Danke TOP, …

It's not enough to be anticapitalist

Zur Kritik des TOP-kapitallogischen Nebenwiderspruchs-Denkens[1]

Liebe Genoss*innen von TOP B3rlin,

Ihr schreibt ja wirklich schlaue Texte in Sachen Kapital, Nation und Staat, und auch in Eurem aktuellen Text Reclaim the F-Word gibt es ein paar Aussagen, die ich teile:

 

Der „Fokus auf Diskurse und Performanzen der Gender Studies [hat] oft konkrete Analysen der materiellen Bedingungen geschlechtlicher und sexueller Ungleichheiten und Normen, d.h. die Frage, wie Geschlechtlichkeit als soziales Verhältnis überhaupt entstehen und reproduziert wird, übersprungen […].“

 

„Mit ihrem Anspruch, Geschlecht zu pluralisieren und dadurch abzuschaffen, tappt die Queer Theory selbst in [… eine] Ideologiefalle“. –

 

Zu erörtern sein wird freilich noch, in welche... Und ansonsten – muß ich Euch leider sagen: Euer Versuch, Euch zum Feminismus ins Verhältnis zu setzen, ist in meinen Augen unter aller Kanone (um nicht das vierte Wort Eures Quartetts von „Staat, Nation, Kapital, …“ zu nehmen).


[1] Zur Kritik der traditionsmarxistisch-klassenreduktionistischen Variante des Nebenwiderspruchs-Denkens siehe:

http://www.nao-prozess.de/blog/zur-kritik-der-marxistischen-klassizizierung-des-geschlechterverhaeltnisses-als-nebenwiderspruch/.

 

 

... daß wir es jetzt wissen!

 

Ich fange mal mit einer Stelle gegen Ende Eures Textes an:

 

„Will er [der radikale Feminismus] gleichzeitig die Verschränkung mit strukturellem Rassismus mitdenken, kommt er auch um eine antirassistische Perspektive nicht umhin.“

 

Vielen Dank auch für diese Belehrung des Feminismus und zumal des radikalen! Das ist nun aber wirklich eine neue Erkenntnis

 

  •  40 Jahre nach Gründung des Combahee River Collective[1],
  •  34 Jahre nach Angela Davis’ Women, Race & Class,
  •  28 Jahre nach Anja Meulenbelts Over seksisme, racisme en klassisme,
  •  24 Jahre dem Heft Geteilter Feminismus: Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhaß der beiträge zur feministischen theorie und praxis und Gloria Anzaldúzas Making Face, Making Soul,
  •  ca. 23 Jahre nachdem Britta Grell und Andrea Stäritz den Texte Für anti-rassistischen Feminismus von Jenny Bourne ins Deutsche übersetzt haben,
  •  22 bzw. 21 Jahre nach den Überlegungen von Cornelia Eichhorn zu Feminismus, Sexismus und Rassismus[2] im Buch der diskus[3]-Redaktion Die freundliche Zivilgesellschaft (Untertitel: Rassismus und Nationalismus in Deutschland) und von Sabine Grimm zum Verhältnis von Sexismus und Rassismus/Nationalismus[4] beim Konkret-Kongreß 1993
  •  20 Jahre nach Annita Kalpaka und Nora Räthzels Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein und ebenfalls 20 Jahre nach den auch von Euch erwähnten Feministischen Migrantinnen (FeMigra)[5]
  •  19 Jahre nach Angelika Magiros’ Foucaults Beitrag zur Rassismustheorie
  • 14 Jahre nach Nora Räthzels  Theorien über Rassismus

 

und

 

  •  soundso vielen Jahren (auch) feministische Critical Withness-Diskussion!

 

Nicht daß nicht auch unter Feministinnen und zumal den radikalen umstritten ist, wie jene theoretische Einsicht in politische Praxis umzusetzen ist; nicht, daß es nicht um diese Praxis eher mau aussieht… – aber: Daß Ihr als gemischte Gruppe, die sich bisher  nie sonderlich für das Geschlechterverhältnis und den Feminismus interessiert hat (Wo wart Ihr denn als „antiimperialistische“ und antiamerikanische [das wäre doch Euer Thema gewesen!] Linke sowie Verschwörungstheoretiker die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Julian Assange zu einer Verschwörung der CIA zu machen versuchten?!), dem Feminismus im Jahre 2014 diese Lehre erteilt, kommt schon etwas uncool rüber

zumal es um die antirassistischen Praxen und Strukturen in der geschlechtergemischten, weiß-deutschen „radikalen“ Linken auch nicht gerade toll bestellt ist.

 

Wessen F-Wort?

 

Springen wir zurück zum Anfang Eures Textes. Ihr beginnt damit, daß die Bundesarbeitsministerin, das Wort „Feminismus“ beanspruche und knüpft daran die Schlußfolgerung: Dies zeige „ziemlich deutlich, dass das F-Wort etwa so viel politischen Sprengstoff wie eine Luftpumpe hat“. Danke TOP, für den Tritt vor das Schienbein von ‚uns’ Feminist*innnen und  dafür, daß Ihr die Bundesarbeitsministerin für ‚unsere’ bevorzugte Sprecherin haltet!

Zum einen verwendet Andrea Nahles in dem von Euch angeführten Zitat nur die von der fraglichen Kampagne vorgegebene Floskel, „Ich brauche Feminismus, weil […].“ und verschiebt den Begriff „Feminismus“ dann sofort in Richtung des traditionellen sozialdemokratischen Begriffs „Gleichstellung“ von „Frauen und Männern“.

Und auch bezüglich der Verwendung des F-Wortes durch Andrea Nahles’ Vorgängerin, Ursula von der Leyen – zum einen: Wie repräsentativ ist denn das vermeintliche von der Leyen-Bekenntnis zum Feminismus für die Diskurslage? Fast gar nicht! Auf beschreibender Ebene deutet Ihr es selbst an: Viele Feministinnen wurden – in einem Chor mit der EU-Kommission – zu Gender Mainstreamer*innen oder – in einer eigenwilligen Auslegung von Judith Butler – zu Postfeministinnen und Queerfeministinnen.[6] – Ich weiß nicht, ob die Grünen heutzutage überhaupt noch von Feminismus sprechen; aber viel lieber sprechen sie von „Geschlechterdemokratie“[7]. Und die Linkspartei spricht manchmal von Feminismus, aber viel lieber spricht sie von „Geschlechtergerechtigkeit“ – genauso wie sie manchmal von „Antikapitalismus“ spricht, aber viel lieber von „sozialer Gerechtigkeit“ spricht.

Ihr beobachtet zutreffend: „Tendenzen, die auf eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen zielen, [sind] nach wie vor virulent; etwa eine bürgerlich-konservative Familienpolitik, die durch Maßnahmen, wie Betreuungsgeld und Ehegattensplitting an dem Ernährer-Hausfrau bzw. dem Ernährer-Zuver­dienerinnen-Modell festhält.“

Aber wie ordnet sich diese empirische Beobachtung in Eure Analyse der Diskurslage ein?

Ihr schreibt: „Das F-Wort hat längst einen verstaubten und über­holten Anklang.“ – Aber warum denn?! Weil Feminismus so furchtbar mainstream ist oder weil viele die – von Euch zumindest empirisch beobachten – Tendenzen zur „Retraditionalisierung der Geschlechterrollen“ ignorieren und die von Euch ebenfalls empirisch beobachteten Tendenzen wie gender mainstreaming bereits für die Erfüllung der Ziele des Feminismus halten (obwohl sie bestenfalls einen Geschlechter-Reformismus darstellen)?!

 

Ursula von der Leyen – Frauenrechtlerin oder Feministin?

 

Und zum anderen: Was hatte denn Ursula von der Leyen nun tatsächlich gesagt? Auf die Frage der BILD-Zeitung, „Sind Sie eine Feministin?“, antwortete sie zunächst einmal mit einer Rückfrage: „Wie definieren Sie das?“ – und auch nachdem ihr die BILD-Zeitung, folgende Definition vorschlug: „Eine Frau, die für Frauenrechte streitet.“, antwortete Ursula von der Leyen, nicht etwa: „Ja, in diesem Sinne bin ich [oder: wäre ich] eine Feministin.“ Vielmehr wich von der Leyen der Ausgangsfrage weiterhin aus und antwortete: „Alle, die mich kennen, wissen, dass ich mich schon immer mit großer Verve für Fraueninteressen eingesetzt habe.“[8]

Denn, wenn auch vielleicht Euch und der BILD-Zeitung nicht, so scheint doch zumindest Ursula von der Leyen klar zu sein, daß Feminismus – spätestens seit ‚1968’ – etwas anderes ist als die „Frauenrechtlerei“ des sog. bürgerlichen Flügels der ersten Frauenbewegung (und im übrigen auch etwas anderes als die „Frauenfrage“ des sog. proletarischen Flügels der ersten Frauenbewegung)!

Juliet Mitchell schrieb in der 1978 auf Deutsch erschienen Sammlung einiger ihrer Aufsätze aus der Zeit 1966 - 1971[9]:

 

„Meiner Meinung nach halten heute nur noch die ‚liberalen Feministinnen’ an der Illusion fest, daß gesellschaftliche Gleichberechtigung in einem demokratischen kapitalistischen Land ohne eine Revolution durchgesetzt werden könne: die ‚radikalen Feministinnen’ glauben, daß dies nirgendwo erreicht werden kann, ohne daß eine feministische Revolution an allererster Stelle steht. Liberale und radikale Feministinnen sind sich allerdings einig darüber, daß die Unterdrückung der Frau unabhängig von anderer Unterdrückung bekämpft werden kann, während die sozialistischen Frauen in der Frauenbewegung, die sich wie Simone de Beauvoir auf eine materialistische Analyse stützen, glauben, daß der Kampf gegen die Unterdrückung der Frau ein zentraler, gleichzeitig aber wesentlicher Teil eines größeren revolutionären Kampfes ist, der die herrschende Produktionsweise (Kapitalismus) überfuhren wird in den Sozialismus und schließlich in den Kommunismus. Die radikalen Feministinnen tendieren jetzt dazu, im Zuge der Entwicklung ihrer Theorie diese Unterscheidung miteinzubeziehen, so daß wir sagen können, ‚Feminismus’ ist die Überzeugung, daß die Unterdrückung der Frau zu allererst dagewesen ist und losgelost werden kann von jedem spezifischen historischen Kontext[10].“ (meine Hv.)

 

Mit radikalen (Maria Mies u.a.) und sozialistischen (Frigga Haug u.a.) Feministinnen will Ursula von der Leyen nun sicherlich nicht in einen Topf geworden werden. Und auch wenn es im englischen Sprachraum den Ausdruck liberal feminism schon länger gibt, so ist im deutschen Sprachraum – nach meinem ziemlich deutlichen Eindruck – erst seit den neoliberalen 90er Jahren ab und an von „liberalem Feminismus“ die Rede; aber deutlich nachrangig gegenüber der schon erwähnten Verdrängung von Feminismus durch Gender Mainstreaming und Postfeminismus!

 

Wirklich Klasse, TOP!

 

Liebe Genoss*innen von TOP,

 

Ihr habt ja bisher nicht wirklich häufig von gesellschaftlichen Klassen gesprochen (Eure Kapital-Kritik kommt ja eher ohne Klassen-Begriff aus!); und sozialdemokratische und KPD-Politiker*innen waren bisher auch nicht Eure großen politischen und theoretischen Inspirationsquellen. – Aber wenn’s um den Feminismus geht, dann entdeckt Ihr auf einmal die „Klassen“ und sogar Clara Zetkin:

Auf einmal gibt es in Eurem Diskurs „Klassengren­zen“ (S. 2, re. Sp.), sogar ein „bürgerliches Lager“ (S. 1, li. Sp.) und selbst Clara Zetkin, die vielleicht antifeministischste Marxistin, die es gab, wird von Euch hochgehalten, wenn es gilt den „bürgerlich geprägten Feminismus“ zu bashen:

 

„Die Kritik an den liberalen Inhalten eines bürgerlich geprägten Feminismus ist so alt, wie die Geschichte der Frauen*bewegung selbst. Bekannte Kritikerinnen sind etwa Clara Zetkin, die sich für einen sozialistischen Feminismus einsetzte, […].“

 

Wenn Ihr Euch auf Clara Zetkin beruft, dann halte ich mal mit Mao Tse-tung dagegen: „Ich bestehe […] darauf, daß jemand, der keine Untersuchungen anstellt, auch kein Mitspracherecht haben kann.[11]

Hättet Ihr Clara Zetkin gelesen, bevor Ihr Euch entschieden habt, Euch auf sie zu berufen dann, hättet Ihr bemerkt, daß sie sich keinesfalls „für einen sozialistischen Feminismus einsetzte“, sondern den Feminismus pauschal dem „bürgerlichen Lager“ zuschlug und ihm die marxistische „Frauenfrage“ entgegensetzte.

 

TOP, Clara Zetkin und die idealisierenden Vorstellung von Arbeit

 

Ihr schreibt:

 

„Abgesehen davon basiert bereits die Idee, Erwerbsarbeit für Frauen* sei gleichbedeutend mit ihrer Emanzipation, auf ein­er idealisierenden Vorstellung von Arbeit, die den kritischen Blick auf die kapitalistische Ausbeutung ideologisch verstellt.“

 

Es war doch nun gerade die von Euch zum Vorbild erklärte Clara Zetkin, die die Erwerbsbeteiligung von Frauen zum A und O ihrer „Frauenfrage“ erklärte, während die sog. „bürgerliche“ Frauenbewegung (und selbst August Bebel) ein etwas breiteres Themenspektrum anschnitt.

 

Das Ganze ist nicht (nur) der Kapitalismus, TOP!

 

Ihr schreibt:

 

„Dass Reproduktionsar­beit zu Niedriglöhnen oder auch umsonst quasi ‚nebenbei’ verrichtet wird, ist demnach kein Zufall, sondern liegt in der Produktions- und Regulationsweise des kapitalistischen Sys­tems begründet.“ (meine Hv.)

 

Nein, so ist das nicht! Die Determinante der Nicht-Entlohunung (= gerade nicht kapitalistische Produktionsweise!) der Hausarbeit[12] ist in erster Linie das patriarchale Geschlechterverhältnis und nicht in erster Linie das kapitalistische Klassenverhältnis.

Im Gegensatz zu den ganz vulgären Varianten des marxistischen Nebenwiderspruchs-Denkens, die meinen, das fordistische Hausfrauen/Familienernährer-Modell habe dem Kapital Kosten erspart, vertretet Ihr zwar die These, daß dieses Modell nationalökomisch zu teuer geworden [sei] und Frauen* somit“ seit den letzten Jahren „als lohndrückende ‚Reservearmee’ äußerst nützlich beim Um- und Abbau des Sozialstaates“ gewesen seien.

Frauen als lohndrückende ‚Reservearmee’“ – da seid Ihr nun wirklich bei dem klassischen Topos des proletarischen Antifeminismus angekommen.

Ohne hier in eine Diskussion der Verhältnisse im 19. Jh. einzutreten, so ist die LohndrückerInnen-These für den Neoliberalismus allein schon chronologisch unzutreffend:

  •  Es war nämlich nicht so, daß erst vom Feminismus beeinflußte Frauen in die Lohnarbeit drängten und – dann aufgrund des gestiegenen Arbeitskraftangebotes – die Löhne gesunken sind.
  •  Vielmehr war es genau umgekehrt: Erst sank – aufgrund der Verschiebung des Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen seit Mitte der 1970er Jahre – der Anstieg der Reallöhne (aber zunächst nicht die Höhe der Reallöhne) und dann drängten Frauen teils aus Interesse an eigener ökonomischer Unabhängigkeit vom Ehemann/Lebenspartner[13]; teils schlicht und ergreifend zur Kompensation der abnehmenden Steigerung der (Männer-)Reallöhne in die Lohnarbeit.[14] 

Was nun das Kapital anbelangt, so war es für das Kapital zweifelsohne günstig, daß es seit Mitte der 70er Jahre ein Sinken der Reallöhne durchsetzten könnte. Aber in der historischen Wirklichkeit gab es nichts, was die verschwörungstheoretische These stützt, das Kapital sei die treibende Kraft der Ausweitung der Erwerbsbeteiligung von Frauen gewesen, um dadurch die Löhne zu drücken. Denn zwar hat sich die Erwerbsarbeitsbeteiligung von Frauen erhöht, aber das Arbeitszeitvolumen von Frauen – ist aufgrund des Abbaus von Vollzeit-Stellen – gar nicht gestiegen (s. nochmals FN 15)!

 

Hausfrauen/Familienernährer-Modell und Profitrate

 

Und was das Verhältnis von Hausfrauen/Familienernährer-Modell und Profitrate anbelangt, so unterliegt meiner Überzeugung nach sowohl die vulgäre als auch die elaborierte Variante des marxistischen Nebenwiderspruchs-Denken dem gleichen logischen Irrtum:

 

  •  Zwischen der Höhe von etwas (hier: der Löhne) und der Verteilung von etwas (hier: einer bestimmten Lohnsumme auf die Angehörigen verschiedener Geschlechter) besteht weder in die eine noch in die andere Richtung eine Kausalität
  •  Die innerfamiliare Verteilung von Hausarbeit und Einkommen definiert zwar ein Teil des Kontextes von Tarifverhandlungen, aber bedingt weder ganz noch teilweise die Höhe des jeweiligen Lohnabschlusses. Und entsprechend umgekehrt: Die Höhe der Lohnsumme definiert zwar die Geldmasse, die auf die verschiedenen Lohnabhängigen verteilt werden kann, aber nicht wie (in welcher Weise / nach welchem Schlüssel) diese Verteilung erfolgt.

 

Konkret nun zu den beiden Varianten des Nebenwiderspruchs-Denkens:

 

  •  Zunächst zu der vulgären Variante: Daß die familiäre Hausarbeit un-entlohnt ist, erspart dem Kapital keine Kosten. Da das Kapital auf Nachwuchs-Arbeitskräfte angewiesen ist und darauf, daß die Beschäftigten zu Hause nicht im Dreck ersticken, muß das Kapital den Lohnarbeitenden in diesem Fall sog. Familienlöhne zahlen – zu deren konkreter Höhe ist damit freilich noch nichts gesagt –, wenn die Hausarbeitenden ihrerseits keinen Lohn (sondern nur Unterhaltszahlungen erhalten bzw. es eine gemeinsame Haushaltskasse aller Familienangehörigen gibt). Dem Kapital werden also durch die un-entlohnte Hausarbeit keine Kosten erspart! Der Unterschied ist ‚nur’, daß das Geld, das zur Reproduktion der Frauen und Kinder notwendig ist, zuvor durch die Taschen der Männern fließt.
  •  Nun zu der elaborierten Variante: Die Löhne bemessen sich nach Marx danach, daß die Reproduktion der Lohnabhängigen auf einem bestimmten historisch-moralischen Niveau gesichert ist. Ausgangspunkt – für die uns hier interessierende Frage – war also ein bestimmtes historisch-moralisches Reproduktionsniveau der Lohnabhängigen im Fordismus. Dieses Reproduktionsniveau wurde von Gewerkschaften erkämpft. Mit dem Familienernährer-Modell hat das Reproduktionsniveau erst einmal nichts zu tun.[15]
    Treten nun bei gleichbleibendem Reproduktionsniveau der Lohnabhängigen ehemalige ‚Nur’-Hausfrauen in die Lohnarbeit ein, so ist klar, daß die Löhne im gleichen Umfang pro Person bzw. Zeiteinheit sinken. Das ist aber kein Umstand der den in die Lohnarbeit eintretenden Frauen zum Vorwurf gemacht werden könnte, sondern – bei gleichbleibendem Reproduktionsniveau der Lohnabhängigen – schlicht und ergreifend eine Frage der Mathematik.

    Eine andere Frage ist, ob die Löhne vielleicht – aufgrund der Ausweitung des Angebots an Arbeitskraft / der Konkurrenz zwischen den Arbeitskraftanbieter*innen – überproportional sinken; das ist/war aber im Neoliberalismus historisch nicht der Fall!

 

Die Schuldigen für diese Entwicklung – sofern es denn überhaupt ‚Schuldige’ in der Geschichte gibt – sind aber weder die in die Lohnarbeit drängenden Frauen, noch die Kapitalist*innen, sondern wenn, dann die männlichen Teile der Klasse der Lohnabhängigen und die von ihnen dominierten Gewerkschaften. Denn:

1. Der Wunsch von Frauen nach ökonomischer Unabhängigkeit von ihren Ehemännern/Lebenspartnern ist berechtigt.

2. Unter gegebenen kapitalistischen Bedingungen ist logisch, daß sie (in ihrer großen Mehrheit) zur Erreichung dieses Zwecks in die Lohnarbeit drängen.

3. Gelingt es nicht gleichzeitig, das Reproduktionsniveau der Lohnabhängigen zu steigern, so ist (wie gesagt) klar, daß die Löhne pro Person/Zeit einsinken, es sei denn –

und nun kommt die Kritik an den Gewerkschaften und den Männern –

 

  •  es würde den Gewerkschaften aufgrund mehr Kampfeswillen und veränderter Kampfsstrategien gelingen, eine Erhöhung des Reproduktionsniveaus der Lohnabhängigen oder aber
  •  bei gleichbleibendem Reproduktionsniveau eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit pro Person durchzusetzen.

 

Und dies ist nun der entscheidende Punkt – auch in Bezug auf den anderen von Euch angesprochenen mißlichen Umstand:

 

TOP-„Elitenfeminismus“

 

„Aber auch die Perspektive eines Elitenfeminismus, der etwa durch Quotierungen in Aufsichtsräten erreicht werden soll, ist in mehrfacher Hin­sicht problematisch: Finanzielle Unabhängigkeit bspw. vom Familienernährer ist zwar eine notwendige Grundlage für Emanzipation und Befreiung aus patriarchaler Herrschaft, faktisch entsteht jedoch eine Doppelbelastung für er­werbsarbeitende Frauen*. Die Verteilung der Haus- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern hat sich eben nicht wirklich verändert.“ (meine Hv.)

 

Soweit es nicht möglich (und/oder nicht gewollt) war, die kapitalistische Produktionsweise sowie die häuslich-patriarchale Produktionsweise zu überwinden, hätte also innerkapitalistisch und innerpatriarchal für folgende Paketlösung gekämpft werden müssen:

1. Erhöhung der Erwerbsbeteilung von Frauen zwecks Herstellung deren finanzieller Unabhängigkeit vom jeweilige Ehemann/Lebenspartner

2. (in gleichem Ausmaß oder noch stärker:) Senkung der durchschnittlichen (Männer-)Erwerbsarbeitszeit[16] pro Person – nach Möglichkeit bei gleichbleibendem und sogar steigendem Lohn pro Zeiteinheit, jedenfalls aber bei Vermeidung, daß die Löhne stärker sinken als die Erwerbsarbeitszeit.

3. Entlastung von Frauen von Hausarbeit mindestens im Umgang ihrer steigenden Erwerbsarbeitszeit.

4. Belastung von Männern mit Hausarbeit im Umfang deren Entlastung von Erwerbsarbeit (aufgrund der unter 2. angesprochenen Erwerbsarbeitszeitverkürzung).

 

Die Gewerkschaften haben seit dem Kampf um die 35-Stunden-Woche in den 80er Jahren kein großes Interesse mehr an Arbeitszeitverkürzung; die Männer wollen nicht mehr Hausarbeit leisten,

also blieb den von Männern und Gewerkschaften im Stich gelassenen Frauen, nur – im Interesse ihrer finanziellen Unabhängigkeit (und zwecks Kompensierung des zuvor schon eingetretenen Sinkens des Anstiegs der Männer-Reallöhne) – ihre Erwerbsbeteilung zu steigern und die Doppelbelastung von Haus- und Erwerbsarbeit in Kauf zu nehmen. – Diese Entwicklung kann nun sicherlich allen möglichen Leuten zum Vorwurf gemacht werden, aber sicherlich nicht dem Feminismus.

Und der von Euch konstruierte „Elitenfeminismus“ hat in dem Zusammenhang gar nichts zu suchen, denn finanzielle Unabhängigkeit vom Ehemann/Lebenspartner fängt nicht erst bei der – von Euch angesprochenen – Mitgliedschaft in Aufsichtenräten an.[17] Und an der geschlechtlichen Zusammensetzung der Aufsichtsräte hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich weniger geändert, als an der sonstigen Erwerbsbeteiligung von Frauen. – Das Aufsichtsrats-Thema ist also ein Ablenkungsmanöver, um dem vermeintlich „bürgerlichen“ Feminismus eins überzubraten.

 

„wie Geschlechtlichkeit als soziales Verhältnis überhaupt entsteh[t]“

 

Ich komme damit auf die beiden eingangs zustimmend zitierten Stellen zurück. Die erste lautete:

 

Der „Fokus auf Diskurse und Performanzen der Gender Studies [hat] oft konkrete Analysen der materiellen Bedingungen geschlechtlicher und sexueller Ungleichheiten und Normen, d.h. die Frage, wie Geschlechtlichkeit als soziales Verhältnis überhaupt entstehen und reproduziert wird, übersprungen […].“

 

und danach geht es bei Euch im Text wie folgt weiter:

 

„[…] und damit ihre Strukturierung durch kapitalistische Verhältnisse und na­tionale Interessen ignoriert.“

 

Das hätte mich ja nun wirklich mal interessiert, wie Eures Erachtens „Geschlechtlichkeit als soziales Verhältnis überhaupt entsteh[t]“. Auf diese Frage gebt Ihr aber in Eurem Text zwar keine explizite Antwort, aber es scheint immer die These dadurch, daß dies an den „kapitalistische[n] Verhältnisse[n] und na­tionale[n] Interessen“ liege.

Nun ist das kapitalistische Patriarchat sicherlich ein anderes Patriarchat, als es die vor-kapitalistischen Patriarchate waren[18]; und sicherlich hat der moderne (bürgerliche) Nationalstaat auch einen spezifischen Einfluß auf das Geschlechterverhältnis. Aber das Geschlechterverhältnis als gesellschaftliches und sein patriarchaler Charakter entstehen nicht erst durch den Kapitalismus, sondern existierten schon vorher.

 

Die materielle Grundlage des patriarchalen Geschlechterverhältnisses

 

Ihr schreibt:

 

Es bedürfe „einer radikalen Kritik an allen herrschaftlich strukturierten Verhältnissen. Andern­falls bleiben feministische Forderungen allzu leicht auf der kulturellen Anerkennungsebene stehen, wo sie häufig eine seltsame Allianz mit den Zielen der Neuordnung kapitalis­tischer Verwertung eingehen oder für diese nutzbar gemacht werden können.“

 

Nichts gegen, sondern alles für „radikale Kritik an allen herrschaftlich strukturierten Verhältnissen“! – Aber darüber hinaus finde ich Euren gerade zitierten Gedanken gar nicht einsichtig, denn das patriarchalen Geschlechterverhältnisses hat in geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung und sexueller/sexualisierter Gewalt eine eigene materielle Grundlage, und folglich muß sich der Feminismus – wie aber Eure Argumentation zu implizieren scheint – nicht erst von anderen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen eine materialistische Grundlage ‚ausleihen’, um über eine „kulturellen Anerkennungsebene“ hinauszukommen.[19]

 

Feminist Revolution oder Car-E-volution?

 

Insofern geschlechtshierarchische Arbeitsteilung ein wichtiger Aspekt des hier diskutierten Themas ist, würde ich – auch bei Ersetzung von „linksradikal“ durch „revolutionär“ („linksradikal“ ist für mich als LeninistIn ohnehin kein positiv konnotierter Begriff, wie Ihr wißt) – Eurem Satz zustimmen:

 

„Für eine linksradikale Perspektive bietet die aktuelle Care-De­batte Anknüpfungspunkte.“

 

Allerdings würde ich – im Unterschied zu Euch – nicht sagen, daß die Probleme dieser Debatte erst beim Schielen auf den „gute[n] alte[n] Sozialstaat“ anfangen.

Wenn wir uns nur mal die Einladung zu der „Care Revolution“-Aktionskonferenz, die vom 14. - 16. März in Berlin stattfand, anschauen, so sehen wir da, daß dort von einem ganz unspezifischen „Wir“ die Rede ist (genauso unspezifische wie hier – in meinem Text – von dem „wir“ der Lesenden die Rede ist):

 

„Um für uns und andere zu sorgen, brauchen wir Zeit und Ressourcen aller Art. Dies ist grundlegend für die Verwirklichung unserer Bedürfnisse und Interessen – für ein gutes Leben. In einem kapitalistischen System spielen menschliche Bedürfnisse jedoch nur insofern eine Rolle, als sie für die Herstellung einer flexiblen, kompetenten, leistungsstarken, gut einsetzbaren Arbeitskraft von Bedeutung sind.“

http://care-revolution.site36.net/programm/einladung/ – meine Hv.

 

Selbst als Grundlage des Lesens ist „der Mensch“, d.h.: ein unspezifisches „wir“, höchst prekär, denn bisher sind – aufgrund der existierenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse – nicht alle Menschen alphabetisiert. Aber als Grundlage von revolutionärer und zumal feministisch-revolutionärer Politik kommt ein unspezifisches „wir“ überhaupt nicht in Betracht:

Tovi Vail fragte in ihrem Fan­zine Jigsaw


„die Frauen in Inter­views, wie sich als Musi­ke­rin­nen füh­len und sol­che Sachen. Für mich war das ein­zig­ar­tig, denn in allen Semi­na­ren am Col­lege, die ich besuchte, hieß es immer: ‚Weißt Du, Men­schen sind Men­schen, wir sind alle gleich. Ganz egal, ob du ein Junge oder ein Mäd­chen bist.’ Und sie merkte an, dass es sehr wohl einen Unter­schied gibt, den du vor allem als Mäd­chen zu spü­ren bekommst.“[20]

 

Über die­sen Unter­schied zu schwei­gen, bedeu­tet – wie femi­nis­ti­sche Kri­ti­ke­rin­nen dem theo­re­ti­schen Huma­nis­mus der RAF ent­ge­gen­hiel­ten – „die gesamte ausbeutungs-​​ und gewalt­hier­ar­chie im impe­ria­lis­ti­schen patri­ar­chat [zu negie­ren]“.[21]

Und der fran­zö­si­sche struk­tu­rale Mar­xist, Louis Alt­hus­ser, sagte in Bezug auf die Klas­sen­ver­hält­nisse:

 

the whole clas­si­cal Mar­xist tra­di­tion has refu­sed to say that Mar­xism is a Huma­nism. Why? Because prac­tically, i.e. in the facts, the word Huma­nism is exploi­ted by an ideo­logy which uses it to fight, i.e. to kill, ano­ther, true, word, and one vital to the pro­le­ta­riat: the class struggle.[22]

 

In der Einladung zu der gerade erwähnten „Care Revolution“-Aktionskonferenz kamen nun freilich weder der Geschlechter- noch der Klassenkampf vor.

Zwar ist in der Einladung vom „Kapitalismus“ die Rede (sogar gleich im ersten Absatz), aber ob damit die kapitalistische Produktionsweise im Sinne der Schriften von Karl Marx zur Kritik der Politische Ökonomie oder nur der Neoliberalismus gemeint ist, bleibt unklar. Jedenfalls von „Klassen“ und „Geschlecht“ ist dort weder als Wörtern noch auch nur als Wortbestandteilen die Rede;  auch „Patriarchat“ und „patriarchal“, „Sexismus“ und „sexistisch“ kommen dort nicht vor – von „Produktionsweise“, von „Produktionsverhältnissen“ und „Gesellschaftsformationen“ gar nicht erst zu reden.

Allein „Frauen“ kommt – immerhin – in einem Satz der Einladung[23] und den Namen einiger der Einladenden vor.

Nun mag gesagt werden, daß es sich nicht um eine Konferenz für revolutionär-feministischer Theoriebildung handelte und vielleicht auch auf die geldgebende Rosa-Luxemburg-Stiftung Rücksicht genommen werden mußte (wobei ich eher nicht glaube, daß die so kleinlich ist, wenn’s nur um Geld für Konferenzen, und nicht gleich um Geld für Brandsätze für eine neue Rote Zora[24] geht), sondern um eine „Aktionskonferenz“ handelte. – Nur gilt für den Feminismus nicht weniger als für den Marxismus: ‚Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Aktion.’

Wo es an revolutionärer Theorie fehlt, da bleibt am Ende nur das kontrafaktische, moralische Postulat:

 

„Ein polit-ökonomisches System muss in der Lage sein, diese Bedürfnisse [nach Bildung, Erziehung, Gesundheit, Pflege, Ernährung und Wohnraum] zu befriedigen.“

 

(wann und wo waren das bisher jemals so?!) und – statt der in der Überschrift großspurig angekündigten Care Revolution – nur harmlose linksparteiliche oder links-interventionistische ‚Transformation’ oder gar ‚Erneuerung’ des bestehenden ‚Systems’:

 

„Wenn dies wie derzeit nicht geschieht, muss es [das System] erneuert bzw. transformiert werden.“

 

und als politischer AkteurInnen „alle Menschen“ (als rein biologische Kategorie, s.u.):

 

„Aus feministischer Perspektive plädieren wir dafür, die für alle Menschen wichtigen Aufgaben in Bildung und Erziehung, Gesundheit und Pflege, aber auch Ernährung und Wohnraum zum Ausgangspunkt unseres politischen Handelns zu nehmen.“

(alle drei vorstehenden Zitate:

http://care-revolution.site36.net/programm/einladung/ meine Hv.)

 

Demgegenüber schrieben 1992 Genossinnen in ihrer Feministischen Kritik an der RAF:

 

„das neue den­ken mit sei­ner grund­prä­misse der welt­um­span­nen­den inter­es­sens­gleich­heit der men­schen als rein bio­lo­gi­sche kate­go­rie, unge­ach­tet ihrer klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit und […] unge­ach­tet sexis­ti­scher und ras­sis­ti­scher aus­beu­tung und unter­drü­ckung, ist weder neu noch eman­zi­pa­tiv. es gleicht immer mehr dem refor­mis­mus, den wir hier schon lange ken­nen.

die ledig­lich neue rhe­to­rik des revi­sio­nis­ti­schen patri­ar­chats“ – gemeint war der ‚Real’sozialismus in der Gorbatschow-Zeit – „akzep­tiert und ver­söhnt sich mit dem kapitalistisch-​​imperialistischen patri­ar­chat. sie […] setzt an die stelle der not­wen­dig­keit des klas­sen­kamp­fes ‚die suche der men­schen nach neuen wegen zu poli­ti­schen lösun­gen für akute, die gesamte mensch­heit betref­fende pro­bleme’!“

(http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/04/21/doku-eine-feministische-kritik/)

 

Auch die Ums Ganze-Genosse Sahra wußte 2009 noch:

 

„Linke Politik beginnt häufig mit einem humanistischen Impuls: dass Not und Zwang aufhören sollen. Aber bloßer Humanismus ist naiv und oberflächlich. Er nimmt die Krisen wie sie kommen, aber er versucht nicht zu begreifen, wie sie entstehen, und warum sie immer wiederkehren. So eine Politik kommt ohne viel Theoriearbeit aus. Man versucht, anfallende Probleme ‚im Interesse der Menschen’ zu lösen, organisiert vielleicht öffentlichen Druck, und ärgert sich am Ende regelmäßig, dass wieder mal ein Sachzwang dazwischen gekommen ist. So eine Politik ist unkritisch, selbst wenn sie sich die kritischen Themen aussucht. Denn mit den bestehenden Institutionen, Verfahren und Begriffen akzeptiert sie auch die herrschende Deutung, was eigentlich das Problem ist – und wie man mit ihm umgehen muss. Der linke Humanismus läuft hier erst mal ständig vor die Wand.“

(„Ums Ganze“-Bündnis [Hg.]: Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit – Zur Kritik des kapitalistischen Normalvollzugs, 2009, S. 104)

 

Warum, liebe Genoss*innen von TOP, vergeßt Ihr diese Einsicht auf einmal, wenn es um das Geschlechterverhältnis geht?

 

Pluralisierung oder Überwindung der Geschlechter?

 

Aber kommen zurück zu Eurem 8. März-Flugi: Die zweite Stelle aus Eurem Text, die ich eingangs zustimmend zitierte hatte, lautete:

 

„Mit ihrem Anspruch, Geschlecht zu pluralisieren und dadurch abzuschaffen, tappt die Queer Theory selbst in [… eine] Ideologiefalle“.

 

Und ich hatte gleich schon hinzugesetzt: „Zu erörtern sein wird freilich noch, in welche...“ – und dies soll nun geschehen. Eures Erachtens handelt es sich bei dieser „Ideologiefalle“ (was ist eigentlich genau eine „Ideologiefalle“?) um folgendes: „Die Pluralisierung von Geschlechtsidentitäten passt sich nämlich wunderbar in die neoliberale Passform der Flexibilisierung ein.“

In dieser Frage entsteht das Problems Eures Erachtens also erst, wenn der Kapitalismus ins Spiel kommt. – Aber schon Judith Butler selbst reicht aus, um der Berliner queeren Perspektive der Pluralisierung der Geschlechter, die internationale dekonstruktivistische Perspektive der Überwindung der Geschlechter entgegenzusetzen:

 

„Die Aufgabe besteht infolgedessen [daß jede Konstituierung eines Subjekts mit einer Ab- und Ausgrenzung einhergeht, d. Vf.In] nicht darin, Subjektpositionen im existierenden Symbolischen, im derzeitigen Bereich der Kulturfähigkeit, zahlenmäßig zu vervielfachen, […]. Die Vervielfachung von Subjektpositionen auf einer pluralistischen Achse hätte die Vervielfachung ausschließender und erniedrigender Schritte zur Folge, […].“ (Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin Verlag: Berlin, 1995, 156 – Hv. i.O.).

 

Die spezifische Radikalität des Feminismus speist sich nicht aus seinem etwaigen Antikapitalismus!

 

Mehr oder minder das Resümee Eures Textes lautet:

 

„Ein radikaler Feminismus sollte deshalb nicht nur antikapitalistisch, sondern auch antinational und gegen den Staat gerichtet sein. Will er gleichzeitig die Verschränkung mit strukturellem Rassismus mitdenken, kommt er auch um eine antirassistische Perspektive nicht umhin.“

 

Nun ist es unstrittig aus kommunistischer Perspektive eine tolle Sache, wenn Feministinnen nicht nur gegen das Patriarchat, sondern auch gegen Kapitalismus, Nation, Staat und Rassismus kämpfen. Aber die feminismus-spezifische Radikalität unterschiedlicher feministischer Strömungen bemißt sich nicht erst daran, wie sie zu Kapital, Nation und Rassismus stehen, sondern daran, ob sie das Patriarchat – einschließlich des patriarchalen Staates – nur reformieren, abmildern oder ähnliches oder aber überwinden wollen.

 

Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus –

unterschiedlich, aber weder getrennt noch von einander verursacht (‚abgeleitet’ bzw. ‚abzuleiten’)

 

Ich würde darüber hinaus durchaus zustimmen, daß es unwahrscheinlich ist, daß es gelingen wird (falls es denn überhaupt einmal gelingen wird), Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus getrennt von einer abzuschaffen (denn sie sind zwar Unterschiedliches, aber doch mit einander verbunden, modifizieren und stützen sich teils wechselseitig). Aber jene Prognose ist nur ein historisches Wahrscheinlichkeitskalkül, keine logisches Kausalitätskalkül. Denn von allen drei genannten Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen ist keines die Ursache eines der anderen!

Daher möchte ich auch an dieser Stelle noch einmal drei der vier Parolen, die bereits vor ein paar Tagen unter meiner „Queerfeminismus“-Kritik bei linksunten.indymedia[25] standen, wiederholen:

 

Für einen revolutionären Feminismus! 

 

Für einen revolutionären Antirassismus! 

 

Für einen revolutionären Marxismus! 

 

 

PS.:

Ihr schreibt:

 

„die Debatte, die unter dem Hashtag #Aufschrei versuchte Alltagssexismus darzustellen, die Kampagne Pinkstinks, die sich gegen hellblaue und rosa Geschlechterstereotype wendet oder zuletzt der viel diskutierte Beschluss der Bezirksverord­netenversammlung in Friedrichshain-Kreuzberg, keine sexistische Werbung mehr auf den (wohlbemerkt wenigen) bezirkseigenen Werbeflächen zuzulassen. All diese wichti­gen Debatten und Kampagnen werden größtenteils ohne öffentlich wahrnehmbare theoretische oder praktische Beteiligung linksradikaler Gruppen geführt.“

 

Habt Ihr eigentlich eine Idee, warum das so ist?



[6] Butler selbst hatte nichts davon geschrieben, daß sie den Feminismus überwinden (dies @ „Postfeminismus“) oder absoften (dies @ „Queerfeminismus“) wolle, sondern daß sie ihn radikalisieren wolle: „Die Vielschichtigkeit der Geschlechtsidentität erfordert eine inter- und postdisziplinäre Serie von Diskursen, um der Domestizierung der Geschlechter- oder Frauenstudien an der Universität zu widerstehen und den Begriff der feministischen Kritik zu radikalisieren.“ (Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1991, 13 – meine Hv.).

[9] Frauenbefreiung – Frauenbewegung, Verlag Frauenpolitik: Münster, 1978, 63.

[10] Ich bin mir nicht sicher, was Mitchell mit, „losgelost werden kann von jedem spezifischen historischen Kontext“, meinte. – Ich vermutete aber, daß sie sich darauf bezieht, daß patriarchale Verhältnisse in allen Klassen und in unterschiedlichen Formen von Klassengesellschaften existieren und existierten.

[12] Was darüber hinaus die Einkommens- und Ansehenshierarchie von verschiedenen in Lohnarbeit verrichteten Berufen angeht, so würde ich zwar zustimme, daß diese – meine Ergänzung: auch – „in der Produktions- und Regulationsweise des kapitalistischen Sys­tems begründet“ liegt; aber auch diese liegt Hierarchie liegt nicht nur daran, sondern auch am patriarchalen Geschlechterverhältnis.

[13] Das so zu formulieren, ist leider ziemlich hetero/a/sexuell verkürzt. Aber mir ist leider bekannt, ob es Studien zu Unterschieden im Erwerbsverhalten von Heteras und Lesben gibt.

[14] „++ Von 1960 bis 1980 blieb die Frauenerwerbsquote in der BRD fast gleich. Von 1980 bis 1989 steigt sie um rund 5 Prozentpunkt von ca. 50 % auf ca. 55 % an.

++ Seitdem ist sie um weitere gut 10 Prozentpunkte angestiegen (davon ca. zwei Punkte wegen der höheren Frauenerwerbsquote in der Ex-DDR). ‚Wenn auch die Zahl berufstätiger Frauen in Deutschland seit 1991 angestiegen ist, hat jedoch das Arbeitsvolumen von Frauen (die Gesamtheit aller von Frauen geleisteten Erwerbsarbeitsstunden) insgesamt nicht zugenommen. So ist die Zahl der Frauen in Vollzeitstellen stark gesunken, während zugleich viele Frauen eine Teilzeitarbeit oder eine geringfügige Beschäftigung begonnen haben.’ (http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenerwerbsquote).

Wenn überhaupt ein Zusammenhang besteht, dürfte die steigende Frauenerwerbsquote eher eine Reaktion auf die aus ganz anderen Gründen erfolgte Entwicklung der Reallöhne als eine Ursachen deren Sinkens sein:

++ Der Anstieg der Reallöhne ist schon im Laufe der 70er Jahre, als die Frauenerwerbstätigkeit stabil blieb, stark gesunken (http://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_02.c.289465.de, S. 552, Abb. 1 und 2). Dies dürfte dann – kompensatorisch – zum Anstieg der Frauenerwerbsquote in den 80er Jahren beigetragen haben; im Laufe der 80er stiegen die Reallöhne (nicht nur brutto, sondern auch netto) weiterhin – wenn auch nur schwach (ebd.). In den 90er Jahren stiegen sowohl Frauenerwerbsquote als auch Reallöhne weiterhin (ebd.); erst seit Anfang dieses Jahrtausends sinkt nicht mehr nur der Anstieg der Reallöhne, sondern die Reallöhne selbst sinken (ebd. + S. 553, Abb. 3), allerdings – wie gesagt – ohne daß das Frauenerwerbsarbeitszeitvolumen steigen würde.
(Ich vermute [abgesehen von einem modernisierten Rollenverständnis]: Der gewohnte Anstieg des Lebensstandards wurde versucht, dadurch beizubehalten, daß mehr Frauen Erwerbsarbeit suchten – nur gab es dafür gar nicht genug Nachfrage. So stieg die Frauenerwerbsquote, aber nicht das Frauenerwerbsarbeitszeitvolumen. Folglich konnte der angestrebte Effekt – bei nur schwach steigenden Reallöhnen – nicht erreicht werden.)

++ Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen ArbeiterInnenklasse und Kapital zeigt sich in den 80er und 90er Jahren – im großen und ganzen – noch nicht in einem Sinken der Reallöhne, sondern in einem Zurückbleiben der Reallöhne hinter dem Wirtschaftswachstum, also einem Sinken der Lohnquote (ebd., S. 558, Abb. 10), bzw. einem Zurückbleiben hinter der Produktivitätssteigerung (http://www.eurofound.europa.eu/eiro/2000/07/study/tn0007402s.htm; Abschnitt „Real wage developments“ + Figure 3).“

http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/10/13/zur-kritik-des-marxistisch-gegenstandpunklerischen-kleinredens-von-sexismus-und-patriarchat/#comment-556.

[15] Es bedeutet ‚nur’, wie gerade schon gesagt, daß das Geld für Frauen und Kinder zunächst durch die Taschen bzw. Konten der Männer fließt. Das kann sowohl bei hohem als auch bei niedrigem Reproduktionsniveau passieren.

[16] „(Männer-)Erwerbsarbeitszeit“ deshalb, weil es hier sowohl um Erwerbsarbeitszeitverkürzung (im gesellschaftlichen Durchschnitt) als auch um Angleichung der Erwerbsarbeitszeiten von Männern (bisher überdurchschnittlich) und Frauen (bisher unterdurchschnittlich) geht.

[17] Lest doch Euren Satz bitte noch mal: „Elitenfeminismus, der etwa durch Quotierungen in Aufsichtsräten erreicht werden soll, ist in mehrfacher Hin­sicht problematisch: Finanzielle Unabhängigkeit bspw. vom Familienernährer ist zwar eine notwendige Grundlage für Emanzipation und Befreiung aus patriarchaler Herrschaft“. – Frauen, die für eine Aufsichtsrats-Mitgliedschaft in Betracht kommen, sind sicherlich längst vorher von einem vermeintlichen „Familienernährer“ finanziell unabhängig!

Das, worum es bei der finanziellen Unabhängigkeit geht, ist nämlich gerade keine bürgerliche Frage, sondern ein Geschlechterwiderspruch innerhalb der Lohnabhängigen.

[18] „Ich würde auch zugestehen, daß es einen Mangel darstellt, daß wir zwar

  •  spezifische Begriffe für unterschiedliche Formen von Klassenherrschaft und -klassenausbeutung haben,
  •  aber – wie mir scheint – nicht (in ähnlich ausgearbeiteter Weise) Begriffe für unterschiedliche Formen von Geschlechterherrschaft und -ausbeutung (bisher immer: Herrschaft von Männern über Frauen und Ausbeutung von Frauen durch Männer).

Trotzdem sind es meiner Überzeugung nach unterschiedliche Formen von Patriarchat.“

(https://www.facebook.com/antifa.ak.koeln/posts/1472568586289939?reply_comment_id=242259)

[19] Hier noch ein terminologischer Hinweis: Die Unterscheidung zwischen (idealistischer) Anerkennungspolitik in Bezug auf sex, gender und race und (materialistischer) Umverteilungspolitik in Bezug auf class hat ja, wenn ich es richtig erinnere, Nancy Fraser in die linke Debatte eingeführt. – Aber den sozialdemokratischen Begriff der „Umverteilung“ würdet Ihr, liebe Genoss*innen von TOP, als elaborierte AntikapitalistInnen doch nie – außer vielleicht, wenn es um das bashing des vermeintlich „bürgerlich geprägten Feminismus“ geht, zustimmend in den Mund nehmen. –

Was Nancy Frasers Präferenz für Umverteilungspolitik entgegenzuhalten ist, ist freilich nicht – wie vermutlich viele Berliner queers meinen –, daß doch Anerkennung auch schon mal ziemlich schick wäre, sondern daß weder „Anerkennung“ noch „Umverteilung“ das Ganze ist. Folglich geht es denen, denen es um das Ganze geht, nicht nur um die Revolutionierung der Verteilungs- und/oder Anerkennungsverhältnisse, sondern auch – und als Bedingung der Revolutionierung der ersteren – um die Revolutionierung der (sowohl patriarchalen als auch kapitalistischen!) Produktionsverhältnisse!

[20] Interview-​​Zitat in: Julia Dow­nes, There’s A Riot Going On. Geschichte und Ver­mächt­nis von Riot Grrrl, in: Katja Peg­low /​ Jonas Engel­mann (Hg.), Riot Grrrl Revi­si­ted. Geschichte und Gegen­wart einer femi­nis­ti­schen Bewe­gung, Ven­til Ver­lag: Mainz, 2011, 18 - 50 (24).

[22] http://​www​.mar​x2​mao​.com/​O​t​h​e​r​/​L​P​O​E​7​0​i​.html (dt. Für Marx, Suhr­kamp: Frank­furt am Main, 1968, 213 [Neu­auf­lage: Suhrkamp: Berlin, 2011, 340]).

[23] „Für viele Frauen bedeutet das [nicht entlohnten Haus- und Sorgearbeit in Familie, Nachbarschaft und Ehrenamt] eine enorme Doppelbelastung – zugespitzt gilt dies für Alleinerziehende.“

 

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Da hat aber jemensch eine Mission...

Selbstdarstellung

TOP Antiamerikanismus und Antiimperialismus vorzuwerfen ist mein Highlight des Tages. Nicht, dass ich wa gegen diese Ismen hätte, aber irgendwie ist das nicht stimmg.

"TOP Antiamerikanismus und Antiimperialismus vorzuwerfen"

 

Ich werfe in meinem Text TOP nicht Antiamerikanismus und Antiimperialismus vor (das wäre in der Tat etwas absurd), sondern ich kritisiere, daß TOP sich eine Gelegenheit hat entgehen lassen, Antiamerikanismus und "Antiimperialismus" (in meinem Text in Anführungszeichen: also Pseudo-Antiimperialismus [*]) zu kritisieren.

 

Diese Kritik setzt voraus, daß TOP sehr wohl und sogar ziemlich viel zu diesem Thema zu sagen hat (wie ebenfalls in meinem Text steht). Meine Kritik bezieht sich allein darauf, daß TOP versäumte in die Assange-Auseinandersetzung einzugreifen, was auch nur ein Beispiel war. Denn ich kenne es aus eigener Erfahrung in gemischten Gruppen nur zur Genüge: Selbst bei 'gutem Willen' der Männer in diesen Gruppen ist das Geschlechterverhältnis in aller Regel ein 'Sondernthema', das allenfalls an Daten wie dem 8. März oder nach besonderen Bemühungen von Feminist*innen eine Rolle spielt. - Und so wird dann halt doch eher etwas anderes gemacht, als die Assange-Verteidiger zu kritisieren.

 

TOP spricht das Problem ja selbst an, wenn auch nur sehr allgemein und vage: "Auch unsere antikapitalistischen und antinationalen Interventionen scheitern meist an dem Anspruch, Geschlechterverhältnisse in Theorie und Praxis mitzudenken. [...]. Die notwendige Auseinandersetzung fängt bei unserem Politik- und Theorieverständnis an, geht über Verhaltensweisen, Habitus und eigene Codes, also über das, was wir als radikalen Ausdruck verstehen und was nicht). Sie muss auch klären, wie wir unsere eigene Reproduktion während unserer politischen Praxis organisieren, und hört beim sogenannten Privatleben noch lange nicht auf." (http://top-berlin.net/de/texte/beitraege/reclaim-the-f-word)

 

 

[*] Das, was manche heute in der Szene und außerhalb der Szene für "Antiimperialismus" halten, hat nämlich wenig mit dem leninischen Antiimperialismus (auch wenn schon dieser einige Nachbesserungen vertragen kann) und nicht einmal viel mit dem Antiimperialismus der RAF zu tun, sondern ist eine geostrategisch-etatischen Verfallsform des historischen, linken Antiimperialismus.

hätte sich TOP ausgerechnet zu diesem Komiker Assagne äußern sollen? Muss man von TOP erwarten, sich zu jedem umgefallenen Reissack zu äußern? Wohl eher nicht...

manchmal frage ich mich echt ob ein derart hohes sprachniveau noch was mit sprachniveau zu tun hat, oder ob es reine selbstdarstellung nach dem motto "ich kenne aber viele fremdwörter" ist?! es ist nich unbedingt toll über jeden dritten satz ersteinmal 5 minuten nachdenken zu müssen, um ihn zu verstehen. die meisten hier vor sinnloser eloquenz strotzender sätze kann man durchaus einfacher und verständlicher formulieren.

Das hohe Sprachniveau finde ich jetzt nicht besonders schlimm, das sind halt Studenten und Geisteswissenschaftler, die sind halt so. Alleine mit den Texten kann die breite Masse nicht erreicht werden, aber das ist vielleicht auch so gewollt... Wenn du darüber nachdenkst, dann ist das doch besser als wenn du den Text schnell durchliest und ihn dann falsch verstanden hast.

einwand. nein, ehrlich, der gedanke ist super.

ich stimme zu, dass das patriarchat nicht aus dem kapitalismus ableitbar ist. es ist aber auch wahr, dass geschlechterverhältnisse durch den gesamten historischen kontext mitgeprägt werden. was du ja selbst sagts, wenn du schreibst, dass das "kapitalistische partriarchat" anders ist als vorhergehende "patriarchate". und auch wenn es es nur eine (politische) "wahrscheinlichkeit" ist und keine analytische kausalität, so spricht doch vieles (ich würde meinerseits sagen: -- fast -- alles) dafür, dass eine überwindung der geschlechtshierachischen arbeitsteilung NICHT unabhängig von einer überwindung der kapitalistischen (klassen)verhältnisse stattfinden kann/wird. nun ist es sicher richtig, dass auch die linke und arbeiterbewegung nicht frei war/ist von männlichem chauvinismus und auch männliche lohnarbeiter haben einen (materiellen) vorteil vom familienernährer-lohn. wobei der familienernährer-lohn auch nicht mehr gang und gäbe ist (prekarisierung, teilzeit, leiharbeit), und selbst wenn er gezahlt wird (was m. e. nur noch für bestimmte sektoren der lohnarbeit zutrifft) heisst das noch lange nicht, dass dann auch eine (traditionelle) mann-frau-beziehung daraus resultiert. die zusammenhänge dafür dürften etwas komplizierter sein und niemals allein aus "ökonomischen" faktoren heraus erklärbar. alles in allem würde ich meine position dahingehend zusammenfassen wollen: 

 

-- eine autonome vertretung von frauenspezifischen interessen ist gerechtfertigt, insbesondere wenn die linke, arbeiterbewegung und gewerkschaften ihren originären aufgaben nicht gerecht werden. 

 

-- eine "lösung" der "geschlechterfrage" ist innerhalb des kapitalismus nicht möglich. insofern gibt es tatsächlichen einen politischen gegensatz von "feminismus" und "marxismus" (da liege ich wohl bei Zetkin). 

 

-- dieser gegensatz ist aber in der gegenwärtigen politischen situation ein rein "abstrakter", solange von einer tatsächliche systemtranszendierenden PRAXIS der "revolutionären linken" weit und breit nichts zu sehen ist. und auch nicht absehbar ist, wann das jemals anders sein könnte.

1.

 

Du schreibst:

 

 

"ich stimme zu, dass das patriarchat nicht aus dem kapitalismus ableitbar ist. [...]. es tatsächlichen einen politischen gegensatz von "feminismus" und 'marxismus' (da liege ich wohl bei Zetkin)."

 

Das scheint mir ein Widerspruch in sich zu sein. Denn "Feminismus" scheint mir - abgesehen von den Konkretisierungen, die seine verschiedenen Varianten (radikal, sozialistisch, liberal, dekonstruktivistisch, queer, ..., revolutionär) bedeuten, - zunächst einmal nicht mehr zu sein, als

  • die wissenschaftliche Theorie, die sich der Analyse des Geschlechterverhältnisses in seiner Nicht-Ableitbarkeit aus dem Kapitalverhältnis widmet,

und

  • die politische Ideologie, die die Parteilichkeit für die Überwindung des patriarchalen Geschlechterverhältnisses und, solange dessen Überwindung aufgrund des bestehenden Kräfteverhältnisses nicht möglich ist, für dessen reformerische Abmilderung artikuliert.

Und realistisch betrachtet, ist der Marxismus nicht mehr als

 

  • die wissenschaftliche Theorie, die sich der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise widmet,

und

 

  • die politische Ideologie, die die Parteilichkeit für deren Überwindung und, solange diese nicht möglich ist, für deren Abmilderung artikuliert

 

plus

 

  • ein paar eher schwach entwickelte Dreingaben hinsichtlich der Analyse nicht kapitalistischer Klassenverhältnisse.

 

Solange sich sowohl Marxismus als auch Feminismus der begrenzten Reichweite ihrer jeweiligen analytischen Fähigkeiten und der begrenzten Reichweite ihrer realen politischen Praxis - abgesehen von hehren Proklamationen über die Abschaffung aller Herrschaft und Ausbeutung - bewußt sind, sehe ich zwischen beiden keinen politischen Gegensatz, sondern ein Ergänzungsverhältnis hinsichtlich des Praktischwerdens jener hehren Proklamationen.

 

Die Probleme oder politischen Gegensätze fangen m.E. erst an, wenn eine der beiden Seiten - in der Regel sind das MarxistInnen und selten Feminist*innen - weitaus mehr für sich beanspruchen, als sie tatsächlich leisten.

 

Oder den gleichen Gedanken noch einmal anders ausgedrückt: M.E. sind sowohl Marxismus als Feminismus weit davon entfernt, den jeweils anderen Theorie- und Parteilichkeitsstrang und außerdem noch Antirassismus voll in den eigenen Ansatz zu integrieren. Es gibt zur Zeit keine und auch auf absehbare Zeit keine Gesellschaftstheorie und keine politische Bewegung, geschweige denn Organisierung, die mit Recht beanspruchten könnte, erfolgreich 'für alles' zuständig zu sein:
"Weder der Feminismus noch der Marxismus noch antirassistische Theoriebildung kann heute und auf sehbare Zeit eine umfassende Analyse und Erklärung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen als Ganzes liefern [...]. Die drei erstgenannten Theorien können nur dann produktiv zu einander in Beziehung gesetzt werden, wenn sie ihre jeweilige eigene Endlichkeit anerkennen; wenn sie anerkennen, daß ihr Gegenstand und Kampfgebiet nicht ‚alles’ ist, sondern, daß sie mit jeweils Spezifischem befaßt sind: den Geschlechterverhältnissen, den Klassenverhältnissen, den Rassenverhältnisse – und daß diese nicht nach einer einzigen Logik funktionieren." (http://www.lafontaines-linke.de/2011/07/na-endlich-fortsetzung-debatte-pruetz-schilwa-seibert-schulze/)

Zwar gab es schon vor mehr als 35 Jahren Diskussionen über triple oppression und netzförmige Herrschaft und gibt es seit einigen Jahren Bemühungen um intersektionale Analysen. Aber alldiese Bemühungen bleiben leider allzu oft

 

  • im Metaphorischen (Knoten, Netze, Verschränkung, Überlagerung, ...) einerseits

 

und

 

  • in empirischen Bescheibungen andererseits

 

stecken. Es fehlen theoretische Durchbrüche auf der gesellschaftsstrukturellen Ebene und auf der Ebene der politischen Strategie. Vgl. dazu: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/07/03/intersektionalitaet-und-gesellschaftstheorie/ und http://www.nao-prozess.de/blog/latest/wordpress/wp-content/uploads/2012/08/Dipl_VORTRAG_Korr_Neu_5-4-02-7-8-12.pdf; weitere Hinweise: siehe dort.

 

 

2.

 

Zustimmung zu folgendem:

 

"wobei der familienernährer-lohn auch nicht mehr gang und gäbe ist (prekarisierung, teilzeit, leiharbeit), und selbst wenn er gezahlt wird (was m. e. nur noch für bestimmte sektoren der lohnarbeit zutrifft) heisst das noch lange nicht, dass dann auch eine (traditionelle) mann-frau-beziehung daraus resultiert."

 

Das Erste ("familienernährer-lohn auch nicht mehr gang und gäbe") ist ja in meinem Text angesprochen. Und zu dem zweiten: Ja, auch in Sachen Geschlechterverhältnis (genauso wie in Sachen Klassenverhältnisse) gibt es keine linearen oder absoluten Determinierungen, sondern nur eine Determinierung in letzter Instanz, deren Wirksamkeit (Sträke) von Konstellation zu Konstellation unterschiedlich und von vielfältigen Einflüssen abhängig ist.

Und so konnte sicherlicher auch eine fordistische Hausfrau-/Familienerährer-Ehe im Detail unterschiedlich - autoritärer oder liberaler; konservativer oder moderner - ausgestaltet sein.

 

3.

 

"und auch wenn es es nur eine (politische) 'wahrscheinlichkeit' ist und keine analytische kausalität, so spricht doch vieles (ich würde meinerseits sagen: -- fast -- alles) dafür, dass eine überwindung der geschlechtshierachischen arbeitsteilung NICHT unabhängig von einer überwindung der kapitalistischen (klassen)verhältnisse stattfinden kann/wird."

 

Puh, das sind jetzt aber sehr feine Demarkationslinien:

 

  • bei meiner Formulierung: Wahrscheinlichkeit, aber nicht Kausalität

 

  • bei Deiner: fast alles; aber nicht alles.

 

Ich will versuchen meine Überzeugung mittels zweier Zitaten zu verdeutlichen:

 

"bezüglich patriarchaler und rassistischer Strukturen steht das (strukturell amoralische) Kapital vor dem Dilemma, dass diese sowohl Hindernis (bezüglich der Verfügbarkeit der Ware Arbeitskraft) andererseits auch Notwendigkeit (Reproduktion der Ware Arbeitskraft, Extraprofite durch unfreie Arbeit, Spaltung der Klasse, etc.) waren bzw. sind" (http://entdinglichung.wordpress.com/2011/05/17/hinweis-auf-einen-debattenbeitrag-zu-neue-antikapitalistische-organisation-na-endlich-woruber-mussen-wir-uns-verstandigen-und-woruber-nicht/#comment-3150)

 

und

 

Die „kapitalistische Produktionsweise ist nicht […] notwendigerweise auf Differenz entlang der Geschlechterhierarchie angewiesen […].“ (Lisa Haller und Silke Chorus: http://www.grundrisse.net/PDF/grundrisse_38.pdf, S. 16).

 

4.

 

Du schreibst:

 

"eine autonome vertretung von frauenspezifischen interessen ist gerechtfertigt, insbesondere wenn die linke, arbeiterbewegung und gewerkschaften ihren originären aufgaben nicht gerecht werden."

 

Auch wenn ich davon ausgehe, daß Du "arbeiterbewegung" schreibst, aber ArbeiterInnenbewegung meinst; und auch wenn ich in Rechnung stelle, daß  Du "insbesondere wenn" (es gibt also auch andere Fälle, als den "insbesondere"-Fall) schreibst, bin ich mindestens skeptisch:

  • Mitgehen würde ich auf alle Fälle mit dem vermutlich hinter Deiner These stehenden Gedanken, daß es für soziale Bewegungen - und so auch für die Lohnabhängigen (soweit sie gegenwärtig überhaupt als Bewegung in Erscheinung treten) - sinnvoll ist, nicht nur borniert auf die je eigenen Interessen zu achten, sondern einen weiteren Horizont zu haben, nach BündnispartnerInnen zu suchen usw.

 

  • Das setzt aber schon mal voraus, daß die jeweils anderen gesellschaftlichen Gruppen die Gelegenheit zu autonomer Interessensentwicklung und -artikulation haben und nicht unter paternalistischen Bevormundung der "arbeiterklasse" stehen.

 

  • Und schließlich habe ich den Verdacht - da wir uns ja ganz gut kennen ;-) -, daß hinter Deiner These immer noch der - wie auch immer abgeschwächte oder modifizierte Gedanke - einer "historischen Mission" der Lohnabhängigen zur Befreiung der ganzen Menschheit steht. - Das ist ein Gedanke, der mir zu esoterisch ist - auch wenn es ein Gedanke des jungen Marx ist - oder vielleicht gerade, weil es ein Gedanke des jungen Marx ist. Wer sollte gesellschaftliche Gruppen mit historischen Missionen ausstatten - wenn nicht der "Weltgeist" des Idealisten Hegel oder das politische Wunschdenken von MaterialistInnen, die in dieser Frage ihrem materialistischem Anspruch nicht gerecht werden.

Zur These, daß Befreiung letztlich nur als Selbstbefreiung denkbar ist, da sie anderenfalls nicht Befreiung, sondern Bevormundung ist, siehe die dortige: https://linksunten.indymedia.org/de/node/108153#comment-100797 ff. Kommentar-Diskussion.

ich möchte nur auf einen punkt eingehen. die diskussion über das verhältnis von "feminismus" und "marxismus" können wir ein anderes mal führen ;) . 

 

ich glaube, du überschätzt die "fähigkeit" des kapitalismus, sich nach rationalen prinzipen zu organisieren. es ist zwar (abstrakt) richtig, dass es dem kapital egal ist, welches geschlecht sein ausbeutungssubjekt hat, aber auch der revolutionärste kapitalismus (und auch kapitalisten sind meistens MÄNNER) fusst auf den vorgefundenen gesellschaftlichen bedingungen. und nichts ist tiefer verankert (psychologisch und kulturell) als vorstellungen über das verhältnis der geschlechter zueinander (wobei ich die frage der zweigeschlechtlichkeit hier mal aussen vor lasse). insofern kann der kapitalismus nur funktionieren, wenn er auch die "geschlechterverhältnisse" nach den (historisch gewachsenen) bedürfnissen der gesellschaftsglieder (und mögen diese noch so manipuliert und entfremdet sein. das "patriarchat" soll ja angeblich 5000 jahre alt sein) gestaltet. um ein beispiel zu nennen: selbst wenn die existenz eines gros der frauen als "nur-hausfrauen" vom kapitalstandpunkt "dysfunktional" wäre, so könnte dies trotzdem nicht so ohne weiteres abgeändert werden, natürlich könnten ökonomische anreize geschaffen werden oder die bundesregierung würde eine werbekampagne für die berufstätigkeit der frauen grosszügig finanzieren. aber dies wäre -- wenn überhaupt -- nur auf eine langfristige wirkung ausgelegt. und komischerweise -- oder vlt gerade nicht komischerweise -- waren konservative, bürgerliche politiker immer eher FÜR das traditionelle "frauenbild", während die bürgerliche "linke" (sozialdemokratie und Co.) eher "emanzipatorische" ansätze vertraten. "ökonomische" gründe (zumindest so weit ich mich erinnern kann) waren für solche politischen unterschiede niemals genannt worden, sondern eher kulturalistische, religiöse, biologistische, staatspolitische oder was auch immer für argumente aufgeführt wurden/werden. und das macht auch durchaus sinn, denn das "geschlechterverhältnis" ist ein grundverhältnis aller menschen, was nicht beliebig mal so oder so "gestaltet" werden kann, und daher auch keiner "ökonomischen konjunktur" unterliegt. selbst wenn dem kapital massiv arbeitskräfte fehlen, würde es nicht "seine" einstellung über die "rolle der frau" ändern. und die berühmten frauen, die im krieg die granaten drehten, wurden hinterher auch wieder "normale hausfrauen", oder? oder stell dir vor, es gäbe eine politische kampagne fürs kinderkriegen (was bei globaler überbevölkerung auch nicht so toll wäre), mit der BEGRÜNDUNG, dass die rentenkassen gefüllt werden müssten. so etwas würde doch niemand ernst nehmen können (selbst leute, die sich die politische bildung bei BILD, RTL und Co. holen)! (allerdings würde umgekehrt die einführung von quotenregelungen oder betriebskindergärten zwar [vielleicht!] das patriarchale verhältnis "abmildern", aber auf der andere seite auch stabilisieren)

 

worauf ich hinauswill: auch wenn die asymmetrische arbeitsteilung nach geschlecht nicht aus dem kapialverhältnis ableitbar ist, so ist sie doch unter den gegebenen gesellschaftlichen bedingungen nicht unabhängig von ihm zu denken. von daher können sowohl die geschlechter- als auch die "soziale frage" nicht als GETRENNTE politische felder angesehen werden (die race-frage klammer ich hier auch aus), sondern bedürfen einer einheitlichen theorie und strategie. es mag sein, dass der "marxismus" diesem anspruch (gegenwärtig) nicht gerecht wird, und dass es viel vom "feminismus" zu lernen gilt. aber zu glauben, es gäbe quasi DREI revolutionäre theoriestränge und DREI revolutionäre "subjekte" scheint mir doch eher ausdruck eines schematischen formalismus  zu sein, der so weit auf seine logische spitze getrieben wurde, dass er umkippt zur reductio ad absurdum.

1.

 

"und nichts ist tiefer verankert (psychologisch und kulturell) als vorstellungen über das verhältnis der geschlechter zueinander (wobei ich die frage der zweigeschlechtlichkeit hier mal aussen vor lasse). insofern kann der kapitalismus nur funktionieren, wenn er auch die 'geschlechterverhältnisse' nach den (historisch gewachsenen) bedürfnissen der gesellschaftsglieder (und mögen diese noch so manipuliert und entfremdet sein."

 

Mal abgesehen von der Frage, ob Du damit nicht die Tiefe der Verankerung des patriarchalen Geschlechterverhältnisses übertreibst (Immerhin dürften sich von 1965 bis bis heute jedenfalls die rechtlichen und kulturellen Möglichkeiten von Frauen [im Vergleich mit Männern] in den meisten Ländern auf der Welt verbessert haben, während in der gleichen Zeit Errungenschaften und Zugeständnisse von weiblichen und männlichen Lohnabhängigen gegenüber dem Kapital massiv zurückgedreht wurden) -

 

selbst falls Du Recht hast, spricht das ja nicht für eine besonders enge Verknüpfung gerade von Kapitalismus und Patriarchat sowie antipatriarchalem und antikapitalistischem Kampfe: Vielmehr wäre die Tiefe der Verankerung des Patriarchats dann ein Problem mit dem antipatriarchale Kräfte auch in einer post-kapitalistischen Gesellschaft zu kämpfen haben, was dann strategisch m.E. wiederum dazuführen müßte, die Unabhängigkeit von antipatriarchalen Kämpfen von antikapitalistischen Kämpfen stärker zu betonen als Du es machst.

 

2.

 

"die berühmten frauen, die im krieg die granaten drehten, wurden hinterher auch wieder "normale hausfrauen", oder?"

 

Zeigt das Beispiel nicht gerade, daß das Kapital ziemlich schnell bereit und in der Lage ist sich, umzustellen - und, daß die aus dem Krieg zurückkehrenden Männer, die reaktionäre Kraft waren, die dann den vorhergehenden Zustand wiederherstellten?

 

3.

 

"worauf ich hinauswill: auch wenn die asymmetrische arbeitsteilung nach geschlecht nicht aus dem kapialverhältnis ableitbar ist, so ist sie doch unter den gegebenen gesellschaftlichen bedingungen nicht unabhängig von ihm zu denken. von daher können sowohl die geschlechter- als auch die "soziale frage" nicht als GETRENNTE politische felder angesehen werden"

 

Ich sage ja auch nicht "getrennt", sondern "unterschieden" - und die Verbindungen zwischen dem Unterschiedlichen müssen im Einzelfall gemeinsam begründet und entwickelt werden, und nicht dem Feminismus von marxistischer Seite oktoyiert werden.

 

4.

 

Nur mal am Rande:

 

"stell dir vor, es gäbe eine politische kampagne fürs kinderkriegen (was bei globaler überbevölkerung auch nicht so toll wäre), mit der BEGRÜNDUNG, dass die rentenkassen gefüllt werden müssten."

 

Es gibt ja eh schon eine rassistische Spaltung in eine pro-natalistische Bevölkerungspolitik für die imperialistischen Metropolen und eine anti-natalistische Bevölkerungpolitik für die Trikont-Staat.