Leak: 100 Tote im Februar moeglicherweise durch rechtsradikale Schuesse ...
Hier fuer Leselustige in Broschuerenformat :
ERZWINGBARE FASCHISIERUNG DES ALLTAGS TRIFFT AUF SPANNENDE HINDERNISSE
1. Wer spricht?
2.Wie sprechen?
3.die neue staatsukrainische Ehe von Brandstiftern und ihren Biedermeiern
4.gemischte Polizei-Fascho-Stoßtrupps und Big Capital
5.lybische oder jugoslawische Zersetzungsdynamik?
6.Faschisierung im Arbeitnehmer*innenalltag
7.Gegenwehr normal-Lohnabhängiger und ihre überwiegend langweilig gemachten aber letztlich entscheidenden Basisvernetzungen materieller Interessen
8. dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut: Zersplitterung und Räteautonomie ganz gewöhnlich Lohnabhängiger?
9. Kriegsökonomie und wieder Big Capital
10. Eskalationserfahrungen im Klassenkrieg zurück in die Verursacher*innenmetropolen tragen
1. Wer spricht?
Alle sprechen auf einmal, alle von Politik: in der Metro von Kiev, in den Garderoben der Bibliotheken, deren Lesesälen seit Jahren praktisch leer stehen, beim Auslass vor den Werkstoren, in der endlosen Langeweile der Westwarenhäuser, auf den Fußgängerkilometern, die sich zum Bahnhof der Hauptstadt hin verdichten. Alle sind aufgeregt hier in Kiev in den letzten Stunden, sprechen kurze Sätze, die von Panik angehaucht sind. Der estnische Aussenminister redet offenbar seit ueber einer Woche in Hinterzimmergespraechen unmissverstaendlich darueber, dass wir hier jetzt von Serienkillern regiert werden. Die Schuesse in der Kiever Innenstadt und ihre mittlerweile knapp 100 Toten seien gar nicht von der BRD-ausgebildeten Greiftruppe des alten Regimes „Berkut“, sondern im Gegenteil von einer Kraft in der jetzigen Regierungskoalition zu verantworten. Nach F. William Engdahl arbeitet die Organisation UNA-UNSO (ueber die wir im Ukrainetelegramm schon berichtet haben, linksunten.indymedia.org/en/node/106975) seit ueber 10 jahren als NATO Gladio Organisation in der Ukraine. Fuer den britischen Telegraph steht die neonazistische UNA-UNSO, die auf dem Majdan Schlaegertruppen fuer die Svoboda-Partei stellte, moeglicherweise hinter den Erschiessungen von Mitte Februar im Kiever Stadtzentrum wie der estnische ex-Aussenminister andeutete (http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/ukraine/10677370/Ukrain... ab 13:45 GMT). Ashton fuer die EU sagte dem Telefonmitschnitt nach „Gosh, that is interesting“ und beide schwiegen vor der Oeffentlichkeit ueber die gesamte folgende Woche. Inzwischen ist die estnische Regierung zurueckgetreten. Schon am Vormittag heute wurden drei russischsprachige Fernsehkanaele in Kiev abgeschaltet. Die gleichgeschalteten Sprachrohre der Fernsehunternehmer die hier in Kiev noch gesendet werden, sprechen ausgespochen undeutlich ueber das Tonband. Der rechte Innenminister Avakov redet seit einigen Stunden bewusst verwirrend von einer "dritten Kraft", die geschossen haette. Alle Putschisten hier weisen darauf hin, dass die dem Belastungsmaterial nach schuldigen, die derzeitige Regierungskoalition, jetzt selber fuer sich eine Untersuchung starten sollten, um „die Sache ins reine zu bringen“.
Was aber macht die ukrainischen Verhaeltnisse stabiler als die estnischen? Es wird in der Ukraine konkret zu einem Krieg mobilisiert. Interessanterweise ist fast schon Krieg und kaum jemand will hin (zu den Wehrkreisersatzaemtern – vojenkomaty). Und doch ist die Faschomacht in den Strassen und vielen Koepfen real und wackelt nur im Sueden und Osten. Sie ist mittlerweile im Kiever Alltag nicht nur auf Lautes gebaut, sondern im Alltagsgeschehen auf viele feinere Drohungen, Erpressungen und Denkverbote (auch das hat seine Vorgeschichte und Klassengeschichte: linksunten.indymedia.org/en/node/29669). Um diese Machart der aktuellen Faschisierung am Tag 10 nach dem Putsch zu beschreiben, muessen wir das „Blechgeld der Aktualitaet“ gegen die gerade herrschenden Marktverhaeltnisse mit dem vertauschen, was unserer wackerer Biblioteksantifaschist Walter Benjamin als „Muenze der Wahrheit“ beschrieben hat.
Alle
haben Aktivbuerger*innen in Kiev haben sie jetzt gepachtet, die Wahrheit mit Loeffeln, und fuehren sie
spazieren,z.B. an der Leine. Sie wird also Gassi gefuehrt, um Nachbarn
nachzuschnueffeln und sie notfalls gleich anzuspringen: Spiessbürger und
gesetzte Bürgerfaschist*innen geben den Ton an.Aber warum sind sie so aufgeregt dabei und warum reden sie ploetzlich von Politik und nicht mehr nur von Europa? Es gibt gute Gruende und schlechte Gruende.
An den Metroeingaengen stehen ploetzlich Phrasen, die ich in 15 Jahre Ukraine-Alltag nicht einmal gehoert hatte bis jetzt: „Kauf nicht beim Russen!“ ist bei der Metrostation Šulavka in einer Unterfuehrung mit roten, metergrossen Buchstaben zu lesen. Verschiedene Nazischattierungen sehen dazu offensichtlich noch Diskussionsbedarf, denn andere haben daruebergeschrieben: „alle ausbrennen!“
Ja,
die Politisierung des Alltags hier unterliegt einer bestimmten Lufthoheit. Die rechten paramilitaerischen Formationen,
die vor einer Woche angriffen und auf einen Schlag mit einigen hundert Gewehren
das halbe Land gefuegig bekommen haben, sind jetzt obenauf. Und viele
Biedermaenner machen's ihnen nach. Frauenfeindlichkeit gehoert zurm letzten
Schrei. Russenhass, ganz neu, besonders komisch, wenn er in bestem Russisch
vorbebracht wird, wie der Aufruf des neuen Vizechefs vom "Nationalen Rat fuer Sicherheit und Verteidigung" der Ukraine, Dimitrij Jarosh, zusammen mit tschetschenischen Terrorattacken "Russland zu besiegen". Die sonst eigentlich zu wenigem bereiten Lebemänner in der
landesüblichen Dauermackerpose versuchen neue Beherrschergesten. Es wirkt alles
noch ein bisschen eckig aber es greift.Haben sie noch noetig anzugreifen? Nicht ueberall, aber immer oefter...
In
den 3 Monaten Vorlauf zur Machtergreifung gab es eine seltsamen Zweiteilung: Edeldemonstrant*innen
fuers Westfernsehen und Freikorps Gutbezahlter Dauergaeste fuer noetige Eskalationen. Dass
sie noch vor Ende der olympischen Spiele maechtig auf die Tube druecken wollten
ist allen um ihr Spektakel herum aufgefallen. Edelbuerger mit Europlaenen und
Fascho-Paramilitaers sind beide zusammen nie sehr zahlreich gewesen. Zahlreich
waren nur an Spazierterminen, die eh die Innenstadt fuellen (Kiev ist eine
Spazierstadt) Scharen von eher schaulustigen Gelegenheitsgaesten.
Die Faschoverbaende hatten alle Haende voll zu tun, in diese Wandelmasse
jeweils ihre Schreitrupps „Tod den Feinden, Ukraine ueber alles“ einzufaedeln.Was im Stadtbild seltsam zusammengeklebt daherkam war in der Fernsehperspektive immer ausgesprochen eindrucksvoll.
In bestimmten Momenten griff denn dann wirklich auf alle Momentweise eine verständliche Lust ueber, die Grivna ihrer mageren Gehälter endlich 1:1 in Euro auszubezahlt zu bekommen. Bei Nachfragen kam heraus, dass die Eurotraeumerein keine besondere Beziehung zur Realitaet unterhalten. So war es kaum bekannt geworden, dass im Assoziirungsprozess nicht mal visafreies Reisen in die EU erlaubt werden soll. Die Enttaeuschungen kommen jetzt. Um die buergerlich erstaunlich integrierbaren Fascho-Randalierer bei der Stange zu halten brauchte es allerdings mehr als Halbinformation und Winkelemente vom grossen Bruder. Sie wurden mit enormen Geldern uniformiert, behelmt, bekocht, bepriestert, durchs Land gekarrt und ideell geknetet von den ganz wenigen richtig Superreichen des Landes. Beim Ausheben einer Neonazioperation im fuer den Putschbetrieb gerade recht schwierigen Feld der ostukrainischen Stadt Har“kov sind vor 2 Tagen interessante Dokumente eines 20jahrigen Faschos dokumentiert worden, der den Papierspuren nach locker ein halbes tausend ukrainische Monatsgehaelter zum Ausgeben in die Hand bekam bei der paramilitaerischen feindlichen Ubernahme und Besetzung des zentralen Regierungsgebaeudes der Region (http://borotba.org/otkuda_dengi.html).
Fuer die ukrainische Gesellschaft ist das Reden ueber Geldverhaeltnisse der ihnen gebotenen Politikshows eine neue Entwicklung. Alle sind plötzlich wie aufgewacht, aufgeschreckt… und reden Politik. 2004/2005 waren die Auswechsel-Fuehrungspersoenlichkeiten das grosse Thema. Seit ein paar Tagen geht die Hysterie deutlich in eine andere andere Richtung. Dabei verlief in der Meinungsbewirtschaftung eigentlich alles nach Plan. Sogar das Staatsfernsehen - und die Privatkanaele sowieso - haben 4 Monate EURO-Telehypnose fabriziert, egal was die Regierung alternativ noch versuchte (IMF hinhalten etc.). Es war wie in Deutschlands rechtem take-over 1990: Lieber Helmut Kohl, nimm uns an der Hand, führ uns in das einig Euroland. Dazu die gewaltförmige Promiskuität sexistischer Machohaltungen, die absolute Lufthoheit behaupten, Spiegelbild dessen dass Männer es hinten und vorne nicht schaffen... und sich dafür den Alltag zuzusaufen was das Porte-monnaie noch hergibt.
Ohne Massenalkohol keine Massenfête unter Eurofahnen. Aber hier kam das erste Mal die eiserne Faust ins Spiel. „Heil Ukraine!“ wurde der schon leicht dusselige zugereiste Vova von der Ostgrenze des Landes angerufen und er sagte nicht gleich, im Ton der ukrainischen Nazis von Lemberg 1934-1944 „Heil den Helden! Tod den Feinden“ und das obligatorische „Ukraine über alles!“ Da war er draußen, raus gesetzt aus dem klitzekleinen Fernsehlinsenparadies rechter Medien, in dem in Kiev jetzt 3 Monate die Uebernahme vorgefeiert wurde. Dort gab es kostenlose Toiletten… gibt’s sonst nie seit Anbeginn des Neoliberalismus, nirgendwo… Zugaenglich allerdings waren sie nur für die, die nachweislich in der Lage waren, in einem von der uniformierten Fascho-security annehmbaren Musterbuchpoltavisch (für Ausländer als „Ukrainisch“ verkauft) um Stuhlgang zu bitten. Mit Toilettenapartheit fing es an. Wova dachte da kann er sich noch durchmogeln. Vova hatte gar nicht viel getrunken, jedenfalls nicht mehr als alle anderen, mit denen er da unter französischen, deutschen und Nazifahnen Ringelreigen zur Discopolomusik der Bühne getanzt hatte. Seine rote Nase kam auch eher von Unterkühlung: so viel nationale Stimmung und so wenig Wärme unter den Rummelgästen. Kurz: er verhaspelte sich und bat um Stuhlgang, auf russisch. Da war er geliefert. Die security-Faschos machten kurzen Prozess mit ihm. Das war Dezember 2013.
Vova hatte keine Lust mehr auf das stündliche Bühnengebet für die gefallenen Nazihelden der Ukraine und das Zischeln der Revolutzer-Tantchen in Moharwollemützen: „Männer haben den Hut zu ziehen, wenn für die Helden gebetet wird“. Vova fuhr zurück nach hause, in die kleine Stadt Putivl‘ an der Ostgrenze, wo er unter 20.000 armen Schluckern einer von vieren ist, die in den letzten 20 Jahren die historische Flusslandschaft mit Neureichenpalästen zupflastern konnten. Die richtigen Abzocker, die Öl- Milch und Trockengemüsewerke der 1930er Jahre abwickeln konnten sind fertig geworden mit ihrer handvoll hochbewachter Protzburgen plus Geländewagenpark. Vova ist nicht fertiggeworden. Das grosse Bauding hat kein Dach. Es ist eine Tropfsteinhoehle. Andere waren erfolgreicher. Sogar eine hochspezialisierte Fabrik mit 5.000 Lohnabhängigen war in den 90ern noch plattzumachen. In den etwas ramponierten Sälen eines der größten russischen Barockklöster hat Putivl‘ 1957 am allrussischen Sputnik mitgebaut. Davon ist heute ncihts mehr uebrig, mit 10000 Arbeitslosen gegen 4000 in Lohnarbeitsverhaeltnissen ausgesprochen mieser Machart ist ganz und gar auf den Hund gekommen. In einer Firma hat die Chefin die Gewohnheit angenommen, Reinigungskraeften den Wischlappen ins Gesicht zu schlagen wenn sie schlechte Laune hat. Wer nach sowas den Mund aufmacht gefaehrdet nicht nur seine eigene Versorgung, sondern auch die der erweiterten Familie. Dieser miefige Provinzkapitalismus funktioniert auf russisch wie auf ukrainisch. Es gibt keinen Unterschied. Die Brotherr*innen hielten bis jetzt immer dicke zusammen, kannten keine Grenzen und nur die Notwendigkeit , die Realloehne zu senken. Vova hat sich darauf verlassen, seine Ingenieurserfahrung zu verkaufen und nicht die Lohnarbeit anderer. Das ging auf Dauer nicht gut in der oberen Bauliga. Sein großangelegtes Spukschloss ist partout nicht fertig geworden solang noch alles in Abbruchkonjunktur war. Die hat ausgespielt jetzt. Nichts geht mehr, rien ne va plus, ist das resignierte Leitmotiv der vielen, vielen Anwärter*innen seit 20 Jahren auf den versprochenen neuen bürgerlichen Lebenswandel.
Wer nicht auf den Kopf gefallen ist (wie Vova auf dem Majdan), weiss schon was gemeint ist mit buergerlichem Erfolg. Endlich mal nach Strich und Faden seine Nachbarn, und überhaupt, die Dörfler, die ja noch schlechtere Verbindungen nach oben haben, für sich arbeiten lassen und ihnen möglichst noch den Lohn dafür nicht auszuzahlen. Das ist der große Traum einer jeden Gartenklitsche einer jeden großambitionierten Kleinfamiliendynastie mit bürgerlich gewähltem Horizont. Witzigerweise ist das nicht der einzige Horizont. Die prekaeren Verhaeltnisse verlangen eine Art Amphibien-Klassenidentitaet: mal schwimmen mal kraucheln. Aber offiziell sind sie natuerlich alle bereit die Buerger abzugeben. Mit dem allgemeinen Bildungsniveau am Ende der Sowjetunion konnte bewusst gewählt werden. Vielleicht war das eine welthistorische Einmaligkeit. Und diese Wahlmoeglichkeit hat ihre Echowirkungen auch 20 Jahre spaeter. Ich habe mich ja schon Anfang Dezember im britischen indymedia-Forum (indymedia.org.uk/en/2013/12/514114.html) ins Abseits begeben mit der Vermutung, dass die ukrainische Kriese unter Umstaenden nicht nur nah an den Abgrund fuehrt (mittlerweile auch darueber hinaus), sondern vielleicht auch naeher an die Loesung, ein globales Ende des Kapitalverhaeltnisses. Am Ende der Broschuere tragen wir ein paar neue Hinweise dazu zusammen. .
An dem Gedraenge, mit buergerlichem Ehrgeiz in Beziehung zu treten ist wenig zu schoenen. Viel zu viele wählten die Marschrichtung Schokoladenseite. Nun reicht sie nicht. Hinten und vorne nicht. Also vorerst heißt diese angeblich europäisch rahmbare Familienambition eigentlich nur weiter Sommers jener chemischer Kampf mit Kartoffelkäfer und Krautfäule (den Nachbarn ausstechen beim Kievbeliefern) und Winters, die Heuration für die kläglich eingepferchte Einzelkuh zu strecken, damit die Kinder noch halbwegs in Polyesterkleidern sauber in die Schule abgehen und sauber wiederkommen. Den Schein von Anstand aufrechtzuerhalten gelingt komischerweise im breiten Moechtegernbürgertum nur Frauen ohne Alkoholexzesse und auch bei weitem nicht allen.
Wo sind wir hier bloss gelandet? In Putivl‘ an einem ausgesprochenen Ursprungsgebiet des gesellschaftlich aktuellen Widerspruchs, ganz richtig, hier also noch ein bisschen weitergraben in unserer Majdanarchaeologie. Moskau war ne bloße Feuerstelle im Walde als in Putivl‘ schon, am Südrand dieser Wälder (der Bruchkante zur Steppe im Sueden) vollausgebildetes städtisches Gewerbe akkumulierte und eignen Fernhandel mit Pelzen, Honig und Wachs betrieb. Der marxistische Historiker Mihail Nikolaevič Pokrovskij, den Stahlin nicht ausstehen konnte, hat sich viel mit Putivl‘ beschäftigt, groesstenteils um zu verstehen wie das eigentlich ausbeutungstechnisch so früh fertig werden konnte: das russisch sprechende Bürgertum und seine „ukrainischen“ Abstufungen ins Polnische. Schon im Hochmittelalter behaupteten die Berichte arabischer Fernhändler, Russland bestehe eigentlich nur aus Städten. Das was sie wissen mussten, um mit Gewinn zu handeln, war halt nur in Städten, d.h. Städten wie Putivl, nie mehr als 50.000 siedlungsberechtigte Einwohner*innen. Und es war ihnen ein gerissen ebenbürtiges gegenüber: Bürgerambition, umtriebig, in allen Poren der Feudalexzesse saß es schon und machte sich unentbehrlich. Nach Brechts Erfahrung, festgehalten in den Keunerberichten, heißt das: es beschäftigt sich mit Erpressung. Das ist kein schlechter Zunder gegen feudale Verhältnisse und im 20. Jahrhundert auch selten so 1:1 in faschisierende Kleinbürgerambitionen übersetzbar wie in Finnland, Ungarn, Italien, Portugal, Deutschland, Österreich und dann Spanien, Polen, Litauen, Rumänien, Frankreich. Wer mir dokumentieren kann, dass die Edelbündnisfaschisten in Schweiz und Schweden Nazi-Deutschland eigentlich weniger zuarbeiten wollten als die zunehmend auf Kleinbürger machenden Gelegenheitsbrutalos, die sich zeitgleich in der Sowjetregierung eingerichtet hatten, der oder dem wäre ich dankbar. Sie könnten unser Weltbild bereichern. Bis zu solchen Ereignissen aber ist und bleibt es erst mal wie es ist: bescheiden ärmlich.
Von den befreundeten Schweizer Arbeiter*innen seiner 13 langen Exiljahre verabschiedete sich Vladimir Uljanov 1917 mit einer heute eigentümlich anzuhörenden Wehmut. „Ich fahre in das leider noch bürgerlichste Land Europas“, klagte er ihnen sinngemäß. Wenn’s dort knallt, dann wieder nur bürgerlich und es wird ein jämmerlicher Freihandelsstatt rauskommen, ne Republik für Reiche und gegen Arme, die alte Sosse. Und damit wenigstens das passiert, lassen wir Euch hier in Eurem Kampf um die proletarische Sache jetzt alleine. Und für die Sache der Arbeiter*innenklasse gibt es nach dem diszipliniert-wehmütigen Ton dieses Abschiedsbriefes, Abschied in der Tat für immer, nur eine umständliche Hoffnung: die bürgerlichen Gärungen im russischen werden die für den Rausschmiss aller kapitalistischen Methoden deutlich besser vorbereiteten Arbeiter*innen im Westen vielleicht anfeuern, das neue endlich fuer alle zur Wirklichkeit zu machen. Und das würde dann ruck zuck auch die russischen Kolonialverhältnisse umschmeißen können. Seltsam, dass in einem kleinen Brief mehr politisches Konzept stecken kann als ein ganzes, lärmiges Jahrhundert danach einzulösen vermag. Wir sind nach etwas verwirrenden, aber auch sehr aufschlussreichen, Umwegen durchaus nicht mehr am Anfang wie 1917 aber eben auch noch bei weitem nicht mittendrinn. Es kam nämlich etwas dazwischen. Vova Uljanov, der sich spitzbübisch in den Folgemonaten nach dem ulkigen Schweizer Abschiedsbrief mal als Fabrikarbeiter Ivanov, mal als Lenin bezeichnete (aha-aha, von dem hat unsere Fahndungsabteilung doch schon mal was gehoert), war kein kleiner Schalk. Beim ersten Ständchen im Arbeiter*innenrat Petrograds gab er zum besten, er könne noch nicht so viel sagen, denn er habe auf dem Weg aus der Schweiz hierher nur mit einem Arbeiter sprechen können bis jetzt. Das Hohngelächter seiner reformistischen Gegner*innen war ihm gewiss (unter ihnen das berüchtigte Revisionisten-Trio vom März 1917 Zinovev-Kamenev-Stahl… damals noch ohne -in). Aber auch viele seiner Vertrauten schauten ein bisschen betreten weg als es so anfing. „Leider nur einen einzigen Arbeiter“ habe er bis jetzt sprechen können, aber dabei sei ihm aufgefallen – das Gelächter im Saal verschluckt seine Stimme. Er wollte noch etwas sagen, etwa dass es mit dem Bürgerlichen im Russischen doch nicht so viel auf sich habe wie er es sich bis dahin gedacht hatte, dass der ganze Laden der 800 Jahre gedienten Bourgeoisie russischer Imperialverhältnisse in ein paar Monaten schon komplett selbstverwaltet von ihren noch-Lohnabhängigen übernommen werden kann. Dafür war das Lachen über seine drollige Erkenntnismethode – „Einfach Arbeitern zuhören, bisher leider nur einem“ ja auch veranstaltet worden: damit die Folgerungen daraus unhörbar bleiben. Aus dem einen Gespräch wurden aber bald schon die Fragen in dutzenden, hundert Folgegesprächen. Und als nach wenigen Tagen sein verbesserter Bericht begann mit einer genauen Aufzählung der genau in Tiefe, Breite und sozialem Potential erkundeten Fabriken und Arbeiter*innenviertel da war, glauben wir den heute nachlesbaren Protokollen, kein Lachen mehr im Saal. Wer spricht? Was weiß sie? Was würde er gerne wissen?
-Du erzählst uns hier rührige Geschichten von Onkel Lenin und wir verlieren damit wertvolle Zeit, heißt es. Wir haben wichtigeres zu tun: den Faschismus bekämpfen.
-Was Du nicht sagst! Das ist ja genau dasselbe, was jetzt fast alle sagen, egal wie reich, egal wie reicher geworden durch den furchtbaren gesellschaftlichen Ernstfall, messbar am fall-out auf dem Gebiet der Ukraine. Gab’s alles schon vor 25 Jahren in gewisser Weise: Alle sind eigentlich gegen Tschernobyl. Aber einige unter der Nebelhaube dieses Scheinkonsenses werden über Gebühr am clean-up verdienen wollen, durch andere die die Handarbeit dafür leisten werden müssen. Andere im Scheinkonsens werden zwecks Kapitalakkumulation neue Reaktortypen gleicher Fehleranfälligkeit bauen wollen. Und viele hundertausende werden derweil einfach vorzeitig körperlich-motivationell und sehr unspektakulär zusammenbrechen, während der frivol-großbürgerliche Britische Guardian die weltweite Zahl von Atomopfern auf „knapp über 30“ taxiert.
2.Wie sprechen?
Ich habe einen dicken Fehler gemacht gestern. Ich hatte Kopf und Herz zum heulen und kotzen voll von sagenhaft aufschlussreichen und für mich ganz neuen, spannenden Erlebnissen aus dem real gewordenen Faschismus Kievs am Tag X+10. Und ich habe mich, statt Zeugnis abzulegen, vom Morgen bis in die Nacht… unterbrochen nur von nötigen Kurierfahrten und konspirativen Organisierungs-Treffen… in Internetforen rumgeschlagen mit gutsituiert rechtsbürgerlichen angeblichen „Gegnern des Faschismus“. (inzwischen gibt es ein offizielles Gegenstatement und ich muss nicht mehr alles in handarbeit selberstricken: http://borotba.org/statement_of_the_union_borotba_over_recent_smear_campaign_against_anti-fascists_in_ukraine1.html). Die anarchistisch angemalten Angreifer gegen borotba.org und ihren z.Z. wichtigen Aktivismus haben ihr Entenhaus perfekt eingerichtet, frei nach ihrem vermutlichen Sponsor Dagobert. In wenigen Tagen lernten sie, unsere detaillierte Majdankritik der letzten drei Monate per Copy-and-Paste-Verfahren auf die „russische Seite“ zu übertragen und die entsprechend dafür nötigen Organisationsnamen mit Luftblasen aus dem russischsprachigem Netzverkehr zu bestücken. Es ist also „überall ein bisschen Faschismus“ mit dabei also eigentlich „alles gleich“. Nicht Tage, sondern Jahrzehnte brauchten die Nolte_-nach-69er-Geschichtszöglinge der BRD, um die Punktsiege der 68er gegen ihre Nazieltern in copy-and-paste nachzuäffen. Ein paar Begriffe kosmetisch verschoben, ein paar organisatorische Marker von Wiedererkennungswert umbenannt und schon wird aus aufrichtig erstrittenem und gesamtgesellschaftlich erzwungenem Geschichtsbewussein zur deutschen Naziverstrickung 1968 die Karrieristen-Rechthaberei der nerds mit ihrem „Hilter gleich Sta.“-Krakele von 1978ff. Wo der Pubikumsgeschmack seicht genug ist, reicht das Brüllen und alle glauben an den Skandal, der doch dahinterstecken muss. Technokraten der Internetkriegsführung haben sich eine seltsam stahlblonde galleonsfigur zugelegt, eine Reflektion des sexistischen Rechtsrucks im Mainstream (http://avtonomia.net/2014/03/03/statement-left-anarchist-organizations-borotba-organization/). In Stunden haben sie ein Parallel-Fascho-Problem im „spiegelverkehrten“ russischen anti-Majdan ausgemacht. Genau wie Tucholsky von Goebbels Langweiligkeiten der Analyseschärfe berichtete: sowas von Koofmich und Rennfahrer an Niveau! Eigentlich traue ich dem Berufsmacker Tucholsky nicht über den Weg aber den Nazi-Propagandapfusch hat er im Handumdrehen charakterisieren können, dank Handwerkswissen aus seiner Redaktionsarbeit.
Was ist passiert, warum stellen sich die rechten Internet-Kaltkrieger so auf die Hinterbeine? In Har’kov ist am Wochenende nach der Kiever Machtübernahme durch Nazi-Stosstrupps eine antifaschistische Menschenmenge von mehreren 10.000 zusammengekommen (viele Quellen sagen 40.000 Antifas), um ihre von erklärten Nazis des „Rechten Sektors“ wie überall handstreichartig besetzte Oblastverwaltung zurückzufordern. Als die Zahlenverhältnisse klar wurden, verließen alle Mit-Krieger auf Naziseite, die auch nur einen Pfifferling auf die Meinung der allgemeinen Bevölkerung der Arbeiter*innenstat geben, schleunigst das Gebäude. Wer drinnen blieb, wollte es erklaertermassen mit den Obernazis des „Rechten Sektors“ im Bunde allen gemein Sterblichen auf dem Platz unten zeigen. Warum der fuer deutsches Publikum weitaus bestgefoehnte Gefaelligkeitsgockel, der liberale Barde Serhiy Zhadan die Nazibesetzung auch zu diesem Zeitpunkt nicht selber verlassen wollte, erklaert er am besten selber… falls ihn in Deutschland noch jemand lesen will. Die Haertesten der Harten mussten jetzt zeigen, dass ein Platz mit 40.000 Demonstranten in Har’kov (mehr fasst der Majdan in Kiev rein physisch gar nicht) fuer sie eher ein technisches Problem ist. Sie schmissen Schockgranaten auf die Menge unter ihren Fenstern. Genau so eine Granate hat in Kiev einem Fascho-Krieger effektvollerweise die Hand abgerissen: er hat sie nicht schnell genug auf die Feinde seiner Ordnung werfen können. Trotz tausendmal gebrülltem Kampfesruf „Heil Ukraine, Ukraine über alles, Tod den Feinden“ funktionierte das toetuingstechnische Schattenboxtraining hier nicht. Der Tod kam nicht über seine Feinde, sondern über seine eigene Hand. Die Nazitruppe zu Gast in Har’kov aber schmiss professionell genug, um diesmal nicht die eigenen Hände zu verlieren.
Nur reagierten die bombardierten Menschen unten nicht wie das die Terrorspezialisten vom Rechten Sektor aus der bürgermiefigen Hauptstadt gewohnt waren: sie stürmten gegen die Schwerbewaffneten Nazis an. Ohne Zorn ist so ne antifaschistische Leistung nicht zu machen. Den hatten die Leute vom Har’kover anti-Majdan nach dem Granatenwurf zu genuege. Ich hätte ihn auch gehabt (nur wegen meiner eher bürgerlichen Sozialisation wahrscheinlich mal wieder nur Trompete gespielt… na immerhin, damit (plus Trommeln) haben die osmanischen Truppen für eine hübsche Zeit die ungarischen Klerikalfaschos aus Budapest vertreiben können.
Ich finde es super und einen sagenhaften Erfolg, dass den landesweit randalierenden ukrainischen Nazi-Chauvinisten ihre arrogante Granatennummer gegen die Arbeiter*innen Har’kovs diesmal nicht durchgegangen ist. Faschisten müssen zur Not eben Prügel bekommen, das ist vielleicht sogar nur das mindeste. Einige ganz schwere Fälle werden einen zweiten Nürnberger Prozess und Aufhängen nötig haben, aber dazu später. Schlagt die Faschisten, wo Ihr sie trefft! Das ist strategische Errungenschaft aus den verzweifelten aber sinnvollen Abwehrkämpfen unserer Genoss*innen in der späten Weimarer Republik. Mit Faschisten ist in aller Regel nicht zu reden. Faschisten gehören mit allen verfügbaren und den möglichst elegantesten Mitteln bekämpft. Dass der Har’kover Bevölkerung im Moment der Entrüstung über den Faschomob vor allem wenig elegante Mittel einfielen… meine Güte ich bin der letzte der sie dafür zur Rechenschaft ziehen dürfte. Borotba.org war da viel gewitzter, die sind gleich eingesprungen, um Racheszenen zu unterbinden. Haben sie in bestimmten Fällen geschafft, in andren nicht. Russischer Chauvinismus, gegen den borotba.org ganz besonders allergisch reagiert, hat dabei übrigens eine deutliche Nebenrolle gespielt. Ich arbeite seit 12 Jahren in Har’kov. Ich habe an die in der Zeit sehr spannende Dokumente zur revolutionären Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts in seinen Archiven und Sammlungen gefundert. Im groben verschafft das durchaus einen Ueberblick, was in Har’kov gespielt werden kann und was nicht, wo die Leute vereinnahmt werden können und wo nicht. Rechte Internetbeschicker, die jetzt eilfertig unsere Kievanalyse auf ihre Har’kovniederlage rüberkopieren und mit Faktensprengseln füllen werden viel zu leicht zu einer wirklichen Zeitverschwendung…
Und Zeitverschwenung verdient unsere Mühe nicht! Wo wir’s nun schon mal hier in ihrem Kiev aushalten und unseren Kopf hinhalten! Wir bleiben, um alles Bedrückende und Gräuliche was hier um uns herum betrieben wird genau zu sehen und zu erfassen. Da will ich auch nur Auseinandersetzung mit denen, denen das Leben des in Iličensk von Faschisten in den Bauch geschossenen Arbeiters schwerer wiegt als die Erwaegungen der restlichen Welt. Die Wahrnehmung der „restlichen Welt“ wird bürgerlich stündlich hergestellt mit kommerziell nutzbargebogenen Fakten, bodycounts und Kursnotierungen auf den von ihrer Klassenherrschaft dominierten Meinungsumschlagsplätzen. Das olivgrün angeknusperte Internetforum linksunten ist eine dieser bürgerlich dominierten Absatzwirtschaften. Bürgerliche Krokodilstränen für geschlagene faschistische Granatenschmeisserkoepfe, bitte. Sollen sie rollen. Wir haben viel vor hier, ohne Granaten!
„Der sei nicht mein Freund, der …“ schrieb Hanns Eisler sich selber auf einmal die Liedtexte im Holywood-Exil als die ‚russische Erde‘ Tag für Tag systematisch von Wehrmachtsstoßtrupps verbrannt wurde. Brecht fand seine Textierungsmethode erst nicht wirklich toll. Son Erfolgspeter muss immer selber ganz wichtig sein, klar. Später hat er dann aber doch freundlicher gelacht über das gescheiterte Professorchen mit der kläglichen Wiener Stimme am Klavier, der da versucht ein Biedermeiergedichtchen vom Kopf auf die Füße zu stellen zwecks antifaschistischer Aufrichtigkeit, nachzuhoieren im Holywood Liederzyklus.
3.die neue staatsukrainische Ehe von Brandstiftern und ihren Biedermeiern
Regierungsbildung nach dem Faschoputsch ist Blütezeit für jene erzhomophobe Durch-und-Durch-Homoerotik der Männerbünde. Der Frontsoldat, der Freikorpsler mit dem Verbindungsstudenten. Der Mäzen mit seinem Rechtsaussenpolitiker, der Vietnamveteran, graumeliert, mit seinem neuen Kampfpremier für die ukrainische Schlacht um Hegemonie, superreich und demnaechst superbewaffnet am Start. Bei soviel Maennerfreundschaft bleibt die Frage, wie der frauenfeindlich-mysogene Unterton dieser Inszenierungen thematisiert werden kann, ohne dem homophoben mainstream zuzuarbeiten. Frye und Flood haben dazu gute Vorarbeiten gemacht (en.wikipedia.org/wiki/Marilyn_Frye, http://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Flood).
Ein Versuch dazu machte ein Arbeiter bei der Kritik eines ehemaligen Freundes, der zur unpassendsten Zeit auf dem Majdan Verbruederungen suchte. Wir kritisierten ihn nicht dafuer, dass er mit Faschisten schlief, das ist seine eigene Entscheidung. Aber wir kritisieren, dass er es ohne Kondom betreibt. Geht das?
Also, ein ehemaliger Marxismus-Leninismus-Instruktor, der uns jahrelang in Kiever Zirkeln seiner Lufthoheit die Ohren mit Ontologie-Scholastik bezirzt hat, fängt ausgerechnet in der letzten Nacht an, als von beiden und vielleicht auch dritter Seite scharf geschossen wurde, mit den Majdan-Nazis zu schlafen. Er wolle „dem Volk aufs Maul schauen“, rechtfertigt er sich gegen unseren Einspruch. Das wären ideale Zeiten für revolutionäre Bewegungsstudien, die kämen so schnell nicht wieder. Ja, mit der letzten Feststellung hat er recht, denn Faschos im zunächst mitteilsamen Siegesrausch machen sagenhaft schnell die Klappe zu, sogar fuer besser embedded journalists. Das Majdan-Kamerafeld und seine Statist*innen sind 3 Monate lang ausführlich und mit aller moeglichen liberal wissenschaftlichen Leidenschaft untersucht worden. Nichtregierungsorganisationen haben Fragebögen erläutert und ausgewertet. Sie kamen zu einer bemerkenswerten Zusammensetzung: 8% der Teilnehmenden seine Lohnarbeier*innen gewesen, 18% dagegen leitende Angestellte und der Rest Unternehmertypen von der ukrainischen Schein-Ausgabe bis zu den ganz dicken Fischen der world top 1000 (die Bühnenshow). Ihre Fischfänge an Gelegenheitsfaschist*innen sind von einfühsamen Wissenschaftler*innen mit leichten Linksinteressen ausgiebig befragt worden. Portraits sind zusammengestellt worden, die über die unter Werbesoziotechniker*innen ueblichen Typologisierungen hinausgehen. All das ist internettverfügbar, ausgiebig kommentiert. Diese Studien liefen knapp 100 Tage lang und am allerletzten kam unser unterbeschaeftigter Lektor und wollte auch mitmischen.
Mit Nazis schlafen ohne Präservative das geht nicht gut aus. In dieser Hinsicht, und homoerotisch nur in dieser, haben die Konjunkturritter der Maennerfreundschaften ne echte Macke, eine sagenhaft verallgemeinerte und darum nicht mehr nur noch persönlich-schrullige Todessehnsucht. Faschismus ist nicht mehr nur vor der Tuer. Er ist Name, Anschrift und Gesicht der Neubürgerlichen Herrschaft im ukrainischen Putschraum. Und da kommen wir nicht umhin, die dialektische Elastizität und Spannkraft unserer politischen Kampfbegriffe beulenbedigt hier und da mal auf Eis zu legen.
Als wir die ersten Stunden nach der protofaschistischen Kernschmelze Freitagnacht, den 21. Februar, Wohnungen ausräumten und Adressbücher verbrannten, mit Herzflattern vor dem drohenden Wohnungssturm und grad erst genaehten Kopfplatzwunden, da fiel uns bei einer Genossin, die in einem Krankenhaus lohnarbeitet ein bemerkenswertes Blatt Papier in die Hände. Weil sie es wie viele andere gleich darauf verbrannte hat es sich mir eingepraegt (linksunten.indymedia.org/node/107019). Sie hatte vor gut einem Jahr mal alle linken Kreise aufgelistet, in die sie gerne geht, deren Schriften sie, lesehungrig und leseerfahren, gerne kauft falls von ihrem 90-Euro-Monatslohn mal nen paar übriggebleiben sollten. In den letzten drei Monaten nun hatte sie sich den zugegeben mickrigen Spott erlaubt, eine Position nach der anderen auszustreichen, wenn sie gemeinsame Sache mit Faschist*innen im Majdanfieber machten und auf ihre ehrlich-besorgte Nachfrage dann auch noch blöd reagierten. Aus der Langen liste wurde eine ganz kurze, gerade mal 5 Positionen. Und die Mehrheit ist seit dem Putsch in der Hauptstadt nicht mehr praesent.
Ich habe seit September 1991, eine hohe Meinung von Linken im ehemaligen Ostblock (incl. Cuba) entwickelt. Fehler? Nach 18 Jahren ist mein Respeckt fuer ihre Leistungen gewachsen, waehrend ich selber schon wieder schrumpfe. Dabei waren es sagenhaft elastische, dialektische Bewegungsverhältnisse, die uns immer wieder aufs Neue, nach jedem nötigen Streit, wieder auf ganz andere Weise zueinander gebracht haben. Nach diesen 18 politischen Arbeitsjahren außerhalb Deutschlands weiß ich ziemlich genau: viele Kolleginnen in Ostverhaeltnissen sind um einiges erfahrener, gebildeter, im positiven Sinne disziplinierter, entschiedener und näher an der lohnabhängig gehaltenen Bevölkerung als ihre Westkomparsen, z.B. im akademischen Jojo-Wesen. Aber beide sind einzeln genommen nichts als Kräuselwellen über den mächtigen materiellen Bewegungen, die die lohnabhängige Klasse hin- und herwirft – materiell gesehen sehr abhängige Erscheinungen einer kaum ertauchbaren Untergrundströmung, die die eigentliche Musik macht, nach der wir alle tanzen oder AUS DEN LATSCHEN GEKIPPT WERDEN – voila: das rein-professionell menschenverachtende Fraßwerk der kapitalistischen Krise. Alle, die Mitmischen sind aus derselben Machart von Sozialverhaeltnissen bedingt wie die anderen. Die Bewegung selber ist zu großen Teilen ererbt. Oft gelingt nicht viel mehr als sie grob fortzusetzen, was manchmal wirklich besser ist als sie einfach zum Wohlgefallen der Herrschenden zu brechen. Seit 1989 hat es selten so geknallt in den Zurichtungen der Lohnarbeitsverhaeltnisse wie jetzt anhand der ukrainischen Krise. Was wir gestern noch als Wellenbrecher gedeutet haben, hat sich schlicht als laeppische Kartenhäuser entpuppt. Sie waren binnen Stunden wie weggefegt. Die Rechte nutzt diesen Aufwasch fuer ihre Zwecke. Es kann also sinnvoll sein, Listen aufzustellen ueber die Zusammenhaenge, die wir nicht weggefegt haben wollen. Nur den Gegners sollten sie nicht in die Haende fallen.
4.gemischte Polizei-Fascho-Stoßtrupps und Big Capital
Was blieb über? Inzwischen hat die politische Polizei (SBU) der Putschukraine einen Leiter von der durch die Adenauerstiftung grossgezogenen Haudraufpartei „Udar“. Der Innenminister Avakov (linksunten.indymedia.org/de/node/107098), rechtsoffener Banker aus Har’kov und damit einer der reichsten Konsortiumchefs des Landes, hat sich mit der 15. Faschistischen Rotte zusammengetan, die ihm dankenswerterweise das imposante Ministerium vorgewärmt hatte und gewagte Bedingungen diktierte bei Einlass des Geldmenschen in ihre Beute-Gemächer am 22. Februar 2014. Er nahm ihre Führer großzügig in Lohn und Brot, seine Leitungsklique ist aus ihnen gemacht. Kapital und Totschläger schlossen Arbeitsverträge. Das war vor 10 Tagen. Ihre Hauptstossrichtung bei der gemeinsamen Arbeit ist seitdem die Bekaempfung von sogenannten „separatistischen Aktivitaeten“ geworden. Die ukrainische Verfassung, die ihnen an anderen Stellen nicht viel gilt, sieht fuer Gefaehrdung der „nationalen Einheit“, das ist nach Interpretation der neuen Regierung jede Diskussion ueber Foederalisierung oder Selbstbestimmung, unverhaeltnismaessig hohe Strafmasse vor.
Die halbsstaatlich gewordene Faschogewalt dieser letzten 109 Tage ist nicht erkennbar wesenhaft blind oder hassverzerrt. Sie ist, kleinbürgerlich rechnend und auf sehr strategische Art berechnend. Bereits bei der faktischen Übernahme der rechten Schlaegertrupps wurde dieses abgestufte Eskalationsszenario deutlich. Die Szene wirkt fuer uns immer noch irreal iun der Erinnerung: Rentnerinnen und Jugendliche sanken blutüberströmt um uns herum zusammen unter den Schlägen der Rechten bei den Strasskämpfen in der Nacht nach der Machtergreifung, Samstag, 22. Februar. Wir waren faktisch eingekesselt von 500 deutlich alkoholisierten Prügelfaschos auf dem zentralen Platz von Krivoj Rog. Da spürte ich auf einmal die sehr nuechtern arbeitenden Arme eines sehr großen, eher eleganten rechtsradikalen um meine Trompete, die partout noch die Internationale zuendespielen wollte, damit nicht auch noch die Pointe verlorengeht, warum wir das alles, bewusst auf uns genommen hatten. „Ich schütze Dich und Deine Trompete. Und auch die Rentnerin neben Dir. Ihr bekommt jetzt nichts ab von uns.“ Ich verdanke meine Gesundheit also objektiv einem mit Übersicht und Gefühl für Pressewirkung begabten faschisten Organisations-Kader. Interessant. Woran lag das genau? Hab ich noch nicht ganz raus. Beim studieren der Filmaufnahmen auf den Nazi-resourcen des „Rechten Sektors“ faellt auf, dass es auf dem zentralen Platz von Krivoj Rog ein optisches Problem gab: einige Gegendemonstranten gegen die Lenindemontage standen ganz oben auf der letzten Podeststufe. Wir waren so in der Totale einsehbar. Dutzende von Zusammengeschlagenen linken Aktivist*innen ein paar Stufen niedriger gingen optisch völlig unter im Material der mit siegesgewisser Hand zynisch mitfilmenden (bzw. wurden erfolgreich, dh. ohne Schaden für den gewünschten Gesamtpomp, rausgeschnitten). Einige Sekunden später ging der väterlich wirkende Faschist auch schon weiter zu einer noch exponierter an der Denkmalvorderseite stehenden Genossin und auch fuer sie wieder die phallisch-dominationsgewohnte Stimme „Dir passiert nichts, ich sorge…“ Die Rentnerin war in dem Augenblick neben mir schon unter Schlägen zusammengesunken und mir wurde die Trompete endgültig aus der Hand und ins Gesicht geschlagen.
„Warum denn ausgerechnet Lenin?“ Fragen mich linksliberale Beobachter gerne schlaumeiernd in den letzten 10 Tagen. „Habt ihr sonst nichts zu schützen, oder was?“ Der Einwand ist gut aber nicht besonders informiert über die Funktionsweise einer sowjetischen Stadtöffentlichkeit. Lenin steht halt immer am wichtigsten sozialen Schwerpunkt einer Sowjeturbanistik, Das haben wir uns nicht ausgesucht. Wer das Leninstandbild angreift inszeniert damit den Zugriff auf die gesamte proletarische Stadt als System von streetcorner societies. Ein Leninstandbild ist nur abraeumbar, wenn vorher die lebenden Menschen drumherum plattgemacht wurden.
Als die Akten Nazi-Vorberietungen Generalplan Ost noch mit ihren US-Armee-Entlassungsstempeln der 1960er Jahre noch im Freiburger Archiv lagen, hatte ich mir in ihnen mal eine Woche lang einen Eindruck zusammenlesen koennen, wie genau deutsche Nazis 1941 recherchiert hatten. Sie wussten mit ausgesprochener Praezision wie eine sowjetische Stadtöffentlichkeit im allgemeinen und im einzelnen funktioniert. Luftbildaufnahmen waren den Akten beigegeben. Nie wieder später habe ich den vorgestern in Har’kov umkaempften Platz so klar analytisch und wiedererkennbar abgebildet gesehen. Das ist halt der Unterschied zwischen Linksliberalen und Nazi-Meinungsträgern. Die einen spekulieren vom Kapital ausgehalten zu werden weil sie uns einlabern und in Nebenschauplaetze verwickeln, die anderen weil sie uns allezumachen versprechen. Die einen raten und lesen ihren gemütlich-eigenen Kaffeesatz unter der Fragstellung „Geopolitik“ die anderen machen sie. Wer besser bezahlt wird für die aktuell ansprechendere Arbeitsleistung entscheidet die jeweilige Konjunktur der Planer*innen auf Kapitalseite. Die russisch-ukrainischen Intellektuellen-Kandidat*innen haben anhand der jetzigen Expansionsrunde begriffen, wie EU und NATO den Wind der kommenden Jahrzehnte zu gestalten wünschen und sie kräuseln ihr Lächeln demütig und folgsam, wie ihnen das vom Kindergarten an eingetrichtert und von Haus aus eingeprügelt wurde. Linksliberal-spezialdemokratisch hat ihrem Verstaendnis nach erst mal ausgedient, im Präsidium kreisen die Geier National.
5.lybische oder jugoslawische Zersetzungsdynamik?
Die faschistoiden Konjunkturen bei der NATO-Sezierung Jugoslawiens waren bereits mit vielen spaeter 2011 in Libyen wiedererkennbaren Details gemacht. Zersetzung nach lybischem Modell 2012 und kroatische Ustascha-Ordnung ab 1992 greifen ineinander. Sie können räumlich dank präziser Überwachung und genau dosierter Repression sehr ausdifferenziert kombiniert werden. Ukraine ist god’s playground diese Monate. „Gott ist ein Faschist“ notiert Brecht in seine Kriegsfiebel.
6.Faschisierung im Arbeitnehmer*innenalltag
Kapitalisten sind Arbeitnehmer. Sie nehmen den Gebern die unersetzliche Arbeitsfertigkeit eines Lebens ab. Wer das abbildet langweilt. Jeder kennt diese Transaktion an sich selbst, entweder aus der einen oder der anderen Perspektive.
Gehen wir auf Student*innenleidenschaften ein wird das Bild, oberflächig gesehen, interessanter (linksunten.indymedia.org/en/node/30194). Wir begegnen Zwitterwesen (die es eigentlich gar nicht gibt, aber bitte, wir begegnen ihnen), klassenmäßiger gender trouble gehört hier gewissermaßen zum guten Tone, zum vielleicht sogar nötigen Ausbildungsklima für künftige Vorreiter*innen, die schließlich einsetzbar sein sollen auf der einen oder der anderen Seite.
Eine Position auf der nun verbrannten Streichliste funktioniert sogar noch halboeffentlich. Es ist nach dem was ich erfahren konnte der letzte offen marxistischen Zirkel der Riesenstadt Kiev (propaganda-journal.net). Marx Engels und Lenin sind seit 10 Tagen von der Stirnwand unseres Debatiersaals verschwunden. Dafür hängt dort jetzt Kant. Ich erzähle den entsetzt lauschenden Frühkommern, dass auch die Olivgrünen im Bundestag jetzt ganz viel von Freiheit halten, ja bei der „Linken“ vor allem ein „Problem mit der Freiheit“ sehen (Bundestagsdebatte zur Rede Andrej-Hunkos).
-„Wie ist das mit Eurer Sprache,“ fragt mich Genosse Piharovič, Quelle netter Anregungen im Kreis, der es trotz fortgeschrittenem Kenntnisstandes (und Alters) noch nie für nötig gehalten hat zu promovieren oder aehnliche akademische Marotten mitzumachen. „Meinen sie die Freiheit Immanuel Kants oder die Freiheit in Nietzsches ‚Wille zur Macht‘?“ fragt er deutsch radebrechend.
Ich glaube die Olivgrüne Lobby im Bundestag beschäftigt sich nicht so wissbegierig mit feinen Unterschieden in der deutschen idealistischen Philosophie. Ich glaube, sie meinen ganz brutal-praktisch jetzt einfach nur die ukrainische Partei dieses Namens.
Nee,nee, die Kolleg*innen hören sowas nicht gern, genug Mitumfaller in Sichtweite, warum auch noch ueber die in Berlin aergern? Und damit wenden wir uns dem allen vielversprechenderen dialektischen Materialismus zu. Marx-Engels-Lenin und dann kommt als vierter gleich… Il’enkov (https://de.wikipedia.org/wiki/Ewald_Wassiljewitsch_Iljenkow): Erziehung für Erziehende, das Lernen lernen, Bedingung für die sozialistische Menschwerdung. Der Saal wird weit. Der Tapetenwechsel geht keinem mehr an die Nieren. Warum hat die kultur-historische Herangehensweise Il’enkows auf die US-Psychologiedebatte so eine wichtige Wirkung gehabt? Empirieaufschlüsse. „Schaut auf die philosophische Ordnung der Begriffe,“ erinnert Piharovič, „Ihr werdet hier zum philosophischen Handwerk ausgebildet – durch Euch selber, versteht sich. Ihr könnt schon jetzt anderen Disziplinen mit Eurer begrifflichen Erfahrung in wichtigen Punkten zur Hilfe kommen.“ Vorbereitet wird eine kollektive Konferenzbeteiligung zu den Il’enkov-Lesungen im Mai 2014 in Moskau. Ukraineweit gibt es schon seit längerem wenig Gelegenheit, die Waffen der Kritik an der fremden Kritik eigener Waffen zu schärfen. Also geht’s zum Streiten nach Moskau, auch wenn Hin- und Rückreise mittlerweile ein proletarisches, ukrainisches Monatsgehalt schwer geworden sind. Alle merken was hier gespielt wird: Piharovič will Alltag. Der faschistische Putsch ist schwer genug in allen Maegen, wollen ihn mal nicht noch mit bürgerlich gemeinter Empathie in unsere langfristiger gemeinten Diskussionen hineintragen. Diese Arbeitsordnung hält sich, bis die Tür aufgeht. Wenn ich sage propaganda-journal.net ist der einzige marxistische Diskussionskreis in Kiev, der - obwohl offen betrieben - noch nicht gewaltsam zerschlagen werden konnte, dann habe ich noch nichts gesagt über die Gewaltförmigkeit der nazistischen Versuche, die bisher erfolglos waren. Eine Konferenz dieses Kreises mit 120 Gästen im November 2013 wurde nach nur 7 Minuten von einem Stoß unterbrochen. Das Außenfenster zersplitterte. Eine militärische Granate flog mitten in den Raum und explodierte. Mit sowas hatten die meisten gerechnet. Auch die internationalen Gäste waren im Bilde, dass auf neonazistischen V0r-Majdan-websites gegen die Veranstalter und ihre Veranstaltung massiv gehetzt und zur gewaltsamen Zerschlagung der Diskussion aufgerufen worden war. Begründung für die paramilitärische Mobilisierung war lapidar, der Diskussionszusammenhang sei (irgendwie) „links“ und deshalb automatisch eine Beleidigung für die Ehre der ukrainischen Rasse und Nation. Überraschend war dagegen was nach der Explosion kam. Ein grünliches Gas stieg aus dem explodierenden Metall, ein sehr einnehmendes Geschehen: bald war der ganze Raum dicht gefuellt, alles hustete. „Ne Gasgranate“ lachte der mittlerweile zmajdanuty(-vermajdante) Beobachter von der „Sozialistischen“ Partei (Abt. Ideologie) überlegen, „kennen wir Männer doch alle von der militärischen Grundausbildung“. Das sagte er übrigens einige Zeit nach Evakuierung des Gebäudes. Es war nämlich in den ersten 15 Minuten nicht wirklich klar WAS für ein Gas uns da von den betont geschichtsbewussten Majdan-Mobilisierern zugedacht worden war. Bewundernswert, dass die Konferenz unmittelbar als die Mehrheit ausgehustet hatte einfach weitermachte. „Wenn wir hier aufhören würden, hätten die Rechten genau ihr Ziel erreicht“. Überzeugend, aber wie lange noch?
Wir blickten also alle etwas nervös auf als die Tür aufging, diesmal. Aber herein kam ein altbekannter Gast. Guter Tagesredakteur der Internetseite, an die kaum eine bürgerliche Redaktionsstube der Ukraine argumentativ heranreicht, seit einigen Jahren schon. Wir sahen uns an und dachten unwillkürlich „mutig“, aber bitte, Respekt. Der Genosse hatte immer noch die Vormajdan-Haarmatte und nen schicken Überpulli mit nem dicken A mit Kreis drum an. Er setzte sich lächelnd und wir waren wieder bei Marxens Liebe zum Urkommunismus, dass er die Zerschlagung des bürgerlichen Staates – notwendigerweise mit den eigenen Waffen seiner Produktionsverhältnisse – nur betrieben hat, weil er nun mal schon halb da war als sich ihm die revolutionären Interessen der deutschen Provinzen 1848 noch ganz und gar nicht gewachsen zeigten. Ein Referent hatte dazu spannende neue Faktengelees aus aktueller US-anthropologischer Fachliteratur herausgenudelt und wir verteilten die Gallertmasse unter uns, um sie –jede(r) nach ihren und seinen Fähigkeiten – unter gegenseitiger Hilfe in historisch-materialistischer Perspektive auf Farbechtheit und Auswaschungsgrad zu prüfen. Da schmiss unser huebscher Anarchist sein dickes smartphone auf die altsowjetische Tischplatte und rief so was wie „jetzt reicht‘s mir aber wirklich“
-„Lieber Kollege, niemand hat sie genötigt, parallel zu unserem Gespräch ihre SMS-Maschine zu bedienen.“
Unserem Jungen, Schönen war es aber nicht nach Spitzfindigkeiten und auch nicht mehr nach Alltag spielen, unserer prekaeren Arbeitshypothesen für den Nachmittag, der schnell zum letzten werden kann.
-„Also erzähl‘, was ärgert Dich?“
-„Angefangen hat es als die Nazis in Lvov den Sekretär der Kommunistischen Partei vor kurzem fast totgeschlagen haben.“ (im Parlament wurde heute einer kommunistischen Rednerin entgegengeschrien, Kommunisten gehoerten aufgehaengt. Vorher wurde ihr von einem Popen das Redemanuskript aus den haenden gerissen und ihre Redezeit von der Nationalhymne aus Maennerkehlen beendet, die ultranationalistische Agentur berichtet mit unverhohlenem Stolz, wie 300 antikommunistisch durchdrehende Maenner eine Frau fertig machen. Ihr Verbrechen: sie hat Zweifel angemeldet, ob der ukrainische „National“dichter Sevchenko wirklich als wortwoertlich „Prophet“ bezeichnet werden sollte, http://www.unian.net/politics/893403-v-rade-kritiku-shevchenko-so-storonyi-kpu-vstretili-krikami-komunyaku-na-gillyaku.html)
-„Was hat da angefangen?“
-„Die Hetze gegen mich. Da rennt jetzt bei uns um den Block son übereifriger Typ rum. Hat Marina geschrieben, er verlange von ihr als nationale Frau ein paar präzise Auskünfte zu mir. Er aktualisiere jetzt die ‚Liste der Feinde der ukrainischen Nationalen Revolution“ und es sei bekannt, dass ich – obwohl Anarchist – wohl in marxistischen Kreisen unterwegs bin.“
-„Kommt der da drauf?“
-„Das ist ne ganze Schlaegertruppe. Die haben eigentlich erst ganz spontan angefangen, das Rajonbuero der Regionenpartei bei uns im Arbeiterviertel zu Kleinholz geschlagen, weil sie gemerkt haben dass das jetzt geduldet wird. Als dann die Mieter kamen und gesagt haben:‘wir mieten hier, warum schlagt ihr unser Buero zu Brei?‘ da haben sie eben auch noch die Menschen vom Buero zu Brei geschlagen. Und seitdem haben sie Geschmack daran bekommen.
-„Und was soll daran aufregend sein?“ fragt Piharovič mit ungespielter Ruhe. Er ist im Berchtesgaden der Ukraine, in der Oblast Ivano-Frankovsk (Karpaten) aufgewachsen. Er weiss was das heisst: klerikal-faschistoide Lynchgesellschaft unter aufgesetztem prêt-à-porter Zuckerhunt der Sowjetphraseologie. Kennt er seit über 50 Jahren in vielen Spielarten. Diese neue kann ihn nicht richtig überraschen, gesteht er.
-„jetzt schreibt der, nachdem sie den kommunistischen Sekretär in Lvov kaltgestellt haben wär ich der nächste auf der Todesliste.“
-„Gut, dann lässt Du Dir gleich auf dem Nachhauseweg von unserem Seminar den Schädel kahlscheren und fährst morgen mal nen paar Wochen aufs Land zur Oma? Ist das zu viel verlangt für einen Revolutionär?“
Er sieht uns entsetzt an. Oft habe ich im letzten Monat schon dieses Entsetzen auf den Gesichtern meistens sehr junger Menschen gesehen… handfeste Todesangst. Als nächstes werden die Hände zittern, dann kommt eine Reihe von Übersprungshandlungen, schließlich im besseren Fall die Flucht.
Das Seminar findet den fachlichen Tonfall in der Tat nicht mehr wieder an dem Abend. Der Saal leert sich zusehends. Ich trete raus und Piharovič gibt mir im Auseinandergehen noch was zu lesen auf: „Lies mal Emmanuel Kazakevič, „das bleue Heft“, beantwortet Dir vielleicht einige Fragen und nimmt Dir nen bisschen diese ahistorische Aktualitaetsfixierung, die Du da gerade mit Dir rumträgst. Gute Lektüre, Kollege.“ Und weg war er im Sammeltaxi. Ich habe wirklich 4 Tage in der Bibliothek verbracht wegen diesem kleinen Piekser „moeglicherweise ahistorische Aktualitaetsfixierung“. Ich habe das blaue Heft als Blaues Heft gefunden (nur in der Erstausgabe von 1961, zum Autor: https://en.wikipedia.org/wiki/Emmanuil_Kazakevich). Ich habe die jeweils unterschiedlich zurechtzensierten Produktionstagebücher des Autors (Ausgabe von 1988 im Bd. 3 der Werksausgabe und 1990) verglichen. Dann habe ich die lenin’schen Leitartikel und Notizbücher (verfügbar als Bd. 32-34 von 55 in der 5. Russischen Ausgabe, der einzigen halbwegs wissenschaftlichen), die dieser Synthesearbeit vieler Nachkriegsjahre zugrundelagen noch einmal durchgenommen. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Piharovič hat sich da einen guten Tip ausgedacht. Das sind Landschaften einer Weltzivilisation, von denen mein antikommunistisch erzogener Schülerergeiz der BRD-Provinz keinen blassen Schimmer hatte. Und wo wir sie jetzt angesichts der faschistischen Katastrophenregie im Land doppelt kritisieren müssen, gerade darin sind wir angewiesen auf ihre sagenhaften Waffen der Kritik, die z.B. aus einem 3.Weltland mit Hilfe vieler Haende in der kleinen Stadt Putivl‘ eine Gagarinperspektive entwickeln konnten. Piharovič sieht den Anfang vom Ende uiebrigens bei den zu kapitalismuskonformen Betriebsreformen um 1965. Immerhin originell, eine Art Hruščovismus bei unerbittlicher Hruščov-kritik. Mit Sossó kannst Du ihm im ernste nicht kommen, denn Sossó hat mit ausgesprochen vielen Fehlern, und nicht nur groben, dem russischen Chauvinismus (wieder) nach oben geholfen und das ist unverzeihlich, sagt er.
7.Gegenwehr normal-Lohnabhängiger und ihre überwiegend langweilig gemachten aber letztlich entscheidenden Basisvernetzungen materieller Interessen
In Krivoj Rog (linksunten.indymedia.org/en/node/106975 ) gab’s jetzt ne tolle, grosse antifaschistische Demo. Nazis mussten dabei nicht verprügelt werden, wie zeitgleich in Har‘kov. Der fanblog (http://borotba.org/borotbistyi_v_krivom_roge_proveli_sbor_podpisej_za_vo...) zeigt die Genoss*innen eine Woche nach den Pruegelszenen bei ziemlich lustigen Putzarbeiten am Sockel des Monuments. Mit den entsprechenden Hausloesungsmitteln aus dem Tierarzneischrank waren die Ätzenden Nazi-Graffitis auf dem verunstalteten Sockel („Heil den Helden“) im nu weggeschruppt. Da lacht das Herz, wo der Marmor so rot leuchtet, auch wenn die Figur noch nicht wieder auf der Hoehe ist… nur noch eine Frage der Zeit meinen 200 Mithelfer*innen der Aktion, die dafür mit eigenem Namen unterschrieben haben.
Dass die Malocher*innen wider Willen von Krivoj Rog ihren einzigen feien Tag abwarten mussten, bis sie das gröbste Aufräumen nach der Nazi-Intervention gemeinsam anpacken konnten, war ihnen gleich klar. Aber im Takt der wenigen freien Stunden, die die Lohnknechtschaft der Region ihnen lässt, erkennen wir schon, wie im sekundenlangen Lächeln einer sonst schreienden jungen Kraft, etwas von den reellen Möglichkeiten zukünftiger Kommunismen. Beam us up, spotty! Wenn es in Krivoj Rog eines Tages richtig losgeht mit Oligarchenfiguren umlegen (und Lenin wiederaufstellen) will ich nicht fehlen.
8. dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut: Zersplitterung und Räteautonomie ganz gewöhnlich Lohnabhängiger?
Ja mei, was ist das? In den temporär von Nazis noch oder schon freigehaltenen Zonen des Ostens der Ukraine werden ganz neue Töne angeschlagen… und sie erreichen teilweise ein aufgeweckt-aufgeschrecktes Massenpublikum (http://polyprognoz.com/news/725/Support-Ukraine%E2%80%99s-workers%27-sel...).
„Was Bosnien ueber 22 Jahren durchlitten hat, machen wir jetzt in 22 tagen durch. Frühling steht vor der Tür. Ablegen aller Nationalismen ist jetzt der Hit der Saison. Wir schaffen dafür die Bedingungen.“ Heisst es aus Har’kov und Donetsk (http://propaganda-journal.net/8145.html, http://propaganda-journal.net/8156.html). Ich glaub‘ ich spinne, es gibt auch ein gegenprogramm zum Kiever Stumpfsinn! In Gefahr und höchster Not wählen die Genoss*innen Kurs auf was anderes als den Mittelweg! Das ist neu. Das wird zu beobachten sein, kritisch, solidarisch. Nicht verpassen! Manches materielle Glück gibt es nur einmal im Leben. Wenn Du den Moment verpasst, noch schlimmer, wenn eine Klasse kollektiv den Moment verpasst kommst Du nie wieder daran. Denkmalpflege ist nicht unser letztes Wort. Wir werden alles Mögliche tun, um selber jetzt nicht zu Denkmälern zu werden.
9. Kriegsökonomie und wieder Big Capital
Derweil rüstet der neofaschistische bürgerliche Putschistenstaat mit Sitz in Kiev für den ganzen Bürgerkrieg. Der Botschafter der Putschisten bei den Vereinten Nationen, forderte gestern, das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg zu revidieren, zwecks Freisprechung ukrainischer Nazis. Der Fascho-Kommandant des Majdan Parubíj, mittlerweile mit dem Manager des „Rechten Sektor“ Dimitrij Jaroš als Vizedirektor in Kontrolle des „Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats“ befiehlt die Mobilmachung aller Reservisten mal eben Sonntagnachmittag per smartphone ueber seine persoenliche facebook-site. Ihr Problem: es ist trotz aller Anstrengungen für ukrainische Jugendliche nicht wirklich sexy, sich von einem Altfascho per facebook gegen ein „Russisches Feindvolk“ verheizen zu lassen, zu dem man ehrlicherweise allen offiziellen Indikatoren nach selber gehört.
10. Eskalationserfahrungen im Klassenkrieg zurück in die Verursacher*innenmetropolen tragen
Wir wollen mit deutschen, engagierten Beobachterinnen in Austausch kommen (: linksunten.indymedia.org/de/node/107451) Wir wollen lernen: Antifa-Arbeitstechniken, mögliche ergänzende Sichtweisen, nötige Korrekturen unserer jetztigen pragmatischen Parameter. Zu Urteilen nach der Internethetzte, die die ukrainischen Rechten binnen Minutenfrist gegen uns in Anschlag brachten müssen wir uns AUCH IN DEUTSCHLAND JETZT NACH MÖGLICHKEIT KONSPIRATIV TREFFEN. Nutzt nach moeglichkeit torprojet.org, vidalia, riseup.net, PGP, alte Post (besser in Umschlaegen – DIE werden fotographiert von allen 6 Seiten, das innere eher seltener). Nutzt Insidervokabular, um Inhalte für 3. Personen in der Leitung nicht-nachvollziehbar zu machen. Und nutzt die eineSache, die wir nie vergessen dürfen, die, worin unsere Stärke besteht:
die S-O-L-I-D-A-R-I-T-Ä-T.
Rotfront! – sie kommen nicht durch,
Euer Martin
*******************************
Rote Hilfe e.V. has opened bank account for emergency help to support anti-fascists against state and right-wing warlord repression in current Ukraine:
account no.: 56036239
BLZ: 260 500 01
at "Sparkasse Göttingen"
IBAN: DE25 2605 0001 0056 0362 39
BIC: NOLADE21GOE
mention: "Antifa Ukraine"
GE http://rotehilfegreifswald.blogsport.de/2014/03/02/unsere-solidaritaet-gegen-anhaltenden-rechten-terror-in-der-ukraine-rote-hilfe-e-v-richtet-spendenkonto-fuer-verfolgte-antifaschistinnen-ein/
Kiev: buergerlicher Protest, Donetsk: proletarischer
8% Lohn-Arbeiter im Kiever Majdanprozess, wie hier im Text zitiert, ist der Quellenlage nach eine reichlich schoenfaerbende Angabe(-;
Das offensive Atlantiker-Kartell
Ilko Kucheriv Democratic Initiatives Foundation (DIF)
konnte beim besten Willen nur 7% finden mit ihrem ganzen Fragebogenzirkus und SSPS-Auswertung.
(http://www.dif.org.ua/en/events/gvkrlgkaeths.htm )
In der Antifa-Offensive im Donetsk (Durchbruchserfolg letzte Nacht: ohne Putin, ohne Oligarchen) ist die Beteiligung von Lohnabhaengigen Arbeiterinnen und Arbeitern qualitativ und quantitativ wesentlich hoeher.
Rotfront aus Kiev
Stimme vom Antifa-Erfolg 5.5.2014 in Donetsk
linksunten.indymedia.org/de/node/107660