Zum 8. März 2015: Den Zetkin-Cocktail de-konstruieren!

10 Mark-Geldschein der DDR aus dem Jahre 1971 mit Abbildung von Clara Zetkin

Aperitif zu einer Veranstaltung am 10. März in Berlin - Die Gruppe Revolutionäre Perspektive Berlin gibt mir dankenswerterweise Gelegenheit, am 10. März bei einer Veranstaltung im Bandito Rosso zum Verhältnis von Marxismus und Feminismus zu referieren. Da die klassischen und prägenden Texte des Marxismus zu dem, was er die „Frauenfrage“ zu nennen pflegt, entstanden waren, bevor es Feminismus (jedenfalls Feminismus im heutigen Sinne) gab, und jene klassischen marxistischen Texte daher nicht so richtig unter mein Vortragsthema fallen, weil es zu jener Zeit also noch kein ‚Verhältnis zum Feminismus’ geben konnte, möchte ich hier einen kleinen Aperitif zu der Veranstaltung servieren.


Der folgende Text entstammt einer umfangreicheren, 1995 entstandenen, unveröffentlichten Arbeit zur Frauenpolitik der KPD der Weimarer Zeit und befaßt sich mit dem, was als die „marxistische Frauenemanzipati­on­stheo­rie“ gilt.* Eine thesen-förmige Kurzfassung des hiesigen Fragments werde ich an scharf-links.de schicken und wird dort hoffentlich in den nächsten Tagen veröffentlicht. –

Das Bandito Rosso befindet sich in der Lottumstraße 10a in 10119 Berlin und ist mit der U 2 (Station: Rosa-Luxemburg-Platz) sowie der U 8, der Tram M 1, M 8 sowie 12 und dem Bus 142 (jeweils Station: Rosenthaler Platz) erreichbar. Die Veranstaltung wird am Dienstag der kommenden Woche um 19 h beginnen.

Angekündigt sei schon mal, daß der Vortrag nicht nur thematisch (gegenständlich) Neues gegenüber dem vorliegenden Text bringen wird, sondern auch eine deutlich leichtere literarischen Form als die folgende – dicht am Text der marxistischen KlassikerInnen argumentierende – schriftliche Ausarbeitung haben wird.



* Für die jetzige Veröffentlichung wurde das Fragment orthographisch und stilistisch durchgesehen und mit einer eigenständigen Fußnoten-Numerierung versehen. Dabei wurde der Text an einigen Stellen – um der Klarheit und Verständlichkeit der Argumentation willen – auch um ein paar Sätze nachträglich ergänzt.

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Es wird üblicherweise angenommen, daß es die „marxistische Frauenemanzipati­on­stheo­rie“ gä­be.[1] Daran ist zutreffend, daß sich die Herangehensweise des Marxismus an die von ihm so genannte Frauenfrage signifikant von der Herangehensweise des Feminismus an das von letzterem so genannte Geschlechterverhältnis unterscheidet.

Abgesehen von jener grundlegenden Gemeinsamkeit (in Differenz zum Feminismus) gibt es aber allein schon bei Marx und Engels vier unter­schiedli­che, teilweise gegensätzliche Ansätze, sich mit diesem Thema aus­einanderzuset­zen; außerdem die noch einmal differen­ten Ansätze von Au­gust Bebel und Clara Zetkin. Diese unter­schiedlichen Ansätze werden – von westli­chen frauenbewegten wie von DDR-AutorInnen – meist in etwa folgen­dermaßen zu­sam­mengefaßt:

 

„Die Geschichte lehrt uns, daß der gesellschaftliche Fortschritt an der Stellung der Frau in der Ge­sell­schaft meßbar ist [...]. Die in­dustrielle Entwicklung zwang die Frauen vor allem die proletari­schen, ih­ren Lebensunterhalt und -inhalt außerhalb der häuslichen Sphäre zu finden. Das führte zur Unabhän­gig­keit der Frauen vom Manne. Sie bleiben aber weiterhin in sozi­aler Rechtlosigkeit, die sich hemmend ih­rer Ent­wick­lung entge­genstellte. Damit war die moderne Frauen­frage als Teil der sozialen Frage ge­ge­ben. [...]. Der Übergang der Proletarierinnen in die kapitalistische Produk­tion unterwarf sie den glei­chen sozialen Bedin­gungen wie die männli­chen Klassengenossen. [...]. Aus Haus­sklavinnen wurden Lohnskla­vinnen.“ (Staude 1976, 52, 56, 60).[2]

 

„Im Rahmen dieser“ – der marxistischen – „Analyse sind die Frauen in einem Residuum feudaler Abhängigkeit vom Ehe­mann, abge­schnitten von der Erfah­rung des gesellschaftlichen Produktions- und Lebensprozesses ge­sell­schaft­lich machtlos und entbehren jeglicher ökonomischer und politischer Identität. Ihre einzige Chan­ce, aus der ge­sellschaftli­chen Bedeutungslosigkeit herauszukommen, ist die, die das Kapital ihnen selbst bietet, der Ein­tritt in die Lohnar­beit. Hier, dem Manne gleich, werden sie auch fähig, die Erfah­rungs- und Lern­prozesse durch­zumachen, die ihre Integration in den kollekti­ven Kampf des Proleta­ri­ats möglich macht.“ (Kontos 1979, 13).

 

In den folgenden Abschnitten 1. und 2. wird zunächst gezeigt werden, daß in diesen bei­den Zitaten Elemente unter­schiedli­cher, ja gegensätzlicher theo­retischer Ansätze mitein­ander vermengt werden:

 

1. die Auffassung der Frauen als Metapher für den gesell­schaftlichen Fort­schritt aus den Frühschriften von Marx und Engels

2. die Wörter „Frauenfrage als Teil der soziale Frage“ (entsprechend bei Kontos: „Integration in den kollektiven Kampf des Proletariats“) aus Bebels Schrift Die Frau und der Sozialis­mus, die dort aber eine andere Bedeu­tung als in den ange­führten Zitaten ha­ben,

3. – als neuer Sinn, der diesen Worten beigelegt wird – die Auffassung aus dem Kommu­nistischen Ma­nifest, daß der Kapita­lismus das Patriarchat besei­tige (sodaß die „Frauenfrage“ auf eine ‚Lohnarbeiterinnenfrage’ reduziert und von einer ‚Geschlechterfrage’ in eine ‚Klassenfrage’ umgewandelt wird)

und

4. die – zum Kommunistischen Manifest im Widerspruch stehende – Auffassung aus Engels’ Der Ur­sprung ..., daß Besei­tigung der Frauenunterdrückung die Beseitigung des Privateigentums zur Vor­aussetzung habe (also nicht schon im Kapitalismus erfolge), was aber eben­falls die Unterord­nung der „Frauenfrage“ unter die „soziale Frage“ rechtfertigen soll.

Im anschließenden 3. Abschnitt wird gezeigt, daß es Clara Zetkin, der führenden Frau­enpolitikerin der KPD, – bereits zu ihrer SPD-Zeit – vorbe­halten blieb, aus diesen dispara­ten Ele­menten den Cocktail ‚die marxistische Frauenemanzipationstheo­rie’ zu mixen.

 

1. Der moralische Ansatz aus der „Heiligen Familie“

 

Der erste Ansatz wurde von den jungen, noch geschichtsphiloso­phisch-huma­nistisch (noch nicht ge­schichtswissenschaftlich-ma­terialistisch) argumentie­renden (s. dazu ausführlich: Althusser 1960a, 47 - 50 und 1965, 32 - 39) Autoren Marx und Engels formu­liert bzw. vielmehr von diesen von dem utopischen Soziali­sten Fourier übernommen. Frauen kommen in die­sem Ansatz – trotz aller „utopisch-mora­lischen Ermahnungen“ nur als „Symbol“, als ei­ne „Andeutung oder Ableitung von etwas anderem“ (Mitchell 1966-71, 73 f.; ähnlich auch: Bali­bar/Labica 1984, 373) – nämlich Symbol des menschlichen Fortschritts insgesamt („Maß der all­gemeinen Emanzi­pa­tion“) – vor:

 

„Die Veränderung einer geschichtlichen Epoche läßt sich immer noch aus dem Verhält­nis des Fort­schritts der Frauen zur Freiheit bestimmen, weil hier im Ver­hältnis des Wei­bes zum Mann, des Schwa­chen zum Starken, der Sieg der menschlichen Natur“ – gemeint: Güte und Milde – „über die Brutalität am evidentsten er­scheint. Der Grad der weiblichen Emanzipation ist das na­türliche Maß der all­gemeinen Emanzi­pa­tion.“ (Charles Fourier zit. n. Marx/Engels 1844, 208).

 

Diese philosophische Spekulation war weder einer analytischen Konkretisie­rung zu­gäng­lich noch ließ sich aus ihr eine Strategie ableiten (vgl. Mitchell 1966-71, 96 f.); vielmehr reproduzierte sie das Klischee von weiblicher Schwäche und männlicher Stärke und rief zu gönnerhafter Großzügigkeit/Gnade der starken Männer den schwachen Frauen gegenüber auf (‚Sieg der Menschlichkeit über die Brutalität’).

 

2. Ein Ansatz einer materialistischen Theorie des Geschlechterverhältnisses

 

a) Die Deutsche Ideologie von Marx und Engels

 

Den zweiten Ansatz formulierten Marx und Engels als sie mit „unserm“ – d.h.: ihrem – „ehemaligen philosophischen Ge­wissen“ (Marx 1859, 10) – also der auch von ihnen bis 1844 vertretenen Geschichtsphilosophie – in der Deut­schen Ideo­logie abrechneten:[3]

 

„Die erste Form des Eigentums ist das Stammeigentum. [...]. Die Teilung der Arbeit ist auf dieser Stufe noch sehr wenig entwickelt und beschränkt sich auf eine weitere Aus­dehnung der in der Fa­milie gege­be­nen Ar­beitsteilung.“ (Marx/Engels 1845, 22 – H­v. d. Vf.).[4] „Mit der Teilung der Arbeit [...] ist zu gleicher Zeit auch die Vertei­lung, und zwar die ungleiche, sowohl quantita­tive wie qualitative Verteilung der Ar­beit und ihrer Produkte gegeben, also das Eigentum, das in der Familie, wo die Frau und die Kinder die Sklaven des Mannes sind, schon seinen Keim, seine er­ste Form hat.“ (Marx/Engels 1845/46, 32 – H­v. i.O.).

 

Fassen wir zusammen – erste Stufe: es gibt noch kein Privateigentum, sondern Kollektiveigentum des gesamten Stammes. Die Arbeitsteilung ist noch wenig, nämlich in erster Linie in der Familie entwickelt. Diese bedeutet bereits, daß „die Frau“ die Sklavin „des Mannes“ ist. Die ungleiche Verteilung der Arbeit schließt auch eine ungleiche Verteilung der Produkte ein; sie stellt eine Art ersten „Keim“ des späteren Privateigentums dar. Es handelt sich hier aber wohlgemerkt um Keime eines Privateigentums, das entlang der Geschlechter- (und nicht der Klassen)grenze verteilt ist.

 

„Die zweite Form ist das antike Gemeinde- und Staats­eigentum, [...]. Ne­ben dem Ge­meindeeigen­tum entwickelt sich schon das immo­bile Pri­vateigentum, aber als ab­norme, dem Gemeindeeigen­tum un­ter­ge­ordnete Form. Die Teilung der Ar­beit ist schon entwic­kelter. [...]. Das Klassenver­hältnis zwischen Bür­gern und Sklaven ist voll­ständig aus­gebildet.“ (Marx/Engels 1845/46, 23 – Hv. d. Vf.).[5]

 

Fassen wir wieder zusammen: Erst auf dieser zweiten Stufe ist das Klassenverhältnis „voll­ständig aus­gebildet“. Das Eigentum ist weiterhin überwiegend Kollektiv-, nunmehr: Gemeinde- und Staats (nicht mehr Stammes-)­eigentum – aber das Privateigentum im Immobilienbereich (Grundstückseigentum) gewinnt an Bedeutung. Aber „die Frau“ war nach Marx und Engels schon auf der vorgehenden, ersten Stufe die Sklavin „des Mannes“.

 

Wie wir sehen, sind Marx und Engels 1845 der Ansicht,

 

  •  daß die Entste­hung der Klassen („vollständig ausgebildet“) der Entste­hung des Pri­vatei­gentums („als abnorme, [... noch] untergeordnete Form“) vorgängig ist

 

und

 

  •  daß die Entstehung der Frauenunter­drückung („erste Form“ = „ungleiche Verteilung der Arbeit und ih­rer Produkte [...], wo die Frau [...] Sklav[i]n des Mannes“ ist) wiederum der Entstehung der Klas­sen („zweite Form“) vorgängig ist.

 

Für Marx und Engels fällt nach deren damaliger Auffassung die Entstehung der Frau­enun­ter­drückung also mit der Entstehung des „Stammeigentum“ („erste Form“), das noch kein Pri­vatei­gentum ist und noch keine „vollausgebildeten Klassenverhält­nis[se]“ beinhaltet, zusam­men.

Ausgehend von den materialistischen Thesen (Fragen) die Marx und Engels in der Deut­schen Ideolo­gie (nicht nur zu diesem Thema) formuliert hatten, haben sie in ih­ren späteren Arbeiten in Bezug auf die Klassenver­hältnisse wissenschaftliche Ant­wor­ten (Erkenntnisse) produziert.[6] Das Geschlechter­verhältnis spielte aber, danach für sie, mit der Ausnahme des Kommunisti­schen Manifestes, lange Zeit keine theo­re­tische Rolle mehr:[7]

 

„Aus den Analysen [...], die Engels und Bebel durch­führten, [...], wird deutlich, daß sie [...] das Instru­mentarium des historischen Materialismus auf die Frau­enfrage nur teil­weise anwandten.“ (Reinstadler 1984, 21).

 

Die zitierten Thesen, die Marx und Engels dazu in der Deutschen Ideologie for­muliert hatten, wur­den vielmehr erst wieder in der femini­stisch-sozialistischen De­batte seit Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts auf­ge­griffen (Haug 1988c, 22 bei FN 12; vgl. Mit­chell 1966-71, 82; Dietrich 1984, 36, s.a. 35: „Die meisten Diskussionen über die Frauenun­terdrückung be­ginnen mit der Passage aus der Deutschen Ideo­logie, [...].“). Auch wenn Marx und Engels in der Deutschen Ideologie die fe­ministische Auffas­sung vor­wegnahmen, daß die Frauen­unterdrückung der Klassenunterdrückung vor­ausgeht, so unter­lag doch auch ihre dor­tige Auffassung der ge­schlechtsspezifischen Arbeitstei­lung der Grenze, auf die in Ab­schnitt 4. zu sprechen kommen sein wird.

 

b) August Bebels Die Frau und der Sozialismus

 

Die Auffassung aus der Deutschen Ideologie, daß die Frauenun­terdrückung der Klas­sen­un­terdrückung vorgängig sei, wurde von August Bebel über­nommen:

 

„[...], die Frau hat gegenüber dem Arbeiter das eine voraus: Sie ist das erste menschliche Wesen, das in Knechtschaft kam. Die Frau wurde Sklavin, ehe der Sklave existierte“ (Bebel 1870/1909, 35 – Hv. d. Vf.).

 

Bebel erkannte darüber hinaus die Langwierigkeit der Frauenunterdrüc­kung:

 

„Das weibliche Geschlecht in seiner Masse leidet in doppelter Be­ziehung: Einmal leidet es unter der so­zia­len und gesellschaftlichen Abhängigkeit von der Män­nerwelt – diese wird durch formale Gleichbe­rech­tigung vor den Gesetzen und in den Rechten zwar ab­gemildet, aber nicht beseitigt – und durch die öko­nomische Ab­hängigkeit, in der sich die Frauen im allgemeinen und die proleta­rischen Frauen im be­sonde­ren gleich der kapitali­stischen Männer­welt befinden.“ (Bebel 1879/1909, 28 f. – Hv. d. Vf.; auch zit. bei Schmidt/Richter 1974, 29; vgl. auch das Bebel-Zitat bei Reinstadler 1984, 9).

 

und er zog daraus folgende strategische Schlußfolgerungen:

 

„Immerhin haben die feindlichen Schwestern weit mehr als die im Klassenkampf ge­spal­tene Män­ner­welt eine Reihe Berührungspunkt, in denen sie, getrennt mar­schie­rend, aber vereint schlagend, den Kampf füh­ren können: Das ist auf allen Gebieten der Fall, auf wel­chen die Gleichberechti­gung der Frauen mit den Män­nern, auf dem Boden der gegenwärtige Staats- und Gesellschafts­ordnung, in Frage kommt: also der Betäti­gung des Weibes auf allen Gebieten, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten reichen [8], und für die volle zi­vilrechtliche und politische Gleichberechtigung mit dem Manne. Das sind sehr wichtige und, wie sich zeigen wird, sehr umfangreiche Gebiete.“ (Bebel 1879/1909, 29; teilweise auch zit. bei Frei 1987, 22)[9] 


 

„Die Frauen dürften so wenig auf die Hilfe der Männer warten, wie die Arbeiter auf die Hilfe der Bour­geoisie.“ (Bebel 1879/1909, 180 auch zit. bei Reinstadler 1984, 19).


„Es ist derselbe Gedanke, der auch die Arbeiterklasse leitet, auf die Eroberung der poli­tischen Macht ihre Agitation zu richten. Was für die Arbeiterklasse recht ist, kann für die Frauen nicht un­recht sein.“ (Bebel 1879/1909, 318; auch zit. bei Schmidt/Richter 1974, 31).

 

Im Kontext dieser Äußerungen, die in die spätere ‚marxistische Fraueneman­zipation­stheo­rie’ nicht ein­gegangen sind, ist auch eine neue Lesart der be­rühmten Passage[10]  hinsichtlich des ‚Zusammenfallens der Frauenfrage mit der sozialen Frage’ erfor­der­lich. In der nachfol­genden politi­schen und theo­reti­schen Praxis wurde dieses ‚Zusammenfallen’ als Unterord­nung der Frau­enbefreiung unter dem Klas­senkampf verstanden. Dies war bei Bebel – wie wir gesehen haben – noch nicht er Fall. Viel­mehr er­kannt Bebel an,

  •  daß es gemeinsame Forderungen von Frauen aus verschie­denen Klassen gibt

und

  •  daß es den Geschlechterwiderspruch auch zwischen proletari­schen Frauen und „Männerwelt“ gibt.

Bebels These vom ‚Zusammenfallen der Frauenfrage mit der so­zialen Frage’ war aus­schließlich dar­auf bezogen, daß das „weibliche Geschlecht in seiner großen Masse“ nicht nur von der „Männerwelt“ ab­hängig, sondern auch der „Lohnsklaverei“ unter­worfen ist (Bebel 1879/1909, 28 f.):

 

„Es handelt sich also [bei dem Kampf für bestimmte Arbeitsschutzregeln (für Frauen) und für eine Umwandlung der Gesellschaft von Grund aus […], um einen Zustand herbeizuführen, der die volle ökonomische und geistige Unabhängigkeit beiden Geschlechtern durch entsprechende soziale Einrichtung ermöglicht“[11]] nicht nur darum, die Gleichbe­rechtigung der Frau mit dem Mann auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu ver­wirklichen, was das Ziel der bür­gerli­chen Frauenbe­we­gung ist, sondern darüber hinaus alle Schranken zu beseitigen, die den Men­schen vom Men­schen, also auch das eine Geschlecht vom ande­ren abhängig macht. Diese Lösung der Frau­enfrage fällt mit der sozia­len Frage zusam­men.“ (Bebel 1879/1909, 30 – kursive Hv. i.O.; fette Hv. d. Vf.).

 

Diese Formulierung enthält nun allerdings eine Zweideutigkeit, die zusammen mit den all­gemeine­ren Formulierungen bei Bebel 1879/1909, 25 (wie in FN 10 zitiert) und 26 („allgemeine soziale Frage, in der die Stellung der Arbeiter­klasse [...] die Hauptrolle spielt“) den Weg für die spätere marxistische Unterordnung der Frauen­bewegung unter den Klassenkampf bereitete:

 

 

  •  Im Kontext der zuvor zitierten Äußerungen (nicht nur Abhängigkeit vom Kapital, sondern auch von der „Männerwelt“ und folglich Gemeinsamkeiten von bürgerlichen und lohnabhängigen Frauen auf „sehr umfangreiche Gebiete“) – also nach präziser Lesart – bezieht sich das „Diese Lösung der Frauen­frage“ auf das, was über die Gemeinsamkeiten mit der sog. bürgerlichen Frauenbewegung hinausgeht, also die Be­seitigung der „Lohnsklaverei“ von Frauen (und Männern), incl. Arbeitsschutz und Schaffung bestimmter sozialpolitischer Einrichtungen. Nur „[d]iese Lösung“ (Bebels Hv.) – nur dieser Teil (!) der Lösung der „Frauenfrage“ – fällt nach Bebel mit der „sozialen Frage“ zusammen. Daneben erkennt Be­bel an, daß es noch eine andere (ebenfalls notwendige, wenn auch nicht ausreichende) „Lösung der Frauenfrage“ gibt, näm­lich die der „bürgerlichen Gleich­berechtigung von Mann und Frau“ (Bebel 1879/1909, 28).
  •  Bezieht man/frau dagegen das „Diese Lösung“ – in loser Lesart – auf die un­mittelbar davor­stehende Be­sei­tigung der Abhängigkeit des „eine[n] Geschlechts von dem anderen“,[12] dann fällt die von Be­bel vorgenommene Differenzierung zwischen den verschie­denen (Lösungen der) „Frauenfrage(n)“ unter den Tisch und der Kampf für die Frauen­be­freiung wird insgesamt als Teil der „allgemeine[n] so­ziale[n] Frage, in der die Stellung der Arbeiter­klasse [...] die Hauptrolle spielt“, aufge­faßt, also dem Klassenkampf untergeordnet.
  •  Dieser Lesart hatte Bebel selbst dadurch zugearbeitet, daß er keine ei­genständige mate­rielle Basis des Kampfes um die Frau­enbefreiung angeben konnte: Die materi­elle Basis der „bürgerlichen Gleich­berechtigung“ sah er in der „kapitalistischen Ge­sellschaftsord­nung“; die der „volle[n] ökono­mische[n] und geistige[n] Unabhängig­keit beider Ge­schlechter“ (Bebel 1879/1909, 30) im Kampf der ArbeiterIn­nenklasse für den Sozialismus.

Den Widerstand von Männern gegen diese vermeintlichen histori­schen Not­wendig­keiten faßte Bebel zwar schärfer als andere MarxistInnen ins Auge, aber auch für ihn dürfte es sich dabei letztlich nur um einen ‚Rückstand des Bewußtseins’ handeln:

 

„Vielen ist das Stadium der Zersetzung, in dem Staat und Gesell­schaft sich bereits be­finden, noch nicht zum Bewußtsein gekom­men, und so ist diese Darlegung not­wendig.“ (Bebel 1879/1909, 343).

 

Den Aspekt der „Frauenfrage“, an dem sich eine eigenständige materielle Basis der Frau­enunter­drückung benennen läßt – nämlich dem der ge­schlechtshierarchischen Arbeitstei­lung in Fa­milie und Erwerbsarbeit (damit einhergehend: der Lohndifferenz) –, schlägt Be­bel kurzerhand dem Teil der Frau­enfrage, des­sen Lösung mit der „sozialen Frage“ zu­sammenfällt, zu:

 

„Nimmt man an, daß die bürgerliche Frauenbewegung alle ihre Forderungen für Gleich­berechti­gung mit den Männern durchsetzte, so wäre damit weder die Sklave­rei, was für unzählige Frauen die heutige Ehe ist, noch die Prostitution, noch die materielle Abhän­gigkeit der großen Mehrzahl der Ehefrauen von ih­ren Ehe­herrn aufgehoben.“ (Bebel 1879/1909, 28). Die „Gesamtlage des [weiblichen d. Vf.] Ge­schlechts“ könne nur duch die Beseitigung der „ökono­mischen Ab­hängig­keit“, also der „Lohnsklaverei“, verändert wer­den (Bebel 1879/1909, 28 f.).

 

Geschlechtshierarchische Verteilung der Hausarbeit (= „Sklave­rei, was für unzählige Frauen die heutige Ehe ist“), männliche Verfügung mittels Geld über weibliche Sexualität (= Prostitution) und Frauenlohndiskriminierung (= „materielle Abhän­gigkeit der großen Mehrzahl der Ehefrauen von ih­ren Ehe­herrn“) sind wichtige Elemente der eigenständigen – nicht erst aus den Klassenverhältnissen abgeleitete – materielle Basis, was Bebel freilich nicht sehen konnte oder wollte.

Der Grund für Bebels ‚Kurzsichtigkeit’ dürfte vermutlich darin liegen, daß er – genauso wie Marx und Engels in der Deutschen Ideolo­gie – den materialisti­schen Ansatz nicht konsequent zu Ende führt: er naturali­siert die ge­schlechtshierarchische Arbeitstei­lung (s. schon oben S. auf allen Gebieten, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten reichen: „auf allen Gebieten, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten reichen“), er faßt sie nicht als materiel­les, ge­sellschaft­li­ches Verhältnis auf. Die angeblich natur­ge­gebene Benachteiligung der Frauen wird analytisch nicht in Frage gestellt und statt dessen die Fähigkeit und Bereitschaft, jene naturgegebene Benachteiligung großzü­gig-kompensa­torisch auszuglei­chen, einer Gesellschaft zugeschrieben, die nicht mehr vom Profit­prinzip dominiert ist (vgl. dazu unten FN 22).

Eine weitere Grenze Bebels Ansatz liegt in der rationalistisch-versöhnleri­schen[13] Konno­ta­tion –

 

bspw. Bebel 1879/1909, 343: „[...] bisher feindliche Denker, die ihr höheres Wissen, ihre bessere Ein­sicht anspornt, sich über ihr niedres Klasseninteresse zu erheben und, indem sie ihrem idealen Drange nach Ge­rechtigkeit folgen, sich den nach Befreiung lech­zenden Massen anschließen."

 

– von „Lösung“ der „soziale“ bzw. „Frauenfrage“. Daraus er­gibt sich eine friedlich-parla­men­tarisch-evolutionistischen Strategie zur – oben erwähnten – „Eroberung der politi­schen Macht“ durch die ArbeiterInnen­klasse bzw. durch die Frauen:

 

„[...] das gebieterische Verlangen nach Umgestaltung und Ver­menschlichung der Zu­stände [wächst]. In­dem diese Erkenntnis im­mer weitere Kreise ergreift, erobert sie schließlich die unge­heure Mehrheit der Gesell­schaft, die bei dieser Umgestaltung auf das di­rektes interessiert ist. In demselben Maße aber, wie bei der Masse die Einsicht von der Unhaltbarkeit des Beste­henden und die Er­kenntnis von der Notwen­digkeit sei­ner Umgestaltung von Grund aus steigt, sinkt die Wi­der­standsfähigkeit der herr­schenden Klas­se, deren Macht auf der Unwissenheit und Einsichtslosigkeit der unterdrückten und aus­gebeuteten Massen beruht. [...]. Unsere Darlegungen zeigen, daß es sich bei Ver­wirkli­chung des So­zialis­mus nicht um [W]ill­kürliches […] handelt. Alle Faktoren, die in dem Zer­störungsprozeß einerseits, im Werdeprozeß an­dererseits eine Rolle spielen, sind Fak­toren, die wirken, wie sie müssen. [...]. Das un­unterbrochene Fallen der Tropfen höhlt schließlich den härsteten Stein aus.“ (Bebel 1879/1909, 408, 550, 556 – Hv. i.O. S.a. Bebel 1879/1909, 343, 481: „Eroberung“ – nicht Zerschlagung! – „des Klassen­staats“; „allmählich [verschwindet] die Menge der Übel“).

 

Es kann vermutet werden, daß sich die spätere „marxistische Fraueneman­zipation­stheo­rie“ den Be­griff „Frauenfrage“ gerade wegen seiner versöhnle­rischen Konnota­tion zu ei­gen gemacht hat, wäh­rend sie – außer im unmittel­baren Zusammenhang mit dem bekann­ten Bebel-Zitat – statt „sozialer Frage“ die Termini „Ausbeutung“, „Klassenkampf“ etc. ver­wendet. Marx selbst hatte den Ausdruck „soziale Frage“ ausdrücklich verworfen – am sozialdemokratischen Gothaer Programm kritisierte er: „An die Stelle des existierenden Klassenkampfs tritt eine Zeitungsschreiberphrase – ‚die soziale Frage’“ (Marx 1875, 26 – Hv. i.O.).

 

3. Der Zetkin-Cocktail

 

a) Zutat 1: Der Ansatz des Kommunistischen Manifestes: Frauenunterdrückung als vor-kapitalisti­sches Relikt

 

Im Kommunistischen Manifest, dem dritten Ansatz von Marx und Engels, wurde das pa­triarchale Ge­schlechterver­hältnis als vor-kapitalistisches Relikt charakterisiert:[14]

 

Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feuda­len, patriarchalen idyllischen Ver­hält­nisse zerstört. [...]. Die Bour­geoisie hat dem Familienverhält­nisse seinen rührend-senti­mentalen Schlei­er abgerissen und es [für die Bourgeoisie[15]?, Anm. d. Vf.] auf ein reines Geld­verhältnis zu­rückge­führt“, während das Prole­tariat in „erzwungener Familienlosigkeit“ lebe (Marx/Engels 1848, 464, 465, 478 – Hv. d. Vf.).

 

Aber nicht nur dies – außerdem gelte:

 

„Je weniger die Handarbeit Ge­schicklich­keit und Kraft­äußerung er­heischt, d.h. je mehr die mo­derne Indu­strie sich entwickelt, desto mehr wird die Arbeit der Männer durch die der Weiber ver­drängt. Geschlechts- und Alters­unterschiede haben keine ge­sellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiter­klasse.“ (Marx/Engels 1848, 469 – Hv. d. Vf.).

 

Haben sich diese Prognosen von Marx und Engels bewahrheitet?! Gibt es eine erzwungene Familienlosigkeit der Lohnabhängigen? Sind die Männer immer mehr aus der industriellen Arbeit verdrängt worden? Spielen Geschlechtsunterschiede für die Lohnabhängigen keine Rolle mehr?

 

b) Zutat 2: Engels’ „Der Ursprung der Familie, ...“: Frauenunterdrückung als Produkt des Privateigen­tums

 

Engels greift nun 1884 einerseits die These aus dem Kommunistischen Manifest („Geschlechts- und Alters­unterschiede haben keine ge­sellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiter­klasse“) auf:

 

„Und vollends seitdem die große Industrie die Frau aus dem Hause auf den Arbeitsmarkt und in die Fa­brik versetzt hat und sie oft genug zur Ernährerin der Familie macht, ist dem letzten Rest der Män­ner­herrschaft in der Proletariererwohnung aller Boden entzo­gen – [...].“ (1884, 73 f.).

 

Andererseits sieht Engels 1884 – anders als noch rund 40 Jahre vorher in der Deutschen Ideologie – die Frauenunterdrückung als zeitlich zusammen mit der Klas­senunter­drückung entstanden und von letzterer be­dingt an.

Zur Gleichzeitigkeit siehe Engels 1884, 68:

 

„Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des An­tagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weib­li­chen Geschlechts durch das männliche. Die Einzelehe war ein großer geschichtli­cher Fortschritt, aber zu­gleich eröffnet sie neben der Sklaverei und dem Privateigentum jene bis heute dauernde Epo­che, in dem jeder Fort­schritt zugleich ein relativer Rück­schritt, in dem das Wohl und die Entwicklung der ei­nen sich durchsetzt durch das Wehe und die Ent­wicklung der an­dern.“.

 

Zur Bedingtheit siehe Engels 1884, 59, 60, 61:

 

„Solche Reichtümer [Sklaven, Vieh, d. Vf.], sobald sie einmal in den Privatbesitz von Familien über­ge­gangen und dort rasch ver­mehrt, gaben der auf Paarungsehe und mutter­rechtlicher Gens ge­gründeten Ge­sellschaft einen mächtigen Stoß. [...]. In dem Verhält­nis, wie die Reichtümer sich mehrten, gaben sie ei­nerseits dem Mann eine wichtigere Stellung in der Familie als der Frau und er­zeugten andrerseits den An­trieb, diese ver­stärkte Stellung zu be­nutzen, um die hergebrachte Erb­folge der Kinder umzustoßen. [...]. Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Nie­der­lage des weiblichen Geschlechts.“ (Hv. i.O.).

 

Damit revidiert Engels – wie gesehen –, ohne es ausdrücklich zu sagen, die Analyse aus der Deutschen Ideologie sowie aus Be­bels Die Frau und der Sozialismus, daß die Frauenunterdrückung dem Privat­eigen­tum vorgängig ist. Der Widerspruch zwischen dem Text von Engels sowie den bei­den anderen Texten ist aber auch strate­gisch bedeut­sam:

  •  Bebel vertrat – wie bereits zitiert (s. oben S. 6 ) – die Auffassung, daß sich (auch) die (proletarischen) Frauen nicht auf die Hilfe der Männer verlassen können.
  •  Aus Engels’ These, daß die Frauenunterdrückung vom Privateigentum bedingt sei, folgt demgegenüber, daß die Frauenunterdrückung auch nur wieder zusammen mit dem Privat­eigentum verschwindet – es folgt daraus also (anders als bei Bebel) die Hoff­nung, die Frauenunter­drückung ließe sich durch den gemeinsamen Klassen­kampf der Arbeiter und Arbei­terInnen beseitigen:[16] 

„Was wir also heutzutage vermuten können über die Ordnung der Geschlechtsverhält­nisse nach der be­vor­stehenden Wegfegung der kapitalistischen Produktion, ist vorwie­gend negativer Art, be­schränkt auf das, was wegfällt“ (Engels 1884, 83) –

 

nämlich den Wegfall der privaten Hausarbeit:

 

„Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann, und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in An­spruch nimmt. Und dies ist erst möglich durch die moderne große Industrie, die nicht nur Frauenarbeit auf großer Stufenleiter zuläßt, sondern förm­lich nach ihr verlangt, und die auch die privaten Hausarbeit mehr und mehr in öffentli­che Industrie aufzulösen strebt.“ (Engels 1884, 158).

 

Die „Befreiung der Frau“ erfolgt – gemäß Engels’ Darstellung – nicht durch einen gesellschaftlich-politischen Kampf gegen diejenigen, die über die Frauen herrschen – also gegen die Männer –, sondern einfach als evolutionär-friedlicher Nebeneffekt von groß-industrieller Entwicklung und Abschaffung des Kapitalismus…

 

Im übrigen bleibt Engels hier sehr unklar in seinen Ausführungen:

  •  Einerseits spricht er von der neuen „Ordnung [...] nach der [...] Wegfegung der kapitalistischen Produktion“ (vgl. auch Engels 1884, 75 den Ver­gleich mit der „alten kommunistischen Haushaltung“) – damit wider­spricht er der Auffassung des Kommunistischen Manifestes und seiner eigenen bereits zi­tiert Auffassung, daß bereits „in der Proleta­riererwohnung“ – also im Kapitalismus – „dem letzten Rest der Männerherrschaft [...] der Boden ent­zogen“ sei.
  •  Andererseits spricht Engels von der Einbeziehung der Frauen in die gesellschaftliche Pro­duktion und von der „großen Industrie“ – beides Phänomene, die – wie er selbst schreibt – bereits den Kapitalismus auszeichnen!
  •  An weiterer Stelle in der gleichen Schrift präzisiert Engels (1884, 76 – Hv. d. Vf.) dann, die „Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts“ erfordere die „Beseitigung der Ei­genschaft der Einzelfamilie als wirtschaftli­cher Einheit der Gesellschaft“ (also doch den Kommu­nis­mus?).

Trotz dieser Widersprüche (sowohl innerhalb des Engels-Textes von 1884 als auch zwischen diesem und dem Kommunistische Manifest) stimmen das Manifest und der Text von Engels aus dem Jahr 1884 stra­te­gisch darin über ein, daß sie einen (vom Klassenkampf rela­tiv unab­hängigen) Frauenkampf gegen die Männer als unnötig und un­sinnig erscheinen las­sen: Ob nun der der Bourgeoisie gegen die „feudalen, patriarchalen [...] Verhältnisse“ (so die Analyse des Mani­festes) oder der des Proletariats gegen das Privateigentum (so die Analyse von Engels 1884), auf jeden Fall wird – so die Meinung von Marx und Engels 1848 sowie von Engels 1884 – der Klas­senkampf die Unterdrückung der Frauen beseitigen.

Von Feministinnen ist dies als Unterordnung des Frauenkampfes unter den Klassen­kampf kritisiert worden. MarxistInnen antworten darauf mit dem Idealismus-Vorwurf gegen den Feminismus: Engels habe historisch-materialistisch den Zusammenhang von Männerherr­schaft und Privateigen­tum/Klassenkampf nachgewiesen. Damit sei die Unterordnung des Frauenkampfes unter den Klassen­kampf eine historisch-mate­rielle Notwendigkeit.

Aber was ist Engels’ Argument für den Zusammenhang von Pri­vateigentum und Ab­schaf­fung des Mut­terrechts?

 

„Nach der damaligen Arbeitsteilung in der Familie fiel dem Mann die Beschaffung der Nah­rungsmittel und der hiezu nötigen Ar­beitsmittel, also auch das Eigentum an diesen letzteren zu; er nahm sie mit, im Fall der Scheidung, wie die Frau ihren Hausrat behielt. Nach dem Brauch der damligen Gesellschaft al­so war der Mann auch Eigentümer der neuen Nahrungsquelle, des Viehs, und später des neuen Ar­beitsmit­tels, der Skla­ven. Nach dem Brauch derselben Gesellschaft aber konnten seine Kinder nicht von ihm er­ben, [...]. Nach

Mutterrecht[17], also solange Abstammung nur in weibli­cher Linie gerechnet wurde, [... mußte d]as Vermögen [...] in der Gens[18] bleiben. Bei dem Tod des Herdenbe­sitzers wären also seine Herden über­gegangen zunächst an seine Brüder und Schwe­stern und an die Kinder seiner Schwe­ster oder an die Nach­kommen der Schwester seiner Mut­ter. Seine eignen Kinder aber wa­ren ent­erbt.“ (Engels 1884, 59).

 

Engels Argumentation oder vielmehr Suggestion sind folgende Fragen entgegenzuhalten: Warum ‚mußten’ bzw. sollten die neuen Reichtümer nicht mehr in der Gens bleiben? Warum war es auf ein­mal notwendig, daß ein Mann von seinen Kindern und nicht mehr von seiner Schwester bzw. deren Kin­dern beerbt wurde?[19] En­gels erklärt dies – wie schon zitiert – damit, daß die neuen Reichtümer ein­seitig den Männern zufielen und damit die Macht­ver­hältnisse in der Familie zugun­sten der letzte­ren ver­schoben.

Aber warum fielen die neuen Reichtümer den Männern zu?[20] Und warum ist es den Männern lieber, an ihre Kinder als an ihre Schwe­stern (und deren Kinder) zu vererben? Die Kinder der Männer gehen bei dieser Regelung ja nicht leer aus, son­dern erben von den Brü­dern ihre Ehefrauen.[21] Und warum sind ihm seine Kinder überhaupt näher als seine Schwester und de­ren Kinder? Schließlich ist das Denken in männlichen Ver­wandtschaftslinien keinesfalls na­turgegeben, wie die vorherge­hende Matrili­nearität zeigt – auch wenn Marx der Übergang von der Matri- zur Patrilinearität als „überhaupt der na­türlichste“ (zit. n. Engels 1884, 60) er­schien. Es steht also immer noch die Frage an den historischen Materialisten Engels und alle, die sich auf ihn berufen: Aus welchem historisch- (d.h.: gesellschaftlich!-)materiellen Grunde wurde das mutterrechtliche Denken umgestoßen?

 

Engels selbst mußte zugeben:

 

„Wie sich diese Revolution [= „Umsturz des Mutterrechts“ „ „weltgeschichtliche Nie­der­lage des weiblichen Geschlechts“] bei den Kulturvölkern ge­macht hat, und wann, darüber wis­sen wir nichts.“ (Engels 1884, 60; auch zit. bei Reinstadler 1984, 23 in FN 4).

 

Selbst wenn man/frau die von Engels behauptete zeitliche Par­allelität der Entstehung von Privateigen­tum und Vaterrecht als Tatsache akzeptiert (was keinesfalls unum­stritten ist), so ist die Frage der Kau­salität zwischen bei­dem also durchaus noch nicht geklärt.[22]  Auch Kontos 1979, 94 fragt inso­fern zu­treffend,

 

„ob der Zusammenhang nicht umzudrehen ist, daß nicht, wie bei Marx und Engels die zwangswei­se Mo­no­gamie der Frau aus dem Interesse des Mannes an der Sicherung le­gitimer Erbfolge zu er­klären ist, son­dern das Interesse des Mannes an der Kontrolle der ersten gesellschaftlichen Pro­duktivkraft, der le­bendi­gen Arbeits­kraft [von Frauen, d. Vf.], der Ausgangs­punkt patriarchaler Herr­schaft ist. Die Zwangsmonogamie der Frau dient dann [...] erst sekundär, nämlich mit der Entwicklung pri­vater Eigentumsverhältnisse, die prinzipiell auch in matriarchalischen Gesellschaften möglich war, der Siche­rung legitimer mänli­cher Erben. Das Privatei­gen­tum wäre demnach nicht die ‚Quelle’ des Pa­triarchats, son­dern nur eine Form männli­cher Herrschaft [...].“ (Kontos 1979, 94 – Hv. d. Vf.).

 

An einer Stelle faßt sogar Engels selbst eine von der materiellen Ba­sis der Klas­senherr­schaft relativ un­ab­hängige materielle Basis des patriarchalen Ge­schlechterverhältnis­ses andeutungsweise ins Auge:

 

„Und ebenso wird auch der eigentümliche Charakter der Herr­schaft des Mannes über die Frau in der mo­dernen Familie und die Notwendigkeit, wie die Art, der Herstellung einer wirklichen gesell­schaftli­chen Gleich­stellung beider erst dann in grelles Tageslicht treten, sobald beide juristisch vollkommen gleichbe­rechtigt sind.“ (Engels 1884, 76 – Hv. d. Vf.; ebenfalls zitiert bei Kontos 1979, 97).[23]

 

Das heißt: Die volle juristische Gleichberechtigung, die der kapitalistischen Produktionsweise mit freien und gleichen Markt- sowie Rechtssubjekten entspricht, führt allein durchaus nicht zur Beseiti­gung der „Herrschaft des Mannes über die Frau“, die selbst „in der mo­dernen Familie“ noch besteht.

Diese Erkenntnis widerspricht der von Marx und Engels noch im Kommuni­stischen Mani­fest Ausdruck verliehenen Hoffnung, daß die „Bourgeoisie, wo sie zur Herr­schaft gekom­men, [...] alle feu­dalen, pa­triarchalen idyllischen Ver­hältnis zerstört“ habe und daß die ‚Geschlechtsunterschiede’ für die Ar­beiterklasse „keine gesell­schaftliche Geltung mehr“ haben (Marx/Engels 1848, 469). Engels geht hier viel­mehr sehr richtig davon aus, daß selbst die volle juri­stische Gleichberechtigung nichts an der „Herrschaft des Mannes über die Frau in der modernen Familie“ ändert (Hv. d. Vf.).

Zu klären wäre also, warum die „Herrschaft des Mannes über die Frau“ auch „in der modernen Familie“ besteht. Der Marxismus scheitert, daran eine solche – und zwar historisch-materialistische (d.h.: gesellschaftliche) – Erklärung zu liefern. Das Kommunistische Manifest bestreitet schlicht die Möglichkeit einer solchen Männerherrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft; aber auch Engels’ Der Ursprung… (mit seiner erbschafts-bezogenen Argumentation) taugt dafür nicht, da es – wie schon in FN 16 gesagt – in der proletarischen Familie (des 19. Jh.s) nichts oder jedenfalls fast nichts zu vererben gab. –

Warum gibt es also (nach marxistischer Ansicht) auch in lohnabhängigen Familien eine geschlechtshierarchische Verteilung von Hausarbeit und sexueller Gewalt?

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Es folgen die Abschnitte:

 

3.c) Das zetkinsche Ergebnis: „die marxistische Frauenemanzipationstheorie“

4. Der unbewußte biologistische Essentialismus der marxisti­schen Erklärung der ge­schlechts­spezifischen Arbeitsteilung



[1] Frei 1987, 20: „Exponenten der marxistischen Frauenemanzipationstheorie“ (Hv. d. Vf.).

[2] Die Darstellung von Staude 1976, 52, 56, 60 läßt sich also stichwortartig folgendermaßen zusammenfassen: „in­dustrielle Entwicklung“, „moderne Frauen­frage“, „kapitalistische Produk­tion“, „Lohnskla­vinnen“ – also: Die „moderne Frauenfrage“ sei eine „Lohnsklavinnen“-Frage, die von „kapitalistische[r] Produktion“ und „industrielle[r] Entwicklung“ hervorgebracht wurde. – Ähnlich auch (in einem Satz zusammengefaßt) Staude 1977, 476 unter Berufung auf Zetkin 1896, 101: Es sei „das Ausbeutungsbedürfnis des Kapitals, unend­lich Rundschau zu halten nach den billigsten Arbeits­kräften, das die [sog. moderne, d. Vf.] Frauenfrage geschaffen hat“.

Gegen Zetkins Position ist bereits an dieser Stelle einzuwenden: Sie fragt nicht, warum es überhaupt unterschiedlich bezahlte Gruppen von Arbeitskräften gibt und warum aus­gerechnet die Frauen (und nicht bspw. die Männer oder die Blondhaarigen) die „billigsten Ar­beitskräfte“ sind. Mit der Kapitallogik läßt sich zwar erklären, warum das Kapital an Arbeits­plätzen, die keine Führungsfunktionen sind und keine hohen Ausbildungskosten verlangen, die „billigsten Arbeitskräfte“ einstellt (während Führungspersonal und Arbeitskräfte, in die hohe Ausbildungskosten inve­stiert wurden, durch höhere Löhne an das Kapital insgesamt bzw. an das jeweilige Unternehmen gebunden werden sollen). Daß Frauen die „billigsten Arbeitskräfte“ sind, läßt aber nicht aus der Kapitallogik, sondern nur aus der Struktur des patriarchalen Geschlechterverhältnisses erklären.

[3] Da der dogmatische Marxismus diesen epistemologischen Bruch im Werk von Marx nicht erkennt und statt dessen einen einheitli­chen, widerspruchsfreien Marx präsentiert und für sich verein­nahmt (s. Althusser 1960b, 12), bezog sich die DDR-Historiogra­phie in Sachen „Frauenfrage“ nicht nur auf die späteren mehr oder minder materialistischen Ansätze, sondern auch auf jenen ersten (noch geschichtsphilosophisch-idealistischen) Ansatz.

[4] Vgl. auch Marx/Engels 1845, 29: „Das dritte Verhältnis, was hier gleich von vornherein in die geschichtliche Entwicklung ein­tritt, ist das [...] Ver­hältnis zwischen Mann und Weib, El­tern und Kindern, die Familie.“ (Hv. i.O.).

[5] Vgl. Marx/Engels 1845, 22: „Die in der Familie latente Sklaverei entwickelt sich erst allmählich mit der Vermehrung der Bevöl­kerung und der Bedürf­nisse und mit der Ausdehnung des äußren Verkehrs, sowohl des Kriegs wie des Tauschhandels.“

[6] Althusser 1965a, 34: „Die ‚Deutsche Ideologie’ ist tatsächlich der meist negative und kritische Kommentar der verschiedenen, von Marx verworfenen Formen der ideologischen Pro­blematik. Eine lange Arbeit der positiven Reflexion und Ausarbeitung war nötig, eine lange Periode, die Marx dazu benutzte, um eine Terminologie und eine seinem revolutionären theo­retischen Projekt angemessene begriffliche Systematik zu produzieren, zu formen und festzule­gen.“ Vgl. auch Althusser 1972, 61: „Diese Thesen führen die Forschung nicht in die Irre; es sind Thesen für die wissenschaftliche Erkenntnis der Ge­schichte.“ (Hv. in beiden Zitaten i.O.).

[7] Bezeichnend dafür, daß sich Marx und Engels nach dem Verfassen des Kommunistischen Manife­stes bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr auf wissenschaftlich-theoreti­schem Niveau mit dem Geschlechterverhältnis beschäftigt haben, ist, daß Marx in seinem Brief vom 12.12.1868 an Ludwig Kugel­mann auf einmal wieder auf das oben schon ange­führte geschichtsphilosophisch-idealistische Fourier-Zitat zu­rückgriff – also auf ein ‚eigentlich’ längst überwundenes Stadium seines theoretischen Schaffens zurückfiel: „Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der ge­sellschaft­lichen Stellung des schönen Geschlechts (die Häßlichen eingeschlossen).“ (Marx 1868, 583).

Die einzige Konkretisierung die gegenüber dem Fou­rier-Zitat von 24 Jahren zu­vor erreicht wird, ist der Hinweis auf einen Umstand, der die Auffassung der Frauen als Symbol des gesellschaftlichen Fort­schritts rechtfertigen soll: „Jeder, der etwas von der Geschichte weiß, weiß auch, daß große gesellschaftliche Umwälzungen ohne das weibliche Ferment unmöglich sind.“ (Marx 1868, 582 f.). Außerdem weist Marx in dem Brief darauf hin, daß dem Generalrat der I. Internationale eine Frau angehöre und daß die Amerikanische Labor Union „die weiblichen Arbeiter mit völliger Parität behan­delt“ (Marx 1868, 582). Eine ausgearbeitete Theorie bilden jene fragmentarischen Andeutungen in Briefform jedenfalls nicht. –

Politisch spielte das Geschlechterverhältnis für Marx und Engels aber insofern (weiterhin) eine Rolle, als sie im Gegensatz bspw. zur lassalle’schen Strömung in der deutschen sowie der proudhon’schen Strömung in der französischen Ar­beiterInnenbewegung das Recht der Frauen auf Erwerbstätigkeit verfochten (zu dieser Auseinandersetzung bspw. Frei 1987, 39 - 45; Freier 1981, 9; Kon­tos 1979, 115; Staude 1983, 6 - 8, 12 f. unter Hinweis auf Marx 1867/90, 514).

[8] Auf diesen Halbsatz wird unten in Abschnitt 4. zurückzukommen zu sein.

[9] Vgl. Schmidt/Richter 1974, 29: „Der Antagonismus zwischen Kapitalisten- und Arbeiterklasse schloß nicht aus, gemeinsam mit den bürgerlichen Frauen für die volle zivilrechtliche und politische Gleichberechtigung der Frau zu kämpfen, [...]“.

[10] „Bei dieser [der Frauenfrage, d. Vf.] handelt es sich um die Stellung, welche die Frau in unserem sozialen Organismus einnehmen soll, wie sie ihre Kräfte und Fähigkeiten nach allen Seiten entwickeln kann, damit sie ein volles, gleichberechtigtes und möglichst nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft werde. Von unserem Standpunkt fällt diese Frage zusammen mit der Frage, welche Gestalt und Organisation die menschliche Gesellschaft sich geben muß, damit an die Stelle von Unterdrückung, Ausbeutung, Not und Elend die phy­sische und soziale Gesundheit der Individuen tritt. Die Frauen­frage ist also für uns nur eine Seite der allgemeinen sozialen Frage, die gegenwärtig alle denkenden Köpfe erfüllt und alle Geister in Bewegung setzt; sie kann daher ihre endgültig Lösung nur finden durch die Aufhebung der gesellschaftlichen Gegensätze und Beseitigung der aus diesen hervorge­hen­den Übel.“ (Bebel 1879/1909, 25).

[11] Auch wenn die Formulierung „beiden Geschlechtern“ dies vielleicht vermuten läßt, scheint es hier nicht in erster Linie um Unabhängigkeit der beiden Geschlechter von einander (also nicht um das Geschlechterverhältnis), sondern um die ökonomische und ideologische Unabhängigkeit „beide[r] Geschlechtern“ (= aller Menschen) vom Kapital zu gehen (auch wenn dies die Schaffung bestimmter, geschlechterpolitisch durchaus relevanter sozialpolitischer Einrichtungen einschließt)!

[12] Gegen diese lose Lesart spricht, daß Bebel gerade das Demonstrativpronomen „Dieses“ hervorhebt, anstatt beispielsweise zu schreiben: „Die Lösung der Frauenfrage fällt also mit der Lösung der sozia­len Frage zusammen.“ – Das in vorstehendem fiktiven Beispielssatz eingefügte „also“ steht aber bei Bebel tatsächlich einen Halbsatz vorher.

Die hypothetische Verschiebung in den fiktiven Beispielssatz bewirkt einen unzulässigen Umkehrschluß: Bei Bebel heißt es: „alle Schranken zu beseitigen, die den Menschen vom Menschen, also auch das eine Ge­schlecht vom anderen, abhängig machen“. Die Beseitigung aller „Schranken“ schließt logisch auch die Beseitigung der „Schranken“ zwischen den Ge­schlechtern ein. Daraus rechtfertigt sich die Stellung des „also“, die es bei Bebel tatsächlich hat.

Verschiebt man/frau das „also“ nun wie in der zwei­ten – losen – Lesart vorge­schlagen, dann setzt man/frau damit unausgesprochen voraus, daß die Existenz anderer „Schranken“ auch die Existenz von ‚Geschlechter­schranken’ voraussetze. Nur dann könnte geschlußfolgert werden, daß die Lösung der „Frauenfrage“ vollständig (und nicht nur im einge­schränkten Sinne Bebels) mit der Lösung der „sozialen Frage“ zusammenfällt. Diese Voraussetzung bzw. dieser Umkehrschluß ist zwar durchaus nicht lo­gisch, aber er erfährt in der ArbeiterInnenbewegung seine Plausibilität aus der früh-marx’schen, utopisch-sozialistischen Auffassung der Frauen als Symbol des gesellschaftlichen Fortschritts.

[13] Zum Zusammenhang von rationalistischer und versöhnlerischer Ideologie siehe Balibar 1976, 22: „Auf keinen Fall darf der Mar­xismus die (der Groß­bourgeoisie und der Sozialde­mokratie gemeinsame) Position einnehmen und die ökonomischen und politischen Probleme in Begriffen der ‚Rationalität’ und der ‚Irrationalität’, in Begriffen der logischen Wahl zwi­schen rationalen ‚Modellen’ der Gesellschaft statt in Begriffen des Klassenkampfs formulieren."

[14] Diese Auffassung steht in keinen notwendigen Zusammenhang, aber auch nicht im Gegensatz zur Auffassung der Deutschen Ideologie.

[15] Vgl. Marx/Engels 1848, 478: „Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie? Auf dem Kapital, dem Privaterwerb. Vollständig entwickelt exi­stiert sie nur für die Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen Prostitu­tion.“

[16] Diese Zukunftsperspektive stützt sich denn auch auf einer anderen Situationsanalyse: „Erst die große Industrie unsrer Zeit hat ihr – und auch nur der Proletarierin – den Weg zur ge­sellschaftlichen Produktion wieder geöffnet. Aber so, daß, wenn sie ihre Pflichten im Privatdienst der Familie erfüllt, sie von der öffentlichen Produktion ausgeschlossen bleibt und nichts erwerben kann; und daß, wenn sie sich an der öffentlichen Industrie beteiligen und selbständig erwerben will, sie außerstand ist, Familienpflichten zu erfüllen.“ (Engels 1884, 75).

Diese Einsicht in die doppelte Anforderungen, die an (proletarische) Frauen gerichtet werden, steht bei Engels neben der bereits zitierten widersprechenden Auffassung, daß gerade „in der Proletarierwohnung“ der „letzte Rest der Männerherrschaft“ beseitigt sei; während ein solcher Rest allenfalls noch „in den Klassen, wo es was zu erben gibt“ (Engels 1884, 75), bestehe.

Rhetorisch (aber nicht sachlich) werden die beiden widersprüchlichen Aussagen durch die Worte „nur die Proletarierin“ zusammengehalten: Nur in ihrer Klasse gibt es nichts zu erben (weshalb – so Engels 1884, 75 – die Frauen-Monogamie und ergo das Patriarchat abgeschafft sei); und nur sie ist der Doppelbelastung von Erwerbs- und Hausarbeit ausgesetzt (weshalb das Patriarchat irgendwie doch fortbesteht).

Da diese Doppelbe­lastung aber zweifelsohne besteht, zeigt sich an dem Widerspruch in Engels Argumentation die Haltlosigkeit seiner reduktionistischen Ableitung des Patriarchats aus dem Privateigen­tum und der damit verbundenen Erbschaftsregelung! Die patriarchale Doppelbelastung von proletarischen Frauen besteht, obwohl es in der proletarischen Familie (des 19. Jh.s) nichts oder jedenfalls fast nichts zu vererben gab!

[17] = Begriff (des Schweizer Rechtshistoriker und Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen, den Friedrich Engels rezipierte), der eine Gesellschaftsformation bezeichnet, in der die Mutter das Oberhaupt der Familie ist, da die Abstammung über die Mutter ermittelt wurde (Matrilinearität) (http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jakob_Bachofen).

[18] = Bezeichnung für eine Sippe oder Gruppe von Familien (http://de.wikipedia.org/wiki/Gens).

[19] Auch Kontos 1979, 94 stellt insofern zutreffend fest, „2. ist nicht einzusehen, warum gerade die Verfügung über diese Pro­duktivkräfte bei den Män­nern ein Interesse am Privateigen­tum hervorrufen sollte.“

[20] Die „damalige Arbeitsteilung“ wird von Engels einfach als (natur?)gegeben hingenommen und nicht auf ihre gesellschaftlichen Ursachen hin untersucht. – Das heißt: Wenn es nicht um die Klassenverhältnisse, sondern um das Geschlechterverhältnis geht, verfehlt der Marxismus auf einmal seinen Anspruch, nicht biologischer, sondern historischer (d.h.: gesellschaftlicher) Materialismus zu sein!

[21] Der Männer-Wunsch an die eigenen Kinder zu vererben, läßt sich gerade nicht mehr materialistisch, sondern nur mittels der psychologischen Spekulation erklären, jeder Mann glaube, daß er mehr Reichtümer besitze als der Bruder seiner Ehefrau. Aber warum glaubt er das?

[22] Daraus ergibt sich folgende Frage: War Engels vielleicht auf der Suche nach einer Erklärung dafür, warum das, was ihm und Marx als das ‚natürlichste überhaupt’ erschien (auch wenn sie es aus moralischen Gründen abschaffen wollten) – das Patriarchat –, durchaus nicht schon immer be­stand bzw. nach dem, was dem ‚unnatürlichen’ Mutterrecht ein Ende machte? Könnte es weiter sein, daß Engels ein gesellschaftlicher Geschlechterkampf noch ‚unnatürlicher’ als das Mutterrecht erschien, daß er sich deshalb mit der vermeintlichen zeitlichen Parallelität als Ersatz für eine Kausalerklärung zu­frieden gab?! – Da Engels keine (eigenständige, nicht aus den Klassenverhältnissen abgeleitete) soziale Erklärung für die Entstehung des Patri­archats geben kann, kann er auch keine gesellschaftliche Strategie zu dessen Überwindung formulieren. Die Abschaffung der Frauenunterdrückung erscheint ihm nicht als Umwäl­zung eines sozialen Verhältnisses, sondern als kultureller Bruch eines para­diesischen Kommunismus mit der Natur (Steigerung der Produktivität auf „großer Stufenleiter“, so daß Hausarbeit „nur noch in unbedeutendem Maß[e]“ notwendig ist, s. das Zitat S. 11 oben). Damit ist also auch Engels wieder bei der Frühschrift aus dem Jahr 1844 an­gekommen: „Der Grad der weiblichen Emanzipation“ ist der Maßstab für Überwindung der „Brutalität“ des Naturzustandes, die in der Herrschaft des Starken über die Schwache, des Mannes über die Frau „am evidentsten er­scheint“ (Charles Fourier zit. n. Marx/Engels 1844, 208).

[23] Ähnlich auch Lenin, Über eine Karikatur des Marxismus, in: LW 23, 67 – 69 zit. n. Kontos 1979, 102: „Die Marxi­sten wissen aber, daß Demokratie die Klassenunterdrückung nicht beseitigt, sondern lediglich den Klassen­kampf reiner, breiter, schärfer gestaltet, und das ist es, was wir brauchen. Je vollständiger die Freiheit der Ehescheidung, um so klarer ist der Frau, daß die Quelle ihrer ‚Haussklaverei’ der Kapi­talismus ist und nicht ihre Rechtlosigkeit.“ Kontos' Kritik setzt hier nicht an der – wie wir bereits gesehen haben – von ihr geteilten fal­schen Annahme an, die ‚Haussklaverei’ sei für den Kapitalismus notwendig. Kontos’ Kritik beschränkt sich vielmehr darauf, festzustellen, daß die Vergesellschaftung der Haus­arbeit – also das, was nach Engels (1884, 76, 158) und Lenin (LW 29, 420 zit. bei Kontos 1979, 103) über juristische Gleichberechtigung hinausgeht – in der SU kaum realisiert wurde (Kontos 1979, 103 f.). Diese Feststellung ist zwar zutreffend. Sie wirft aber die Frage auf, ob die Ur­sache für dieses Realisierungsdefizit nicht genau in der (von Kontos mehr oder minder geteil­ten) Verortung der materiellen Basis der ‚Haussklaverei’ im Kapitalismus statt in der geschlechts­hierarchischen Arbeitsteilung liegt.

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Fortsetzung des Textes:

 

Schlechte Zutaten, aber gut geschüttelt – Teil II des Textes zu dem Zetkin-Cocktail in Sachen Geschlechterverhältnis

 

https://linksunten.indymedia.org/de/node/136641 (06.03.2015 - 11:40 h).

 

 

Stark geraffte, thesenförmige Zusammenfassung des gesamten dreiteiligen Textes:

 

Biologischer oder historischer Materialismus? 15 Thesen zum Scheitern des Marxismus, eine gesellschaftliche Analyse des Geschlechterverhältnisses zu liefern

 

http://scharf-links.de/51.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=50317&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=509229915c

So, jetzt auch Teil III online:

 

Biologismus oder Gesellschaftstheorie? Marxismus und geschlechtliche Arbeitsteilung

 

 

(07.03.2015 - 13:46)

Es gibt jetzt einen Mitschnitt meines - im ersten Absatz des Artikels erwähnten - Vortrages vom 10. März zum Verhältnis von Marxismus und Feminismus online:

 

http://perspektive.nostate.net/480

 

Eine schriftliche Fassung mit den obiligatorischen Fußnoten usw. wird es auch demnächst geben.