Einführung: Am 9. Dezember 2013 folgten Menschen, ob als Individuen oder Delegierte von Bezugsgruppen, dem Aufruf der „Einladung zum offenen Treffen für Selbstorganisierung“ [1] und kamen im Mehringhof (Berlin-Kreuzberg) zu einer offenen Versammlung zusammen. Wir hoffen, dass die Gefährt_innen, welche zu diesem Treffen aufriefen, das dabei entstandene Protokoll in den kommenden Tagen veröffentlichen, welches wohl einen besseren Eindruck dieses ersten Treffens bieten würde, als wir dies hier könnten.
Angetrieben von diesem ersten Treffen, wollen wir als Gruppe die Gelegenheit ergreifen, einige Aspekte des autonomen/anarchistischen Organisierens in Berlin und speziell der Form der Versammlung, zu reflektieren. Wir wollen eine mögliche Rolle vorschlagen, welche solche Versammlungen in unseren Kämpfen spielen könnten. Wir sind uns einig, dass wir eine Ebene der Organisation benötigen, welche größer ist als Bezugsgruppen und dennoch loser und weniger definiert als Kampagnen zu Teilbereichskämpfen oder formelle Organisationen. Es bedarf eines Mittelweges zwischen diesen beiden und daran mangelt es im Moment.
Wir wissen, dass derzeit viele Diskussionen innerhalb kleinerer Gruppen oder sozialer Kreise feststecken. Wir müssen einen Weg finden, die unterschiedlichen Fragen und Themen, über die sich all diese Gruppen den Kopf zerbrechen, kollektiv zu diskutieren. Wir wollen wissen, mit welchen Problemen und Fragestellungen andere kämpfen und wir wollen wissen, was ihr zu unseren denkt.
In den letzten Jahren gab es viele neue positive Richtungen in anarchistischen/autonomen Kämpfen in Berlin. Wir sehen in den jüngsten Aufrufen für offene Treffen konstruktive Bemühungen, auf die weit verbreitete Unzufriedenheit und Frustration über die Demo- und (anti-)politische Kultur in dieser Stadt einzuwirken.
Wir haben auch mit Freude und Aufregung die Eskalation der Taktiken und einen offensichtlichen Anstieg in der Stärke und dem Reichtum von auf Bezugsgruppen basierender Aktionen in den vergangenen Jahren bemerkt. Wir denken, dass dies vielleicht durch eine Kombination mit einer dichter gewobenen Organisation an der Basis gestärkt werden könnte, sodass diese kleineren Gruppen ermutigt sein mögen von einem realen, statt einem imaginierten Sinn der Zugehörigkeit zu einer größeren Bewegung.
Im Besonderen die Bewegung gegen
Gentrifizierung hat in Berlin gezeigt, wie Militante und
Nachbarschaftsinitiativen eine Vielseitigkeit an Taktiken der
Direkten Aktion nutzen, um sowohl konsequent Räumungen zu
verhindern, als auch eine sich gentrifizierende urbane Landschaft
anzugreifen (z. Bsp. die Berliner Liste).
Obwohl wir immer gerne mehr bezüglich der internationalen Solidarität sehen, gab es eine ordentliche Darbietung der internationalen und inter-städtischen Solidarität in Berlin, welche sich bemühte, aktive Verbindungen zwischen den aktuellen Zirkulationen der Kämpfe, welche überall in der Welt stattfinden, zu entwickeln.
Wir waren auch erfreut über die
Rückkehr der Praxis der Besetzung in Berlin und den wiederholten
Bruch der Berliner Linie. Stillestraße, Ohlauerstraße,
Oranienplatz, Cuvrybrache, die Eisfabrik... diese Räume bieten
Anderen Inspiration und Ermutigung für die offene Besetzung
leerstehender Gebäude, öffentlicher Plätze und leerem Land.
Während die neoliberale Stadtentwicklung ihren enträumlichenden
Streifzug durch Berlin fortsetzt, steigen Räume der Verweigerung
empor und fordern diese todgeweihte Vision der Stadt heraus, andere
mögliche Welten zusammenbringend.
Entlang all dieser positiven Entwicklungen, bleiben bestimmte andauernde Kritiken an den anarchistischen Milieus in Berlin bestehen. Wir finden das Vertrauen auf subkulturelle Identitäten bleibt noch immer zu vorherrschend. Damit sagen wir weder, dass wir die Referenzen unserer autonomen und radikalen Kultur aufgeben, noch dass wir die Subkultur verlassen sollten, um „in die Massen einzutreten“. Es kann von Nutzen sein, sich selbst als Teil eines sichtbaren und bemerkbaren Milieus von Dissident_innen und Unruhestifter_innen zu fühlen. Dennoch kann das Vertrauen auf politische Identitäten für eine Anzahl an Gründen problematisch werden. Zum Einen können sie zur Begrenzung werden, welche das Ausbreiten von Kämpfen über eine bestimmte Gruppe hinaus einschränkt, wenn sich Außenstehende auf Grundlage des Alters, Styles etc. ausgeschlossen fühlen. Auch gibt es das Risiko, eine „linken Identität“ in oberflächlicher Art anzunehmen, als eine Clique, einen Lifestyle oder ein Aussehen, Demos und Soliparties zu konsumieren, während diese Identität von jeglichem antagonistischen Inhalt entleert wird. Wo auch immer diese sich erlaubt, von dem Kampf gegen das uns umgebende Gewebe der Großstadt und der Destabilisierung dessen losgelöst zu werden, verfällt autonome Kultur in einen hohlen Alternativismus, welcher das Gleiche mittels einer Fassade ästhetisierter Abweichung maskiert.[2]
Auch wenn die Geschichte der
Autonomen-Bewegung der Vergangenheit weiterhin Inspirationen und ein
seltenes Gefühl der Kontinuität der Entwicklung autonomer
Strukturen in Berlin bietet, denken wir, dass diese Geschichte heute
auch eine Last sein kann für dieradikalen Bewegungen in dieser
Stadt. Während die glorreichen Tage der Autonomen-Bewegung vorerst
verstrichen sind, agieren einige Leute weiterhin mehr oder weniger
im kognitiven Raum ihrer Identität, sich auf ihre Symbole, Mythen,
Lieder, Slogans und Parolen berufend. Wieder einmal - auch wenn es
vielleicht tröstet und ermutigt – kann diese Identität in eine
Richtung funktionieren, die mehr heterogene, dynamischere und
offenere Formen der sozialen Erkennung blockiert, welche vermutlich
besser in der Lage wären, dem Staat gegenüber unlesbar zu
sein und indem sie zu Unterschieden statt Homogenität tendieren,
sie für den Staat schwieriger sind zu befehligen, organisieren,
erfassen und mit Repression zu belegen. Dinge am Leben zu erhalten,
welche einst funktionierten, ist nicht das Schlechteste, doch wir
haben das Gefühl, dass es oftmals die oberflächlichen Aspekte
dieser Traditionen sind, welche bewahrt werden. Wir denken, dass
bspw. die einst besessene schlagkräftige Kultur der offenen
Treffen bedauerlicherweise verloren gegangen ist.
Gleichzeitig haben wir die Einschätzung, dass Berlins radikale Szene den einzigartigen Status im nördlichen Europa hat, groß genug zu sein, um bereits allein für sich eine soziale Kraft darzustellen und wir gehen davon aus, dass sich dies noch erweitern wird, da immer noch mehr aktive Anarchist_innen und Autonome von woanders in dieser Stadt ankommen.
Innerhalb der letzten Jahre hat sich „die Szene“ geografisch betrachtet weitaus mehr verbreitet, da die involvierten Leute sich über die größeren Gebiete von Neukölln, Treptow, Wedding etc. verbreitet haben. Diese Aufteilung ist an sich kein Problem, da es bedeutet, dass Aktionen an mehreren Orten auftauchen und sich radikale Infrastruktur und Einflussnahme über die Stadt verteilen. Doch es gibt ein Risiko von Isolation und Zersplitterung, wenn Organisation und Kommunikation nicht mehr in regelmäßigen, informellen Treffen eine Basis finden, basierend auf geografischer Nachbarschaft und der Art von Beständigkeit, welche bestimmte Orte, wie bspw. der „Dorfplatz“ der Szene einst boten. Diese Zerstreuung muss mit einer erhöhten Koordination innerhalb und zwischen unterschiedlichen Nachbarschaften begegnet werden und wir sehen offene Treffen als einen Schritt in diese Richtung.
Vielleicht am Wichtigsten ist es, dass
wir sehen, wie ein großer Teil der „linken Szene“ in Berlin
eine Konsumhaltung bzgl. Demos und anderen Aktionen aufrechterhält:
hinkommen und dann erwarten, dass andere die „Dinge ins Rollen
bringen“. Die Grundlage auf welcher diese Attitüde
ermöglicht wird, ist die praktische Separation zwischen einem
kleinen Kader aktiver Menschen, welche organisieren und planen und
der großen Mehrheit, welche passiv dran teilnimmt, ohne diese
Ereignisse als ein Resultat der eigenen Selbstorganisierung zu
erleben.
Wir haben auch bemerkt, dass die
Berliner Polizei zunehmend erfolgreich darin ist uns zu leiten und
zu kontrollieren, während gleichzeitig eine Eskalation vermieden
wird. Wir benötigen Räume über unsere unmittelbaren Kreise
hinaus, um unsere Beobachtungen der sich ändernden
Polizeistrategien und wie wir ihren Bann brechen können, zu teilen.
Zum Beispiel scheint es, als hätten die größten
Mobilisierungen und militantesten Straßenkämpfe in der letzten
Zeit eher als Defensive, denn als Angriff stattgefunden. Ohne Frage
zirkuliert ein weitaus entschlossenerer Geist – mensch braucht nur
an die Räumung der Liebig 14, die Räumung der Familie Gülbol in
Kreuzberg, die Unruhen während des Polizeikongresses, die Menschen
auf der Straße rund ums Camp am O-Platz oder die jüngste Explosion
der Aktionen in Hamburg zu denken. Doch all diese Ereignisse waren
eine Reaktion auf eine Bedrohung oder Attacke und als solche haben
sie als Hintergrund eine bereits prekäre und bedrohte Existenz,
heißt: der gewohnte und konstante Angriff auf unsere Leben und
Freiheit durch Staat, Kapital und institutionalisiertem Rassismus.
Die neuesten Veränderungen in den Polizeitaktiken, nach welchen sie
anstelle ihrer üblichen fortwährenden Präsenz Demonstrationen in
den Seitenstraßen begleiten und nur in ausgewählten Momenten
intervenieren, sind nur ein Aspekt davon, wie die Herrschaft ihr
Auftreten und ihre Strategie ändert. Wo er erfolgreich ist, hält
Widerstand die Möglichkeit aufrecht, das Existierende zu
demaskieren, es in all seiner Grausamkeit erkenntlich zu machen.
Doch damit dies passiert, ist es nötig es unseren Feinden unmöglich
zu machen, uns Zeit und Raum unserer Kämpfe zu diktieren. Obwohl
dies weder eine neue noch eine simple Frage ist, bleibt sie
heutzutage so wichtig wie bisher. Einige scheinen eine Antwort auf
diese Frage in der Eskalation ihrer Taktiken gesucht zu haben.
Spektakuläre Sabotageakte und Sachbeschädigungen passierten in den
letzten Jahren in Berlin, darunter effektive Unt
erbrechungen wie die Sabotagen an den Zugstrecken, welche mit nur einer Hand voll Freund_innen möglich sind. Obwohl es mehrere Direkte Aktionen gab, die aufeinander aufgebaut haben, scheinen sie dennoch isoliert geblieben zu sein, sie wurden nicht aufgenommen von einer Masse Subversiver und sogar missverstanden von Menschen, von denen sonst Sympathie erwartet wird. Wir denken dass umfassendere Diskussionen – z. Bsp. bei offenen Versammlungen – die Akzeptanz und Annahme solcher eskalierten Aktionen erhöhen und dabei helfen können, diese weiter zu streuen, indem sie in einem Raum diskutiert werden, welcher über die eigenen Freundeskreise und Bezugsgruppen hinausgeht. Wir haben Sympathie für effektive Sabotage auf großem Level und für mehr kompromisslose Selbstbefriedigung unserer Lüste und Sehnsüchte, doch wir denken dass dies solange keine Gefahr darstellen wird, wie diese Ideen und Praxen darin versagen, zu zirkulieren. Wir glauben nicht, dass es ein Zufall oder ein Anzeichen eines willkürlichen Autoritarismus ist, dass die Repression so hart zuschlug nach den Attacken auf Bullen am Kottbusser Tor, welche in Solidarität mit den Kämpfenden in der Türkei stattfanden oder den koordinierten Angriffen auf Jobcenter und den Hauptsitz der SPD während des verlängerten 1. Mai 2013. Wir denken dies lag daran, dass es die Realisierung dieser Aktionen offensichtlich macht, dass Menschen zusammen gekommen sind, ihre Situationen diskutiert und aufständische und umstürzlerische Beziehungen zwischen sich kreierten, welche über eine Reaktion hinaus und in Richtung eines offensiven Angriffs hinaus gingen. Dies ist die Gefahr, vor der unsere Feinde Angst haben und genau das ist es, was wir nach vorn drängen wollen. Wir denken, offene Versammlungen sind eines der Werkzeuge dazu.
Der Bedarf nach offenen Versammlungen als Räume der Selbstorganisierung:
Wir würden den jüngsten Aufruf und das Treffen für Selbstorganisierung gern als erste Schritte in Richtung einer Entwicklung einer generellen Kultur der offenen Versammlungen sehen, anstatt als erste Schritte zur Entwicklung einer weiteren Institution oder schlimmer, Organisation. Unsere Hoffnung für die langfristige Perspektive ist, Versammlungen auf unterschiedlichsten Ebenen Gewohnheit werden zu lassen (z. Bsp. in Nachbarschaften, stadtweit etc.). Es bedarf mehr offener Orte für Diskussionen auf allen Ebenen: vom Teilen unserer theoretischen Ideen und Analysen der aktuellen Situationen in Berlin, zur Koordination konkreter Aktionen wie dem Verbreiten von Gegeninformation, Demonstration usw. Manchmal müssen wir über tiefere und kompliziertere Fragestellungen diskutieren; in anderen Zeiten sind es sehr konkrete Dinge, die von uns diskutiert werden müssen. Die eher theoretischen Diskussionen betreffend denken wir, dass sie am hilfreichsten sind, wenn sie eine bestimmte Form annehmen, in welcher wir unsere theoretischen Überzeugungen anhand der Analyse von spezifischen Kämpfen und Demonstrationen, Kampagnen und ihren Grenzen etc. testen. Beispielsweise denken wir, dass es cool ist, dass du ein insurrektioneller nihilistischer Queer bist, doch inwiefern beeinflusst diese Perspektive deine Analyse zu den Geschehnissen der letzten 6 Monate rund um den O-PLatz? Wie hast du dich beteiligt oder warum hast du eine Beteiligung vermieden? Theorie sollte sich selbst entlang der Strategie prüfen und eine Strategie ist nur so stark wie die Prinzipien, denen sie dient, aktualisiert werden.
Doch die Fähigkeit, für all diese
Diskussionen Zeit und Raum zu haben bedeutet, dass diese Versammlung
mehr als nur ein monatliches Treffen werden muss. Wir müssen sie
eher verallgemeinern, müssen sie als eine Form nutzen, welche
bestimmten Umständen angemessen ist. Wir brauchen kein
alleinstehendes stadtweites offenes Treffen, welches nach einem
regelmäßigen Plan abläuft. Eher benötigen wir als Bezugsgruppen
(oder lose Zusammenhänge) eine Gewohnheit, nach welcher wir
Initiative ergreifen und zu offenen Treffen aufrufen, wenn wir das
Gefühl haben, wir sollten Ideen mit Anderen in einem offenen Raum
austauschen, anstatt in den Abgrenzungen unserer herkömmlichen
sozialen und politischen Kreise.
Für uns scheint die Entwicklung solch
einer Praxis zum jetzigen Zeitpunkt aus unterschiedlichen Gründen
wichtig zu sein. Vielleicht der wichtigste ist, dass sich zumindest
in unserer Wahrnehmung Kämpfe in Berlin zuspitzen. Die
Krisenpolitiken beginnen uns auch hier mehr und mehr zu betreffen.
Dies macht es zunehmend wichtig für besonders Jene von uns, welche
dem Kapital, dem Staat und der Herrschaft in all ihren Formen
entgegenstehen, unsere Fähigkeit zusammen zu handeln zu erhöhen,
Räume aufzubauen, in welchen wir untereinander organisieren können
und mit Anderen reden können, die nicht zufriedengestellt sind von
den reformistischen Lösungen, welche als Antwort auf unsere
Probleme präsentiert werden. Das heißt Versammlungen zu bilden,
welche sowohl Treffpunkt für diejenigen von uns sein können,
welche sich bereits innerhalb des autonomen/anarchistischen Milieus
bewegen, als auch Treffpunkt für solche, die kämpfen und nach
Wegen außerhalb den von der institutionalisierten Linken
präsentierten suchen.
Aus unserer Sicht wird dies zunehmend
wichtig wenn wir die bestimmte Dynamik in Berlin beachten, eine
Stadt, in der mehr und mehr Radikale von außerhalb Deutschlands
jeden Monat ankommen, getrieben von der ökonomischen Krise als auch
politischer und sozialer Repression. Diese Menschen bringen
unterschiedliche Kampferfahrungen, neue Ideen und organisatorische
Formen mit sich und es ist wichtig Strukturen aufzubauen, welche
jenen, die noch nicht lange in Berlin sind, einen Startpunkt
ermöglicht, ohne vorher das komplizierte Gewirr der autonomen
Institutionen und all die sozialen Eigenarten der Szene verstanden
haben zu müssen. Offene Treffen können zu einem Teil solch eine
Infrastruktur bieten.
Genauso wie die Krisenpolitiken sich
in Berlin zunehmend bemerkbar machen, blühen langsam die
dazugehörigen Ideen von Revolte und Widerstand nicht nur bei denen
auf, die bereits zu anarchistischen Gedanken gewechselt sind,
sondern auch bei alteingesessenen Anwohner_innen. Unruhen in sich
gentrifizierenden Nachbarschaften, Streiks von Geflüchteten und
Gespräche mit Betrunkenen in Bars, welchevon Allem genug haben, all
dies zeigt uns, dass es mehr Gefährt_innen außerhalb der
anarchistischen/autonomen Milieus gibt. Auch hier können offene
Treffen ein Grundstein einer Infrastruktur für diese neuen aktiven
Gefährt_innen sein, wo sie schnell Verbindungen mit einer Vielzahl
an Kämpfen knüpfen und die Isolation brechen können, welche
oftmals durch die Limitierungen der Kämpfe, die nur in bestimmten
Nachbarschaften oder Bereichen der Bevölkerung stattfinden,
auferlegt wird. Sie bieten auch einen Raum an dem neuere Stimmen
gehört werden können, außerhalb der üblichen Grenzen von
Kampagnen zu Teilbereichskämpfen. Wir haben uns oft gefragt, ob
sich eine starke Kultur der Versammlungen nur in einem Kontext
generalisierter Revolten entwickeln kann, so wie wir es in
Griechenland oder Spanien sehen. Wie kann dies außerhalb eines
solchen Kontextes gelingen? Wir können diese Frage nicht konkret
beantworten und wir können auch nicht den Erfolg vorhersehen, mit
welchem sich eine Versammlungskultur in dem relativen „sozialen
Frieden“ in Berlin entwickeln könnte. Doch aus unseren
Erfahrungen von außerhalb Berlins und aus dem, was wir von
Gefährt_innen von anderen Orten gehört haben, können wir
feststellen, dass die erfolgreichsten Versammlungen während der
gesteigerten Perioden der Revolte diejenigen waren, die bereits
einige Zeit vor dem Ausbruch dieser Revolten stattfanden.
Solche Treffen können uns auch dabei
helfen, andere Perspektiven auf die aktuelle Demokultur zu erhalten.
Welche Erwartungen oder Gefühle hatten wir, als wir an
Demonstrationen teilnahmen? Welche Art von Dingen hätten wir gern
währenddessen getan oder gesehen, doch fühlten uns nicht dazu in
der Lage? Wenn wir herausfinden, dass es Anderen ähnlich ergeht
oder die Dinge gern in eine ähnliche Richtung sich entwickeln sehen
würden, dann fühlen wir uns vielleicht selbst sicherer darin,
auszubrechen, neue Formen der Praxis zu finden, wissend, dass Andere
es nicht ablehnen werden und sich vielleicht sogar zu uns gesellen
würden.
Letztendlich konstituieren solche
Versammlungen eine wichtige strategische Komponente, welche uns
bisher in unserer Praxis fehlt. Wenn bspw. die Reaktion auf die
Durchsuchung der Rigaer94 am 14. August 2013 der Aufruf zu
einer Versammlung in der selben Nacht gewesen wäre, anstelle der
unangemeldeten Demo, hätte dies Leuten womöglich Zeit gegeben,
etwas weitaus Interessanteres als das Geschehene zu organisieren.
Gefährt_innen der Rigaer kamen bereits zu einem ähnlichen Punkt,
als sie schrieben:
„Wir, als R94, unterstützen die Initiative und Anregung, in den Fällen von Razzien und Repressionsschlägen, am selben Tag zu einer bestimmten Uhrzeit eine Vollversammlung zum Informationsaustausch und zur Besprechung der weiteren Vorgehensweisen abzuhalten. Nach unseren Einschätzungen und Erfahrungen aus der Razzia ist es wichtig, schnellstmöglich einen Informationspool zu schaffen, in welchem, soweit möglich, sachlich die Fakten solcher Ereignisse zusammengetragen werden können. Wir halten die Idee eines gemeinsamen Treffens für sinnvoll, damit ein Informationsfluss gewährleistet werden kann, der unabhängig von digitalen Medien, einzelne Personen und Gruppenzusammenhänge erreichen kann. […] Es ist halt nervig gerazzt zu werden und anschließend noch eine Sponti vorzubereiten. Mit Hilfe solch eines Treffens können wir Aufgaben besser verteilen und insgesamt vorausschauender planen.“ [3]
Wir müssen eine Situation schaffen,
in welcher die Planung ein aktiver Prozess wird, an dem sich Andere
und mehr Gruppen beteiligen. Allein dies wäre bereits ein riesiger
Schritt dabei, die konsumistische Dynamik zu brechen. Kleinere
Gruppen, welchen momentan nicht danach ist, die Last auf ihre
Schultern zu nehmen und ganz auf sich gestellt zu Aktionen
aufzurufen, würden sich vielleicht wohler fühlen, wenn es ihnen
möglich wäre, schon im Vorhinein zu sehen, dass andere Gruppen
interessiert sind. Als Resultat dessen könnten solche Treffen dazu
führen, dass potenziell mehr Leute Sachen organisieren, als dies
momentan der Fall ist. Dieser praktische Prozess würde auch einen
Nutzen aus der weiter gefassten Zirkulation von theoretischem und
analytischem Material von woanders her ziehen. Viele
aufschlussreiche und herausfordernde Schriften aus Griechenland,
Spanien, den U.K., Frankreich, Italien und anderen Orten bzgl. der
aktuellen globalen Revolten sind in der letzten Zeit zirkuliert.
Dieser Aufschwung an radikalen Gedanken kann uns helfen, unsere
Interventionen zu verschärfen und eine selbstkritischere Praxis zu
entwickeln. Damit dieses Material den gewünschten Effekt erzielt,
darf es nicht länger innerhalb der Hände einiger Weniger begrenzt
bleiben. Während Distros und Infoshops unentbehrliche Ressourcen
sind, gibt es keinen Ersatz für Diskussionen und kritische
Auseinandersetzungen von Angesicht zu Angesicht, welche das einzig
wahre Maß der Tragfähigkeit solcher Analysen bieten. Eine
verstärkt einbeziehende organisatorische Praxis sollte von daher
gleichzeitig als Experimentierfeld für theoretischen Austausch
funktionieren.
Einige Ideen zum Voranschreiten:
Anstatt sich dafür zu entscheiden, eine monatliche Versammlung zu haben, welche die gleiche Form annimmt, egal welcher Inhalt diskutiert wird, würden wir gerne sehen, wie Bezugsgruppen und andere Zusammenhänge die Initiative ergreifen und zu Treffen aufrufen, wenn sie dies für nötig erachten und eine dem Kontext angemessene Form wählen. Einige der vielen Momente, in denen solche Versammlungen angebracht wären, sind für uns: nach einem Angriff/einer Durchsuchung eines Hauses, um zu diskutieren, wie wir darauf reagieren wollen, vor einer anstehenden Demonstration, Räumung oder Aktion; um eine generellere Diskussion zu einem spezifischen Thema zu haben und um gemeinsam Kritiken zu entwickeln; um voranschreitende Strategien zu diskutieren und unsere aktuelle Situation in einem größeren Sinn zu analysieren; um Solidarität mit Kämpfen außerhalb von Berlin zu planen; um die Erfolge und Fehler jüngster Großereignisse auszuwerten und durch solche eine kollektive Auswertung auch unsere Prinzipien und Visionen der Kämpfe zu prüfen. All dies wäre zuviel für eine einzige Versammlung, oder eine einzige Art der Versammlung, doch wir sehen den Bedarf danach, all diese Gespräche innerhalb eines offenen statt geschlossenen Raumes zu führen. Allgemein würden wir gern vorschlagen, dass offene Versammlungen die eher müde Routine der linken Infoveranstaltungen in Berlin ablösen könnten und sollten. Anstatt passiv herum zu sitzen und sich eine Präsentation anzuhören, gefolgt von einerlangweiligen „Frage und Antwort-Runde“, würden wir gern mehr offene Gespräche erleben, welche
von Anbeginn entlang der Beteiligung und des gegenseitigen Austauschs und der Entwicklung von Ideen organisiert sind. Aufrufe zur Beteiligung an den Versammlungen sollten konsequenterweise so weit verbreitet werden wie möglich.
Wir denken, diese Treffen könnten
dabei helfen, der Zersplitterung in der Szene entgegenzuwirken,
indem tiefere Beziehungen zwischen Gruppen geknüpft werden, welche
nahe beieinander wohnen. Zum Beispiel halten wir es für eine
interessante Idee, während (oder ansonsten nach) der Versammlung
eine Pause zu haben, in denen sich Gruppen und Individuen von den
jeweiligen Nachbarschaften zusammenfinden können. Dies scheint
besonders wichtig für Gruppen, die aus Gebieten kommen, welche
fernab der traditionellen Dreh- und Angelpunkte wie Kreuzberg oder
Friedrichshain liegen. Sicher, wir rechnen bei diesem Vorschlag mit
Bedenken bzgl. der Sicherheitskultur. Wir verstehen warum, doch wir
sehen keinen triftigen Grund, diese Idee fallen zu lassen (wir
könnten uns auch Versammlungen vorstellen, bei denen die
Teilnehmenden ihre Identitäten verbergen). [4] Auch wenn es
bedeutet, dass wir uns vielleicht anfangs etwas aus dem Fenster
lehnen müssen, bleibt die Etablierung von mehr Kommunikation
zwischen den informellen lokalen Gruppen essenziell.
Wir wissen auch, dass es ein Risiko
gibt, dass Lefties und Reformisten aus solch einer „offenen“
Form Vorteile ziehen wollen und die Konversationen übernehmen, sie
umleiten in die neutralisierende Eile ihres fieberhaften
„Aktivismus“ und uns davon abhalten, die Verbindungen zu formen,
welche wir mit solch einem Aufwand entwickeln wollen. Unsere
Erfahrung ist, dass solche Übernahmen und die dazugehörigen
ziellosen, sich im Kreis drehenden Diskussionen verhindert werden
können, indem sich im Kopf behalten wird, welche Ziele die
Diskussion verfolgt und auf welcher Grundlage wir zusammengekommen
sind. Allzu generelle und offene Versammlungen treiben häufig
an der Oberfläche, sind selten zufrieden stellend und tendieren
dazu, lediglich planlos, wenn nicht gar zufällig über interessante
Fragen zu stolpern. Vielleicht könnte es besser funktionieren, wenn
Gruppen Einladungen zu einem bestimmten Thema oder Inhalt
herausgeben, welche dann als Grundlage für die Diskussion dienen
könnten. Hier wird es einen Verzicht auf irgendein exzessives
Vertrauen auf identitätsbasierten, vorgekauten Ideologien
benötigen, wenn wir es mit solch offenen Treffen ernst meinen und
in ihnen eine Hilfe finden wollen, aus den selbst-konstruierten
Käfigen der linken Szene auszubrechen und sie als eine Quelle der
Inspiration zur Verbreitung der Revolte nutzen wollen. Einige
Leitfragen zum Verfassen solch eines Aufrufes könnten sein: „Warum
sehen wir es als nötig an, zusammenzukommen? Woher kommen wir mit
diesem Bedürfnis? Was wollen wir mit solch einem Treffen
erreichen?“.
[1] Aufruf nachzulesen unter: https://linksunten.indymedia.org/en/node/99846
[2] Siehe Tiqqun's „This is Not a Programme“ (2001) für eine Diskussion über die Bedeutung eines Zusammentreffens zwischen Leben und Kämpfen : „"Worauf wir hier stoßen sind die Schaffungen von „Kriegsmaschinen“. Unter Kriegsmaschinen verstehen wir ein bestimmtes Zusammentreffen zwischen Leben und Kämpfen, eine Zufälligkeit welche niemals zustande kommt, ohne gleichzeitig die eigene Konstruktion zu erfordern. Denn jedes Mal, wenn einer dieser Begriffe wie auch immer vom anderen losgelöst wird, zerfällt – entgleist - die Kriegsmaschine. Wenn der Moment des Lebens einseitig wird, wird er ein „Ghetto“. Beweise dafür sind die düsteren Sümpfe der „Alternativen“, deren besondere Aufgabe es ist, das Gleiche in Gestalt des Verschiedenen zu vermarkten. Die meisten besetzten sozialen Zentren in Deutschland, Italien oder Spanien zeigen eindeutig, wie das simulierte Außenseiterdasein vom Empire der kapitalistischen Erschließung ein wertvolles Werkzeug bietet." (freie Übersetzung des Zitates, Original in engl. Fassung oder in Semiotexte S. 69-70). Lesbar unter http://zinelibrary.info/files/Tiqqun%20-%20This%20Is%20Not%20a%20Program.pdf
[3] R94 – Chronologie der Repression, nachzulesen unter https://linksunten.indymedia.org/en/node/99387
[4] Bzgl. der Frage, inwiefern offene Treffen die Möglichkeit überwacht und kontrolliert zu werden erhöhen oder verringern, wissen wir, dass es ein kompliziertes und wichtiges Thema ist, welchem wir hier jedoch nicht versuchen wollen, größeren Raum zu geben. Für eine detailliertere Diskussion kann bspw. die PRISMA gelesen werden ( https://linksunten.indymedia.org/de/node/23028 ), mit Hinblick auf die Methoden und technischen Fähigkeiten der Bullen der Polizeibericht 2010 ( https://linksunten.indymedia.org/en/node/30859 ). Sich in größeren Gruppen zu versammeln, könnte wie ein Gewinn für die Polizei wirken, macht es uns doch sichtbarer und eine Identifikation einfacher. Doch manchmal kann das Versammeln in größeren Gruppen es den Bullen auch schwerer machen, z. Bsp. kann es erschweren, einzelne Organisator_innen ausfindig zu machen. Hinzufügend bleibt gesagt, dass die üblichen Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigt werden sollten: Es macht Sinn, Handys zuhause zu lassen oder noch bevor der Weg zur Versammlung angetreten wird, SIM-Karte und Akku herauszunehmen, nicht nur, weil die Polizei sich in das Telefon hacken und somit das Mikrofon zum Abhören benutzen kann, auch weil sie die Nummern und Namen erfassen und somit eine Einsicht in unsere sozialen Netzwerke erhalten können. Es ist klar, dass darüber hinaus noch sehr viel mehr gesagt werden könnte und sollte.
(B) Protokoll, Reflektion & Einladung zum Offenen Treffen
hier das noch in der einleitung vermisste protokoll des letzten treffens und die einladung für das nächste:
https://linksunten.indymedia.org/de/node/103306
macht euch gedanken, wir sehen uns am 22. januar
laufen die offenen treffen noch oder
wurde dieses wichtige projekt auf eis gelegt?
Scherbentheorie
Der Vorschlag anlassbezogener offener Versammlungen ist unterstützenswert.
Hier ein Text, der sich mit in weiterem Sinne ähnlichen Fragen beschäftigt:
magazinredaktion.tk/Scherbentheorie.php
How is it possible to participate in a social event anonymously?
zu dem problem [4] gab es auch einen vortrag beim 30C3: http://media.ccc.de/browse/congress/2013/30C3_-_5500_-_en_-_saal_g_-_201...