Wir werden in unregelmäßigen Abständen die bestehende Chroniken der Freiburger Wagenplätze auf IMC linksunten veröffentlichen. Bisher erschienen:
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Hier im zweiten Teil werden wir verschiedene Strategien im Umgang mit der Räumungsbedrohung auf Vauban beschreiben, indem wir die Gruppen Fliegende Wägen und Initiative Punika-Oase vorstellen. Im selben Zusammenhang geht es um den Wagenplatz am Schönberg und die Entstehung des von der Stadt verwalteten Eselwinkel-Wagenplatzes.
Die Situation im Jahr 1995
Es bestehen in Freiburg die Plätze:
- Wagenplatz auf dem Gelände des Mietshausprojektes „Selbstorganisierte Unabhängige Siedlungs-Initiative“ (S.U.S.I.)
- Öko-Wagenburg Ölmühle, St.Georgen, seit 1992. Privat gepachteter Platz.
- Biohum/Rieselfeld, seit 1989. Ab 2001 von der Stadt verwaltet.
- über 100 Wagenbewohner auf dem Vauban-Gelände (diverse Gruppen verschiedener Größe)
Die Wagenburg auf dem ehemaligen Kasernengelände Vauban ist nur befristet geduldet, auf dem Gelände soll ein neuer Stadtteil entstehen. Angesichts der drohenden Räumung von Vauban entwickeln verschiedene Gruppen unterschiedliche Strategien, um das Leben im Wagen fortsetzen zu können.
- Schönberg - Wagenburg: Die Gruppe mietet ein privates Grundstück. Dennoch wird sie auch hier von der Stadtverwaltung vertrieben.
- die spätere Eselswinkel-Gruppe: Verträge mit der Stadt unter Zähneknirschen
- Initiative Punika-Oase / Fliegende Wägen: Punika-Oase wird 1997 vom Vauban-Gelände geräumt, Fliegende Wägen im selben Jahr von dem Gelände am Flugplatz
Hier sind die Jahre 1995-1999 aus der Perspektive jeder Gruppe:
Die Schönberg - Wagenburg (1995 - 1998)
oder: der Wert mündlicher Zusagen
Die Schönberg - Gruppe versucht, der drohenden Räumung des Vauban - Geländes durch das Anmieten eines privaten Grundstückes zu entgehen.
1995
Baubürgermeister Sven v. Ungern-Sternberg gibt die Zusage, daß auch
im Landschaftsschutzgebiet Gelände gepachtet werden dürfen. Der
Gemeinderat lehnt mit knapper Mehrheit städtische Plätze ab, sichert
aber eine Duldung für “privat gepachtetes Gelände” zu (Ungern-Sternberg).
Sternberg sichert auf ausdrücklicher Nachfrage zu, Wagenburgen unter Zurückstellung rechtlicher Anforderungen auch im Landschaftsschutzgebiet zu dulden. Einzige Bedingungen:
- 1. geordnete Müll- und Abwasserentsorgung
- 2. keine Belästigung durch Hunde.
November 95
Eine Gruppe von Vauban pachtet nach Rücksprache mit der Stadt ein Grundstück auf dem Schönberg. Der Besitzer ist ein Privatmann.
Nachdem der Bürgerverein St. Georgen Bedenken äußert, fügt die Stadt eine neue Bedingung hinzu:
- 3. die “soziale Akzeptanz”.
In der darauffolgenden Zeit sprechen sich über 500 St. Georgener Bürger für die Wagenburg aus; dennoch spricht Bürgermeister v. Ungern- Sternberg von einer “qualifizierten Minderheit” der Wagenburggegner. Die Voraussetzung für den Fortbestand des Platzes am Schönberg sei daher nicht mehr gegeben.
August 96
Der Platz am Schönberg erhält die Räumungsverfügung, in der die ersatzlose Räumung und Beschlagnahmung der Wagen angedroht wird! Es wird ausdrücklich drauf hingewiesen, daß sonst kein Standort in Freiburg geduldet wird: “Sollten Sie sich nach Verlassen des Grundstücks... auf einem anderen Grundstück im Stadtgebiet von Freiburg niederlassen, wird die Polizei unverzüglich dieses Grundstück räumen und die Wagen beschlagnahmen” (Räumungsverfügung vom 3.8.96). Als Grundlage muß jetzt das Landschaftsschutzgesetz herhalten. Kein Wort mehr über die bisherigen und einzigen Auflagen.
1996-1998
Widerspruch gegen die Räumungsverfügung wird einlegt; nachdem das
Gericht die Beweisanträge der Wagenbewohner abgeschmettert hat,
erscheinen am 22. September ’98 Polizei und Abschleppwagen, daraufhin
räumen die Bewohner freiwillig das Grundstück.
Wagenplatz am Eselwinkel (1997 bis ...)
nicht zu verwechseln mit:
- Wagenburg "Fliegende Wägen", am Flugplatz/Eselswinkel 1996-1997
- Die "Freiburger Straßenpunks" besetzen 2006 ein Gelände am Eselwinkel
- Die Schattenparker
wohnen seit 2006 in unmittelbarer Nachbarschaft am Eselwinkel
1995-1997
Der große Wagenplatz auf Vauban soll geräumt werden. Zunächst sieht es nach einer ersatzlosen Räumung aus, aufgrund von Druck aus der Öffentlichkeit soll dann aber doch Ersatz geschaffen werden.
(Dies führt zum oft falsch interpretierten „Gemeinderatsbeschluss von 1996“)
Gespräche zwischen Vauban-Bewohnern, engagierten Bürgern und der Verwaltung finden statt. Es gibt mehrere Gruppen auf Vauban, die unterschiedliche Lebensweisen führen; für alle ist jedoch klar, dass sie auf einem selbstverwalteten Wagenplatz wohnen wollen. Die Stadtverwaltung legt eine Räumungsvereinbarung vor. Nur wer diese unterzeichnet, wird auf dem neuen städtischen Wagenplatz zugelassen.
Hierin ist zu lesen : „Die Räumungsverpflichtung besteht unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt der Räumung (...) ein geeignetes Ersatzgrundstück der Stadt zur Verfügung gestellt werden kann.“
Bevor die dauerhaften Lösung entsteht, soll ein Übergangsplatz in der Tullastraße geschaffen werden- eine Betonplatte.
In die Planungen zum Übergangsstandort werden die Wagenbewohner nicht einbezogen.
Voraussetzung, den dauerhaften Platz beziehen zu dürfen, ist es, ein
Jahr auf dieser Platte auszuharren und die Bedingungen der Stadtverwaltung zu
akzeptieren :
- Einzelmietverträge
- zeitliche Befristung des Übergangsstandortes, unabhängig davon ob eine Dauerlösung wirklich zustande kommt.
- Überwachung durch Angestellte des Sozialamts
Eine Gruppe von Wagenbewohnern (die späteren Eselswinkel-Bewohner) akeptiert diesen Bedingungen zähneknirschend.
Eine weitere Gruppe (Initiative Punika-Oase) protestiert und
versucht weiter, einen selbstverwalteten Wagenplatz durchzusetzen. Die
Gruppe wird am 21.5.1997 von Vauban geräumt.
1997
Mindestens zwei Bewohner der Tullastraße beugen sich nicht den Schikanen des Sozialamts und werden willkürlich gekündigt (ein wichtiges Argument gegen Einzelmietverträge mit der Stadt).
Juni 1998
Die verbliebenen Bewohner der Tullastraße ziehen auf den Eselswinkel um. Selbstverwaltung ist seitens der Stadt nicht vorgesehen.
Punika-Oase / Fliegende Wägen (1995-1998)
Sozialbürgermeister Hansjörg Seeh: "Ihr bekommt keinen Platz... ihr seid ja noch resozialisierbar."
1995 / 1996
Der große Wagenplatz auf Vauban soll geräumt werden. Zunächst sieht es nach einer ersatzlosen Räumung aus, aufgrund von Druck aus der Öffentlichkeit soll dann aber doch Ersatz geschaffen werden.
(Dies führt zum oft falsch interpretierten „Gemeinderatsbeschluss von 1996“)
Schnell ist klar, dass der künftige Vauban-Ersatzplatz auf ein Projekt für betreutes Wohnen unter Obhut des Sozialamts hinauslaufen wird. Nicht alle Bewohner von Vauban sind hiermit einverstanden. Wer unterschreibt schon eine Bewerbung auf einen Stellplatz, mit der man gleichzeitig die eigene Räumungsverfügung unterschreibt – und diese gilt unabhängig davon, ob ein Ersatzplatz gefunden wird oder nicht !
Aus diesen Gründen zieht im Mai 1996 eine Gruppe von Vauban auf eine städtische Wiese am Flugplatz um. Als Name wählt sie zunächst "Analanako" (Anarchistisches Landnahmekollektiv)", später "Fliegende Wägen (in Anlehnung an "fliegende Bauten", die keiner Baugenehmigung bedürfen). Die Stadt erlässt eine Räumungsverfügung, aber dem Widerspruch hiergegen wird vom Verwaltungsgericht stattgegeben. Die Stadt ist zu einer Duldung gezwungen. Die Fliegenden Wägen melden sich weiterhin lokalpolitisch zu Wort, z.B zur Schaffung ders Wagenplatzes Eselwinkel (Übergangsstandort Tullastraße) im Frühjahr 2007 (1).
Nachdem sie mit ihrem Anliegen bei der Stadt auf taube Ohren gestoßen ist (1 2), verläßt eine weitere Gruppe das Vauban : Die Initiative Punika-Oase besetzt am 26.1.97 ein städtisches Grundstück im Gewerbegebiet Haid. Der Platz wird am 30.1. geräumt und die Fahrzeuge beschlagnahmt. Später befindet sich die Gruppe wieder auf Vauban.
Frühjahr 1997
Jene Gruppe von Vauban - Wagenbewohnern, die sich auf die
Vorgaben und Knebelverträge der Stadt eingelassen hat, bezieht eine
Betonplatte an der Tullastraße. Im Juni 1998 erfolgt der Umzug an den Eselswinkel, dort besteht die Wagenburg bis heute (Stand 2016). Punika-Oase ist 1997 weiterhin auf Vauban (westlich von Haus 37), Fliegende Wägen am Flugplatz.
Der heiße Sommer 1997
1997 (Punika-Oase)
Die auf dem Vaubangelände verbliebenen Wagenbewohner werden
vertrieben (21.5. 1997). Die Stadt droht mit Beschlagnahme, falls die
Wagen auf städtischer Fläche nochmals angetroffen werden.
Mai 1997 (Fliegende Wägen)
Kurz darauf erhält die Gruppe am Flugplatz einen Räumungsbescheid für den 5. Juni. 5.6. - 10.6. 1997
Punika-Oase und Fliegende Wägen vereinigen sich, verlassen die Wiese am
Flugplatz als die Polizei eintrifft, fahren tagsüber als
Demonstrationszug durch die Stadt und parken jeweils abends auf
öffentlichen Parkplätzen.
Die Stadtverwaltung läßt am 10.6. frühmorgens die Freiburger Einsatzhundertschaft anrücken, alle Fahrzeuge auf dem Parkplatz des technischen Rathauses sollen beschlagnahmt werden. Die Wagenleute können dies in letzter Sekunde verhindern, indem sie legale Abstellplätze vorweisen. Bewohnen können sie ihre Fahrzeuge allerdings nicht mehr.
10.6. - 17.6. 1997
Die Wagenleute übernachten auf dem Rathausplatz, bis ihr
Küchenzelt beschlagnahmt und die Übernachtung mit Bußgeldern belegt
wird.
Sommer 1997
Die Wagenleute versuchen die Situation zu deeskalieren, indem sie vorerst nicht als Gruppe auftreten.
29.8. 1997
Die Gruppe wohnt auf einem Gelände der Firma Rhodia und wird am 2.9. vertrieben.
Sept. 1997
Über verschiedene Stationen gelangen die Wagenbewohner auf das
leerstehende Grundstück des ehemaligen Südwestfunk-Studios im Stadtteil
Günterstal (5.9.’97). Dort werden sie am 16.9. geräumt und drei Wagen
beschlagnahmt.
26.9. 1997
Die Polizei spürt die Wägler am Opfinger Baggersee auf, die
Stadt läßt in einer ebenso spektakulären wie illegalen Aktion alle
Fahrzeuge beschlagnahmen und auf die städtische Mülldepolie verbringen.
30.9. 1997
Da die Beschlagnahme rechtswidrig ist, nehmen die Wagenleute einen Akt
der Besitzkehr vor und holen sich in der Nacht zum 30.9. ihre Fahrzeuge
zurück. Fünf dieser Fahrzeuge werden am 7.10.’97 abermals rechtswidrig
beschlagnahmt.
Das Gerichtsverfahren, das die Wägler gegen die Stadt anstrengen, endet Monate später mit einem Vergleich. Zunächst jedoch müssen die Wagenleute eine Summe von DM 1000,- pro beschlagnahmtem Fahrzeug aufbringen.
15.10. 1997
Schreiben des Amts für öffentliche Ordnung : "Wir machen aber
darauf aufmerksam, dass bei erneutem Antreffen der genannten Wagen im
Stadtgebiet von Freiburg auf einem nicht legalen Stellplatz sofort
erneut eine Beschlagnahme erfolgen wird. Die Wagen werden dann
unmittelbar danach eingezogen und verschrottet.“
Es folgen zwei Jahre, in denen die Wagenbewohner die Situation deeskalieren, indem sie zunächst nicht als Gruppe auftreten. Im Jahr 1999 geht es auf dem "Fahnenmastplatz" im Stadtteil Vauban (2009 als "V8" bebaut) weiter:
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