Im Gegensatz zu der in manchen Medien im Zusammenhang mit Krawallen häufig und irrtümlich gebrauchten Bezeichnung “Stadtguerilla” für das Vorgehen von Demonstrant*innen, kann im Istanbuler Bezirk Okmeydanı von deren tatsächlichen Existenz gesprochen werden. In diesem Viertel leben viele Arbeiter*innen und finanziell benachteiligte Menschen. Oft gehören diese zur alevitischen Minderheit, die in der Türkei unter Repression leidet. Dementsprechend hat der Widerstand gegen den Staatsterrorismus hier eine lange Tradition.
Seit der Ermordung des Jugendlichen Berkin Elvan durch eine Tränengas Granate sind die Spannungen mit den Bullen weiter angestiegen. Die Ermordung von Ugur Kurt durch einen Bullen am Rande einer Trauerkundgebung verschäfte das Klima zusätzlich.
Der Widerstand im Stadtteil wird maßgeblich von der DHKP-C getragen. Obwohl es sich dabei um eine marxistisch-leninistische Organisation mit hierarchischer Struktur handelt, kann sie als revolutionäre Gruppe bezeichnet werden, die sich solidarisch zu anderen Zusammenhängen verhält. DHKP-C agiert bei Auseinandersetzungen gemeinsamen mit der MKP (maoistisch), der PKK und zunehmend auch mit anarchistischen Gruppen. Besonders in diesem Kiez fallen Fremde sofort auf, was die Arbeit der zivilen Bullen gefährlich macht aber genauso anderen Gruppen Alleingänge verwehrt. Das bedeutet, Randale findet nur statt, wenn die DHKP-C es unterstützt.
Meistens entwickeln sich Auseinandersetzungen in Okmeydanı aus dem Einmarsch von Polizeitruppen in das Viertel. Der Widerstand findet dann weniger in der Form von massenhafter Militanz der Bewohner*innen statt, sondern eher in der organisierten Gegenwehr vorbereiteter Kleingruppen. Die Verteidigung des Viertels basiert also nicht auf spontanen Reaktionen einer Vielzahl von Menschen, eher kann von vorbereiteten Aktionen einer echten Guerilla gesprochen werden, die ihr Eskalationspotential nicht immer ausreizt. Im Gegensatz zu Kämpfen in Exarchia werden nicht ungezielt viele Molotov Cocktails durch die Straßen geworfen, vielmehr werden diese in ihrer originären Funktion zur gezielten Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge eingesetzt.
https://www.youtube.com/watch?v=9ek_xEdY19U
1.Mai 2014:
https://www.youtube.com/watch?v=-zpJQl8kgj0
Nach dem Mord an Ugur Kurt, Einmarsch mit Zivis in gepanzerten Jeeps:
https://www.youtube.com/watch?v=dfMF69twOps
Die Politik der DHKP-C ist durchaus kritisch zu sehen, im Viertel selbst arbeitet sie jedoch auf basisdemokratischen Strukturen, die einen relativ großen Rückhalt haben.
Nach dem Tod der Bergleute in Soma rücken Bullen ein:
https://www.youtube.com/watch?v=nO61-rz-lQc
Wenn diese DHKP-C Gruppen es für sinnvoll erachten, setzen sie auch Schußwaffen ein. Als kurz nach dem Tod von Berkin Elvan Polizei, Paramilitärs und Faschisten in das Viertel einfielen, wurde Burak Can Karamanoğlu dabei von der DHKP-C erschossen, die ihn zu den Grauen Wölfen rechnen.
Der Anteil von Frauen bei Auseinandersetzungen ist sehr hoch, diese
koordinieren auch oft in hektischen Situationen die Kleingruppen.
In dieses Viertel von Istanbul wagt sich die Polizei nur in gepanzerten Fahrzeugen und führt dort kaum Routine Einsätze durch.
(übernommen von http://urbanresistance.noblogs.org/kiezpolitik/ )
Hintergrundinfos
zahlreiche Artikel zu Okmeydani, Gazi, Kücük Armutlu und dem militanten Widerstand in Istanbul gibts übrigens beim lower class magazine, auf türkisch, englisch und deutsch.
falscher Begriff
der richtige Begriff scheint mir hier der der "Miliz" zu sein. Also (auch militärisch) organisierte BewohnerInnen, die ihren Lebensmittelpunkt in der jeweiligen Gegend haben, schnell Widerstand organisieren können, ansonsten aber weitgehend normalen Tätigkeiten in der Legalität nachgehen.
Im Gegensatz dazu handelt es sich bei einer "Stadtguerilla", wie auch bei einer ländlichen Guerilla, im Grunde um eine Armee aus KämpferInnen, deren Haupttätigkeit der bewaffnete Kampf bzw. alles was so dazugehört ist. Sie leben und agieren aus der Illegalität und sind mit ihren Aktionen auch nicht an das Umfeld ihres Wohnortes gebunden.
Ansonsten danke für den Artikel.
Keine Solidarität
Ich würde deiner Aussage wiedersprechen, dass mensch sich zur DHKP-C solidarisch Verhalten kann.
Die DHKP-C verteidigt patriarchale Werte und die bürgerliche Familie, desweiteren positioniert sich die Gruppe gegen die Homosexualität und begreift sie als Krankheit.
Wir können uns weiterhin mit jeder seltsamen Gruppe solidarisieren die wir finden im Ausland, oder wir fangen an diese Welt endlich wieder radikal zu kritisieren und anzugreifen.
Für einen konsequenten antipatriarchalen und antikapitalistischen Kampf, auch in "Linken" Zusammenhängen
Ich empfehle das Buch- Taksim ist überall. Die Gezi Bewegung und die Zukunft der Türkei. Es enthält einige Aussagen der DHKP-C die eindeutig sind
Solidarität hat auch Grenzen.
Hi,
dem vorhergehenden Post kann ich absolut zustimmen.
Ich seh mich als "Linken", der gegen jede Art der Menschenfeindlichkeit und für die Emanzipation/Gleichberechtigung eines jeden Menschen ist.
Die Solidarität mit Miliz-Gruppen, die sich damit beschäftigen ihre Verqueren "linken" Weltanschauungen zu verbreiten, die vllt. im letzten Jahrhundert noch modern waren und sich Symphatisanten durch militanten Straßenkampf sammeln, gibts von mir nicht.
Da kann ich auch genauso gut die Muslim-Bruderschaft aus Ägypten und Umgebung für ihr revolutionäres Engagement abfeiern.
Tue ich aber nicht. Das sind alles rückwärtsgewandte, ewiggestrige Pseudorevoluzzer.
Die haben für mich nichts mit "linker" Utopie zu tun und sind nicht unterstützenswert.
Okay, angesichts der Situation in der Türkei ist einer Militanz vermutlich nicht wirklich aus dem Weg zu gehen und mein Beileid an die Todesopfer, aber K-Gruppen und Personenkult-Hobby-Linke können sich gefälligst verpissen.