Gegen Überwachung, Kontrollen und Ordnungswahn - Mit mehr Videoüberwachung, mehr Kompetenzen für den Gemeindevollzugsdienst und mehr Bullen wird in Freiburg 2017 nachhaltig aufgerüstet. Um einer von Stadtpolitik und Lokalpresse herbei konstruierten Verunsicherung der Freiburger Bevölkerung entgegenzuwirken, wird dieser Kontroll- und Ordnungswahn als Sicherheitspartnerschaft zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Freiburg verkauft. Wie immer wird auch hier das Sicherheitsparadigma herangezogen, um strittige Gesetzesverschärfungen scheinbar zu begründen und damit zumindest teilweise verwirklichte Grundrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Meinungsfreiheit schleichend auszuhöhlen.
"Das änderte sich mit den UMAs, den unbegleiteten minderjährigen Ausländern. (…) Dann kamen zwei Dinge hinzu: Das waren die islamistischen Terroranschläge und schlichtweg auch die Zuwanderung, die viele Menschen diffus verunsichert hat und zusammen mit dem Mord an der Dreisam im Oktober leider zu einer weiteren Verunsicherung in großen Teilen der Bevölkerung geführt haben, vor allem bei Frauen." (OB Salomon im Interview mit Badischen Zeitung am 4. März 2017)
Auf Grundlage eines wagen polizeilichen Lagebilds, einer Kriminalitätsstatistik für Freiburg, in die nicht etwa reale Verurteilungen, sondern verdächtigte Personen miteinbezogen werden und einer rassistischen Stimmungsmache gegen Geflüchtete wird ein Bedrohungsszenario heraufbeschworen und Freiburg als Kriminalitätshochburg stilisiert. Um Sicherheit und Ordnung zu verteidigen, erhält Freiburg zehn zusätzliche Polizist*innen, die vom Land bereitgestellten 25 Bereitschaftspolizist*innen mit Reiterstaffel bleiben weiterhin im Einsatz und 86 weitere werden von Lahr nach Umkirch verlegt. Der Gemeindevollzugsdienst soll auf der Gemeinderatssitzung Anfang April um zehn weitere Mitarbeiter*innen aufgestockt werden und gleiche Rechte wie die Landespolizei erhalten, um auch bei Ordnungsstörungen (also bei Verstößen gegen die geltende städtische Polizeiordnung wie Wildpinkeln, unerlaubtes Lagern, aggressives Betteln, Sachbeschädigung durch Graffiti und sogenannten Müllfrevel) einschreiten zu können. Diese sollen als Vorstufe zur Kriminalität und schlimmsten Gewalttaten gelten und deswegen verfolgt werden.
"Vor zehn Jahren hätte es in unserer linksliberalen Stadt noch geheißen: 'Was wollen denn die Scheißbullen hier?' Heute werden die Beamten geherzt, beinahe umarmt und erfahren viel Zuwendung." (Salomon, BZ vom 4. März 2017)
Freiburger Gefahrengebiete
Außerdem soll die Videoüberwachung in den nächsten Monaten insbesondere an den sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten (Stühlinger Kirchplatz, Teile der Altstadt und Colombipark) ausgebaut werden. Dabei zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass präventive Videoüberwachung im öffentlichen Raum und sogenannte Bodycams Straftaten nicht verhindern und auch aus datenschutzrechtlicher Sicht mehr als fragwürdig sind. Darüber hinaus sind in diesen Gefahrengebieten jederzeit verdachtsunabhängige Identitätsfeststellungen möglich. Diese Form der Repression wurde von der Polizei in den vergangen Monaten rege genutzt. Repression heißt hier Unterdrückung der freien Entfaltungsmöglichkeiten - durch Einschränkung, Kontrolle und Überwachung. Mit der Kriminalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen (z.B. durch Racial Profiling) wird bezweckt, der inhaltlichen Auseinandersetzung mit tatsächlichen oder vermeintlichen gesellschaftspolitische Problemen aus dem Weg zu gehen. Diese werden dadurch nicht gelöst, sondern unterdrückt, wenn der bloße Aufenthalt an einem Ort in eine strafbare Handlung umgedeutet wird.
Repression in Zeiten rechtspopulistischer Deutungshoheiten
Eine weitere Strafrechtsverschärfung sieht vor, dass zukünftig bundesweit u.a. Sitzblockaden gegen Nazis sowie Verweigerung und Protest gegen (unrechtmäßige) Polizeikontrollen - beispielsweise der Reflex sich aus einem schmerzhaften Polizeigriff zu lösen - mit mindestens drei Monaten Haftstraße geahndet werden sollen. Erfolgen diese Widerstandshandlung von zwei oder mehr Personen erhöht sich das Mindeststrafmaß auf sechs Monate, auch dann, wenn sie harmlos und schmerzfrei für die Bullen waren. Somit wird die Schwelle irreguläres Verhalten zu bestrafen, bzw. als strafbar zu werten, weiter nach unten gesetzt, obwohl die tatsächliche Zahl zu Schaden gekommener Bullen rückläufig ist und bereits jetzt hart bestraft wird. Dass es in diesem Bereich anscheinend Bedarf gebe, propagieren insbesondere rechtspopulistische Initiativen wie die AfD. Justiz- und Innenminister*innen sowie die regierende Parteien beweisen sich damit als Erfüllungsgehilfen eben dieser Rechtspopulist*innen und reden einer postfaktisch "gefühlten Unsicherheit" das Wort.
Somit zeigt nicht nur die stetige Zunahme von Überwachungs- und Kontrollmechanismen (Videoüberwachung, Lauschangriff, Onlineobservation, Vorratsdatenspeicherung, usw.), dass Freiheit zugunsten von vermeintlicher Sicherheit eingeschränkt wird. Durch die präventive Erfassung und Kontrolle der Gesellschaft entsteht eine Gefahr für zukünftige Lebensentwürfe und eine psychologische Barriere, die vom eigenen Engagement, politischem Handeln und kritischem Gedankengut abhält. Mit dieser zunehmenden Überwachung werden alle hier lebenden Menschen von vornherein kriminalisiert und unter Generalverdacht gestellt. Diese Instrumente dienen nicht der Schaffung von Sicherheit und Freiheit, sondern vielmehr dem autoritären Sicherheitsstaat.
Gefahrengebiete abschaffen – Überwachung und Kontrollen sabotieren!
Für eine herrschaftsfreie Gesellschaft!
Her mit dem schönen Leben für alle - in Freiheit und Unordnung!
ENOUGH IS ENOUGH - Kommt zur überregionalen Vorabend-Demo zum 1. Mai am 30.04.2017 in Freiburg.
30. April 2017 | 20:00 Uhr | Freiburg, Münsterplatz
Passendes RDL Interview zum Thema
mit Roland Hefendehl
Kriminalitätsfurcht bekämpft man nicht mit Videoüberwachung, sondern mit sozialer Sicherheit