Nato-Gipfel : Zur Praxis des schwarzen Blocks

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Der folgende Text ist eine Übersetzung des kurz nach den Gipfelprotesten in Straßburg auf indymedia Grenoble erschienen Artikels 'OTAN en emportent les black blocs'. Er unterstreicht die Notwendigkeit militanten Widerstands. Er wurde (erstaunlicherweise) zu großen Teilen in der 'linksliberalen' Tageszeitung Libération unter dem Titel 'Black blocs, théorie de la lutte de casse' in ihrer Wochenendausgabe vom 18./19. April 2009 abgedruckt.

 

Was der Schwarze Block so alles mit sich bringt...
[Der Originaltitel 'OTAN en emportent les black blocs' ist ein Wortspiel, das sich nicht wirklich ins deutsche übersetzen lässt.]

1. Was in Strasbourg passiert ist, war relativ vorhersehbar und unabwendbar. Nichtsdestotrotz kommt es wie immer nach militanten Gipfelprotesten zu einem Aufschrei der Empörung von Parteien jeglicher Richtung, man beschuldigt sich gegenseitig, den KrawallmacherInnen freie Hand gelassen, sie gar ermutigt zu haben, oder noch schlimmer, aus dem Hintergrund die Fäden gezogen zu haben. Alle Parteien, auch die eher links zu verortenden, stimmen dann ein in einen Sicherheitsdiskurs, der sich implizit oder explizit darauf stützt, dass die Polizei militanten Aktionen machtlos gegenüberstehe.

Letztendlich ist es die immer gleiche Inszenierung der von allen geteilten Meinung: für die UMP (rechte Regierungspartei Sarkozys) wie für die PS (Sozialistische Partei), für Attac wie für die Front National (extreme Rechte) ist es undenkbar, dass die Menschen wütend genug sind, um sich aus eigenem Willen einer aufständigen Praxis widmen. Sie müssen zwangsläufig manipuliert sein.

2. Was auch schon im Juli 2001 nach den Ausschreitungen anlässlich des G8-Gipfels in Genua gesagt wurde, wiederholen wir jetzt: um unserer Revolte Ausdruck zu verleihen, brauchen wir niemanden, der uns erst auf die Idee bringt. Als wir am 4. April in Straßburg Schaufenster eingeschlugen und Gebäude, die Staat und Kapital dienen, in Brand steckten, Überwachungskameras und Werbetafeln zerstörten und die Polizei angriffen, haben wir das nicht getan, weil eine obskure Organisation uns dazu verleitet hätte: wir haben uns aus freien Stücken dafür entschieden.

3. Dass wir so leichtes Spiel hatten, liegt daran, dass wir mehrere hunderte, vielleicht sogar mehrere tausende waren (der berühmte 'internationale Schwarze Block').
Es liegt auch daran, dass die Bullen nicht gänzlich Roboter sind. Sie sind Menschen, auch sie können es zum Beispiel mit der Angst zu tun bekommen.
Und in einer 'Demokratie', auch in der von Sarkozy, ist es nicht ratsam, DemonstrantInnen zu töten. Denn um die Aufruhr zum Schweigen zu bringen, könnte die Polizei auch schießen. Und zwar andere Geschütze als Tränengaskapseln, Schockgranaten und Gummigeschosse ... Am 8. April 2009 erklärte Luc Chatel, Regierungssprecher, dass es 'eine Priorität der Regierung gewesen [sei], dass es keine Toten gibt'. Weil sich ihre 'Demokratie' noch nicht wirklich bedroht fühlt.

4. Dass wir nicht anderswo als in den armen Hafenvierteln von Straßburg haben aktiv werden können, liegt daran, dass wir weder die Stärke noch die nötige Raffinesse hatten, in die Innenstadt zu gelangen. Die Polizei und die Armee haben die 'Rote Zone' (die Innenstadt und die bürgerlichen Viertel) geschützt. Selbstverständlich wären wir in den reichen Vierteln bedrohlicher gewesen... Aber auch so sind ausschließlich Geschäfte und institutionnelle Gebäude angegriffen worden. Der Besitz der AnwohnerInnen ist nicht beschädigt worden. Wir kämpfen gegen die Herrschaft, nicht gegen die Beherrschten.

5. PolitikerInnen und die Medien versuchen, die Menschen im Schwarzen Block als 'nihilistische und blutrünstige Randalierer' darzustellen. Aber unsere politische Praxis besteht nicht nur aus Zerstörung (ebenso wie unser Leben nicht nur aus dem Schwarzen Block besteht, der sich zeitlich auf den Kontext von Demonstrationen beschränkt).
Die Menschen im Schwarzen Block und andere DemonstrantInnen unterstützen sich oft gegenseitig solidarisch bei Konfrontationen mit nötiger Selbstverteidigung gegen und in der Flucht vor der feindlichen Polizei. Oft entsteht eine spontane und anonyme Solidarität, authentisch in dem Sinne als dass im Gegenzug nichts erwartet wird.

Zwei Welten treffen hier aufeinander: auf der einen Seite DemonstrantInnen, die für ihre Überzeugungen, ihre Wünsche, ihre Wut und für ein besseres Leben auf die Straße gehen. Auf der anderen Seite vereidigte Beamte, die aus Zwang und Gehorsam dort sind, für Ordnung und Geld, sie sind dafür bezahlt, die Wut der anderen in Zaum zu halten und sollen so wenig wie möglich selbst darüber nachdenken, was sie eigentlich machen.

6. Was auf dem Nato-Gipfel besprochen wird, betrifft uns alle. Die post-kolonialen Kriege der westlichen Mächte sind zum Kotzen und der Krieg gegen die 'Feinde im Inneren' ebenso. Kontrolle der Bevölkerung, Regelung der 'Migrationsströme', Verstärkung der Repressionsorgane, Ausweitung von Überwachung und Datenspeicherung: das alles sind die Dinge, gegen die wir uns auflehnen.

7. Für die Herrschenden ist es von zentralem Interesse, die kapitalistische 'Demokratie' weiterhin als einzige mögliche Gesellschaftsform durchzusetzen. Und trotz der Scheißleben, die wir führen, trotz des aktuell ins Wanken geratenen Kapitalismus, müssen wir feststellen, dass revolutionäre Perspektiven weit entfernt und schwer vorstellbar scheinen. Trotzdem muss die [...] Resignation unserer Zeit nicht den Endpunkt darstellen. Es ist schon ein Ziel, sich durch politischen Widerstand und gegenseitige Hilfe vom Kapitalismus zu emanzipieren. Diese Emanzipation steht dann vor der Einsicht, dass sie nicht einfach neben oder außerhalb der kapitalistischen und staatlichen Herrschaft existieren kann.

8. Weil wir wissen, dass eine andere Welt nicht ohne die Überwindung des weltweiten Systems der kapitalistischen 'Demokratie' möglich ist, und dass 'alle herrschenden Klassen ihre Privilegien immer aufs hartnäckigste verteidigt haben' (Rosa Luxemburg, 1918), ist es für uns nicht problematisch, Zerstörung und Chaos zu sähen (um es in der Sprache der Medien auszudrücken). Ganz im Gegenteil scheint uns das noch zu wenig. Revolutionäre Veränderung ist nicht ohne spürbares Kräfteverhältnis möglich. Es ist an den Beherrschten, die neuen Grundlagen des Zusammenlebens zu aufzubauen, ohne auf die Zustimmung der Herrschenden zu warten.

9. Die letzten Jahre waren gekennzeichnet von Aufständen, die den Regierungen Angst machen: die Aufruhr in den armen Vierteln im November 2005, die Bewegung gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) im Frühling 2006, der militante Widerstand gegen die Wahl von Sarkozy 2007, die StudentInnen und SchülerInnen-Bewegung von 2007-2008 und schließlich die Aufstände in Griechenland.

Wenn sie über diese Bewegungen und auch den Schwarzen Block schreiben, richten die Medien ihr Hauptaugenmerk auf das Alter der Beteiligten: die Revolte wird als Jugendphänomen und Generationenkonflikt abgetan (mit allen dazugehörigen Bemerkungen wie: 'ihr werdet sehen, in zehn Jahren habt ihr das alles vergessen und seid resigniert wie alle anderen auch.')
Wir denken, dass diese Sicht der Dinge ein große Gefahr birgt. Ein Aufstand kann nicht nur die Jugend betreffen (eine Revolution noch weniger), sondern er muss, wie der Klassenkampf, von allen getragen werden können, jenseits der Unterschiede von Alter, Herkunft, Hautfarbe, Gender, Geschlecht, Beruf und ähnlichem. Und mit dem vollen Bewusstsein für die Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse, die sie mit sich bringen. 

10.  Ausgehend von der Erkenntnis, dass es nicht reicht, friedlich zu demonstrieren, um Herrschaft umzustürzen, egal wie viele wir sind, wissen wir auch, dass es nicht reicht, zu einigen tausend die Polizei anzugreifen und Besitz von Staat und Kapital zu zerstören. Mit mehreren Millionen würde das schon anders aussehen. Lasst uns gemeinsame Praxen des Widerstands aufbauen und verbreiten, konkrete Solidaritäten, Handlungen außerhalb des herrschenden Rechts und revolutionäre Perspektiven... Ein ganzes Programm, um mit der alten Welt und den Technologien einer schon jetzt ungenießbaren Zukunft Schluss zu machen.

Von einigen 'Randalierern' einer Bezugsgruppe, die im Schwarzen Block am 4. April in Straßburg aktiv war.

 

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titel: aus der niederlage lernen! ein vorschlag nach den enttäuschenden protesten gegen den nato-gipfel

mehr dezentrale aktionen - weniger massendemokonzept