Zur Situation in Bure - eine Einschätzung

Anti-Atom-Sonne mit Faust

(gekürzte Version) Im letzten halben Jahr sind mehrere Texte veröffentlicht worden, die sich mit dem wachsenden Widerstand gegen das französische Endlagerprojekt für hochradioaktive Abfälle (CIGEO) vom Konzern ANDRA1 in Bure befassen. Wir sind ein paar Leute aus der autonomen anti-Atom Bewegung in der BRD, die diesen Prozess seit einiger Zeit solidarisch begleiten. Nach unserem letzten Besuch im Dezember 2016 haben wir uns zusammengesetzt, um die vorhandenen Berichte und Aufrufe um ein paar persönliche Eindrücke und Einschätzungen zu ergänzen.

 

Sommes un movement de masse(s)2 – Eine „Massenbewegung“ (mit Vorschlaghammer)

 

Mit einem Mobilisierungspotential von ca. 500 Menschen während des letzten Sommers, sicherlich noch keine Massenbewegung, zeigen die wachsenden Auseinandersetzungen um CIGEO doch einiges an politischer Perspektive auf. Die seit Malville (1977) marginalisierte Anti-Atombewegung erlebt eine Renaissance und widerständige Menschen aus unterschiedlichen Spektren und gesellschaftlichen Schichten kommen zusammen. Möglich gemacht wird dieses durch die Anerkennung unserer Unterschiedlichkeiten, den Respekt für das Handeln anderer Strömungen in diesem Widerstand und der gemeinsame Vorstellung von einer Strategie der „Vielfalt der Taktiken“. Feldbesetzungen, Demos, Kletterblockaden, Flugblattaktionen, Sabotage und militante Auseinandersetzungen, aber auch die Ausschöpfung der juristischen Möglichkeiten („Barrikaden aus Papier“) haben eine Situation geschaffen, die seit über 6 Monaten die derzeit wichtigste Baustelle des französischen Atomprogramms stilllegt.

 

ANDRA degage – resistance et sabotage!

 

Eine Chronologie des Sommers und Beschreibungen des Widerstandes sind bereits an mehreren Stellen veröffentlicht worden3. Es ist viel passiert: Baustellen wurden zerlegt, Gräben wurden ausgehoben und Straßen zerstört, hinter unzähligen Barrikaden, die den befreiten Wald von Mandres beschützen, sind Hütten, Baumhäuser und kollektive Küchen entstanden.

 

Momentan ruhen die Bauarbeiten im Wald. Das Projekt wächst aber weiter: der Bau einer Biodieselfabrik, Hochspannungsleitungen und verschiedene weitere Strukturen der ANDRA und der Haupteignerin EDF4 entstehen. 2004 erwarben Freund*innen den Bahnhof von Lumeville (la gare), der direkt auf der geplanten Route des künftigen Castorgleises liegt. Nach vergeblichen Versuchen das Grundstück zurück zu kaufen, plant ANDRA nun die Castorstrecke um das Grundstück herum zu legen. Auch 2004 wurde das Widerstandshaus „Bure Zone Libre“ (BZL) gegründet. Es handelt sich um einen offenen Anlauf- und Infopunkt, der den verschiedenen Spektren des Widerstandes eine permanente Präsenz in unmittelbarer Nähe der Anlage ermöglicht. Der Widerstand ist in den letzten zwei Jahren stark gewachsen. Das liegt u.a. an der politischen Entwicklung seit dem VMC5 Camp 2015 mit 800 Menschen. Dort kamen nicht nur internationale Aktivist*innen mit dem lokalen Widerstand in Kontakt, sondern auch Teile der autonomen und anarcho-kommunistischen Szene Frankreichs.

 

Einschätzung der aktuellen Situation:

 

Derzeit geht es im Bois Lejuc ruhig zu. Der Wald ist jedoch akut Räumungsbedroht und der nächste Angriff auf die Besetzung nur eine Frage der Zeit. ANDRA scheint momentan eher eine ruhigere Strategie zu fahren. Der Plan einen Mauerbau auf dem Rechtsweg zu erstreiten scheint aufgegeben zu sein. Stattdessen machte sich ANDRA Anfang Dezember an die Erfüllung von gerichtlichen Auflagen und begann unter Polizeischutz mit der Wiederaufforstung des noch unbebauten Mauerstreifens. Es ist davon auszugehen, dass auch der Rückbau der Mauer im südlichen Teil geplant ist. Der Rückbau der Mauer käme einem Angriff auf die Waldbesetzung, die auf den Trümmern der illegalen Baustelle gewachsen ist gleich! Die Hinterlassenschaften der Atommafia sind zu einem Teil des befreiten Waldes geworden. Aus Bauzäunen sind Baumhäuser geworden, der NATO-Draht schmückt unsere Barrikaden. Wir werden es nicht zulassen, dass ANDRA in den befreiten Wald zurückkehrt! Um das sicherzustellen, wird ihnen die Mauer zur Not auch entgegenkommen – Stein für Stein über die Barrikaden geschleudert!

 

Die nächste gerichtliche Anhörung von ANDRA in der Sache „Bois Lejuc“ findet am 11. Januar in Nancy statt. Danach könnte sich die Situation im Wald innerhalb kurzer Zeit deutlich verschärfen. Generell ist mit einem Räumungsversuch noch während der kalten Jahreszeit und vor den Präsidentschaftswahlen im April zu rechnen.

 

Tag X: im Falle eines Angriffes auf den Wald wird für den darauf folgenden Samstag um 11.00h zum BZL zur Wiederbesetzung mobilisiert!

 

Wie könnte Unterstützung aussehen?

 

Hinfahren! Auch außerhalb der großen Mobilisierungen braucht die Waldbesetzung dringend personelle Unterstützung. Zu Tun gibt es immer etwas, um den kollektiven Alltag zu organisieren, die Infrastruktur der Besetzung weiter auszubauen und die Verteidigung des Waldes gegen den bevorstehenden Angriff vorzubereiten. Gerade solange die Situation noch relativ entspannt ist, bietet sich die Gelegenheit das Terrain zu erkunden und mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen. Das Widerstandshaus und der Bahnhof sind ganzjährig auf Besucher*innen eingestellt und verfügen über eine begrenzte Anzahl beheizbarer Schlafmöglichkeiten. Auch im besetzten Wald entsteht derzeit eine beheizbare Gemeinschaftsunterkunft. Jeden Sonntag gibt es im Wald um 14.00h ein offenes Plenum zur aktuellen Situation.

 

Wenn du nicht nach Bure fahren kannst, gibt es andere Möglichkeiten den Kampf gegen CIGEO zu unterstützen. Es werden dringend noch Menschen gebraucht die regelmäßig Übersetzungsarbeit machen könnten. Auch Soliaktionen an anderen Orten können helfen unsere Kämpfe miteinander zu verbinden und weiter Druck auf das Projekt aufzubauen. Im Frühjahr 2017 ist zudem eine Infotour in Planung, die auch in Deutschland Station machen wird und noch Veranstaltungsorte sucht.

 

Falls du zur Räumung/ Wiederbesetzung fahren willst, hier noch ein paar allgemeine Überlegungen: Anders als bei uns wird direkter polizeilicher Zwang gegen Versammlungen in Frankreich in der Regel über Distanzwaffen ausgeübt (Gummigeschosse, Tränengas- und Schockgranaten). Diese können zu schweren Verletzungen führen und mitunter tödlich sein. Macht euch Gedanken über Schutzausrüstung z.B. Gasmasken, Schutzbrillen, Schoner, Helme (gegen Tränengas hilft auch bis zu einem gewissen Punkt das Arzneimittel „Maaloxan“). Auch existiert in Frankreich kein Vermummungsverbot auf Demonstrationen. Stellt euch darauf ein, dass es zu Fahrzeugkontrollen kommen könnte.

 

Verteidigen wir gemeinsam mit unseren Freund*innen den befreiten Wald von Mandres!

Verhindern wir CIGEO! Es gibt kein sicheres Endlager – Nirgends!

 

Hintergründe und Aktuelle Infos zu CIGEO:

https://burezonelibre.noblogs.org/ (französisch)

http://vmc.camp/ (französisch/englisch)

http://blog.eichhoernchen.fr/tag/Bure (deutsch/franz.)

 

1Nationale Agentur zur Entsorgung von radioaktivem Müll

2Wortspiel von einem Graffiti auf den Trümmern der Mauer

3Siehe Links am Ende des Textes

4Electrcite de france, staatlicher Energiekonzern.

5VMC: Eine Hommage an Victor Martinee, ein französischer Flughafenarbeiter der einen Schneepflug auf der Landebahn parkte, als ein Topmanager des Öl-Konzerns TOTAL seinen Jet landen wollte und tödlich verunglückte.

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Wurde nicht das Vermummungsverbot in Frankreich nach den Auseinandersetzungen 2009 in Straßbourg eingeführt ?

im Zusammenhang mit anderen Straftaten wie Landfriedensbruch; soviel ich weiss.

Wer Informationen auf Deutsch über den aktuellen Stand der Dinge in Bure sucht, kann auf der Homepage der Widerständigen in Bure gucken. Die Seite auf Deutsch wird regelmäßig aktualisiert: http://de.vmc.camp/

 

Und hier der Beitrag vom heutigen Tage:

 

Aktuelle Kurzinfos zur Waldbesetzung im Bois Lejuc

vmc 8. Januar 2017


Sven, ein offizieller Bewohner des Bois Lejuc in Mandres-en-Barrois bei Bure hat Post vom Gerichtsvollzieher erhalten. Die Nationale Agentur zur Entsorgung von radioaktivem Müll (ANDRA) bereitet die Wiederaufnahme der Bauarbeiten für das Atomklo. Die Waldbesetzung steht diesem Vorhaben in dem Weg. Darum geht sie gegen Sven juristisch vor. Eine Gerichtsverhandlung findet am 11. Januar 2017 vor dem Gericht in Bar-Le-Duc statt. Die ANDRA beantragt ein Räumungstitel  gegen Sven und weitere Bewohner*innen des Waldes.  Ob am 11.01. tatsächlich eine Räumung verfügt wird, ist nicht ganz klar. Der Anwalt, ist an dem Tag verhindert und will das Gericht dazu bewegen, den Termin zu verlegen. Diverse Antiatom-Initiativen aus der Region rufen zur Solidarität mit Sven und der Waldbesetzung auf, Sven freut sich über Post an seine Adresse im besetzten Wald ( Sven Linstrom, Le haut chemin, 55290 Mandres-en-Barrois ). Hierfür haben Antiatom-Gruppen einen Solibrief formuliert. Sven freut sich aber auch auf eigenständig formulierte Briefe auf Englisch.

 

Eine weitere Entwicklung spricht für eine Räumung der Waldbesetzung durch die Polizei und zeitnahe Wiederaufnahme der Bauarbeiten im Boi Lejuc: Die Präfektur will den Schwarzbau, der durch gerichtliche Einstweilige Verfügung im Sommer gestoppt wurde, legalisieren, indem sie eine Rodungsgenehmigung – ohne vorige Umwetlverträglichkeitsprüfung – erteilt. Die Unterlagen zu diesem Vorhaben legen bis zum 17. Januar bei der Behörde aus (Siehe hier )  und Bürger*innen dürfen dazu Stellung nehmen und an ddt-se-foret@meuse.gouv.fr schreiben. Diese Scheindemokratie dürfte jedoch wenig bringen.

 

Es heißt aber, dass mit der Erteilung einer Rodungsgenehmigung nach dem 17. Januar zu rechnen ist und eine Räumung der Waldbesetzung ansteht. Darum freuen sich die Aktivist*innen über Unterstützung vor Ort. Ob beim Bauen von Boden- und Baumhäuser bis zum Räumungstermin oder bei der Verteidigung des Waldes am Tag X wenn die Andra und der Polizeistaat anrücken.

 

Achtet auch aktuelle Informationen und Ankündigungen!


Tag X: im Falle eines Angriffes auf den Wald wird für den darauf folgenden Samstag um 11.00h zum Widerstandhaus BZL zur Wiederbesetzung mobilisiert!