Seit Anfang Juli erleben wir in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine Welle von anti-israelischen Demonstrationen, auf denen nicht selten offen antisemitische Parolen gerufen werden. »Jude, Jude, feiges Schwein« und »Hamas, Hamas, Juden ins Gas« sind dabei nur zwei Beispiele von vielen. Auch die Plakate auf diesen Demos sprechen eine deutliche Sprache: »Stoppt den Holocaust in Gaza« und Israelfahnen, auf denen der Davidstern durch ein Hakenkreuz ersetzt wurde, sind dort beliebte Motive.
Im Zuge der Proteste gegen die erneute Eskalation im Gaza-Konflikt gab es auch zahlreiche Übergriffe auf Jüdinnen_Juden sowie Angriffe auf Synagogen. In Berlin kam es in den letzten vier Wochen zu mehreren antisemitischen Angriffen. So wurde am 19. Juli ein israelisches Paar am Rande einer Gaza-Demo in Berlin-Mitte attackiert. Am 24. Juli folgte ein weiterer Angriff in Charlottenburg auf einen Mann, der durch seine Kippa als Jude erkennbar war. Bereits am 7. Juli war ein Mann im Tiergarten angegriffen worden, weil er eine Mütze mit einem Davidstern trug. In Wuppertal kam es zu einem Brandanschlag auf die örtliche Synagoge. Auch auf europäischer Ebene ist Antisemitismus präsent. So gab es 2012 in Toulouse und 2014 in Brüssel Mordanschläge in jüdischen Einrichtungen, bei denen mehrere Menschen getötet wurden. Im Zuge der aktuellen Geschehnisse kam es im Pariser Stadtteil Sarcelles zu pogromartigen Ausschreitungen, bei denen ein jüdisches Geschäft niedergebrannt wurde.
Solche Attacken basieren auf dem Hass auf Jüdinnen_Juden und auf der
antisemitischen Annahme, Jüdinnen_Juden seien ein einheitliches
Kollektiv, das für die israelische Politik verantwortlich gemacht werden
könne. Hierbei sind derzeit verstärkt islamistische Akteur_innen am
Werk, die teilweise durch antisemitische Aufrufe in Moscheen in ihrem
Handeln bestärkt werden. Erinnert sei hier beispielhaft an die Worte von
Imam Bilal Ismail bei seiner Predigt am 18. Juli in der Al-Nur-Moschee
in Berlin. Dort bat er Allah: »Vernichte die zionistischen Juden, sie
sind keine Herausforderung für Dich. Zähle sie und töte sie bis auf den
letzten.«
Wenn Joachim Gauck in diesem Zusammenhang dann von »importiertem
Antisemitismus« redet, verkennt er, dass Antisemitismus in der deutschen
Gesellschaft nach 1945 nie richtig aufgearbeitet wurde und in beiden
deutschen Staaten weiterhin alltäglich war. Dies äußerte sich
beispielsweise in der Zerstörung von jüdischen Friedhöfen durch Neonazis
oder der Leugnung der Shoah, also des Massenmordes an den europäischen
Jüdinnen_Juden. Weil es aber nach 1945 aufgrund der deutschen Schuld an
der Shoah lange Zeit unmöglich war, offen gegen Jüdinnen_Juden zu
hetzen, drückt sich Antisemitismus häufig in Bezug auf den Staat Israel
aus. Dieser antizionistische Antisemitismus äußert sich dann zum
Beispiel darin, dass Akademiker_innen Briefe an jüdische oder
israelische Einrichtungen schreiben, in denen sie behaupten, das, was
Israel den Palästinenser_innen antue, sei das gleiche, wie das, was die
Nazis den Jüdinnen_Juden angetan haben.
Oft ist (nicht nur) diese Form des Antisemitismus mit Verschwörungstheorien verknüpft, die eine »jüdische Weltverschwörung« imaginieren. Dies zeigt sich aktuell bei den derzeitigen »Montagsdemos«, bei denen über »die Macht der Rothschilds« gefaselt wird. Am 4. August demonstrierten zudem Teilnehmer_innen der »Montagsdemo« in Berlin vor der Synagoge in der Oranienburger Straße gegen die israelische Politik. Dass Antisemitismus keineswegs Neonazis oder Verschwörungstheoretiker_innen vorbehalten ist, zeigte sich in den letzten Wochen noch einmal sehr deutlich. Er ist Teil der deutschen Gesellschaft. Er findet sich in Kolumnen der »Süddeutschen Zeitung«, in Karikaturen der »taz«, in Beiträgen von Politiker_innen verschiedenster Parteien und natürlich am deutlichsten am virtuellen und analogen Stammtisch. Linke Gruppierungen leisten den antisemitischen Tendenzen dabei zum Teil öffentlich Vorschub. Dass linke Organisationen mancherorts die Gaza-Demonstrationen organisierten, auf denen es zu Ausschreitungen und Angriffen kam, ist dabei ähnlich fatal, wie der Fakt, dass die meisten Linken zu den aktuellen antisemitischen Angriffen schweigen.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland fragte Ende Juli: »Warum gibt es keine Welle der Sympathie mit uns Juden?« und der Vorsitzende des Zentralrates, Dieter Graumann, sagte, viele jüdische Menschen seien so verunsichert, dass sie sich fragten, ob es wieder Zeit sei, die Koffer zu packen und Deutschland zu verlassen. Damit bezog er sich auf die Fluchtwelle der deutschen Jüdinnen_Juden während der Zeit des Nationalsozialismus.
Mit einer Kundgebung gegen Antisemitismus wollen wir ein Zeichen der Solidarität mit allen Jüdinnen_Juden setzen und rufen dazu auf, auch darüber hinaus Sympathie zu bekunden. Wir treten für eine Gesellschaft ein, in der Jüdinnen_Juden sich nicht vor antisemitischen Attacken fürchten müssen und niemand Angst haben muss, in der Öffentlichkeit eine Kippa oder einen Davidstern zu tragen, kurz: eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können.
Kommt am 22. August 2014 um 16:00 Uhr zur antifaschistischen Kundgebung in die Augsburger Straße. Weitere Infos unter: www.gemeinsamgegenantisemitismus.blogsport.de
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»Warum gibt es keine Welle der Sympathie mit uns Juden?«
--> weil ~2000 getötete Paläestinenser vs. 66 Israelis eine deutliche Sprache sprechen
--> weil die einen an den Strand gehen und die anderen in Trümmern leben
--> weil Israel eine der führenden Waffenlieferanten und -entwickler der Welt ist
--> weil aus den Erfahrungen und Lehren des Holocausts jede Kritik als Antisemitisch/ Antiisraelisch gedeutet wird
Mir fehlt eine Reflektion in deinem Text. Neuerer Antisemitismus, rührt nicht zwingend aus alten Ursachen wie der Brunnenvergiftung her. Man muss sich auch die aktuellen Kontexte anschauen. Diese bewerten - und interpretieren. Wer Scheiße baut, kann nicht auf Solidarität hoffen. Gegen jeden Antisemitismus - ja! Gegen die HAMAS - ja! Aber auch gegen Ausbeutung und Unetrdrückung! Gegen Staat und Nation! Gegen Krieg und Kapitalismus!
Für die Freiheit, für das Leben!!!
Ein erfahrenes Unheil, ist keine Legitimation für Selbstjustiz.
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Vielleicht auch aus solchen Gründen...
http://www.haaretz.com/mobile/.premium-1.611015?v=C71173698D9D0CD11CC6EC...
?
Warum, linksunten-Mods, lasst ihr einen Kommentar stehen, der die Solidarität mit von Antisemitismus Betroffenen verweigert, weil ja die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden irgendwie auch für die Praxis des israelischen Staates verantwortlich seien, während ihr einen Kommentar löscht, der auf den in einer solchen Argumentation angelegten Antisemitismus benennt und kritisiert?
Aha.
Könntest Du bitte erläutern, warum in Deutschland lebende Jüdinnen_Juden für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden sollen? (Ja, das ist eine rhethorische Frage.) Hier werden jüdische Menschen attackiert, weil sie jüdisch sind und Du rechtfertigst das auch noch. Jüdinnen_Juden als einheitliches Kollektiv zu imaginieren, die für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich seien, ist antisemitisch!