Nach dem 12. und 13. Februar 2014 muss eine selbstkritische Bilanz gezogen werden: Eine planlose Anti-Nazi-Mobilisierung wird dem Anlass nicht gerecht. Der 13. Februar in Dresden war für die antifaschistische Bewegung ein Pyrrhussieg: Der Erfolg bestand darin, dass Nazis am entscheidenden Tag und erstmals seit vielen Jahren gar keine eigene Veranstaltung in der Stadt durchführen konnten. Einen Misserfolg gab es jedoch am Vorabend, als 450 Nazis durch Dresden marschierten. Das ist dem “robusten” Polizeieinsatz und der katastrophalen Informationspolitik der Stadt zu verdanken.
Beides ist aus den Vorjahren bekannt. Dass Nazis auf Ersatztermine (und Ersatzorte) ausweichen, ist ebenfalls nicht neu. Unterschätzt wurde diesmal aber ihr Mobilisierung- und Organisierungspotential, das es erlaubt hat, einen Tag eher und in ungeahnter Zahl zu erscheinen.
Auflösung statt Intervention?
Vom Bündnis “Dresden Nazifrei” gibt es bis jetzt nur eine zerknirschte Kurzauswertung. Da heißt es etwas rätselhaft, der 13. Februar sei “ein guter Tag”, aber kein “eindeutiger Erfolg” gewesen. Die Unschärfe erklärt sich durch die ursprüngliche Erwartungshaltung des Bündnisses, dessen Sprecher noch unmittelbar vor dem 13. Februar den kühnen Gedanken lancierte, ob so langsam der Moment gekommen sei, das Bündnis aufzulösen. Jetzt, da die Nazis die Lust am Marschieren verloren hätten.
Die Vorfreude war und bleibt ganz unbegründet. Denn trotz allem werden Nazis wiederkommen, nicht erst, aber ganz sicher auch im Februar 2015. Sollte es “Dreden Nazifrei” dann noch geben, wird man die Mobilisierungsstärke der Nazis vorweg bestimmt akkurater einzuschätzen wissen als in diesem Jahr. Aber das ist im Grunde nur eine Nebensache. In der vergangenen Woche hat sich nämlich auch gezeigt, dass “Dresden Nazifrei” sein politisches Pulver verschossen hat: Da kommen am 13. Februar kaum Nazis in die Stadt, aber dann bleibt der einzige Ort unangetastet, an dem Nazis mit Sicherheit aufkreuzen würden: der Heidefriedhof.
Die große Anbiederung
in Berlin
Für viele Antifaschist_innen war die Situation absurd. Sie waren in der Stadt, wussten aber nicht, wohin. Diese Planlosigkeit muss sich das Bündnis “Dresden Nazifrei” zurechnen lassen. Es schreckt unter anderem vor der Erkenntnis zurück, dass viele Teilnehmende in der “Menschenkette” für Positionen einstehen, die Nazis teilen – Hauptsache, die Nazis sind nicht selbst dabei. Sogar das Kernstück der Anti-Nazi-Aktionen, der noch vor wenigen Jahren verbotene “Mahngang Täterspuren”, ist befriedet und ins offizielle “Gedenkprogramm” der Staat eingemeindet worden.
in Berlin
Der Punkt ist, dass “Dresden Nazifrei” mit diesem Kompromiss die eigenen politischen Grenzen, denen sie ihr “Standing” in der Stadt verdankt, immer enger zieht. Die größte Erfolgsmeldung des Bündnisses war kurz vor dem 13. Februar, dass Oberbürgermeisterin Helma Orosz “endlich” zu “Gesprächen” bereit sei. Die werden zwar doch erst im Folgejahr zustande kommen, aber unter “Erfolg” wird man sich auch dann noch etwas anderes vorstellen. Es waren Leute wie die Orosz, die Dresden als Aufmarschgebiet ebenso “kultiviert” haben wie die vielfachen Anschlussstellen für Nazis beim so genannten “bürgerlichen Gedenken”.
Die entschiedene Kritik daran, aus der die regelmäßigen Antifa-Mobilisierungen nach Dresden unter anderem hervorgegangen sind, bleibt heute völlig aus. Es scheint irgendwann und unbemerkt ein Schlussstrich unter die zeitweise sehr regen antifaschistischen Debatten zu diesem Thema gezogen worden zu sein.
Ritual schlägt Politik
Womöglich wird das Bündnis in seiner Nachbereitung feststellen, dass es in diesem Jahr weder linksradikale, noch so genannte “Massenaktionen” gegeben hat, auf die man sich bisher verlassen hatte. Das ist vielleicht ein Effekt der eigentlich anerkennenswerten Professionalisierung der Bündnisarbeit. Sie hat aber das Element der Selbstorganisation und damit ein “Essential” antifaschistischer Mobilisierungen weitgehend eingebüßt. Erst der Einbezug vieler Zusammenhänge, teils in bundesweitem Maßstab, die sonst kaum in einem Bündnis gesessen hätten, gab früheren Dresden-Mobilisierung den nötigen Schwung.
Früher fuhren Antifas nach Dresden, weil sich daran schon im Vorfeld ihr eigenes Engagement knüpfte. Heute dagegen fährt man üblicherweise nach Dresden, weil es ein Ritual geworden ist, das sich auf den Mythos vergangener Erfolge stützt. Das hatte man bisher lieber über die Gegenseite behaupten wollen. In diesem Jahr hat das noch junge Ritual durch ausbleiben in Berlinden Erfolg Schaden genommen und es hätte damit einen (absehbaren) Anlass und vielfach die Möglichkeit gegeben, es durch eine politische Entscheidung zu überwinden. Aber letztlich fuhren dann doch alle Busse planlos nach Dresden.
Wäre es nicht ein passender Konter auf die “Flexibilität” der Naziaktionen gewesen, ganz einfach nach Ballstädt oder Hoyerswerda zu fahren? Hässlich ist’s da auch.
Bleib mal aufm Teppich !
Jedes ausweichen der nazis, egal ob in Zeit oder im Ort ist deren Niederlage und wird von ihnen selbst auch so gesehen !
Nicht so einfach.
So einfach ist das auch nicht. Sicherlich ham die Nazis dadurch was einstecken müssen, weil sie durch ihre Aufmärsche ja u.a. "Stärke" demonstrieren wollen; das Ausweichen ist da verständlicherweise ein herber Rückschlag.
Trotzdem (relativ) frei aufmarschieren zu können entfaltet aber halt auch die Wirkung, die man sie davon verspricht: Es wird möglich, "das Eigene" kund zu geben.
endlich eine kritische auseinandersetzung
danke für den artikel. vielleicht kommt aus dresden selbst noch etwas, ich hoffe es zumindest.
sehr schön, wie die neigung zur ritualisierung des antifaschistischen events 13.2. aufgezeigt wird. ich hoffe mehr antifas widmen sich nun wieder radikalerer politik, wo jetzt doch endlich das potential der integration jede*r*m ins gesicht springt: "nazis raus" und rechte gedanken treffen sich in der menschenkette. ob blockieren oder nicht, ist nicht nur eine politische frage wenn es um kriminalisierte aktionsformen geht. wenn blockaden dazu führen, dass nazis sich einfach in die menschenkette integrieren, muss mal nachgedacht werden, was da schief läuft!
und wieder: gegen das spektakel von "protestevents"! für widerstand, der die bürgerlichkeit mit ihrer integrativen demokratie durchschaut.
Eindrücke aus Dresden
Ich habe seit 2009 die Entwicklung in Dresden mitverfolgt und bin ebenfalls froh, nicht der Einzige zu sein, dem die Orga-Defizite auffallen. Es gibt einfach ein paar Wahrheiten, die jedem, der sich kritisch mit Dresden auseinander setzt auffallen müssen:
-Dresden selbst ist politisch und gesellschaftlich tot. Seit 2009 hat die alternative "Szene" der Stadt zahlreiche Locations verloren. Darunter die durch den Naziangriff am 19.02.2011 bekannt gewordene "Praxis" sowie den "Elbfreiraum" in Pieschen. Auch von der Uni geht nach dem faktischen Auslaufen des kritischen Hörsaals "Pot81/kok16" kaum noch Aktion aus, die über das gewerkschaftsähnliche Einsetzen des STURA zu studentischen Angelegenheiten hinausgehen. Die Stadt drängt "Rand"-Kulturen von der öffentlichen Bühne und die bürgerlich-ruhebedürftige bis rechtsoffene Bevölkerung führt größtenteils einen Lebensstil, der sich am ehesten als moderner Biedermeier beschreiben lässt.
-Die radikale Linke in Dresden ist eine größtenteils sehr in sich geschlossene und subkulturell-elitäre Gruppe, die sich ihre Leute sehr gut aussucht und Menschen von außerhalb gegenüber sehr misstrauisch begegnet. Dazu gehört auch eine gewisse ideologische Abschottung sowie die etwas einseitige Fixierung auf eben jenen sagenumwobenen 13. Februar. Die Undogmatische Radikale Antifa versucht zwar seit ca. 2 Jahren, dem aktiv entgegenzuwirken, eine Verbesserung der Situation lässt sich aber für interessierte Aussenstehende bis dato nicht beobachten.
-Der 13. Februar inkl. Dresden Nazifrei hat durch die Teilhabe von Partei-Linken eine parlamentarische Dimension erhalten. Dies ist zum Einen auch von der Sachsen-CDU gewollt, (So versuchte Patrick Schreiber Anfang 2011, die Linksfraktion im sächsischen Landtag wegen den Nazifrei-Mobiplakaten des Aufrufs zu Straftaten anzuzeigen, erfolglos). Zum Anderen spiegelt sich dies in einigen Angewohnheiten von Dresden Nazifrei wieder. Der Aktionskonsens soll das positive Bild in der Öffentlichkeit wahren und das Bündnis ist bekannt dafür -direkt ausgedrückt- jeden noch so beschissen gelaufenen Demo-Tag hinterher als Erfolg hinstellen zu wollen. So geschehen auch dieses Jahr mit dem Ausweichen der Nazis auf den 12. Februar. Man fragt sich, warum das jemanden interessiert? Nazis sind mit Fackeln durch die Dresdner Innenstadt gezogen, ob sie das nun am 12., 13. oder 14.02. tun, sollte uns egal sein! Zumal einer der größten Erfolge des Bündnisses 2011 an einem 19. Februar stattfand. Auch hier geht es um Wählerstimmen und die Auseinandersetzung mit der CDU im Landtag.
-Eben jene verhinderte Nazi-Großaufmärsche 2010 und 2011, die DD Nazifrei nun gerne nostalgisch als Motivator benutzt, wurden eben deswegen verhindert, weil massiv Menschen von außerhalb zur Unterstützung angereist waren. Das weiss auch die Gegenseite und deswegen werden vor allem Antifaschisten von "Außerhalb" von der Staatsanwaltschaft Dresden versucht, zu kriminalisieren. Der 12. Februar 2014 hingegen hat gezeigt, was passiert, sobald die Mobilisierung auf beiden Seiten lokal stattfindet: etwa 600 Blockierer stehen 400 Nazis und 3000 Bullen gegenüber. Ein Infotelefon gab es nicht, genauso wenig wie einen verlässlich arbeitenden Ticker. Sobald die Leute von außen fehlen, geht in Dresden so gut wie alles in die Hose.
Trotzdem bemühen sich sämtliche örtliche Aktionsgruppen um ein Bild nach Außen, welches vorgibt, dass sie alles bestens im Griff haben und nichts besser laufen könnte.
Der ganzen Stadt würde einfach mehr Offenheit nach außen gut tun, und das gilt auch für dortige linke Gruppen!