Am Morgen des 16. Dezember 2013 warteten die AnhängerInnen der faschistischen Partei CasaPound Italia auf der Piazzale Clodio vor dem Sitz des Tribunale di Roma auf die Entlassung Simone di Stefanos, einem der beiden Vizepräsidenten CasaPound Italias. Der 36jährige Römer, der in diesem Jahr als Spitzenkandidat für die Kommunalwahlen in Rom und der Provinz Latium antrat, hatte über das Wochenende in der Arrestzelle des Polizeipräsidiums einsitzen müssen. Aufgerufen hatten seine AnhängerInnen unter dem Motto „Amare la nazione non è reato.“ - „Die Nation zu lieben ist kein Delikt.“ Als di Stefano aus dem Gebäude trat wurde er umjubelt und kündigte an, das CasaPound Italia weiterhin an den Protesten der (rechts)populistischen Bewegung Forconi teilnehmen würde.
Vorausgegangen war die Verhaftung Simone di Stefanos zwei Tage zuvor. Am 14. Dezember, war er zusammen mit ca. 100 weiteren Faschisten Casa Pounds in der via IV Novembre am Sitz der EU erschienen und hatte mit ihnen versucht den Außenbalkon der Parlamentsniederlassung zu erstürmen.
Ein großer Teil der Faschisten war mit Gesichtsmasken in den Nationalfarben angetreten und trug einen Strick mit Schlinge um den Hals. Sie bezeichneten sich als „gli italiani suicidati“, die selbstgemordeten Italiener, skandierten die Parole „Italia, Nazione, Rivoluzione“ - „Italien, Nation, Revolution“ und führten ein Transparent in den Nationalfarben mit auf dem „Alcuni Italiani non si arrendono!“ - „Einige Italiener haben sich nicht ergeben!“ stand. Sie stellten eine Leiter auf, an der di Stefano als Erster auf den Balkon zu gelangen versuchte. Die Besatzung des am EU-Gebäude stationierten Mannschaftswagen der Polizei schritt ein und versuchte die Erstürmung des Balkons zu verhindern. Dabei setzten die Polizisten Schlagstöcke ein und behinderten die weitere Aktion. Von der Leiter aus feuerte Simone di Stefano seine Anhänger an und forderte die Polizei dazu auf, die Aktion zu tolerieren. „Daje, pijatevela e annatevene.”- „Los jetzt, akzeptiert das und haut ab.“
Als di Stefano begann die Hoheitsfahne des EU-Parlaments zu demontierten drängten die Polizeikräfte die Faschisten ab. Und als di Stefano die EU-Fahne vom Balkon schmiss, jagten eine Handvoll Uniformierter die ca. 100 Faschisten die Straße hinab. Simone di Stefano wurde verhaftet und wegen schweren Diebstahls, Widerstand gegen Polizeibeamte und nicht angemeldeter Kundgebung (furto aggravato, resistenza a pubblico ufficiale e manifestazione non autorizzata) angezeigt. Am darauf folgenden Montag wurde er zu drei Monaten Gefängnis auf Bewährung und 100 Euro Geldstrafe verurteilt und aus der Haft entlassen.
Seit dem überschlägt sich CasaPound Italia in der Verurteilung der Justiz, tut sich selber leid und feiert sich als verfolgte (italienische) Unschuld. Die Faschisten sprechen von Unverhältnismässigkeit und Ungerechtigkeit, von juristischer Unterwerfung gegenüber Brüssel und einer „Diktatur der Eurokraten“. Kameradschaft erhält CasaPound Italia dabei von rechten Parteien wie z.B. „Fratelli d`Italia“ und rechten Medien. Gianluca Ianonne, der wegen Gewalttätigkeiten vorbestrafte Präsident von CasaPound Italia, attestiert in der Zeitung „il Tempo“ der eigenen Aktion Pazifismus, definiert sie zur symbolhaften Geste um und lamentierte über eine angeblich selten harte Repression.
Mit einem derartigen polizeilichen Vorgehen hatte CasaPound Italia anscheinend nicht gerechnet. Zu einem nicht damit, dass die Ordnungskräfte nicht bereit sind ein Regierungsgebäude mir Nichts, dir Nichts besetzen und das Hoheitsemblem entfernen zu lassen. Zum anderen nicht damit, dass die Ordnungskräfte in Rom dermaßen gegen sie vorgehen würden. Unter dem ehemaligen Bürgermeister und Post-Faschisten Giovanni Alemanno hatten sie von Mitte 2008 bis Mitte 2013 keine polizeilichen Einschränkungen zu fürchten. Ganz im Gegenteil. Alemanno hatte CasaPound Italia geradezu hofiert und war kurz davor ihnen ihren Hauptsitz in der via Napoleone III im Wert von ungefähr 11 Millionen Euro zu schenken.
Neben diesem polizeilichen Vorgehen hat CasaPound Italia noch eine weitere Niederlage zu verkraften. Eine die sich nach innen definiert. Das knapp 15 Polizisten rund 100 Faschisten verjagen kratzt gewaltig am Image der gewohnt militant auftretenden Squadristen und „Fascisti del terzo Millennio“.
Rund 20 Verletzte, drei Anzeigen sowie ein vorbestrafter Spitzenkandidat. Das ist kein gutes Aktionsergebnis. Erwartet war eine erfolgreiche PR-Aktion bei der die EU-Fahne durch die italienische Trikolore ersetzt werden sollte. Angesichts des offensichtlichen Misserfolg ihrer provokanten Aktion versucht CasaPound Italia aus ihrer Niederlage noch Kapital zu ziehen. Nun aber nicht mehr im Helden-, sondern im Märtyrer-Modus.
Der eigentliche Sinn und Zweck der Aktion war es gewesen sich parallel der Mobilisierung der (rechts)populistischen Bewegung „I Forconi“ ins Gespräch zu bringen und sich kurz vor deren italienweiten Kundgebung am 18. Dezember auf der Piazza di Popolo in Rom als Speerspitze zu präsentieren. Daraus wurde somit Nichts. Ebenso erging es den Forconi. Aus der vollmundig angekündigten italienweiten Massendemonstration der Forconis wurde eine kleine Kundgebung. Rund 3.000 DemonstrantInnen sollen sich auf der Piazza del Popolo am 18. Dezember eingefunden haben. Aufgestockt durch ein paar Hundert CasaPound Italia - AnhängerInnen.
Die Forconi - („Mistgabel“) Bewegung, ist eine sehr heterogene Bewegung aus Bauern, LKW-Fahrern, mittelständischen Geschäftsleuten, Kleinunternehmern, Bauarbeitern, Rentnern, Arbeitslosen, StudentInnen, etc.. Sie existiert seit ca. 2 Jahren und war zuerst eine protektionistisch-regionalistische Bewegung auf Sizilien. In der letzten Zeit breitete sie sich über vielfältige Aktionen in ganz Italien aus. Kundgebungen, Besetzungen und Blockaden gegen Arbeitslosigkeit, Benzin-, Mietpreis- und Steuererhöhungen, Bürokratie und Politikerprivilegien, sowie gegen Liberalisierungen und Armut im Allgemeinen fanden statt und erhielten ein breites Forum in den Medien. Dabei richtete sich viel Wut gegen die geplanten Einsparungen unter der neuen Regierungskoalition des Premierminister Enrico Letta und den Spardiktaten der EU. Bezeichnend für die junge populistische Bewegung sind die massive Verwendung der italienischen Nationalfahne, das Absingen der Nationalhymne und die teils offen rechten bis antisemitischen Töne, die (regionale) Sprecher der Forconi anschlagen. Ein Sprecher aus dem Piemont wetterte z.B. das Italien „Sklave jüdischer Banken“ sei. Dies hat die Forconi zum Ziel extrem rechter Gruppierungen und Parteien gemacht, wie z.B. der Forza Nuova unter Roberto Fiore oder der CasaPound Italia. Was aus dieser sehr heterogenen populistischen Bewegung wird ist abzuwarten. Nicht nur von ihrer politischen Qualität, sondern auch ihrer Quantität. Denn parallel zu ihrer Demonstration am 18. Dezember demonstrierten lokale MieterInneninitiativen mit ungefähr 10.000 Personen in Rom. Dagegen wirkte die italienweite Demonstration der Forconis eher schmalbrüstig.
Nichtsdestotrotz werden die derzeitigen Kundgebungen der Forconi vom Bundesvorstand der NPD-Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten, als Revolution ausgeschrieben. Mit dem CasaPound Motto „Italia, Nazione, Rivoluzione! - Eine Revolution wird verschwiegen“ erging sich das Goslarer Bundesvorstandsmitglied der JN, Pattrick Kallweit, über die Vorgänge in Italien und Rom. Sein Blick auf Italien ist mehr als verzerrt, sehr populistisch und durch die Brille der CasaPound Bewegung geworfen. Das Erscheinen des Artikels zeigt aber ein weiteres Mal auf welches Interesse JN-Strukturen am europaweiten Austausch und Ideologietransfer, besonders nach Italien, entwickelt haben.
An der Politik der CasaPound Italia wird sich hingegen Nichts ändern. In der Zeitung „il Tempo“ ließen Gianluca Iannone und Simone di Stefano wissen, was sie von der EU hielten. Iannone empfand den Sitz der EU-Kommision als „in der Tat das Hauptquartier einer wirtschaftlichen Besatzungsarmee“ und di Stefano sprach von der EU-Flagge als Blauen Lappen. „Ein blauer Lappen und keine Flagge der Völker Europas, sondern das Banner derer, die versuchen, sie zu versenken. Ich habe das getan, weil Italien rief und noch ruft: auf dem Spiel steht die Nation und der Staat, wie sie uns von denen die vor uns gewesen sind übergeben wurde.“
Für die passende Produktion „starker“ Bilder, Ton- und Filmmaterials, sowie deren Verbreitung sorgen unterdessen die hauseigenen Medien, die Blogs, Facebook Seiten, das Zentropa-Netzwerk, das Radio Bandera Nera, die eigene Internetzeitung und weitere Medien. Um deren Ausbau hat sich in den letzten 10 Jahren die faschistische Sozialbewegung/Partei CasaPound Italia ebenso erfolgreich bemüht, wie um den Aufbau personeller, informeller und organisatorischer Strukturen.
Mittlerweile geht CasaPound Italia in sein elftes Jahr und begeht dieser Tage seinen 10. Gründungstag, der offiziell auf den Tag der Besetzung in der via Napoleone III fällt, den 26.12.2013.
Aktion am Sitz der EU-Kommission:
La Republica, 14.12.2013: Blitz alla sede Ue, vicepresidente CasaPound arrestato per furto bandiera
Freilassung nach dem Prozess von Simone di Stefano:
La Republica, 16.12.2013: CasaPound, Di Stefano: ''Mercoledì saremo in piazza''
La Republica, 16.12.2013: Blitz CasaPound, Di Stefano: „La bandieraUe non ha valore“
CasaPound Italia auf der Demo der Forconi (18.12.2013)
Forconi: Casa Pound arriva in Piazza de Popolo
http://video.corriere.it/forconi-casapound-arriva-piazza-popolo/597d3d5c-6801-11e3-963a-2749949921b5
CasaPound Italia und Alba Dorata
Wie sich CasaPound Italia ein Europa der Völker vorstellt hat sie unlängst wieder unter Beweis gestellt. Am 29. November 2013 suchte sie demonstrativ den Schulterschluss mit der nazistischen Alba Dorata, der Goldenen Morgenröte aus Griechenland und lud zu einer Pressekonferenz in das Casa Pound in der via Napoleone III in Rom. Dort erläuterten der geladene Ex - Chrysi Avgi-Abgeordnete, Sprecher des Parteisekretärs und Mitglied des Zentralrats der Goldenen Morgenröte, Apostolos Gkletsos, und Konstantinos Boviatsos, Verantwortlicher des Radio Bandiera Nera Hellas, des Radioprogramms CasaPounds in Griechenland, die Politik der Goldenen Morgenröte. Der Saal im Hauptquartier war voll mit Mitgliedern und Anhängern CasaPounds. Darunter Ex-Mitgliedern der terroristischen Terza Posizione.
Sie bekamen das zu hören was sie erwarteten und applaudierten zahlreich zu Sätzen wie: "Alba Dorata difenderà la Grecia e tutta l'Europa dai musulmani. Lo abbiamo fatto nella storia e continueremo a farlo". - „Die Goldene Morgenröte verteidigt Griechenland und ganz Europa gegen die Muselmanen. Das haben wir schon in der Geschichte gemacht und werden es auch weiterhin.“ „I nostri militanti Georgios e Manolis uccisi dai terroristi di sinistra sono degli eroi per tutta la razza bianca". - „Unsere Kameraden Georgios und Manolis wurden von linken Terroristen ermordet. Sie sind Helden der weißen Rasse.“ Und "Ci hanno definito associazione a delinquere, ma nonostante abbiano arrestato il nostro leader Michaloliàkos con false accuse e falsi testimoni, la nostra battaglia continua". „Sie haben uns eine kriminelle Organisation genannt, aber trotzdem sie unseren Führer Michaloliàkos unter falscher Anklage und mit gefälschten Aussagen inhaftiert haben geht unser Kampf weiter.“
Und Andrea Antonini, der zweite Vizepräsident CasaPound Italias, gab zum Besten: ''Con Alba dorata, che non consideriamo una organizzazione criminale, condividiamo l'area geografica, il programma politico e forse anche il destino'' - „Mit der Goldenen Morgenröte, die wir nicht als kriminelle Organisation ansehen, teilen wir die geografische Region, das politische Programm und vielleicht auch das gleiche Schicksal.“
(Quelle: La Republica, 30.11.2013;
CasaPound e i greci di Alba Dorata: "Abbiamo lo stesso programma e un destino comune"
http://www.repubblica.it/cronaca/2013/11/30/news/casapound_alba_dorata-72314134/?ref=HREC1-13
CasaPound: „Abbiamo lo stesso programma politico di Alba dorata“
Mehr zu CasaPound Italia, das Zentropa-Netzwerk und ihre deutschen Adepten kann man hier lesen:
Casa Pound Italia, Mussolinis Erben
Unrast Verlag
ISBN 978-3-89771-536-3
(http://www.unrast-verlag.de/vorankuendigungen/casa-pound-italia-detail)
DU willst links sein, Heiko??
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danke für den artikel
Ich habe den Artikel mit Interesse und Gewinn gelesen - der Kommentar hingegen ist reichlich geistlos in Form und Inhalt. Wer links sein will, sollte andere Ziele haben als Leute anzublaffen, die von ihrer Arbeit leben können möchten oder müssen. Ich hoffe ja immer noch, diese verkürzte Kapitalismuskritik kommt irgendwann mal aus der Mode...
Übersetzung
WIR HABEN UNS UMGEBRACHT. JETZT SIND WIR ZURÜCKGEKOMMEN.
Die Banken sind gescheitert, Europa will Milliarden Euro um sie zu retten, die Politik hat die Rechnung auf uns ausstellen lassen, wir haben es nicht geschafft.
Wir waren Unternehmer.
Wir waren Arbeiter.
Wir waren Arbeitslose.
Wir waren Rentner.
Wir waren Italiener.
Während ihr uns ohne Hoffnung gelassen habt, habt Ihr uns sogar die Unterhosen gestohlen.
Die Schuldigen sind auf Montecitorio, die Schuldigen sind in Brüssel, die Schuldigen haben die Verträge unterschrieben, ohne je nach unserer Meinung zu fragen. Sie haben alles genommen, sie haben uns keinen Ausweg gelassen.
Wir sind zurückgekommen, um zu zeigen, dass wir uns unsere Nation zurücknehmen können. Zusammen, vereinigt, die Toten und Lebendigen, wir werden wieder ein souveränes Volk sein.
Die italienischen Selbstmörder.
Lesenswertes Interview
Lesenswertes Interview mit dem piemontesischen Politprofessor Marco Rivelli zu den neuen Sozialprotesten und der extremen Rechten in Italien: https://linksunten.indymedia.org/de/node/102330
Marco Rivelli:
http://it.wikipedia.org/wiki/Marco_Revelli
Chrysi Avgi, CPI und Subkultur
Die Verbindungen der griechischen Faschisten zu ihren italienischen Kameraden sind (trotz historisch weniger Gemeinsamkeiten) seit Jahrzehnten sehr eng. Sie offenbaren sich seit Jahren neben gemeinsamen 'Märtyrern' vor allem im subkulturellen Kontext auf gemeinsamen Musikfestivals (u.a. über BH-Strukturen) und der Unterstützung durch Nazi-Hoolgruppen (bspw. Lazio Rom und Hellas Verona), die ja jeweils von Casa Pound unterwandert bzw. instrumentalisiert werden. Jedoch war bis vor kurzem Casa Pound weniger interessant für die Chrysi Avgi, u.a. auch, weil sie eine enge Zusammenarbeit mit Fiores Forza Nuova pflegt, die viel institutionalisierter auftritt als die bewegungsförmige CPI. Dass diese Verbindungen auch aufrecht erhalten bleiben, zeigte sich kurz zuvor bei einer Konferenz in Moskau, wo sich unter der Regie russischer Ultranationalisten Nick Griffin (BNP), Roberto Fiore (FN) und Artemis Matthaiopoulos (Chrysi Avgi) auftraten, wo u.a. den Holocaustleugnern Zündel und Mahler Solidarität ausgesprochen wurde.
Chrysi Avgi agiert auf sehr unterschiedlichen Ebenen und hat das Potential sowie das Vorgehen der CPI gerade zur Mobilisierung Jugendlicher und subkultureller Zusammenhänge jüngst gewürdigt. Autonome Nazigruppen in Griechenland werden so auch wieder enger an der Chrysi Avgi gebunden. Nicht zufällig ist daher auch, dass solche Besuche von national wie international als anerkannte Persönlichkeiten aus dem Blood and Honour Spektrum durchgeführt werden: Gletsos spielte als Tolmis88 in der Band Hellenic Stompers und Matthaiopoulos in der Band Pogrom
Links zu Casa Pound Italia
ARTE Journal - 26. März 2010
"Casa Pound" - Kulturzentrum der Rechtsextremen
http://www.arte.tv/de/casa-pound-kulturzentrum-der-rechtsextremen/3121260,CmC=3121568.html
ARTE : Italien - die hilfsbereiten Neofaschists der Casa Pound Bewegung
http://www.youtube.com/watch?v=SV_XfQwChX8
http://www.arte.tv/sites/de/yourope-de/2012/07/14/italien-die-hilfsbereiten-neonazis-der-casa-pound-bewegung
Mussolinis Enkel "Casa Pounds" rechte Jugendzentren in Italien [3Sat]
http://www.youtube.com/watch?v=cMhMEVSBqnU
Mussolinis Enkel
"Casa Pounds" rechte Jugendzentren in Italien
(07.03.2011, Giulia Basile, Kulturzeit)
Inmitten des Migrantenviertels Esquilino in Rom befindet sich einer der symbolträchtigsten Orte des italienischen Neofaschismus: Hier hat sich die "Casa Pound" als Zentrum der Bewegung etabliert. Simone di Stefano ist der Gründer der Organisation, die mit einem Mix aus neofaschistischer Gegenkultur und ideologischer Propaganda in Jugendkulturzentren um sich greift.
"Ein Volk von Dichtern, Künstlern, Helden, Heiligen, von Denkern, Wissenschaftlern, Seefahrern, Weltreisenden": So steht es in römischen Lettern an Mussolinis imposantem sechsstöckigen Weltausstellungs-Palast im Süden Roms, am legendären EUR. Diese Verknüpfung von Kunst und Faschismus hat heute in der Caput Mundi wieder seine jugendlichen Verfechter. Casa Pound heißt das wohl aktivste Jugendzentrum der Neofaschisten in der Nähe des Bahnhofs Termini, ausgerechnet im Migrantenviertel Esquilino. Hier ist Mussolini kein Tabu: "Mussolini ist für uns ein Vater", sagt Simone di Stefano, Mitbegründer von Casa Pound. "Er ist der Vater unserer Heimat Italien, so wie wir sie heute kennen."
In der Grauzone der Legalität
Angefangen hat Casa Pound 2003 mit der Besetzung eines leerstehenden Wohnhauses. Inzwischen leben hier 26 italienische Familien. Casa Pound, das alternative "Centro Sociale" mit dem Symbol der Schildkröte, hat in der Grauzone der Legalität Wohnraum geschaffen. Die Hausbesetzung, das Aufbegehren gegen absurde Mietforderungen in Rom und der Kampf gegen Immobilienspekulation - eigentlich die sozialtypischen Themen der Linken - sind erfolgreich das Terrain von Casa Pound geworden. "Die Schildkröte ist ein Tier, die ihr Haus immer mit sich trägt", sagt Adriano Scianca, Kultursprecher von Casa Pound. "Und da Casa Pound im Kampf um den Wohnraum entstanden ist, war das eine ganz intuitive Entscheidung. Die oktagonale Form mit acht Ecken hatte schon Plutarch im römischen Reich oder Friedrich II. mit seinem Castel del Monte."
Die geschickte Verknüpfung von Kultur und Politik ist das Erfolgsrezept von Casa Pound. In nur zwei Jahren wuchs die Bewegung um mehr als 1000 eingeschriebene Mitglieder in ganz Italien mit mehr als 50 Büros. In einer 24 Stunden-Hotline kümmern sie sich neben Wohnraum um Arbeit, Steuer und Gesundheit. "Blocco Studentesco" heißt ihre Studentenorganisation mit einem straff organisierten Kulturprogramm aus wöchentlichen Podiumsdebatten und Lesungen. "Pound" heißen sie, weil sie sie sich auf den US-Schriftsteller Ezra Pound berufen. Der ging 1920 nach Italien und wurde ein glühender Propagandist Mussolinis. "Wucher ist Sünde", war sein Credo. Und auch hier gibt man sich gern als Saubermänner. "In den von uns besetzten Häusern gibt es klare Regeln", so Simone di Stefano. "Es gibt keine Waffen in unseren Wohnungen, keine Personen, die etwas mit Prostitution zu schaffen haben."
Theater soll die rechte Botschaft verkünden
Ihr eigenes Theater ist das "Teatro Non Conforme", mit engem Bezug zur futuristischen Avantgarde um Filippo Tommaso Marinetti. Die Regisseurin Cristina de Lucia nimmt dafür in Kauf, mit nichtprofessionellen Schauspielern zu proben, denn die ideologische Übereinstimmung ist hier wichtiger. Es herrrschen Ekstase und Energie alla Marinetti. De Lucia sagt, es gehe nicht darum, "Regeln zu akzeptieren und Kompromisse zu machen, nur um berühmt zu werden, und nicht, weil dir das am Herzen liegt und du eine Botschaft vermitteln willst. Denn das Theater ist gemacht, um eine Botschaft zu verkünden. Für uns liegt die in der Aktion, der Schönheit der Aktion. Die Besetzung von Casa Pound ist eine Aktion, die einer starken Sehnsucht entspringt."
Wie sehr Casa Pound inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, erkennt man an dem Buch "Nessun dolore" des Strafverteidigers von Casa Pound, Domenico de Tullio. Sein Werk über alternative Jugendkulturen der Rechten war noch in einem kleinen Verlag erschienen. Doch die Geschichte um einen 18-jährigen Aktivisten von Casa Pound wurde nur wenige Tage nach Erscheinen schon zum dritten Mal aufgelegt. Einer der renommiertesten Verlage Italiens, der Rizzoli Verlag, publizierte es.
Buchhandlungen, Rockband, Kulturzentren
"Rizzoli ist auf Casa Pound zugegangen, weil sie dieses Buch haben wollten", sagt der Autor. "Das Interesse ist vom Verlag ausgegangen. Um das Phänomen Casa Pound kennenzulernen und weil sie positiv davon angetan waren, haben sie sich entschlossen, ein Buch darüber zu machen." Allein zehn Buchhandlungen in Rom, ein Shop mit Devotionalien, eine in Italien unter Jugendlichen populäre Rockband und eine tägliche Radiosendung: Das alles zeigt, wie professionell sich dieses "alternative" Kulturzentrum der Rechten in Italien ausbreitet.
"Seit einigen Jahren hat der Faschismus sein ganz eigenes Innenleben", sagt Simone di Stefano. "Früher gab es innerhalb der Parteien unterschiedliche politische Strömungen, die sich auch in nationalen Bewegungen wiederfanden. Heute haben diese politischen Ausrichtungen aufgehört, innerhalb der traditionellen Parteien zu existieren. Heute befinden sich diese Strömungen alle innerhalb von Casa Pound und haben eine viel radikalere Vision als irgendeine klassische Bewegung oder eine Partei von rechts." In Rom, wo der Mussolini-Balkon am Palazzo Venezia demnächst wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll, ist eine explizit revisionistische Erinnerungspolitik schließlich auch kein Tabu mehr.
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/152484/index.html
Un Due Tre Stella : CATERINA GUZZANTI: VICHI DI CASA POUND E LA XENOFOBIA
http://www.youtube.com/watch?v=o8r2n-wFlWg
Un Due Tre Stella : CATERINA GUZZANTI: VICHI DI CASA POUND
http://www.youtube.com/watch?v=ceud1y0Oy7k