnahme ist nun wirklich ihrer Worte nicht wert. Da steht nichts weiter als "Ja, da war was los." - soviel haben die Verfasser_innen des Textes auch herausgefunden. Die Nicht-Äußerung wegen des Selbstschutzes kann man dann folglich auch lesen als: "Alles, was ich jetzt sage, reitet mich noch tiefer in die Scheiße, deswegen sitze ich das lieber aus."