Der NSA-Skandal - Rückblick und Ausblick (Teil II)

Not loving NSA

Seit dem Erscheinen des ersten Beitrags dieser Reihe haben sich die Ereignisse überschlagen: Der australische Staatsbankrott, die Entführung des bolivianischen Staatsflugzeugs, der Militärputsch innerhalb des ägyptischen Staats, die Niederlage des nordamerikanischen Terrorstaats im syrischen Propagandakrieg uvm. Am einschneidendsten dürfte wohl der Verlust der wirtschaftlichen Führungsrolle gewesen sein. All das sind Anzeichen dass unter der Last der permanenten Systemkrise die Zentralmacht ins Torkeln geraten und der Thronfall in greifbare Nähe gerückt ist.

 

Die Reaktionen des NSA-Regimes lassen dabei als zentrales Motivationselement die Taktik der verbrannten Erde erkennen – d. h. eine Kapitulationsaushandlung ist damit ebenso wenig möglich wie mit einem Atomreaktor. Gleichwohl reicht dies nicht aus um dem verstaatlichten Verbrechen Einhalt zu gebieten – die Trägheit der Dummheit und die Trägheit der Macht sind eng verwandte Phänomene. Gäbe es dort intelligentes Leben, dann wäre statt weiterer Spitzeltätigkeit ein strategischer Rückzug zu verzeichnen. Doch der kapitalistische Apparat ist hinsichtlich der moralischen Wertung seiner Taten blind, und das von der existentiellen Totalität seines Einsatzes erregte Kapital gemäß der Marx´schen Überlieferung wahnwitzig und tollkühn, so dass es zu dem grenzwertigen Irrationalismus kommt welcher charakteristisch für kollabierende Unterdrückungssysteme ist: Das bereits von seinen Rivalen übertroffene Terrorregime dringt in bislang unantastbare Lebensbereiche vor weil es dort geringeren Widerstand vorfindet als im Wettbewerb mit seinesgleichen, wodurch sich Dauer und Heftigkeit seines Absterbens zu Lasten der Allmende erhöhen. Das Ende wirft seine Schrecken voraus.

 

Das Scheitern der nordamerikanischen Pazifikdoktrin, versinnbildlicht im Fluchtweg des zu niemand Bestimmtem übergelaufenen NSA-Agenten, war nicht prognostiziert doch ist unbestreitbar plausibel, schließlich handelt es sich um eine Erscheinung welche bereits dem geschilderten Ausbeutungsverlagerungsszenario entspringt: Hier wurde vergeblich versucht wettzumachen was zuvor gegenüber der europäischen Ahnenkultur verspielt worden war. Das Scheitern des Machtzentrums hat schon jetzt Selbstbezüglichkeit erlangt. Prognostiziert waren hingegen die Unfähigkeit zum Ablass, die Infantilisierung der Rechtfertigungsideologie, die Eskalation der Robotermorde und die offizielle Hilflosigkeit angesichts der digitalen Zivilisationskatastrophe, doch eingetreten ist darüber hinaus noch ein Zusammenbruch der diplomatischen Ausweichstruktur. Es könnte also sein dass die Aussicht auf ein Ende der Staatsgewalt näherliegender ist als die Alltagssituation vermuten lässt, erweist sich die Prognose auch in anderer Hinsicht als allzu zurückhaltend.

Ebenso unvorhergesagt war die Flugzeugentführung, welche nicht innerhalb der Maschine ansetzte sondern sich dazu der Flugsteuerung am Boden bediente. Es wurde gar nicht erst abgewartet dass der Geflüchtete Länder benennt die wegen Befangenheit ohnehin nicht als Zufluchtsländer in Betracht kommen oder ausdrücklich erklärt nicht mit der Penetration spezifischer Angriffsziele befasst gewesen zu sein. So wäre es beispielsweise zu erwarten wenn ein ausstiegswilliger Agent gegen Russland tätig gewesen war und im Arbeitsalltag mangels gefährlicher Staatsgeheimnisse etwa die Musikgewohnheiten des Botschafters zum Gespött zu machen versuchte, dass diese Person sich hinsichtlich dieses Zufluchtslandes für befangen erklärt. Dazu konnte es bei Snowden nicht kommen, und ob die derartigen Erklärungen zuvorkommende Entführung auf eine entsprechende Befangenheit hinsichtlich Kolumbiens deutet ist durch die Eskalation bedeutungslos geworden.

Die hiesige Spekulation mit der dann doch nicht seriösen Zufluchtsaussicht lenkt vor allem von den hier bestehenden Problemen ab: Wie sicher wäre ein Geflüchteter vor dem (zweit-)übelsten Repressionsapparat der Welt in einem Land wo geheimpolizeiliche Personenverschleppungen stattgefunden haben, wo sich amerikanische Militärstandorte befinden, auch solche die nicht aus alten Kriegen zu rechtfertigen sind? Welches Geflüchtete in Lager sperrt um vorauseilend jede Vorstellung von Gastfreundschaft zu zerstören? Das darüber hinaus diejenigen die dasselbe getan haben, nämlich den menschenverachtenden Behörden den Rücken gekehrt, am liebsten kreuzigen würde? Wo die offizielle Verarbeitung geheimpolizeilicher Skandale eine lachhafte Passionsspielinszenierung jenseits jeder abwägenden Gerechtigkeit darstellt?

Snowden würde unter diesen Bedingungen vielleicht zunächst einem Landesteil zugewiesen werden wo sich keine Militärbesatzung befindet. Dann müsste die ersatzlose Schließung der Militärstandorte vollzogen werden um tatsächliche Exterritorialität zu gewährleisten. Die könnte jedoch auch ohne den zusätzlichen Bedarf zum Schutz der Person vor repressiven Zugriffen stattfinden. Dass es die Notwendigkeit dazu gibt zeigt die zwischenstaatliche Reibung die sich anhand des Bekanntwerdens gegenseitiger, oder genauer gesagt einseitiger Bespitzelung untereinander nachvollziehen lässt. Durch ihre Entfremdung von der zugrundeliegenden Erwägung ob dieses Land überhaupt über gesicherten Raum verfügt der dem Alarmgeber bereitgestellt werden könnte, bzw. wie solcher zu schaffen ist, wird die Asyldebatte realitätsfern. Nicht Positivgründe müssen vorgestellt werden sondern ggf. eine klare Antwort auf die Frage warum denn nicht?

Die Gefälligkeit des Schwächeren kann als Argument nicht genügen, denn dabei gerät der Zweck der Flucht in Vergessenheit, die Beendigung durch nichts zu rechtfertigender Zustände. Oder weiß das Regime in Berlin mehr über eventuelle Befangenheiten Snowdens als es einräumt? Dann befände es sich in einer Bringschuld selbige zu benennen. Und überhaupt, was wäre gewesen, wäre dieser getreu dem Motto vom nackten Mann der sich nicht in die Tasche greifen lässt sehenden Auges das Risiko eingegangen einen Zwischenfall nicht zu überleben? Ein weiterer amtlicher Mord an einem Geflüchteten bzw. einer überzüchteten Polizeimentalität Unzugänglichen hätte an den Menschenrechtsberichten nicht viel geändert. Bekanntlich wird das Prinzip der Treibjagd erst transparent sobald nicht mehr nur die Treiber sondern auch die Jäger wahrgenommen werden. Hätte in dem Fall die österreichische Neutralität so versagt wie die der Schweiz im Libyenfeldzug, wäre die nationale Flugsteuerung dann zu einem Verkehrsflugplatz erfolgt oder zu einem derzeitigen Militärgelände?

Die Gegner wie Befürworter einer Zufluchtgewährung haben es gleichermaßen versäumt über die notwendigen Voraussetzungen für einen solchen Schritt zu sprechen, und wie diese zu bewerkstelligen sind. Dazu gehören die sofortige irreversible Auflösung aller Kapazitäten der sogenannten "nuklearen Teilhabe", die unverzügliche Räumung aller Militärstandorte welche nicht unmittelbar territorialbezogene Aufgaben wahrnehmen, die kurzfristige Schließung aller Dienststellen ohne völkerrechtliche Ratifikation, sowie der mittelfristige Rückbau der Organe des Alliertenmandats auf Null wie in einzelnen Besatzungszonen bereits erfolgt und die langfristig wirksame allseitige Entmilitarisierung. All das ist Voraussetzung um dem Geflüchteten überhaupt ein seriöses Angebot machen zu können und außerdem auch ohne dieses wünschenswert, denn die Emanzipation von der Korruption durch ein Besatzungsbudget ist angesichts dessen fragwürdiger Absichten ohne jeden Zweifel die ehrlichste Entsagung. Erst wenn keine blutgetränkte Kaufkraft mehr eine wirtschaftliche Versuchung darstellt ist in der Frage der Zuflucht überhaupt eine freie Meinungsäußerung möglich.

So kann schlussendlich der bisherige Mangel an plausibler Argumentation seitens des lokalen Staats und seiner Apologeten nur als Anzeichen von totaler Kollaboration mit lediglich machtpolitischer Rivalität gegenüber dem amerikanischen Apparat gedeutet werden bzw. die inhaltliche Ergebnislosigkeit des Diskurses als Bestätigung der Vermutung dass es gelungen ist eine Faktenlage zu schaffen in der es unbestreitbar ist dass die Vasallen der Zentralmacht gegenüber nicht nur hilflose Befehlsnotständler sondern auch gewissenlose Komplizen sind. Es ist schon gar nicht mehr erforderlich nachzuvollziehen wo der abtrünnige Systemverwalter gerade seine Häme verspritzt um die allseitige Schuldhaftigkeit der Staatsapparate zu erkennen, die selbst so weit reicht dass sie gelegentlich einen der ihren opfern um sich gegenseitig zu stärken.

Wahrscheinlich darf die Flugzeugentführung mit all ihren Implikationen als primärer Auslöser für die russische Interimslösung angesehen werden. Hier hat der verbissen um sich schlagende NS-Apparat eine diplomatische "gelbe Linie" überschritten und sich selbst von seinen engsten Rivalen isoliert. Aus der europäischen Sicht wurde eine Chance verspielt die Flugbelastung zu reduzieren, wenigstens in der Nachtruhe. Doch so weit denkt das Kollaborationsregime nicht. Dies belegen anschaulich die ins Leere zielenden Übersprunghandlungen im Rahmen seiner Ermächtigungen. Das in der Position des Vasallen dazu geeignete Instrument ist die formelle Verweigerung des Überflugrechts für die Täter damit nicht demnächst die "rote Linie" – dasselbe gegen Einheimische – erwartet werden muss. Der prüfende Blick in den Abgrund des Verrats lässt keine dementsprechenden Bestrebungen erkennen. Folglich ist im deutschen Fall eine Schuldidentität zu befinden.

Das belegen auch die politischen Folgen in Ägypten und Syrien. Die aus der Eindämmung gegen die NSA-Diktatur resultierende antiemanziptorische innere Militarisierung dieser Gesellschaften hätte sich ja auch nach oben richten können wie bei Che Guevara, und statt blutige Repression gegen die Menschen in den Städten auszuüben stattdessen den Marinetransit im Suezkanal in den Focus rücken oder die Militärbesatzung in Kurdistan. Gegen Atomuboote in der Schleusung wäre der unheimliche Aufmarsch der blutrünstigen Operettenjunta wenigstens mutig und eine reine Machtdemonstration gewesen, und gegen deutsche Soldaten auf dem Territorium des ersten Weltkriegspartners selbst Sarin völkerrechtlich nicht bedenklicher als der Morgenthauplan. Doch die Krawatten und Uniformen gleichen mehr denen der NSA-Verbrecher als einem anständigen Menschenbild. Besonders markant ist dabei die politisch-ökonomische Analyse der in diesen beiden Fällen widergespiegelten Kurzschlussreaktionen. So wie die bloße Vorstellung Snowden könnte unter dem eisernen Vorhang der Spitzelaffäre hindurchschlüpfen dazu führte dass eine militärische Befehlshierarchie ausgelöst wurde wie einst die Wahrnehmung einer Namensgleichheit zur Deportationen nach Guantanamo, so resultieren die Sarintoten aus einem Alltagsspektakel welches Massaker dieser Größenordnung als Fortpflanzung seiner Übersprunghandlungen normalisiert wie unmittelbar zuvor in Kairo geschehen.

In dieser durchaus zweifelhaften Übersprungleistung könnte die Erklärung dafür liegen weshalb die NSA-Bespitzelung nicht ausschließlich wirtschaftlichen Interessen dient. Diese sind zwar ihr Leitmotiv und stärkstes Moment, doch da wo sie an Bedeutung verlieren kommen oftmals einander widersprechende ideologische Interessen hinzu, und so kann es dazu kommen dass eine von wirtschaftlicher Verwertung angetriebene Bespitzelung sich in Abwesenheit materieller Erträge als leeres ideologisches Rechtfertigungskonstrukt fortsetzt welches lediglich noch den Zweck verfolgt einer rückwirkenden Richtigstellung auszuweichen. Materielle Gier ist dabei von zentraler Funktion, doch dazu gesellt sich unergiebige ideologische Niederträchtigkeit von beträchtlichem Aufwand, der anscheinend sicherzustellen bemüht ist dass die materielle Gier sich erneut aufrichten kann wann immer sie niedergeworfen ist. Dennoch bringt die Flugzeugentführung nordamerikanischen Konzernen die nach bolivianischen Bodenschätzen gieren keinen nachvollziehbaren Vorteil, in ihrem Motivationscocktail sind diese von der zum Selbstzweck kollabierten Menschenjagd nach dem Alarmgeber übertrumpft.

Es ist die altbekannte geschichtspolitische Singularität bzw. der historische Exzeptionalismus welche auftreten sobald die dysfunktionalen Apparate von Staatlichkeit und Wirtschaftlichkeit die Grenzen der definierbaren Zweckrationalität überschreiten und sich in der Illusion wähnen sich einen Idealismus unterordnen zu können. In der von der Bespitzelung in den Tätern hervorgerufenen Allmachtsphantasie kommt es zu einer totalen Enthemmung welche regulative Mängel unmittelbar zum Tragen kommen lässt. Wähnen sich Überwacher in der Vorstellung ein Angriffsziel durchschaut zu haben, vermeinen sie im Rahmen der Bespitzelung Muster zu erkennen welche sie glauben lassen sich darüber ermächtigen zu können, dann zeigt sich das wahre Gesicht der menschenverachtenden Apparate bzw. der Personen die sie darstellen, und da die Gier ihre Haupttriebkraft ist greift dieser Wahn öfter ins Leere als nicht. Immer wieder neue Anläufe von betriebsblindem Versuch und Irrtum widerlegen sich oftmals gegenseitig, während gleichzeitig eine technisch betriebene Selektion des Bösen die Eskalation vorantreibt. Die von der entsprechend den hierarchiebedingten Störungen erwarteten Struktur des Möglichkeitsraums abhängige spezifische Skrupellosigkeit ist dabei das bestimmende Merkmal des Reflexes.

Derartige Vergewaltigungen der Vernunft hat es in der Geschichte schon gegeben, doch gleicht die aktuelle Situation mehr dem vorletzten als dem letzten Jahrhundert, denn es gibt keine geeignete Ersatzmacht die einen bösartigen Apparat substituieren könnte. Um die geistig-moralische Wertung der NSA-Diktatur und ihrer Vasallenregimes zu bezeichnen mangelt es an tragfähigen historischen Präzendenzsituationen – selbst Kaiser- und Führertum erscheinen gemessen an den Aussichten was dieser Apparat vor seinem Ende noch anrichten könnte als vergleichsweise geringfügige Übel. Wie auch die Gegenstände der unzureichenden Geschichtsbilder steht der NSA-Komplex in der Situation, beides gleichermaßen zu sein – Krankheit und Verbrechen. Das Leiden der Gesellschaft darunter ist eindeutig zu befinden, doch ebenso die Mutwilligkeit der Untäter. Die Tatmotive des NSA-Regimes mögen Dummheit und Ignoranz sein, doch das entbindet nicht von der Dialektik des Verursacherprinzips.

Dass es überhaupt zu einer derartigen Bespitzelung kommen kann ist Symptom einer übergeschnappten Gesellschaft – die Vorräte gehen zur Neige und die Plünderung eskaliert, die Widerständigkeit wächst doch die Ausbeutung verschärft sich, die Grenzen der Anständigkeit wurden niedergetrampelt doch die Unterdrücker wähnen sich im Recht. In einer derartigen Situation kommt es zu einer Mumifizierung der obsoleten Hierarchien – der absterbende Staat versucht sich überall hineinzufälschen, nicht nur dann wenn ihm dies einen Nutzen verheißt sondern auch dort wo kein solcher mehr als Rechtfertigung dienen kann. Dagegen hilft es dann nur noch jedwede hoheitliche Hinterlassenschaft sauber zu verbrennen, doch statt ihres Todbringers beseitigt die übergeschnappte Gesellschaft ihre Lebensgrundlagen.

Um den Ernst der Lage zu begreifen muss sich der Blick wohl erst vom erlöschenden Kokelfeuer zu Füßen des dahinsiechenden ideellen Gesamtkapitalisten zu dem über aller Köpfen aufflammenden wenden – die Sonne hat einen ganz einfachen Vorschlag was aus der Situation zu machen ist: Sobald es gelingt die kriminelle Energie des Apparates ins Innere seiner Atomruinen zu verlagern, dann teilen zwei Probleme ihre gegenseitige Lösung. Für Passiv- und Aktivwähler können nicht dieselben engen Strahlungsgrenzwerte gelten wie für Menschen. Das Gebot des gesunden Menschenverstands um der diesmal nicht apokalyptisch-spektakulären sondern alltäglich-schleichenden atomaren Massenvernichtungsdrohung mit einem Senkrechtstart der Ausstiegsbemühungen zu begegnen ist die radiologische Triage.

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Respekt... bist/seit du/ihr Verpeilt. Das hab ich bis jetzt noch nicht geschafft und ich bin mitte dreißig.

Der "australische Staatsbankrott"? Nie was von gehört.